Protokoll der Sitzung vom 24.01.2006

Kollege Schiemann, ich habe doch sehr intensiv und ohne bewusst etwas missverstehen zu wollen zugehört – anders, als dieser oder jener Redner, der mit unserem Entwurf umgeht. Ich habe wirklich objektiv zugehört, um zu erforschen, was Sie meinen. Sie sagen dann wie auch schon im Ausschuss: Wir haben die Präambel und wir haben Artikel 116 und 117. Darüber, dass die Präambel nichts verbessert und dass die Präambel letztendlich nicht integriert, brauchen wir in diesem Hause wahrlich nicht zu sprechen. Siehe Gedenkstättengesetz, siehe die Situation, in der der Freistaat Sachsen ist; denn das Gedenkstättengesetz ist die Reflexion der Präambel. Die Herangehensweise ist eben, dass es von den Opferverbänden des Nationalsozialismus nicht mehr länger akzeptiert und toleriert wird. Das wissen Sie doch. Deshalb kann man sich nicht hinstellen und sagen, die Präambel schafft auf diesem Gebiet Impulse für ein bürgerschaftliches Engagement gegen Erscheinungen wie Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit usw. Natürlich schafft sie es nicht!

Der Wiedergutmachungsartikel ist Wiedergutmachung. Er ist immer reflektiv. Er bezieht sich auf das, was in der Vergangenheit angerichtet worden ist. Worum es uns geht, ist, dass in diesem Lande – – Es sei noch einmal gesagt: Heute findet in dieser Gemeinde in Sachsen-Anhalt, von der ich vorhin sprach, eine Beratung hinter geschlossenen Türen mit allen Vertretern der Gemeinde, die dort in irgendeiner Form aus politischer, moralischer oder religi

öser Sicht Verantwortung tragen, statt. Der Bürgermeister fragt, wie die Gemeinde künftig mit der Tatsache umgeht, dass zum zweiten Mal dieser zwölfjährige Junge eine Stunde lang von Neonazis in dem Dorf am helllichten Tag drangsaliert wird, ohne dass jemand eingegriffen hat. Niemand will etwas gesehen, niemand will etwas gehört haben. Heute früh im MDR wurde dies anmoderiert.

Ich bitte Sie: Sie können doch niemandem erklären, dass es keine Notwendigkeit gibt, auf diese Dinge rechtlich und auch verfassungspolitisch zu reagieren. Natürlich gibt es sie, denn der momentan gültige Verfassungstext reicht offensichtlich nicht zu, um den gesellschaftlichen Konsens, der ja da ist, auch im Leben hinreichend zu befördern. Das ist es, was Maslaton meinte, indem er sagt: Wenn ein Konsens, der da ist, sich im Leben nicht durchsetzt, muss der Gesetzgeber durch Rechtsveränderung Impulse befördern und einen organisatorischen Rahmen setzen. Dies ist nach unserer Auffassung definitiv der Kern der Botschaft gewesen, die sich dann um die Frage nach dem Programmansatz ringt.

Ich frage, ob Ihre Position, Kollege Dr. Martens – es wäre schlimm, wenn wir eine solche Klausel nötig hätten –, von den Angehörigen der über 100 erweislich durch Neonazis seit 1990 Getöteten – laut Statistik der „Frankfurter Rundschau“ und von niemandem angezweifelt – tatsächlich gebilligt würde. Ich frage, ob nicht dieser oder jener von den Angehörigen sagen würde, wir wünschen uns schon eine etwas konsequentere Regelung, die keineswegs nur repressiv sein muss, die auch so sein kann, dass ich als Gesetzgeber durch einen verfassungsrechtlichen Aufruf zu mehr bürgerrechtlichem Engagement Impulse gebe. Ich hätte meine Zweifel, dass ich vor allem bei Betroffenen offenes Gehör finde.

Herr Bartl, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, bitte.

Kollege Bartl, können Sie mir einen Fall nennen, in dem eine solche verfassungsfeindliche Straftat durch die von Ihnen gewünschte Verfassungsänderung verhindert worden wäre?

Können Sie mir einen Grund nennen, warum wir den Umweltschutz als Staatsziel hineinschreiben, wenn wir meinen, es nützt nichts, wenn es in der Verfassung steht?

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Können Sie mir einen Grund nennen, warum wir sieben Artikel als Staatsziel drin haben – zum Beispiel Förderung der Gleichberechtigung von Mann und Frau, Schutz von Kindern und Jugendlichen, Kultur- und Sportentwicklung –, wenn wir der Auffassung sind, es nützt nichts? Warum machen wir das dann? Warum haben wir Staatsziele drin? Wohl wissend, dass wir sie nicht mit dem Gesetz und dem Gerichtsvollzieher durchsetzen können. Wir machen dies als Programmansatz.

Was wir wollen, was wir erbitten und was wir vorgeschlagen haben, war, diese herangereifte politische Frage auf eine Ebene zu heben, von der wir sagen, der Konsens von 1992 reicht nicht mehr aus, es mit Präambel und Wiedergutmachung zu bewegen. Es ist an der Zeit, dass wir sagen: Zum Recht auf menschenwürdiges Dasein, Artikel 7, gehört das Recht und die Pflicht eines jeden, die Integrität auch derer zu achten, die dann beleidigt, betroffen, geschädigt sind, wenn Erscheinungen von Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassenhetze usw. an der Tagesordnung sind. Das ist unsere Auffassung. Sie ist keineswegs mit der Behauptung, dass wir um die alleinige Wahrheit wissen, verbunden. Aber sie ist jedenfalls nicht geeignet, Kollege Lichdi, in dieser Art zu diffamieren, wie Sie es getan haben.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Gibt es aus den Fraktionen weiteren Redebedarf? – Herr Prof. Schneider, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir halten das Ansinnen der PDS-Fraktion zur Änderung der Verfassung vor dem Hintergrund des Gesagten, insbesondere von Herrn Schiemann, Herrn Bräunig, Herrn Dr. Martens und Herrn Lichdi, für falsch. Wir halten es für verhängnisvoll und – um mit den Worten des Politikwissenschaftlers Eckhard Jesse zu sprechen – für schädlich.

(Zuruf des Abg. Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS)

Ich möchte Ihnen im Folgenden einige Passagen aus der öffentlichen Anhörung im Landtag etwas näher bringen und sie dann in eine politische Folge gießen. Es sind verschiedene Gründe, die meinen Beitrag skizzieren.

Erstens. „Die Einbettung einer antifaschistischen Klausel in die Sächsische Verfassung verdrängt, dass die Bundesrepublik Deutschland wie der Freistaat Sachsen ein Staat ist, der gleichermaßen alle – ich betone alle – extremistischen Positionen ablehnt. Das ist das Entscheidende. Das Grundgesetz wie die Sächsische Verfassung weisen eine antiextremistische Orientierung schlechthin auf. Nirgendwo, meine Damen und Herren, ist davon die Rede, dass ein Parteien- oder Vereinigungsverbot nur oder in erster Linie für eine politische Richtung vorbehalten wäre.“ – So hat der Politikwissenschaftler Jesse zutreffend ausgeführt.

Der weitere Sachverständige, den Sie eben, Herr Bartl, auch genannt haben, Prof. Backes, hat folgerichtig vorgetragen: „Vor dem Hintergrund der zweiten deutschen Diktatur, der SED-Diktatur, müsste es demgegenüber ebenso geboten sein, mit Besorgnis auf jede Form der Wiederbelebung und Verbreitung linksextremistischen oder kommunistischen Gedankengutes zu reagieren.“ Dasselbe gilt dann aber auch für jede Form des religiösen Fanatismus.

Zweitens. Ich zitiere jetzt nur wiederum aus der Sachverständigenanhörung: „Mit der Neuregelung wäre eine Aufwertung jener Position verbunden, die nur in rechtsextremistischen Bestrebungen eine Gefahr für den demokratischen Verfassungsstaat sähe.“ Jesse hat dazu ausgeführt: „Dies liefe auf einen massiven Wandel des verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Koordinatensystems hinaus.“ Indirekt bedeutet das, wie Jesse erneut deutlich gemacht hat, „eine Aufwertung, eine geradezu Rehabilitierung des Antifaschismus des SEDUnrechtsstaates.“ Ich nenne als Person den damaligen Kandidaten des Politbüros der SED Anton Ackermann, der in diesem Zusammenhang für die PDS schon ein reichlich ungewollter historischer Zeuge ist. Er wie andere zu seiner Zeit haben deutlich gemacht, dass der Begriff des Antifaschismus von den Kommunisten in der Vergangenheit gerade dazu eingesetzt worden ist, Meinungen jeglicher Couleur zu bekämpfen und den eigenen totalitären Gestaltungsanspruch zu bemänteln.

Für die SED, meine Damen und Herren, war der Antifaschismus, so gesehen, ein probates Mittel des Klassenkampfes. Jesse hat in die Richtung argumentiert, Herr Bartl, es gehe wohl einigen in der PDS genau um diese Frage der nachträglichen Rechtfertigung. Ich hätte mir bei allem Respekt für Ihre Ausführungen, soweit sie sich gegen Rechtsextremismus richten, schon gewünscht, dass Sie den einen oder anderen Satz Ihrer Erklärung auch in diese andere Richtung gesagt hätten.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Drittens. Dieser Grund, Herr Bartl, ist nun direkt an Sie gerichtet. Ich halte den Antrag der PDS, gerade weil Sie, Herr Bartl, ihn begründet haben, vor dem folgenden Hintergrund für nicht hinnehmbar im Anschluss an die Debatte über die Verfassung des Freistaates Sachsen, die am 25. und 26. Mai im Haus der Kirche in Dresden stattgefunden hat. An diesem Tag hat die damalige Linke Liste/PDS ihre Zustimmung zur Sächsischen Verfassung verweigert.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Wir haben dagegen gestimmt, das ist etwas anderes.)

Herr Porsch, ich möchte

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Weil es unser gutes Recht ist, so wie Ihres auch!)

mich wirklich nicht auf Ihren Winkeladvokatismus einlassen. Sehen Sie dies, wie Sie wollen. Sie sagen, Sie haben nicht zugestimmt. Ich sage, die damalige Linke Liste/PDS hat die Zustimmung verweigert.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Das ist unser gutes Recht!)

Das Entscheidende, Herr Porsch, ist aber, dass der Abg. Klaus Bartl, der eben für seinen Antrag hier gesprochen hat, diese Ablehnung damals mit folgenden Worten begründet hat: „…weil diese“ – meine Anmerkung: die

Sächsische Verfassung – „Verfassung Geschichtsverfälschung zur Verfassungsdoktrin erhebt, indem bereits in der Präambel eine Gleichsetzung von Faschismus und DDR-Ära vorgenommen wird.“ Deshalb haben Sie nicht zugestimmt oder, wie Sie sagen, verweigert.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Nein, Sie haben verweigert!)

Meine Damen und Herren! Ich wiederhole noch einmal die Präambel, wie sie eben Kollege Schiemann zitiert hat. Sie lautet in dem entscheidenden Halbsatz: „Ausgehend von den leidvollen Erfahrungen nationalsozialistischer und kommunistischer Gewaltherrschaft, eingedenk eigener Schuld an seiner Vergangenheit, von dem Willen geleitet, der Gerechtigkeit, dem Frieden und der Bewahrung der Schöpfung zu dienen, hat sich das Volk im Freistaat Sachsen dank der friedlichen Revolution des Oktober 1989 diese Verfassung gegeben.“ Schon der Wortlaut der Präambel der Sächsischen Verfassung entlarvt Ihren Beitrag im Mai 1992, Herr Bartl, und er entlarvt ihn auch heute vor dem Hintergrund Ihres Antrages.

Meine Damen und Herren! Eine antifaschistische Klausel, wie es heißt, als Staatszielbestimmung, so wie Sie dies wollen, vermittelt den Eindruck, die Verfassung des Freistaates sei gegenüber anderen Gefahren blind. Das ist gerade nicht der Fall. Wir haben eine freiheitlichdemokratische Grundordnung,

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Wie kommen Sie auf die Idee?)

und diese Grundordnung mit ihrer Verfassung ist wehrhaft, und sie muss wehrhaft bleiben, und zwar gegenüber jeglichen verfassungsfeindlichen Richtungen.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Gerade vor dem Hintergrund dieser unsäglichen Tat in Sachsen-Anhalt, auf die Sie sich eben bezogen haben, zeigt die Verfassungswirklichkeit, dass der Schutz der Verfassung und der Einzelnen, die in diesem Verfassungsstaat leben, auch gelingt. Nach allen Richtungen ist die Verfassung wehrhaft, meine Damen und Herren. Sie wird auch wehrhaft bleiben. Gruppierungen und Einzelpersonen, die dies nicht einsehen oder einsehen wollen oder die ihrerseits Hand anlegen an diese freiheitlichdemokratische Grundordnung, müssen die ganze Härte des Gesetzes spüren, aus welchen Gründen und aus welchen Richtungen auch immer sie kommen mögen.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Auch die Täter, wie Sie eben den Fall aus Sachsen-Anhalt, Herr Bartl, genannt haben, können auf der Basis des geltenden Rechtes bestraft werden, das ganz konkret Straftatbestände dieser Art vorsieht. Sie müssen bestraft werden, und sie werden auch bestraft werden, meine Damen und Herren. Wir müssen – das haben die vier anderen Fraktionen hier deutlich

gemacht – nicht etwa nur eine Diskussion auf die verfassungspolitische Bühne schieben, sondern Sie müssen die Diskussion ganz konkret mit extremistischen Kräften jedweder Natur, Herr Bartl, hier beispielsweise auf der politischen Bühne führen. Aber wir dürfen es nicht zulassen, dass irgendwelche Dinge zu einer Werteverschiebung unserer Verfassung dazu eingesetzt werden, politische Vehikel zu fahren. Wir werden Ihren Antrag auch vor dem Hintergrund dessen, was Sie heute ausgeführt haben, ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Gibt es weiteren Redebedarf? – Für die Fraktion der GRÜNEN Frau Hermenau, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Herr Abg. Bartl, Sie hatten eigentlich den Ausführungen des Kollegen Lichdi und des Kollegen Schiemann nichts wirklich entgegenzusetzen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der CDU)

Das hat man daran gemerkt, dass Sie der Meinung waren, Sie würden diffamiert – das haben Sie als Bezichtigung hier in den Raum gestellt –, und Sie haben mit Gegenfragen zu anderen Staatszielen geantwortet. Sie sind der Debatte ausgewichen. Auf mich hat das eher trotzig gewirkt

(Beifall bei den GRÜNEN und der CDU)

und in keiner Weise so, als ob Sie Argumente abwägen würden. Die PDS hat öffentlich diesen Gesetzentwurf eingebracht. Sie müssen schon aushalten, dass wir ihn auch öffentlich diskutieren. Das müssen Sie ertragen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der CDU)

Jetzt kommen wir einmal zur Substanz der Sache. Glauben Sie wirklich, dass die ostdeutschen Abgeordneten der Fraktion der NPD 1990 vom Himmel gefallen sind? Ist das Ihre Meinung? Sie sind natürlich nicht vom Himmel gefallen, sondern die sind gewachsen und gewuchert unter dem oberflächlichen Denkmal, die DDR wäre ein antifaschistischer Staat.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)