Protokoll der Sitzung vom 09.12.2005

gramms abgearbeitet. Es ist jetzt kurz vor 16:00 Uhr. – Sie haben meinen Hinweis verstanden.

(Heiterkeit)

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 5

Qualifizierung für Erzieherinnen und Erzieher in Kindertagesstätten

Drucksache 4/3215, Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD, mit Stellungnahme der Staatsregierung

Es beginnt die CDU. Dann folgen die SPD und der gewohnte Rhythmus. Ich rufe die Sprecherin der CDU auf und übergebe das Mikrofon an die 2. Vizepräsidentin.

Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! In der vergangenen Plenarsitzung im November haben wir hier die Novelle des Sächsischen Kindertagesstättengesetzes beschlossen. Im Kern dieser Novelle geht es darum, der Bildung im frühkindlichen Alter die entsprechende Priorität einzuräumen.

Konkret macht sich das fest an der Aufnahme des Bildungsplanes in das Gesetz und der Schaffung der rechtlichen Grundlagen für das Schulvorbereitungsjahr. Vom Personal in den Kindertagesstätten erfordert dessen Umsetzung neben dem schon vorhandenen vorbildlichen Engagement bei der Bildungsarbeit einen höheren Kenntnisstand.

Das Gesetz schafft die Rahmenbedingungen für die Qualitätssicherung, für die Fort- und Weiterbildung des Personals und für die pädagogische Fachberatung. Aber eines ist klar: dass die Praxisanforderungen im Bereich der frühkindlichen Bildung heute weit über die in der herkömmlichen Erzieherinnen- und Erzieherausbildung erworbenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten hinausgehen.

Zahlreiche wissenschaftliche Studien – nicht zuletzt „Pisa“ – haben dafür gesorgt, dass der Bedeutung frühkindlicher Entwicklungsprozesse in den letzten Jahren eine größere gesellschaftliche Beachtung geschenkt wird. Am Status des Erzieherberufes hat sich bislang jedoch noch nichts geändert.

Wie in ganz Deutschland erfolgt auch in Sachsen die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern an Fachschulen im Fachbereich Sozialwesen, Fachrichtung Sozialpädagogik. Die Fort- und Weiterbildung wird in vielfältigen Formen und in verschiedener Trägerschaft angeboten.

Mit der Forderung nach einem Hochschulabschluss für Leiterinnen und Leiter einer Kindertagesstätte mit mehr als 70 Plätzen hat Sachsen die Entscheidung für mehr Qualität getroffen. Die Diskussion um eine Veränderung des Berufsprofils steht hingegen schon seit Längerem auf der Tagesordnung. Es stellen sich viele Fragen:

Sollen Erzieherinnen und Erzieher zukünftig grundsätzlich eine akademische Ausbildung erhalten, oder für welche Fachkräfte ist das sinnvoll? Wo ist diese Ausbildung anzusiedeln, an der Universität oder an der Fachhochschule? Welche Studieninhalte sind zu vermitteln? Wofür soll die Ausbildung qualifizieren? Wie wird die enge Verzahnung mit der Praxis gesichert? Und nicht zuletzt: Welche Auswirkungen hat es auf die Personalkosten?

Bevor wir in Sachsen diese Entscheidungen treffen, ist es sinnvoll, über den Gartenzaun zu den Nachbarn zu schauen und zu sehen, wie es in anderen Ländern praktiziert wird und welche Erfahrungen man dort gemacht hat. Es gibt dazu eine interessante aktuelle Studie unter dem Aspekt der Fort- und Weiterbildung des Fachpersonals in Kindertageseinrichtungen, die diesen Blick ins Ausland geworfen hat.

Diese Betrachtung macht deutlich, dass der Bildung im frühkindlichen Alter ein wichtiger politischer Rang in den meisten europäischen Ländern eingeräumt wird. Zwei zentrale Faktoren werden zur Beurteilung der Qualität herangezogen: die Ausbildung der pädagogischen Fachkräfte und die Personalausstattung.

Auch das Alter des Schuleintritts wirkt sich auf die Qualität der Bildung im frühen Kindesalter aus. So fällt auf, dass in den fünf Ländern der EU, die bereits mit fünf Jahren oder jünger einschulen – das sind Großbritannien, Italien, Malta, Zypern und die Niederlande – ein weniger gut ausgebildetes System von vorschulischen Tageseinrichtungen und darauf ausgerichteten Ausbildungsgängen existiert als in Ländern mit einem späteren Schuleintritt.

Ebenfalls eine Rolle spielt, wie die Zuständigkeitsbereiche aufgeteilt sind, ob und in welchem Umfang der Betreuungssektor dem Sozial- oder dem Bildungsbereich zugeordnet ist. Qualitätsanforderungen und Personalprofile unterscheiden sich meist zum Nachteil der unter Vierjährigen, wo das Personal meist nur auf niedrigem Niveau ausgebildet ist.

Eine allmählich wachsende Anzahl von Ländern mit integrierten oder gut koordinierten Strukturmodellen geht andere Wege, auch in der Ausbildung der Fachkräfte.

In fast der Hälfte der EU-Länder gibt es grundständige Ausbildungen an der Universität für die Kernfachkräfte in

vorschulischen Tageseinrichtungen. Die Studiendauer liegt zwischen drei und vier Jahren. In Ländern wie Griechenland, Zypern, den Beneluxstaaten, Dänemark, Lettland, Estland und Portugal gibt es Ausbildungsgänge an berufsqualifizierenden Hochschulen, vergleichbar mit unseren Fachhochschulen. Nur in vier EU-Staaten findet die Ausbildung für den Elementarbereich nicht auf Hochschulniveau statt. Das sind Malta, Österreich, die Slowakei und Deutschland.

Um jedoch eine richtige Wertung dieser Ergebnisse vornehmen zu können, muss man sich auch die Relation der Fachkräfte zu Hilfskräften und das Personal-KindVerhältnis anschauen. Dort gibt es nämlich deutliche Unterschiede. In Schweden zum Beispiel arbeiten 52 % der Fachkräfte mit akademischer Ausbildung. In Norwegen hingegen sind es nur 33 %, die über diese Qualifikation verfügen, dafür aber fast 70 % mit geringer oder ganz ohne relevante Ausbildung, die dort zum Einsatz kommen.

Das Personal-Kind-Verhältnis bei Vierjährigen schwankt zwischen 1 : 7 in Finnland und 1 : 30 in Schweden. Deutschland liegt hier mit 1 : 15 auf einem guten sechsten Platz. Sachsen mit einem Verhältnis von 1 : 13 käme gemeinsam mit England und Wales auf den Platz 5. Auch im Krippenbereich gibt es solche Unterschiede von 1 : 3 bis 1 : 4. In Finnland, Dänemark und Schweden reicht die Bandbreite bis zu 1 : 10 bzw. 1 : 18 in Spanien. Deutschland liegt mit 1 : 6 bzw. 1 : 7 in der Mitte.

Was können wir nun daraus für unsere Erzieherinnen- und Erzieherausbildung ableiten? Sicherlich kann man keines der Länderkonzepte einfach kopieren. Die Bandbreite der europäischen Strukturmodelle kann aber sehr wohl einen Impuls für ein kritisches Nachdenken über die grundsätzliche Richtung eines reformierten Ausbildungskonzepts sein.

Bereits im Juni 1998 hat sich die Deutsche Jugendministerkonferenz mit der Weiterentwicklung der Struktur der Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern befasst. Als Ursache für die höheren Anforderungen an Erzieherinnen und Erzieher werden die Veränderung der Lebenswelt, der Familienstrukturen, der sozialen Rahmenbedingungen und die gesteigerten Erwartungen an Erziehung, Bildung und Betreuung genannt.

Im Interesse der Mobilität und Wettbewerbsfähigkeit von Erzieherinnen und Erziehern innerhalb Europas sieht die Jugendministerkonferenz die Notwendigkeit, europäische Ausbildungsstandards mit zu bedenken. Das Berufsprofil ist weiter zu fassen als bisher. Die pädagogischen Fachkräfte sollten die Möglichkeit erhalten, weitergehende pädagogische Kompetenzen zu erwerben. Es geht um eine nachhaltige Professionalisierung der Fachkräfte.

Die Jugendministerkonferenz hat sich auf ihrer Sitzung im Mai dieses Jahres ausführlich mit den Aufgabenprofilen und Qualifikationsanforderungen in den Arbeitsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe sowie mit der Weiterentwicklung der Erzieherinnen- und Erzieherausbildung beschäftigt und regte an, Studiengänge einzurichten, die

Leitungskräfte in Kindertageseinrichtungen weiter qualifizieren. Nach Auffassung der Jugendministerkonferenz wird die Fachschulausbildung aber noch für viele Jahre vorherrschend sein. Der große Bonus dieser Ausbildung ist die enge Verzahnung mit der Praxis. Diese Verbindung muss auch bei einer Ausbildung an einer Fachhochschule uneingeschränkt sichergestellt werden.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Sachsen beteiligt sich an der Diskussion mit dem Ziel, weitere Schritte zur Professionalisierung der Erzieherinnen- und Erzieherausbildung einzuleiten, zum Beispiel durch berufsqualifizierende Studienangebote mit dem Schwerpunkt auf frühkindlicher Bildung.

Diesem Prozess der Anpassung kommt ein anderer Prozess zu Hilfe: der Bologna-Prozess. Die Umstellung der Diplomstudiengänge auf Bachelor und Master und die damit einhergehende Modularisierung der Studiengänge eröffnet den Universitäten und Fachhochschulen umfangreiche Möglichkeiten, flexible und den neuen Anforderungen entsprechende Bildungsangebote zu gestalten, sowohl berufsbegleitend als auch als grundständige Angebote.

Der dreijährige Bachelor kann durch den Master ergänzt werden. Beides sind international anerkannte Abschlüsse, die den Absolventen die Mobilität und Wettbewerbsfähigkeit innerhalb Europas eröffnen. In Deutschland existiert bereits eine Reihe von Bachelor-Studiengängen an Fachhochschulen, so in Berlin, Freiburg, Emden, Hannover und Koblenz. Weitere sind in Planung.

Wir in Sachsen begrüßen sehr, dass die Evangelische Hochschule für soziale Arbeit in Dresden auf diesem Weg eine Vorreiterrolle einnimmt. Im Frühjahr 2006 soll dort ein erster berufsbegleitender Studiengang für Erzieherinnen und Erzieher mit dem Abschluss "Bachelor of Arts – Elementar- und Hortpädagogik" beginnen. Bereits im Wintersemester 2005/2006 begann an der gleichen Hochschule ein berufsbegleitender Studiengang Sozialarbeit/Sozialpädagogik schwerpunktmäßig für Leiterinnen und Leiter von Kindertageseinrichtungen. Am 9. September wurde das Institut für frühkindliche Bildung eröffnet.

Aber auch die Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig hat im Oktober einen berufsbegleitenden Diplomstudiengang Sozialarbeit zur Qualifizierung von Leitungspersonal in Kindertageseinrichtungen begonnen. Prinzipiell möglich wären vergleichbare Angebote auch an den Erziehungswissenschaftlichen Fakultäten der Universitäten in Dresden und in Leipzig und an den Fachhochschulen in Mittweida und in Zittau/Görlitz.

Der nächste Schritt wäre nun das Angebot eines grundständigen Studiengangs. Konkrete Vorbereitungen dazu gibt es an der FH in Zittau/Görlitz und an der Evangelischen Fachhochschule in Dresden. An der TU in Dresden befasst sich ein Arbeitskreis mit der Reform der Erzieherinnen- und Erzieherausbildung im Freistaat Sachsen. Daran sind die drei zuständigen Fachministerien, die einschlägigen Fachschulen und Fachhochschulen und die

Fakultät Erziehungswissenschaften der TU Dresden beteiligt.

Diese Bündelung der Kompetenzen sowohl auf politischer als auch auf akademischer Ebene ist der richtige Weg. Er lässt erwarten, dass damit die entsprechende Unterstützung für Modelle der akademischen Ausbildung an sächsischen Einrichtungen umfassend gewährleistet ist.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU und der Staatsministerin Helma Orosz)

Die SPD-Fraktion. Frau Dr. Schwarz, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine Kollegin Schöne-Firmenich hat sehr ausführlich berichtet, was auf der europäischen Ebene in Sachen Ausbildung von Erzieherinnen läuft. Ich denke, es ist kein Zweifel daran geblieben, dass wir uns in Sachsen auf den Weg machen müssen, auch etwas in diesem Bereich zu tun.

Nun werden, wie ich das schon höre, die Oppositionsfraktionen natürlich mäkeln, das mit diesem Antrag sei nicht der große Wurf. Das kann ich ja auch verstehen. Aber wie so oft, wenn ein großer Wurf neben das Tor geht und nicht viel bringt, aber vielleicht ein kleiner Wurf genau ins Schwarze trifft, denke ich, können wir auch damit etwas erreichen.

(Beifall der Staatsministerin Helma Orosz)

Uns geht es nicht nur um Weiterbildung, sondern uns geht es wirklich darum, eine entsprechende Ausbildung, eine neue Ausbildung für Erzieherinnen und Erzieher auf den Weg zu bringen. Ich denke, dieser Antrag ist schon ein kleiner, feiner Ansatz dazu, wenn wir weiterhin etwas für die Qualität der Bildung im vorschulischen Bereich tun wollen. Ich bin eigentlich froh, dass gestern der Ministerpräsident noch einmal deutlich gemacht hat, dass wir mehr in den frühkindlichen Bereich, in die frühkindliche Bildung investieren müssen, um unser Niveau insgesamt bis hin zur Hochschulausbildung und zur Chancengleichheit zu verbessern.

(Einzelbeifall bei der CDU)

Denn die Weichen für die Lebenschancen werden eben im frühkindlichen Bereich gestellt, und dort wollen wir – neben dem wichtigen Lernen in der Familie – die Möglichkeiten der Kindertageseinrichtungen zur Unterstützung dieses Bildungsprozesses weiter verbessern. Durch die verschiedenen Studien wissen wir, dass das Bedürfnis kleiner Kinder nach Bildung umso größer ist, je jünger sie sind, deshalb müssen wir diese Chance nutzen. Der Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher kommt dabei eine Schlüsselrolle zu, und sie ist neben der Weiterbildung auch ein qualitätssicherndes Instrument.

Die Initiativen, die es dazu in Sachsen gibt, hat bereits meine Kollegin genannt. Diese Projekte der berufsbeglei

tenden Weiterbildung müssen wir ebenfalls weiter unterstützen.

Die Etablierung eines neuen Studienganges – und ich denke, das wissen wir alle – braucht Zeit und ist ein langer Weg. Dazu benötigen wir eine begleitende Forschung. Dies wird an der TU Dresden – die Ministerin wird es sicher noch konkretisieren – bereits diskutiert. Unabhängig von der finanziellen Belastung, die auch eine Umsteuerung in der Ausbildung bedeutet, wird dies auch eine Auswirkung auf die Entlohnung in einem solchen ErzieherInnenberuf haben, wenn es denn auf dem Niveau eines Hochschulstudiums stattfindet. Auch die Attraktivität dieses Berufes kann erheblich gesteigert werden. Dies hätte den Vorteil, dass der lange beklagte Mangel an männlichen Erziehern vielleicht abgestellt werden könnte. Nur – um schon einmal auf die Linksfraktion einzugehen –, man kann natürlich nicht in einem Fünfjahresplan festlegen, bis wann man auf welches Niveau in diesem Bereich kommt und wann man erreicht, dass 20 % Erzieher in diesem Bereich arbeiten.

(Beifall der Staatsministerin Helma Orosz)

Natürlich müssen wir auch die Frage beantworten, wer die entsprechende höhere Entlohnung finanziert. Wir wissen, dass wir gerade seitens der kommunalen Ebene dabei auf – ich will nicht sagen – Widerstand stoßen; aber es gibt doch Bedenken, wer diese höhere Entlohnung zu tragen hat.