Protokoll der Sitzung vom 09.12.2005

Natürlich müssen wir auch die Frage beantworten, wer die entsprechende höhere Entlohnung finanziert. Wir wissen, dass wir gerade seitens der kommunalen Ebene dabei auf – ich will nicht sagen – Widerstand stoßen; aber es gibt doch Bedenken, wer diese höhere Entlohnung zu tragen hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir in Sachsen nicht Bummelletzter bleiben wollen, müssen wir feststellen, dass die heutige Ausbildung den künftigen Anforderungen nicht mehr entspricht, und etwas tun. Deshalb begrüßen wir, dass die entsprechenden Projekte hier in Sachsen auf den Weg gebracht werden, und wir werden auch weiter dranbleiben, dass gerade in den frühkindlichen Bereich investiert und für die Qualität der Bildung sowie die Attraktivität des ErzieherInnenberufes mehr getan wird.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der Staatsregierung)

Die Linksfraktion.PDS; Herr Abg. Neubert.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mit einem Lob für die beiden Fraktionen, die den Antrag eingereicht haben, beginnen.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Aber nur zwei Personen mit Beifall.

Dieser Antrag unterscheidet sich dadurch in vielen Punkten von anderen Anträgen, dass man dem Punkt 1 klar entnehmen kann: Sie wollen lernen, und zwar von unseren europäischen Nachbarn, und das ist auch dringend nötig.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Sie wollen etwas lernen, das ist der richtige Ansatz, und diesem Bildungsbedürfnis folgend hat die Staatsregierung Ihnen und uns etwas zu lesen gegeben. Ich glaube zwar, dass man einen interessanten Fachaufsatz von Frau Oberheumer auch zur Kenntnis nehmen könnte, ohne damit den Landtag zu befassen; aber wenn es hilft, insbesondere in der CDU-Fraktion Denkblockaden aufzulösen, dann ist uns das sehr recht.

Ein Konzept, das die Trias von Bildung, Erziehung und Betreuung ernst nimmt, muss in sachlicher wie in personeller Hinsicht qualitätsorientiert gestaltet und geleistet werden. Wesentliche Kriterien wurden übrigens schon vor längerer Zeit, 1996, von einer EU-Kommission vorgelegt und von der Bundesrepublik mit einer Selbstverpflichtung festgehalten.

Ich möchte hier nicht alle 40 Qualitätsziele dieses Netzwerkes „Kinderbetreuung – Andere Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie, für Frauen und Männer der Europäischen Kommission“ – so der genaue Titel – referieren; aber einiges ist in diesem Zusammenhang für das heutige Thema schon von Bedeutung.

Da wäre zum Beispiel das Ziel, alle qualifizierten Beschäftigten in Einrichtungen sollten mindestens einen national oder lokal festgelegten Tariflohn erhalten, keinesfalls weniger.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Für umfassend ausgebildetes Personal sollte dieser Tariflohn – das ist das Interessante – mit dem von LehrerInnen vergleichbar sein. Ein anderes Ziel: In öffentlichen Einrichtungen sollten mindestens 60 % der direkt mit Kindern Beschäftigten über eine allgemein anerkannte Basisausbildung verfügen. Diese sollte mindestens drei Jahre dauern, im Alter von 18 Jahren begonnen werden und sowohl in Theorie als auch in Praxis kindliche Pädagogik bzw. kindliche Entwicklung beinhalten.

Alle Beschäftigten – sowohl in öffentlichen Einrichtungen als auch in Familientagespflege –, die eine solche Ausbildung nicht vorweisen können, sollten das Recht darauf haben, entsprechende Aus- und Weiterbildungsangebote zu besuchen. Ein weiteres Ziel von vor zehn Jahren: Alle Beschäftigten, sowohl in öffentlichen Einrichtungen als auch in Familientagespflege, die mit Kindern arbeiten, sollten das Recht auf weiterführende Fortbildung haben, und 20 % der Beschäftigten in öffentlichen Einrichtungen sollten Männer sein; darauf gehe ich später näher ein.

Diese Ziele sollten bis 2006 erreicht werden, so wurde es jedenfalls 1996 vereinbart. Der Blick auf den Kalender sagt uns: Viel Zeit bleibt bis dahin nicht mehr.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Was die Erfüllung anbelangt, gehören übrigens Deutschland und Österreich unbestritten zu den Schlusslichtern. Das liegt insbesondere daran, dass diese beiden Länder – neben den EU-Neulingen Slowenien und Malta, die damals noch nicht dabei waren – die Einzigen sind, in

denen sich die Erzieherinnen- und Erzieherausbildung nicht auf Hochschulniveau befindet.

Sehr geehrte Damen und Herren! Sie können es sowohl dem Aufsatz von Frau Oberheumer als auch zahlreichen anderen Veröffentlichungen entnehmen: Der europäische Standard ist heute ein anderer; darauf sind meine Vorrednerinnen bereits eingegangen. In anderen Ländern ist die Ausbildung an einer Universität oder Hochschule angesiedelt. Sie dauert zwischen drei und fünf Jahren. In den meisten Ländern ist die LehrerInnen- und ErzieherInnenausbildung gleichwertig. In vielen Ländern ist die Unterscheidung zwischen Vorschulpädagogik und Grundschulpädagogik überwunden. Außerdem gibt es in anderen Ländern zum Beispiel auch den Studiengang Frühpädagogik. Deutschland ist hierbei – dies muss man so konstatieren – ein Entwicklungsland, das heißt, es wäre eines, wenn sich etwas entwickeln würde; und wir hoffen, dass die Worte, die wir heute gehört haben, mit Taten untersetzt werden.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN)

Auf keinem anderen Gebiet, sehr geehrte Damen und Herren, wird so deutlich, wie absurd es ist, wenn man versucht, die Pisa-Diskussion zu nutzen, um vorschulische Bildung einerseits und hochschulische Bildung andererseits gegeneinander auszuspielen, wie es der Herr Ministerpräsident übrigens vorgestern hier im Hause zum wiederholten Male getan hat. In der Debatte über die Studiengebühren hat er versucht, Studentinnen und Studenten auf der einen Seite und Kindergartenkinder auf der anderen Seite gegeneinander auszuspielen. Aber das Gegenteil ist richtig: Wir müssen an Hochschulen und Universitäten investieren und den Zugang zum Studium ohne soziale Schranken offen halten, um endlich auch in der Vorschulpädagogik den Anschluss wenigstens an das europäische Mittelmaß, wenn nicht gar an die Spitze zu finden.

Der Rückstand Deutschlands auf diesem Gebiet ist neben dem Fortleben der heimlichen Vorstellung von Kleinkinderbewahrung und prinzipieller konservativer Skepsis gegenüber außerfamiliärer Kinderbetreuung auch dem Rückstand in der Ausbildung geschuldet.

Sehr geehrte Damen und Herren! Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die Zurückgebliebenheit des Ausbildungssystems darf nicht mit dem selbstverständlich vorhandenen Engagement, den Fähigkeiten und den Berufserfahrungen der Erzieherinnen und Erzieher verwechselt werden. Sie tragen für die Fragen der Ausbildung ja auch nicht die Verantwortung.

Deshalb verlangen wir als Linksfraktion von Ihnen nicht nur die Umstellung der Erstausbildung, sondern auch eine Fort- und Weiterbildungsoffensive für die seit Jahren in den Kindertagesstätten Beschäftigten. Ich erinnere an die bereits zitierten Ziele der Europäischen Kommission, an das Recht zur Fort- und Weiterbildung. Ich kann Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, den Vorwurf

leider nicht ersparen, dass Sie es unterlassen haben, in das vor wenigen Wochen verabschiedete novellierte KitaGesetz ausreichende Bestimmungen zur Fort- und Weiterbildung aufzunehmen. Unter anderem haben Sie unseren Änderungsantrag abgelehnt, ins Kita-Gesetz die jährliche Fortbildung an fünf Tagen aufzunehmen; aber genau das ist notwendig.

Vielleicht hätten Sie, meine Damen und Herren von der CDU, sich zuerst mit den europäischen Erfahrungen beschäftigen und danach das sächsische Gesetz novellieren sollen. Ihr Antrag zur Weiterbildung kommt vor dem Hintergrund der getätigten Kita-Novellierung leider zu spät.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Den etwas dünnen zweiten Punkt Ihres Antrages werden wir dennoch unterstützen, aber durch einen Änderungsantrag ergänzen und konkretisieren und damit die Chance geben, jenseits der Bekundungen, die meine Vorrednerinnen gemacht haben und die ich sehr begrüße, einen klaren Weg beschreiten zu können. Frau Dr. Schwarz, ich werde den Änderungsantrag noch begründen. Dabei geht es nicht um einen Fünfjahresplan.

Ich möchte an dieser Stelle auf den Aspekt verweisen, warum wir ein europäisches Ausbildungsniveau bei Kindertagesstätten für dringend erforderlich halten. Der internationale Austausch wird auch in diesem Bereich große Bedeutung erlangen. In den schon zitierten Orientierungszielen der Kommission wird er übrigens ausdrücklich benannt. Jeder weiß im Grunde, dass es zum Beispiel für das frühe Erlernen einer Sprache kaum einen besseren Weg gibt als die ganz selbstverständliche Mehrsprachigkeit von Bezugspersonen der Kinder – egal, ob es Eltern, Großeltern oder eben Erzieherinnen oder Erzieher sind. Selbstverständlich werden deshalb hoch qualifizierte junge Pädagogen aus dem europäischen Ausland in deutschen Kindertagesstätten bald sehr gefragt sein. Schon heute erfreuen sich Sprachbegegnungskurse großer Beliebtheit. Demgegenüber könnten die in Deutschland weit unter Hochschulniveau ausgebildeten Erzieherinnen und Erzieher deutlich ins Hintertreffen geraten. Im europäischen Ausland sowieso – dort ist schließlich der Hochschulabschluss Berufsvoraussetzung –, aber auch in Deutschland selbst können sie deshalb bald hinten anstehen.

Sie tun den Erzieherinnen und Erziehern keinen Gefallen, wenn Sie an antiquierten Berufsanforderungen festhalten – den Kindern sowieso nicht.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Den Kindern tun Sie auch keinen Gefallen, wenn der Beruf in der Kindertagesstätte ein typischer Frauenberuf bleibt. Auch das ist ein alter Zopf aus der Zeit, in der man die Verantwortung für die Kindererziehung sowohl in der Familie als auch in der Gesellschaft allein bei der Frau wähnte. Wir hatten diesbezüglich in der letzten Legislaturperiode verschiedene Diskussionen. Es ist leider nichts passiert.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich erwähnte bereits das EU-Ziel, einen mindestens 20-prozentigen Männeranteil bei den Erziehern zu erreichen. Davon sind wir meilenweit entfernt. Leider sind wir in Europa nicht die Einzigen. Dennoch: Insbesondere in Skandinavien gibt es sehr gute Erfahrungen mit Männern in Kindertagesstätten. Eine grundlegende Reform des Berufsbildes kann und muss auch hier für einen Schub nach vorn genutzt werden.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Sehr geehrte Damen und Herren! Im Übrigen – obgleich wir das Thema heute nur tangieren –: Auch die Qualitätsanforderungen an Tagespflegepersonen sind anderswo in Europa deutlich höher. Ich sage dies nur, weil Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, diesen Bereich nach eigenem Bekunden deutlich ausbauen wollen. Auch auf diesem Weg darf der postulierte hohe Bildungsanspruch für Krippe und Kindergarten nicht hintertrieben werden. Hintertrieben werden darf der neue Stellenwert der frühkindlichen Bildung auch nicht durch die Fortsetzung der Ausgrenzung von Kindern aus einkommensschwachen oder arbeitslosen Elternhäusern.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Eine hohe Qualität der Bildung bedeutet dabei für uns auch Zugang für alle – ohne jede soziale Ausgrenzung. In der Beziehung machen wir jedenfalls keinen Unterschied zwischen Hochschule und Kindertagesstätte.

Vielen Dank.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Die NPD-Fraktion verzichtet. Dann die FDP-Fraktion. Frau Abg. Schütz, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist begrüßenswert, dass mittlerweile auch die Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion bereit sind, über den Tellerrand – also auch über die eigenen Grenzen – hinauszuschauen und sich über die Ausbildungsformen im Erzieherinnenbereich in Europa bezüglich der Aus-, Fort- und Weiterbildung zu informieren. Anregungen dazu erhielten sie offenbar aus den Kleinen Anfragen unserer Fraktion und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

(Beifall bei der FDP und den GRÜNEN)

Zum Antrag. Die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern in Sachsen erfolgt an Fachschulen mit dem Abschluss als staatlich anerkannte Erzieherinnen und Erzieher. Die Bestrebungen, die Ausbildung von ErzieherInnen an eine qualitativ höhere Stufe anzubinden, werden von uns ausdrücklich unterstützt. Die Ausbildung muss sich dann aber vor allem an dem orientieren, was wir in unseren Kindertageseinrichtungen qualitativ anbieten wollen.

Mit der letzten Änderung des Kita-Gesetzes wurde der Bildungsplan als verbindliche Grundlage der Arbeit in Kindertageseinrichtungen festgeschrieben. Er gibt damit ein wichtiges Signal für die frühkindliche Bildung. Jedoch fehlt ein klares Bekenntnis der Staatsregierung, wo es hier in Sachsen mit der Ausbildung und Qualifizierung des Kita-Personals insgesamt hingehen soll. Beides ist allerdings unmittelbar miteinander verbunden.

Die Akademisierung von Leiterinnen in Kindertageseinrichtungen hat bereits begonnen. Dies geht aus der Stellungnahme hervor. Das Engagement an sächsischen Hochschulen und an der Evangelischen Hochschule Dresden zur frühkindlichen Bildung und der Ausbildung von ErzieherInnen unterstützt natürlich diese erfreuliche Entwicklung. Was jedoch Standard für die ErzieherInnen in sächsischen Kitas sein soll, ist damit immer noch unklar. Klar ist nur eines: Die frühkindliche Bildung wird immer wichtiger!

In Sachsen gibt es sowohl quantitativ als auch qualitativ eine gute Grundlage zur Professionalisierung der frühkindlichen Bildung. Doch statt das Optimum herauszuholen, werden wichtige Dinge nicht entschieden. Eine bessere Qualität ist nun einmal nicht nur an die Ausbildung, sondern auch an andere Einflussfaktoren gebunden. Dies gilt zum Beispiel für die Gewährung von Fortbildungstagen. Diese sind schon seit einigen Jahren aus dem Kita-Gesetz gestrichen worden. Wie wir der Anhörung zum neuen Kita-Gesetz entnehmen konnten, wird damit Weiterbildung in den Kindertageseinrichtungen behindert. Erst kürzlich wurde diese Forderung der Opposition von der Koalition abgelehnt.

Gleiches gilt für die Bereitstellung von Vor- und Nachbereitungszeiten als Arbeitszeit der ErzieherInnen. An dieser Stelle sei genannt, was unsere ErzieherInnen zurzeit in den Kitas zusätzlich leisten. Sie nehmen an Bundes- und Landesprojekten teil. Hier sei beispielhaft das Bundesmodellprojekt „Bildungs- und Lerngeschichten“ genannt. Sie führen den Bildungsauftrag ein, proben den Bildungsplan, nehmen am Curriculum zur Umsetzung des Bildungsauftrages in Kindertageseinrichtungen im Freistaat Sachsen teil und implementieren Qualitätssicherungssysteme. Hut ab und herzlichen Dank an alle Beteiligten bei der Bewältigung dieser Aufgaben und Herausforderungen!

(Beifall bei der FDP, der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN)

Schon allein mit diesen beiden Maßnahmen – Vor- und Nachbereitungszeit und Fortbildungstage – kann nach meiner Überzeugung eine bessere Qualität der frühkindlichen Bildung in der Praxis erreicht werden.