Protokoll der Sitzung vom 25.01.2006

Gut. frage aber trotzdem noch einmal die FDP, wie sie jetzt mit ihrem Antrag verfahren will. Wird jetzt Abstimmung gewünscht?

Wir würden über unseren Antrag gern abstimmen lassen.

Gut.

Ich stelle formal den Antrag nach § 81 Abs. 6 Geschäftsordnung, den Antrag von CDU und SPD an den Ausschuss zu überweisen. Wir schlagen vor, aus Gründen der parlamentarischen Fairness und des inhaltlichen Konsens, den wir hier haben, den Antrag dort in Ruhe zu besprechen.

(Zurufe von der SPD)

Herr Herbst, das geht aber nur – Herr Herbst, hören Sie mir noch kurz zu! –, diese Überweisung ist nur möglich, wenn die Fraktion damit einverstanden ist, und ich habe die CDU – –

Das möchte ich jetzt gern noch einmal von den Koalitionsfraktionen hören, wenn sie damit nicht einverstanden sind.

(Zurufe von der CDU und der SPD)

Gut, dann lasse ich jetzt noch eine Wortmeldung zu diesem Umstand zu. – Herr Petzold.

Ich hatte es in meinem Schlusswort schon gesagt, dass wir den Antrag der Koalition hier zur Abstimmung bringen wollen. Ganz einfach, weil er die Grundlage für die weitere Diskussion ist.

Gut.

Das heißt also praktisch, dass die Staatsregierung hier agieren muss. Deswegen macht es jetzt keinen Sinn, das in den Ausschuss zu überweisen.

Der Antrag der FDP geht in die Richtung unseres Antrages. Er ist aber zu kurz gesprungen, und deshalb werden wir ihn ablehnen, wenn er zur Abstimmung gestellt wird.

Der Rücküberweisung des Antrages der Linksfraktion.PDS an den Ausschuss würden wir zustimmen.

Gut, somit herrscht jetzt Klarheit, wie wir mit den Anträgen verfahren.

Ich beginne mit der Drucksache 4/4024. Das ist der Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD. Er wird jetzt zur Abstimmung gebracht. Wer zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gibt es Stimmen dagegen? – Stimmenthaltungen? – Bei einer großen Anzahl von Stimmenthaltungen und Stimmen dagegen ist dem Antrag dennoch mit knapper Mehrheit zugestimmt worden.

(Zurufe des Ministerpräsidenten Prof. Dr. Georg Milbradt und von der SPD)

Mit Mehrheit, gut. Ich bin auch gern bereit, auf das Parlament zu hören, wenn ich etwas falsch gemacht habe.

Ich rufe die Drucksache 4/3890 auf. Das ist der Antrag der FDP. Auch dieser wird jetzt zur Abstimmung gebracht. Wer möchte diesem Antrag zustimmen? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Bei wenigen Stimmen dafür ist der Antrag mit großer Mehrheit abgelehnt worden.

Ich rufe jetzt die Drucksache 4/3980 auf, Antrag der Linksfraktion.PDS. Hier wird die Überweisung an den Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr beantragt. Ich lasse jetzt über diese Überweisung abstimmen. Wer möchte die Zustimmung geben? – Gibt es Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Einige Stimmenthaltungen, keine Gegenstimmen; der Überweisung ist mit Mehrheit zugestimmt worden.

Damit ist der Tagesordnungspunkt beendet und ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 4

Beachtung des Leitbildes einer bürgernahen und transparenten Verwaltung bei der geplanten Verwaltungsreform in Sachsen

Drucksache 4/3441, Antrag der Linksfraktion.PDS, mit Stellungnahme der Staatsregierung

Verwaltungsreform in Sachsen

Drucksache 4/3536, Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

In der ersten Runde beginnt die Linksfraktion.PDS als Einreicherin. Danach folgen GRÜNE, CDU, SPD, NPD, FDP und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Ich erteile nun der Linksfraktion.PDS das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zur Notwendigkeit einer umfassenden Verwaltungs-, Funktional- und Kreisgebietsreform haben wir uns zuletzt in der Aktuellen Debatte im November verständigt. Interessanterweise hatte diese Aktuelle Debatte – und das ist nicht so häufig – ein recht ordentliches Ergebnis: Von der Staatsregierung bis hin zu allen Fraktionen gab es Übereinstimmung zum Ob dieser Reform. Die Geister schieden sich jedoch deutlich beim Wie.

Um hier ein Stückchen weiterzukommen und den Landtag als berufene Stätte der politischen Willensbildung in eine komfortablere Situation zu bringen, dazu sollte die heutige Debatte nützlich sein. Ich denke, das ist auch ein realistisches Ziel.

Ich möchte mit einer scheinbar ganz einfachen Frage beginnen, deren Beantwortung es aber in sich hat, wie es oft bei einfachen Fragen ist: „Warum fällt eigentlich das Ergebnis aller bisherigen Reformbemühungen, die Verwaltung in Sachsen voranzubringen und zu modernisieren, so bescheiden aus?“, wie es Landrat Andreas Schramm kürzlich auf der Landräteversammlung in Burgstädt so brillant beschrieben hat.

Zugespritzt gefragt: Waren Ihre fünf Amtsvorgänger, Herr Staatsminister Buttolo, allesamt unfähig? Jetzt ein klares Ja hinauszuposaunen, wäre für die Opposition, wäre für die Linksfraktion.PDS sicherlich eine zu einfache Antwort. Obwohl ich sage: Unfähigkeit war bei einigen durchaus mit im Spiel.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Das ging nicht so „rasch“!)

Deshalb schauen wir uns die Fakten etwas genauer an: Kreisgebietsreform 1994. Sie war in jeder Weise halbherzig, weil sie unsinnigerweise vor der Gemeindegebietsreform stattfand und weil einflussreiche CDU-Abgeordnete noch kurz vor der Landtagswahl 1994 ihre Claims nicht ganz ohne Erfolg abgesichert hatten.

Gemeindegebietsreform 1998. Das war eine völlig verkrampfte und vielerorts von der Bevölkerung bis heute nicht angenommene Angelegenheit, vor allem dort, wo gekünstelte Verwaltungsgemeinschaften mit oftmals bis zu 20 Ortsteilen herausgekommen sind. Im Ergebnis

haben die Kommunen mitnichten, wie damals versprochen wurde, neue Aufgaben in nennenswertem Umfang übertragen bekommen. Auch Einspareffekte kann die Staatsregierung nicht wirklich nachweisen, wie ihre Antwort auf eine entsprechende Große Anfrage meiner Fraktion in der 3. Wahlperiode bewies.

Verwaltungsmodernisierungsgesetz 2003. Bei Lichte betrachtet war das eine pure Lachnummer mit dem immerhin tollen Ergebnis, dass die Kommunen jetzt eigenständig über die Grenzabstände bei Friedhöfen oder über die Gewährung von Sehhilfen, sprich Brillen, bestimmen dürfen, während durch das gleiche Gesetz heimlich, still und leise die aus unserer Sicht völlig überflüssigen Regierungspräsidien immer mächtiger geworden sind.

Auch der vom heutigen Kanzleramtsminister de Maizière eingeführte Paragrafenpranger taugt bestenfalls als PRGag.

Das Gemeinsame an all diesen Geschichten ist ein Grundübel und niemand Geringeres als Ex-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf hat im Jahr 1999 bei der Verleihung des Cicero-Rednerpreises sehr prägnant dieses Grundübel bezeichnet; wenngleich in einem größeren Zusammenhang. Ich darf ihn zitieren: „In der Gesellschaft hat sich eine fatale Arbeitsteilung entwickelt. Für die Reformen ist die Rhetorik zuständig, für die Wirklichkeit sind es die beharrenden Kräfte.“ Soweit Biedenkopf.

Zurück zur Verwaltungsreform. Bis jetzt waren all diese Vorstöße bis zum bitteren Ende reine Binnenreformen, die eigentlich nur die Ministerialbürokratie und vielleicht noch ein wenig die Bürgermeister und die Landräte zu interessieren hatten. Am Ende wurde in diversen Konsensrunden hinter den Kulissen so lange hin und her verhandelt, ja oft auch gemauschelt, bis die Ministerialbürokratie, die Landräte und die Bürgermeister alle etwa gleichermaßen zufrieden oder unzufrieden waren, je nach Standpunkt, kurz: bis die Beharrungskräfte wieder einmal das Gleichgewicht gefunden hatten.

Als Ergebnis kamen dann regelmäßig so genannte Artikelgesetze heraus, oftmals mit vielen hundert Seiten – ich befürchte, dass das jetzt wieder der Fall sein wird –, womit dann der Landtag regelmäßig überfordert wird, nicht weil er nicht die geistige Kompetenz hätte, das zu überblicken, sondern schlicht und einfach deshalb, weil es dann nur eine einzige Anhörung zu vielleicht 50 oder 60 verschiedenen Artikeln gibt. Naturgemäß können dann in der folgenden Periode der Beratung, meistens im Innenausschuss und im Verfassungs-, Rechts- und Europaaus

schuss, keinerlei substanzielle Änderungen mehr vorgenommen werden.

Regelmäßig wurden jedenfalls substanzielle Änderungen, die die PDS aus gutem Grund eingebracht hat, abgeschmettert – sicher aus einem einzigen Grund: Wären sie angenommen worden, wären die schönen Kreise der beharrenden Kräfte wieder zerstört worden.

(Beifall der Abg. Prof. Dr. Peter Porsch und Sebastian Scheel, Linksfraktion.PDS)

Kurzum: Es fehlte bisher allen Reformansätzen der politische Wille und wohl auch der Mut, mit den Betroffenen der Reform – dies sind natürlich die Beschäftigten in den Verwaltungen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, vor allem aber die Menschen im Lande – in einen öffentlichen Reformdialog zu treten, so wie wir es fordern, sie vom Nutzen dieser Reform zu überzeugen – Reform ist ja ein Begriff, der im Moment hochgradig diskreditiert ist; denken wir an Arbeitsmarkt –, Renten-, Sozial- und Gesundheitsreformen – und ihnen vor allem die Angst vor dem möglichen drohenden Verlust des Arbeitsplatzes oder auch nur vor einer ungewissen Zukunft zu nehmen.

Es fehlte bisher immer der politische Wille, diesen Dialog noch vor dem eigentlichen Gesetzgebungsprozess zu führen. Natürlich können Sie, Herr Staatsminister Buttolo, dies alles besser machen als Ihre Amtsvorgänger, und ich hoffe, dass Sie es besser machen werden. Sie haben die große Chance, die von mir kritisierte Binnenreform, die unweigerlich in die Sackgasse führen wird, zu vermeiden. Zu wünschen wäre dies im Interesse des Freistaates allemal.

Wie Sie, sehr verehrte Damen und Herren, unserem Antrag entnehmen können, bekennen wir uns zu einem sehr klaren Leitbild. Wir wollen eine bürgernahe, transparente Verwaltung, eine Verwaltung, die ein hohes Niveau an Bürgerpartizipation und demokratischer Mitbestimmung in den Mittelpunkt stellt, die ordentliche Rahmenbedingungen für die Daseinsfürsorge schafft – was selbstverständlich Effektivitäts- und Effizienzüberlegungen keinesfalls ausschließt.

Dies ist mit Sicherheit ein deutlich anderes Leitbild als das Leitbild einer primär an Einsparpotenzialen orientierten Reform, wie es aus dem Expertenbericht zur Verwaltungsreform herausschaut. Dies ist auch etwas deutlich anderes als das ziemlich diffuse Leitbild, welches die großkoalitionäre Lenkungsgruppe mit ihren kurz vor Weihnachten fertig gestellten Eckwerten zur Verwaltungs- und Funktionalreform im Freistaat Sachsen vorgelegt hat.

Herr Staatsminister Buttolo, Sie sind erst kurze Zeit im Amt, die hundert Tage sind noch nicht einmal herum. Aber ich muss sagen, Ihr Handeln zeichnet sich durch ziemliche Widersprüchlichkeiten aus. Ich will dabei aber fair bleiben und Soll und Haben sauber trennen. Ich sage deutlich: Es ist Ihr Erfolg, dass es die genannten Eckwerte jetzt überhaupt gibt. Es gab ja starke Kräfte, die dies zeitlich verzögern wollten. Im Unterschied zu den am

18. Oktober 2005 vorgestellten und zugleich verwirrenden Empfehlungen der Expertenkommission lassen sich diese Eckwerte immerhin als so etwas wie ein politischer Kompass für die nächsten Reformschritte deuten. Damit haben wir endlich etwas, an dem wir uns im Landtag reiben können.

Bemerkenswert ist, dass Sie in einer ersten Phase bis Mai 2006 eine umfassende und systematische Aufgabenkritik aller Landesbehörden vornehmen wollen – allerdings mit Ausnahme der Ministerien, was wir natürlich stark kritisieren müssen. Immerhin kommt die Staatsregierung dabei einer Uraltforderung meiner Fraktion nach und setzt jetzt ein wichtiges Anliegen des vorgelegten Antrages um, was wir selbstverständlich begrüßen.

In einer zweiten Phase wollen Sie bis Dezember 2006 die eigentliche Neuzuordnung der Aufgaben per Gesetz vornehmen. Wir stimmen zu, dass dabei vorrangig die Kommunalisierung – vor allen anderen denkbaren Lösungen – in Betracht kommt, und wir sind damit einverstanden, dass Sie auch den kreisangehörigen Raum mit einem kräftigen Aufgabenzuwachs bedenken wollen; im Expertenbericht war ja noch anderes zu lesen.