Protokoll der Sitzung vom 09.12.2005

(Beifall des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Sehr geehrter Kollege Lichdi, ich schätze Sie ja sehr, aber was Sie zu den Regierungspräsidien sagen, das ist fachlich nicht durchdacht.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Daneben!)

Das ist einfach nicht durchdacht. Wir sagen ja nicht aus Renitenz oder Boshaftigkeit, dass diese weg sollen, sondern weil wir unseren Kommunalisierungsansatz ernst meinen. Da gibt es nur zwei Fragen: Entweder tun die Menschen – natürlich wollen wir diese nicht auf die Straße setzen, das geht schon rein dienstrechtlich gar nicht – Dinge, die sinnvoll sind, die sie auch weiterhin tun sollten, dann sagen wir mit Blick auf die Sächsische Verfassung – dort gibt es ja das Kommunalisierungsgebot, den Vorrang der dezentralen Behördenorganisation; ich will Ihnen das jetzt nicht alles vorlesen –, sollen das doch bitte schön die Kreisfreien Städte und die Landkreise tun. Die Menschen gehen mit, aber bitte nicht so, dass so genannte Konsolidierungspotenziale, die die Staatsregierung mit ihrer mittelfristigen Finanzplanung abbauen will, auf die Kreise und Kreisfreien Städte verschoben werden; die können dann sehen, wie sie damit zurechtkommen.

Das wollen wir eindeutig nicht. Sinnvolle Aufgaben bitte nach unten verlagern, die Finanzen nicht vergessen, siehe Konnexitätsprinzip! Die Finanzen müssen den Aufgaben folgen.

Offenbar wollen Sie eine Anfrage stellen, Herr Lichdi?

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Dr. Friedrich?

Ich gestatte das, Herr Lichdi,

Bitte.

Danke. Herr Dr. Friedrich! – Wir sind uns doch völlig einig, dass natürlich der erste Ansatz der der Kommunalisierung sein muss. Das ist doch völlig klar. Machen Sie doch keine Front auf, die nicht besteht. Aber es bleiben einfach Aufgaben, die von ihren Mengengerüsten und ihrer Spezialisierung dermaßen gering sind, dass ich Sie wirklich frage, ob Sie allen Ernstes glauben, dass Sie das auf zwölf oder 15 Kreise so verteilen können, dass die Aufgabenerfüllung auch noch effektiv stattfindet.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Ja!)

Ja. Hier hat die Kommission Recht. Die Kommission selbst schlägt ja vor, zum Beispiel die Fördermittelpolitik, die jetzt bei den Regierungspräsidien völlig unsinnigerweise überwiegend konzentriert ist, den Landkreisen und Kreisfreien Städten zuzutrauen, zu pauschalieren. Das macht mindestens 30 bis 40 % der Arbeit der Regierungspräsidien aus. Das alles können die Landkreise, von mir aus auch die Regionalen Planungsverbände, wenn man es vernünftig organisiert, ja wohl selbst tun. Das Wenige, was sich nicht kommunalisieren lässt, muss an die Ministerien gehen, aber bitte ohne Wasserkopf. Ein Landesverwaltungsamt hat sich weder in Thüringen noch in Sachsen-Anhalt bewährt, und eine Schwindelpackung, dass man drei Regierungspräsidien zu einem Landesverwaltungsamt zusammenfasst und umetikettiert, werden wir nicht mitmachen. Das darf ich jetzt schon verraten.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und der FDP)

Abschließend möchte ich auf eine ganz wunde Stelle in dem Expertenbericht aufmerksam machen. Komischerweise ist das heute noch gar nicht zur Diskussion gekommen, sondern nur am Rande. Auf Seite 29 übertreffen die Experten die mittelfristige Finanzplanung der Staatsregierung um Längen. Bekanntlich steht in der mittelfristigen Personalplanung der Staatsregierung, dass es bis 2010 nur noch 80 000 Stellen im Landesdienst geben soll. Begründet ist das bis heute nicht. Da ist einfach der Dreisatz angewandt worden. Natürlich wird es gewisse Stellenreduzierungen geben müssen. Wir sind ja von dieser Welt. Aber diese 80 000 Stellen sind im Moment nur haushalterisch begründet. 6 441 kw-Stellen sind nach wie vor nicht untersetzt.

Die Experten gehen darüber hinaus. Sie schlagen zusätzlich 3 300 Stellen vor, sodass man am Ende auf 76 700 Stellen kommt, und zwar wollen die Experten die Polizei um zusätzlich 1 000 Stellen berauben, die Finanzverwaltung um 550, die Justiz um 650 Stellen, alle übrigen Verwaltungen um 1 100 Stellen. Wie das geschehen soll, steht völlig in den Sternen. Da stimmt vielleicht der Dreisatz, das mag ja sein, mit dem Bevölkerungsrückgang. Aber vernünftige Überlegungen, dass es eines gewissen Grundsockels an Verwaltungspersonal bedarf, um den Grundbedarf überhaupt sicherzustellen – da spreche ich noch gar nicht über die notwendige Bürgernähe –, schlagen die Experten in den Wind.

Ich fordere die Staatsregierung, natürlich auch die Koalitionsfraktionen, dringend auf, über diesen Schwachpunkt ganz energisch nachzudenken. Wir meinen, nach einer fundierten Aufgabenkritik kann man gern über Personal sprechen. Da wird es sicher gewisse Anpassungen geben müssen. Aber es kann nicht sein, dass hier mit der Schere im Kopf mit verheerenden Ergebnissen für das Land überall herumgeschnippelt wird, ohne die Aufgabenkritik abzuwarten. Das ist ein ganz wunder Punkt, und das wird uns alle noch beschäftigen.

Der von uns vorgeschlagene zeitweilige Ausschuss – den gibt es ja nicht umsonst in der Geschäftsordnung, Kollege Bandmann – könnte helfen, diese Fragen verantwortungsbewusst und möglichst im Konsens und nicht im Gegeneinander zu lösen. Was in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Thüringen und Sachsen-Anhalt möglich ist, nämlich diese Dinge weitgehend konzessual anzugehen – ich sage nicht hundertprozentig –, warum soll das im Freistaat Sachsen nicht möglich sein?

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Wird von den Fraktionen noch das Wort gewünscht? – Bitte, die FDP-Fraktion. Herr Dr. Martens.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gegen Ende der Aktuellen Debatte zum Thema Verwaltungsreform möchte ich noch kurz etwas feststellen: Es war sicherlich kein Fehler, dass wir von der FDP dieses Thema heute hier im Landtag auf die Tagesordnung gesetzt haben. Es hat sich aber in der Debatte Folgendes herausgestellt – das ist doch etwas erfreulicher als das übliche Schaulaufen, auch bei allen rhetorischen Gefechten: Es gibt in diesem Haus Einigkeit über die Notwendigkeit der Verwaltungsreform, und es gibt auch über einige inhaltliche Punkte Einigkeit.

Einer davon ist, dass zuerst die Aufgabenkritik zu machen ist und dann erst über Strukturen nachgedacht wird und dass der Grundansatz lauten muss, eine umfassende Kommunalisierung von Aufgaben staatlicher Verwaltung vorzunehmen. Auch das findet, wie ich glaube, die Zustimmung aller Fraktionen im Hause, und das stellt, wie ich finde, eine außergewöhnlich gute Grundlage und

Ausgangslage für die Staatsregierung bei ihren Überlegungen dar.

Nochmals mein Appell: Bitte, nehmen Sie auch die Regierungspräsidien von Ihren Überlegungen nicht aus; denn, wie es aussieht, schlägt auch die Kommission umfassende Kommunalisierung der Regierungspräsidien vor, und die Mehrheit der Fraktionen hält die Regierungspräsidien insgesamt für ablösbar – mit Ausnahme vielleicht der GRÜNEN, die weiterhin Blütenträumen von der allumfassenden, selig machenden Wirkung von Bürokratie nachhängen. Aber vielleicht wird auch der Kollege Lichdi irgendwann noch einmal Realpolitiker werden. Ansonsten, so glaube ich, ist die Mehrheit des Hauses hierzu bereit.

Wir sind in jedem Fall bereit, diese Diskussion in der Zukunft mit der Staatsregierung sehr offen und nachhaltig zu führen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Wird weiter das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann bitte Herr Staatsminister Buttolo.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, einige Aspekte zur anstehenden Verwaltungsreform darzulegen.

Es ist wahr: Unsere derzeitige Struktur im Lande basiert auf den Aufbaujahren der Neunziger. Wir haben über 300 staatliche Behörden und Einrichtungen. Wir wissen alle, dass sie zwar den Anforderungen der Neunziger entsprochen haben, aber nicht die Struktur der künftigen Jahrzehnte sein können.

Ich habe mit Freude zur Kenntnis genommen, dass sich nahezu alle Fraktionen auf die demografischen Veränderungen bezogen haben, um die Notwendigkeit dieser Reform zu begründen. Ja, wir werden weiter an Bevölkerung schrumpfen. Von unseren 4,9 Millionen Sachsen aus dem Jahr 1990 werden wir sicherlich bei 3,7 Millionen im Jahr 2020 landen – auch wenn das noch eine der günstigeren Prognosen ist.

Wir müssen aber auch sehen, dass sich neben diesem zahlenmäßigen Rückgang auch die Struktur unserer Bevölkerung ändert. Die Zahl der Bürgerinnen und Bürger im erwerbsfähigen Alter wird sich bis zum Jahr 2020 um zirka 20 % verringern.

Ich auch mit Freude zur Kenntnis genommen, dass Einigkeit darüber besteht, dass man aufgrund der veränderten Finanzbedingungen – ich erinnere nur an das Abschmelzen der Zuweisungen durch den Solidarpakt II bis zum Jahre 2019 – gezwungen ist, über neue und effektivere Strukturen nachzudenken.

Wenn die Verwaltungskraft nicht ausgehöhlt werden soll, müssen wir nach neuen Wegen suchen, wie wir die Leistungsfähigkeit tatsächlich im Interesse unserer Bürge

rinnen und Bürger garantieren können. Sachsen soll nach wie vor in Europa ein wettbewerbsfähiger und attraktiver Wirtschaftsstandort sein; es sollen auch Neuansiedlungen relativ schnell möglich werden. Das setzt voraus, dass unsere Behörden effektiv arbeiten – eine Herausforderung für Freistaat und Kommunen gleichermaßen.

Ich möchte jetzt noch einmal auf den Koalitionsvertrag verweisen, in dem ausdrücklich eine Expertenkommission für diese funktionalen Verwaltungsreformen einzusetzen formuliert war.

Herr Dr. Friedrich, an dieser Stelle ein Wort an Sie. Ich halte es schon für richtig, dass die Staatsregierung eben keine Vorgabe gemacht hat, wie das Ergebnis dieser Kommission aussehen soll,

(Beifall des Abg. Frank Kupfer, CDU)

sondern offen gelassen hat: Wie schätzen mehrere Experten mögliche Varianten ein, wie sich der Freistaat neu strukturieren kann?

(Beifall bei der CDU)

Ich halte es für einen wichtigen Ansatz, dass man eben nicht demjenigen, der arbeiten soll, schon die Vorgabe gibt, welches Ergebnis man von ihm erwartet.

Ziel der Staatsregierung ist es, die Verwaltung bürgernah, effizient und transparent zu gestalten. Das bedeutet, es ist ein Neuorientierungsprozess im Freistaat erforderlich.

Der gesamte staatliche Aufgabenbestand und der Verwaltungsaufwand sind nach folgenden Kriterien auszurichten: Wir müssen wirklich alle Aufgaben nicht nur in den Sonderbehörden, sondern auch in den Regierungspräsidien, aber auch in den Ministerien nochmals hinsichtlich Aufgabenverzicht analysieren. Es ist der erste Schritt, dass man alle Aufgaben, die gegenwärtig wahrgenommen werden, beleuchtet – sind sie notwendig, sind sie verzichtbar? –, und wenn sie verzichtbar sind, muss man auch den Mut haben, sie zu streichen.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Ich möchte an dieser Stelle sagen: Es ist in der Tat immer ein schwieriger Prozess, wenn man über das Absenken von Standards oder irgendwelche Normen spricht. Und damit sind wir, wenn wir an diese Aufgaben herangehen, schon wieder an diesem Thema dran.

In meinem früheren Aufgabenbereich wurde ich häufig mit der Frage konfrontiert, warum im Baubereich nicht einige der Normen gestrichen werden. Wenn man aber dann den Spieß umgekehrt und gesagt hat, machen Sie doch bitte einmal einen Vorschlag, was wir streichen könnten, war natürlich Ebbe.

Der zweite Punkt, nachdem alle Aufgaben zu durchforsten sind, ist eine Privatisierung. Ich bin mir sehr wohl darüber im Klaren, dass nicht jeder mit einer Privatisierung meint einverstanden sein zu können. Aber wir haben hervorragende Erfahrungen. Ich darf nur daran erinnern, meine Damen und Herren: Wir haben als Freistaat Sachsen in

den letzten Jahren die Vermessungsverwaltung deutlich dadurch verändert, dass wir öffentlich bestellte Vermessungsingenieure zu hundert Prozent eingesetzt haben. Das bedeutet: Die Vermessung ist das Paradebeispiel dafür, dass Aufgaben, die ursprünglich beim Staat lagen, privat realisiert werden können.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Dafür sind sie teurer geworden!)

Dazu sage ich auch gern etwas: Teurerwerden – das kann man auf den ersten Blick so sagen. Vielleicht haben wir aber früher einfach die Aufwendungen nicht richtig eingeschätzt. Die Solidargemeinschaft hat nämlich dafür gezahlt, dass die Vermessung durch die öffentliche Hand realisiert wurde.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?