Protokoll der Sitzung vom 24.01.2006

verschenkt, mit denen man vor Ort Arbeitsplätze hätte schaffen oder soziale Projekte retten können.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Meine Damen und Herren! Es gibt in Sachsen ARGEn und Optionskommunen, die noch nicht einmal einen Beirat haben, geschweige denn ein Konzept dafür, wie sie die Gelder für Arbeitsmarktpolitik zukünftig einsetzen wollen. Dann nimmt es nicht wunder, dass Hartz IV auch dann ein Flop ist, wenn wir die Senkung der Arbeitslosigkeit als Maßstab nehmen. Es gibt nicht weniger Arbeitslose als vor einem Jahr, sondern es gibt mehr, und vor allen Dingen sind die so genannten Problemgruppen gestiegen.

Jedem Jugendlichen sollte im letzten Jahr ein Angebot unterbreitet werden. Was ist passiert? Wir haben zum Jahresbeginn 16 % arbeitslose Jugendliche mehr als im Vorjahr. Das kann nicht allein ein statistischer Effekt sein.

Hartz IV hat auch nicht funktioniert, wenn es um die Bekämpfung der Armut geht, weil es selbst Armut schafft. Hartz IV ist dann ein Flop, wenn es um Einsparungen geht. Die Kommunen wollte man finanziell entlasten. Für die Mehrzahl der sächsischen Kommunen sind deutliche Mehrbelastungen dabei herausgekommen.

Es ist also kein Wunder, dass Gewerkschaften und Sozialverbände, ja sogar Arbeitgeberverbände die Reform kritisieren. Für den Geschäftsführer der Parität hat Hartz IV nichts gebracht – ich zitiere – „außer weniger Geld für Arbeitslose.“ Er berichtet von sechs Millionen Menschen, die an der Armutsschwelle leben. Laut DGBChef Sommer hat „Hartz IV das gesellschaftliche Klima in diesem Land vergiftet“.

Meine Damen und Herren! Das alles wissen wir jetzt schon. Eine Reihe anderer Dinge wissen wir noch nicht. Wurde jedem Jugendlichen ein Angebot unterbreitet? Wenn ja, welches? Wie effektiv war es, um sie in den Arbeitsmarkt zu integrieren? Wurde mit den so genannten Ein-Euro-Jobs tatsächlich der Weg in den ersten Arbeitsmarkt geebnet oder etabliert sich ein öffentlich geförderter Niedriglohnsektor, der den kleinen Unternehmen massiv zur Konkurrenz wird?

Unklar ist auch, wie effektiv die optierenden Kreise arbeiten. Bislang konnte man sich kaum ein Bild davon machen, da sie keine, keine ausreichenden oder fehlerhafte Daten geliefert haben. Eine Reihe von Unbekannten also, die in der Bilanzierung der Hartz-Gesetze auftaucht. Es gibt noch mehr, wie beispielsweise die Vermittlung von Nichtleistungsbeziehern, also meistens von Frauen. Stimmt die Behauptung, dass die Mehrzahl der Arbeitslosen durch die Reform besser gekommen ist, oder ist das Gegenteil der Fall?

Meine Damen und Herren der demokratischen Fraktionen! Ich weiß, dass Sie unsere grundsätzliche Kritik an Hartz IV nicht teilen, aber ich weiß auch, dass es in allen demokratischen Parteien Diskussionen und im Ergebnis die eine oder andere Nachbesserung gab, die wir als Linkspartei schon lange gefordert haben. Nehmen wir beispielsweise die längst überfällige Angleichung der Regelsätze Ost an West.

Auch Sie müssen ein Interesse daran haben, dass wenigstens bei der Umsetzung die größtmöglichen Spielräume für die Betroffenen ausgereizt werden. Um das tun zu können und um den dringend notwendigen Nachbesserungsbedarf abschätzen zu können, braucht es zuallererst eine Berichterstattung darüber, was genau passiert ist.

Meine Damen und Herren! Wir brauchen eine Bilanz. Die Wahrheit gehört auf den Tisch, auch wenn sie vielleicht unangenehm ist. Bislang gibt es nur den Missbrauchsbericht von Herrn Clement, in dem nicht nur Arbeitslose als Sozialschmarotzer beschimpft werden, sondern aus dem für jeden, der einmal hineingeschaut hat, klar wird, dass dies mit einer seriösen Berichterstattung nichts, aber auch rein gar nichts zu tun hat. Die Bilanz der Bundesregierung zu Hartz I bis Hartz III ist noch nicht öffentlich und die Analysen der Bundesagentur für Arbeit beziehen sich nur auf die arbeitsmarktpolitischen Effekte. Sie sind fehlerhaft, weil die Daten der Optionskommunen unzureichend sind.

Meine Damen und Herren, das nenne ich Arbeitsmarktpolitik im Blindflug, und Arbeitsmarktpolitik im Blindflug können und wollen wir uns nicht leisten. Wir brauchen die Bilanz einer „Reform“, die als eine der größten in der Bundesrepublik gedacht war. Wir brauchen belastbare Ergebnisse und wir brauchen sie ganz konkret für die Situation in Sachsen.

Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN)

Frau Staatsministerin, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Wenn wir heute über die Auswirkungen der so genannten Hartz-Arbeitsmarktreformen diskutieren, so ist es vor allen Dingen der vierte Teil dieser Reform, der noch fest im Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger verankert ist. Auf das erste, das zweite und das dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt wird im Anschluss mein Kollege Thomas Jurk eingehen.

Unter dem Begriff „ Hartz IV“ ist am 1. Januar 2005 eine der größten

(Dr. Volker Külow, Linksfraktion.PDS: Flops!)

und zweifellos umstrittensten Sozialreformen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten.

Heute, gut ein Jahr später, fällt die Zwischenbilanz durchaus gemischt aus. Wenn ich in diesem Zusammenhang die Betonung auf „Zwischen-“ lege, bringe ich damit zum Ausdruck, dass es zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch zu früh ist, eine endgültige Bilanz zu ziehen.

(Klaus Tischendorf, Linksfraktion.PDS: Es wird schlimmer werden!)

Auch die Bundesregierung hat nicht umsonst den für Herbst 2005 angekündigten ersten Zwischenbericht auf Anfang Februar dieses Jahres vertagt.

Aber, meine Damen und Herren, wenn ich zu den sozialpolitischen Auswirkungen komme, sei mir an dieser Stelle eine Bemerkung erlaubt: Horrorszenarien, wie sie die Antragstellerin vor einigen Wochen prognostiziert hat, sind nicht eingetreten. Das möchte ich hier ganz deutlich festhalten.

(Beifall bei der CDU – Widerspruch bei der Linksfraktion.PDS)

Ich möchte an dieser Stelle gar nicht bestreiten, dass viele Bürgerinnen und Bürger in Sachsen aufgrund von Hartz IV ihren bisherigen Lebensstil einschränken müssen, in der Tat. Von einer Verelendung ganzer Bevölkerungsgruppen, wie Sie sie prognostiziert hatten, kann, glaube ich, nicht die Rede sein.

Auch die immer wieder in die Diskussion eingebrachten Massenumzüge sind bislang nicht eingetreten. Nach den meinem Haus vorliegenden Meldungen aus 26 Kreisen – hören Sie bitte zu! – wurden im letzten Jahr für knapp 2 500 Bedarfsgemeinschaften Umzugkosten übernommen. Das entspricht einer Quote von unter einem Prozent. Damit liegt diese Zahl deutlich unter der durchschnittlichen Umzugsquote aller Haushalte, die in Ostdeutschland im Jahr 2005 bei 11 % lag. Bei diesen Zahlen ist auch zu berücksichtigen, dass nur ein Teil der Umzüge auf die Unangemessenheit der vorherigen Wohnung zurückgeht und damit in einem Zusammenhang mit der Hartz-IVReform steht.

Problematisch ist in der Tat, dass die von der damaligen Bundesregierung bereits für 2005 prognostizierten positiven Effekte auf die Beschäftigungsentwicklung fast völlig ausgeblieben sind. Das wird durch den folgenden Zahlenvergleich sehr deutlich: Während die Prognose für Sachsen von rund 227 000 Bedarfsgemeinschaften ausging, waren es laut der Statistik der Bundesagentur für Arbeit vom Dezember 2005 über 311 000 Bedarfsgemeinschaften. Das entspricht einer Steigerung von 37 %. Dabei liegt diese Fallzahlsteigerung in Sachsen sogar noch unter dem Bundesdurchschnitt. Dieser liegt nämlich bei 40 %.

Die negativen Auswirkungen dieser Fehleinschätzung auf die öffentlichen Haushalte, meine Damen und Herren, sind inzwischen hinlänglich bekannt. Immerhin ist es auch unter maßgeblicher Beteiligung der Sächsischen

Staatsregierung gelungen, den Bund dazu zu bewegen, die Kommunen auch in 2006 im bisherigen Umfang finanziell zu entlasten und damit die ursprüngliche Geschäftsgrundlage herzustellen. Der Bund wird sich also an den Leistungen für Unterkunft und Heizung auch im Jahr 2006 mit 29,1 % beteiligen. Das entspricht für die sächsischen Kommunen einem Volumen von 250 Millionen Euro.

Wäre der Plan des damaligen Wirtschaftsministers Clement, die Bundesbeteiligung rückwirkend auf null abzusenken, realisiert worden, hätten die Kommunen in diesem Jahr nicht nur Einnahmenausfälle in vorgenannter Größenordnung erlitten, sie hätten den gleichen Betrag für 2005 zurückzahlen müssen. Aber durch den in der neuen Regierungskoalition erzielten Kompromiss ist sichergestellt, dass die Kommunen in dem zugesagten Umfang finanziell entlastet werden.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren! In einer Zwischenbilanz zu Hartz IV muss man vor allem kritisch anmerken, dass das Prinzip des Förderns und Forderns bislang noch nicht wie gewünscht umgesetzt wurde.

(Zuruf der Abg. Dr. Cornelia Ernst, Linksfraktion.PDS)

Aufgrund der unerwarteten Fallzahlsteigerung und der erheblichen Probleme mit der Software der Bundesagentur für Arbeit ist vor allem das Fördern oft zu kurz gekommen. Vor diesem Hintergrund muss es nicht überraschen, dass von den möglichen Eingliederungsinstrumenten noch nicht intensiv Gebrauch gemacht wurde.

Immerhin haben im Dezember 2005 knapp 51 000 oder 12 % der erwerbstätigen Hilfeempfänger eine Eingliederungsleistung erhalten. Darunter waren fast 30 000 Arbeitsgelegenheiten. Ich bin mir natürlich in diesem Zusammenhang dessen bewusst, dass diese – despektierlich als Ein-Euro-Jobs bezeichneten – Beschäftigungsangebote sehr umstritten sind. Angesichts der aktuellen Situation am Arbeitsmarkt sind sie jedoch nach wie vor alternativlos und unverzichtbar. In wissenschaftlichen Untersuchungen in Sachsen konnte nachgewiesen werden, dass von diesen Tätigkeiten sehr positive Effekte auf die Gesundheit und das psychosoziale Befinden der Betroffenen ausgehen. Hier wirkt sich nicht nur die Erweiterung der finanziellen Möglichkeiten aus, die bei monatlichen Aufwandsentschädigungen von 100 bis 120 Euro liegen, sondern auch die Einbindung in soziale Netzwerke.

Die Sächsische Staatsregierung war zudem von Anfang an bestrebt, Verdrängungseffekte zu vermeiden. Dazu hat sich der gegründete Landesbeirat, dem auch Vertreter der Wirtschaft angehören, darauf verständigt, bei Streitfällen in dieser Frage eine Clearing-Stelle einzurichten. Bisher, kann ich berichten, gibt es keinen einzigen konkreten Missbrauchsfall, der durch diese Clearing-Stelle hätte behandelt werden müssen.

(Dr. Cornelia Ernst, Linksfraktion.PDS: In dieser Stelle!)

Auch der Präsident des Sächsischen Handwerkstages hat erst unlängst in einem Interview in den „Dresdner Neuesten Nachrichten“ erklärt, dass der Wirtschaft durch die Arbeitsgelegenheiten bisher kein Schaden entstanden sei.

Meine Damen und Herren! Wie ich bereits einleitend betont habe, muss sich die heutige Bewertung der Arbeitsmarktreform auf eine Momentaufnahme beschränken. So ist die für eine Bewertung unverzichtbare Datengrundlage auch nach einem Jahr in der Tat noch lückenhaft. Dies gilt insbesondere für die optierenden Kommunen. Obwohl diese jeden Monat ihre Daten nach Nürnberg melden, sieht sich die Bundesagentur bis heute nicht in der Lage, diese Daten in ihre Statistiken aufzunehmen. Deshalb ist es auch bis heute nicht möglich, die optierenden Kommunen, was ja Sinn machen würde, mit den Arbeitsgemeinschaften zu vergleichen.

Meine Damen und Herren! Die hochgesteckten Erwartungen, die die damalige Bundesregierung im Sommer 2002 mit der Vorstellung der Ergebnisse der Hartz-IVKommission geweckt hat, haben sich bislang nicht erfüllt. Von einem Scheitern zu sprechen ist jedoch ebenso wenig sachgerecht. Über Erfolg oder Misserfolg der Arbeitsmarktreform werden ohnehin nicht Hartz I bis Hartz IV entscheiden, sondern das zukünftige Wachstum in Deutschland und damit die Nachfrage am Arbeitsmarkt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Herr Minister Jurk.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen von der Linksfraktion, Sie waren erst ein bisschen überrascht. Aber man sollte noch einmal genau durchdenken, worüber diskutiert wird. Das heißt, Sie begehren einen Bericht von der Sächsischen Staatsregierung. Dieser Bericht wird – zumindest im Rahmen dessen, was möglich ist – mündlich von der Staatsregierung vorgetragen und anschließend besteht die Möglichkeit, darüber zu diskutieren. Denn es macht doch eigentlich keinen Sinn, hier nur über Ihren Antrag in der vorliegenden Form zu sprechen und zu überlegen, ob wir zu diesem Punkt eine Anfrage stellen oder zu einem anderen Punkt. Vielmehr sollte das, was möglich ist – das gehört zu einer lebendigen Debatte –, dargestellt werden, vielleicht aber auch Gründe, weshalb es Sinn macht, sich noch vertieft damit zu befassen.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Kein Problem! – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Wir sind ganz Ohr!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Kollegin Frau Staatsministerin Orosz hat bereits zum Antrag der

Linksfraktion.PDS „Bilanz der Wirkungen der so genannten Hartz-Arbeitsmarktreformen für Sachsen“ Stellung genommen. Entsprechend der Geschäftsverteilung innerhalb der Staatsregierung stand dabei das Thema „Arbeitslosengeld II“, also „Hartz IV“, im Mittelpunkt.

Als Arbeitsminister will ich nun für die Hartz-Gesetze I bis III ergänzen. Mit den Hartz-Gesetzen hat die alte Bundesregierung eine Reform in der Arbeitsmarktpolitik eingeleitet. Viele der heute umgesetzten Reformen wurden von der so genannten Hartz-Kommission vorgeschlagen. Ich erinnere noch einmal daran: Hintergrund der Einsetzung dieser Kommission war der so genannte Vermittlungsskandal. Dabei hatte die Bundesanstalt für Arbeit Arbeitsvermittlung für sich reklamiert, ohne unmittelbar tätig geworden zu sein.

Das Anliegen der Bundesregierung und der von ihr eingesetzten Hartz-Kommission ist es gewesen, Reformen zu ergreifen, um die Vermittlung von Arbeitslosen in Arbeit zu verbessern. Alle Beteiligten waren und sind sich darüber im Klaren, dass die Instrumente der Arbeitsmarktpolitik allein die Beschäftigungsprobleme nicht lösen können. Klar ist aber auch, dass der in Deutschland im europäischen Vergleich hohe arbeitsmarktpolitische Mitteleinsatz zu vergleichsweise geringen arbeitsmarktpolitischen Erfolgen geführt hat.

Darüber hinaus war das Transfersystem bei Arbeitslosigkeit in sich unlogisch und hat besonders junge Arbeitslose zu wenig gefördert. Eine Kundenorientierung der Arbeitsverwaltung war ebenso nur in Ansätzen vorhanden wie die systematische und umfassende Überprüfung der eingesetzten Instrumente auf Kosten und Nutzen.

Die in Deutschland stattfindende Arbeitsmarktreform hat auf diese Probleme unter anderem mit einem Blick auf erfolgreiche Instrumente unserer europäischen Nachbarn reagiert. Wir haben eine Reihe von Ansätzen eingeführt, die auch andere europäische Staaten erfolgreich nutzen. Über die Wirkung insgesamt – das hat Frau Staatsministerin Orosz bereits erläutert – werden wir erst mehr wissen, wenn die Ergebnisse der wissenschaftlichen Evaluation vorliegen.