Protokoll der Sitzung vom 25.01.2006

13. Tätigkeitsbericht 2004/2005

Drucksache 4/3093, Unterrichtung des Sächsischen Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik

Drucksache 4/4030, Beschlussempfehlung des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses

Die Fraktionen können hierzu jeweils zehn Minuten sprechen. Ich sehe, es wird Bedarf angemeldet. Bitte schön, Herr Schowtka von der CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als nach den friedlichen Demonstrationen Zehntausender in Plauen, Dresden und schließlich 70 000 Mutigen am 9. Oktober 1989 in Leipzig der scheinbar allmächtige SED-Unrechtsstaat wie ein Kartenhaus zusammenfiel, richtete sich der Zorn der Menschen auf den Repressionsapparat dieses Systems, den allgegenwärtigen und gefürchteten Staatssicherheitsdienst. Derweil versuchte der wahre Auftraggeber, die SED, sich eilig ein demokratisches Mäntelchen unter anderem Namen zuzulegen, um von der eigenen Verantwortung abzulenken. Leider mit Erfolg.

In Berlin und anderen Städten Ostdeutschlands wurden die Dienststellen der Stasi gestürmt und besetzt, um zu verhindern, dass die Dokumente und sonstige Spuren der Unterdrückung von den Tätern und deren Handlangern in letzter Minute vernichtet werden – was leider teilweise auch gelang.

Meine Damen und Herren, da eine Demokratie, die sich ernst nimmt, Unrecht nicht mit neuem Unrecht vergelten kann und darf, wurde mit dem Stasi-Unterlagen-Gesetz eine rechtsstaatliche Norm geschaffen. Mit dieser Art von Vergangenheitsbewältigung hat die Demokratie in Deutschland in den letzten 15 Jahren trotz aller Anfechtungen ihre Wehrhaftigkeit überzeugend unter Beweis gestellt.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Andere Länder, die ebenfalls menschenfeindliche, brutale Diktaturen überwunden haben, wie unsere östlichen Nachbarn oder auf anderen Kontinenten, wie zum Beispiel Südafrika, Argentinien oder Chile, beneiden uns um diese konsequente rechtsstaatliche Auseinandersetzung mit dem einst staatstragenden Krebsgeschwür namens Stasi. Diese Länder werden leider immer noch von den Gespenstern der Vergangenheit heimgesucht, wenn deren Untaten stückweise ans Tageslicht kommen. Ich erinnere nur an die Querelen mit dem einstigen Diktator Pinochet in Chile oder den Generälen Galtieri und Videla in Argentinien und den Schwierigkeiten, die es in Polen und Tschechien gibt, um mit dem schlimmen Erbe der Geheimdienste abzurechnen.

Mit dem vorliegenden 13. Tätigkeitsbericht hat der Sächsische Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes ein transparent gegliedertes Dokument über das vielfältige und verdienstvolle Wirken

seiner relativ kleinen Behörde vorgelegt, das Dank und Anerkennung verdient.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Mit einem bescheidenen Haushalt und einigen wenigen Mitarbeitern unterstützt und berät Herr Michael Beleites die einstigen Opfer des SED-Staates in den oft komplizierten Fragen ihrer Rehabilitierung bzw. des Anspruchs auf Entschädigung; wobei er darauf hinweist, wie schwierig sich die juristische Wiedergutmachung darstellt, wenn es sich um erlittenes Unrecht, gesundheitliche Schäden und Benachteiligung unter dem stalinistischen Terror handelt.

In diesem Zusammenhang bin ich dankbar für seinen Hinweis auf die von Sachsen eingebrachte Bundesratsinitiative für eine Opferpension für politische Häftlinge, die verdient, erneut aufgenommen zu werden, und die breiter Unterstützung bedarf.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich daran denke, dass einstige Staats- und Parteifunktionäre für ihre Privilegien im SED-Staat anstatt in DDR-Mark mit harten Euro-Noten honoriert werden, während ihre Opfer weiter benachteiligt sind, obwohl sie dafür gelitten haben, dass wir alle heute hier in diesem Hohen Haus sitzen und gelebte Demokratie praktizieren können.

Hervorzuheben ist die im Bericht dokumentierte umfassende Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit der Behörde zu Fragen der jüngeren Geschichte, die sich insbesondere auch der Lehrerfortbildung widmet. Das ist eine dringende Notwendigkeit, um unserer Jugend die Wurzeln unserer jungen Demokratie zur Kenntnis zu geben.

Angesichts der von interessierter Seite immer wieder aufs Neue losgetretenen Schlussstrichdebatte bezüglich der Überprüfungen im öffentlichen Dienst wird im Bericht auf die eindeutige Gesetzeslage verwiesen, die einen Fristablauf zum 19.12.2006 vorsieht. Aber auch danach dürfen die Stasi-Akten nicht geschlossen werden.

(Beifall bei der CDU)

Im Hinblick auf die Bestrebungen zur Zentralisierung der Stasi-Akten unterstützt meine Fraktion die Position des Landesbeauftragten, ihre Regionalisierung in drei Außenstellen beizubehalten. Dazu erlaube ich mir, den rechtspolitischen Sprecher meiner Fraktion, Marko Schiemann, zu zitieren, der am 10. Januar dieses Jahres dazu erklärt hat: „Gerade älteren Opfern des SED-Unrechts muss es wie bisher möglich sein, ohne große Mühe und lange Wege

Stasi-Unterlagen in den bisherigen sächsischen Außenstellen einsehen zu können.

(Beifall bei der CDU)

Dies ist bei der Erstellung einer Gesamtkonzeption über die Zukunft der Außenstellen entscheidend zu beachten. Ich warne vor Plänen, die Akten in ein Bundeszentralarchiv abzuschieben. Die Akten zeugen von einem Unrechtsstaat und sind damit Spiegel der Geschichte. Sachsen ist die Wiege der Revolution von 1989. Auch 16 Jahre danach gibt es ein großes Interesse in der Bevölkerung an Aufklärung über das Unrecht der Staatssicherheit. Deshalb müssen die Außenstellen der Behörden erhalten bleiben.“ So weit Herr Schiemann.

Namens der CDU-Fraktion danke ich dem Landesbeauftragten Herrn Michael Beleites und seinen Mitarbeitern für die im Bericht dokumentierte Tätigkeit im Zeitraum von Juli 2004 bis Juni 2005 und schlage dem Hohen Haus vor, den 13. Tätigkeitsbericht billigend zur Kenntnis zu nehmen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU, der Abg. Dr. Simone Raatz, SPD, und vereinzelt bei der FDP)

Danke schön, Herr Schowtka. – Für die Linksfraktion.PDS Herr Dr. Friedrich, bitte.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Linksfraktion.PDS nimmt diesen 13. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten aufmerksam und mit Respekt zur Kenntnis.

Es ist ein substanzieller Bericht, der sich in vielerlei Hinsicht von seinen Vorgängern positiv abhebt, angesichts – das ist wichtig zu sagen – des freilich sehr eng begrenzten Aufgabenumfangs der Behörde des Landesbeauftragten.

Durchgängig ist diese Konzentration auf den gesetzlich festgelegten Aufgabenbereich freilich nicht gelungen. Über viele Strecken – man kann auch sagen: seitenweise – wirkt dieser Bericht außerordentlich bemüht, wenn beispielsweise auch noch die letzte Presseerklärung, der letzte Vortrag, das letzte Projekt und die letzte Zusammenkunft des Landesbeauftragten minutiös aufgeführt und aufgelistet werden. Hier wäre weniger sehr viel mehr gewesen. Ich komme auf diesen für uns wesentlichen Kritikpunkt zurück.

Gestatten Sie mir, sehr verehrte Damen und Herren, auch zu dieser späten Stunde eine Eingangsbemerkung sehr grundsätzlicher Natur. Mein Vorredner hat die Schlussstrichdebatte angesprochen.

Die Linksfraktion.PDS wie auch die Linkspartei wollen keine Schlussstrichdebatte. Für die Linkspartei.PDS kann ich erklären, dass wir als eine Partei, welche die sozialistische Option für die menschliche Zukunft aufrechterhält – nicht Vision, sondern Option –, am allermeisten und

ohne jegliche Einschränkung daran interessiert sind, dass die nachgewiesenen Taten politischer Gewalt und politischen Unrechts in der DDR und natürlich ihre Ursachen ehrlich aufgeklärt werden.

Diese Aufklärung muss natürlich im korrekten historischen Kontext der damaligen Systemauseinandersetzung geschehen und nicht isoliert in einer Betrachtungsweise, die das damalige Ministerium für Staatssicherheit sozusagen als Phänomen des Bösen verteufelt, auf das man heute bequem alle Schuld abladen kann.

Ebenso sind wir daran interessiert, dass das mahnende und verurteilende Gedenken an politische Gewalt und Repression, die im Namen eines falsch verstandenen, ja auch eines pervertierten Sozialismus geschehen sind, aufrechterhalten bleibt, damit sich solche Vergehen und Verbrechen niemals wiederholen können.

Ich darf in diesem Zusammenhang an die Diskussion zum Gedenkstättengesetz in der 3. Wahlperiode erinnern. Mein ehemaliger Fraktionskollege Prof. Werner Bramke hatte damals zu dieser Problematik sehr klare Worte gefunden: „Würden wir anderes wollen oder anders handeln, stünde dies in sehr klarem Widerspruch zu unserem eigenen Anspruch, die sozialistische Option auf demokratischem Wege und eben nur auf diesem Wege anzustreben.“

Gestatten Sie, sehr verehrte Damen und Herren, einige kurze Anmerkungen zu drei aktuellen Problemen, die dieser Bericht anspricht und bei denen der Landtag durchaus zu einer Positionierung aufgefordert ist.

Zum wiederholten Male beklagen Sie, Herr Beleites, die Rehabilitierungspraxis, die speziell in den Fällen der beruflichen Rehabilitierung oft ins Leere läuft. Die bevorzugte Umschulung und Weiterbildung kommt aufgrund der bekannten Arbeitsmarktlage sehr oft nicht zum Tragen. Die Fristen zur Aufnahme eines Hochschulstudiums sind am 01.01.2003 ausgelaufen.

Auf Seite 7 des Berichtes stellen Sie richtigerweise fest, dass Sie zwar keine Widerspruchsinstanz in Rehabilitierungsfragen sind, das Thema in Ihrer Beratungspraxis aber dennoch einen großen Raum einnimmt. Dabei würden die Fälle überwiegen, bei denen eine Ablehnung zwar rechtlich gerechtfertigt erscheint, sachlich aber eine Rehabilitierung dennoch geboten wäre. Aus Ihren Erfahrungen heraus halten Sie eine Novellierung der Ergänzung der bestehenden Rehabilitierungsgesetze für dringend erforderlich und haben eine Initiative gemeinsam mit den Landesbeauftragten der anderen Bundesländer gestartet.

Natürlich sprechen Sie damit ein echtes Problem an, das auch die Linksfraktion.PDS bewegt, wenngleich dieses Problem letztlich nur auf der Ebene des Bundes zu lösen ist.

Einerseits kann es natürlich nicht sein, dass sich jemand allein mit der Behauptung, er wäre im Jahre 2000 bestimmt Regierungsdirektor oder auch Professor geworden, wenn nicht 1977 durch staatliche Repression sein Abitur

verhindert worden wäre, eine berufliche Rehabilitierung erschleicht.

Andererseits wäre es in den Fällen fatal, in denen nachweislich Unrecht geschehen ist, wenn sozusagen auf die biologische Lösung gewartet wird, zumal es sich in den allermeisten Fällen um Menschen in höheren Altersgruppen handelt.

Ich darf Sie, verehrte Damen und Herren, deshalb hier noch einmal ausdrücklich an die einvernehmliche Debatte in der 98. Sitzung des 3. Sächsischen Landtages erinnern, als es um die Opferrente für durch DDR-Unrecht Geschädigte ging. Mein Fraktionskollege Dr. Dietmar Pellmann hatte in dieser Debatte sehr klare und auch zustimmende Worte zu diesem Projekt gefunden. Die Position meiner Fraktion dazu ist heute keine andere.

Ein weiteres aktuelles Problem betrifft die Überprüfung im öffentlichen Dienst in Sachsen. Sehr bemerkenswert, Herr Beleites, ist Ihre deutliche Relativierung des Wertes der so genannten Rosenholz-Dateien, also der mikroverfilmten Karteien der Hauptverwaltung Aufklärung des MfS, die nach mehrjähriger Odyssee wahrscheinlich über den KGB in den Besitz der CIA gelangt sind. Sie wurden dort mit vielen Fehlern mehrfach abgeschrieben und im Jahre 2003 nach Aufhebung des Geheimhaltungsvermerkes zurück in die Bundesrepublik gegeben.

Sie stellen auf der Seite 34 fest, dass diese Dateien in nur sehr wenigen Fällen dazu geführt haben, Personalmaßnahmen gerichtsfest zu untermauern. Umso unsinniger müssen heute die Anstrengungen der Staatsregierung, speziell die des vorvergangenen Innenministers Horst Rasch, erscheinen, gerade mit dem Auftauchen der Rosenholz-Dateien erneute umfangreiche Personalüberprüfungen im öffentlichen Dienst und bizarrerweise in allen kommunalen Vertretungskörperschaften bis hin zum kleinsten Gemeinderat zu veranlassen.

Auf Seite 35 des Berichtes interpretieren Sie, Herr Beleites, die Rechtsfolgen nach Ablauf der Überprüfungsmöglichkeiten am 19. Dezember 2006 in etwas sehr fantasievoller Weise. Wenn es im Stasi-Unterlagen-Gesetz in den §§ 20 und 21 Abs. 3 heißt – ich darf zitieren –: „Die Verwendung für die in Abs. 1 Nr. 6 und 7 genannten Zwecke ist nach Ablauf der Frist von 15 Jahren unzulässig. Nach Ablauf der Frist darf die Tatsache einer Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst dem Mitarbeiter im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwendet werden“, so sehen wir den von Ihnen ausgemachten Interpretationsspielraum ausdrücklich nicht.

Wäre es möglich, dass diese Informationen, die auf andere Weise als über eine Überprüfung nach den §§ 20 und 21 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes bekannt werden, zum Beispiel im Zuge der politischen und historischen Aufarbeitung nach den §§ 32 bis 34 des Unterlagen-Gesetzes, nach dem Fristablauf für Personalmaßnahmen herangezogen werden könnten, so wäre der Rechtsfrieden auf einen Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben.

Liest man jedoch in der entsprechenden Debatte des Bundestages bei der Verabschiedung des UnterlagenGesetzes nach, so wird deutlich, dass seinerzeit alle Fraktionen – und eben auch die CDU/CSU und die SPD – diesen Rechtsfrieden ausdrücklich mit dem Fristablauf nach 15 Jahren haben sichern wollen.

Eine wichtige Schlussfolgerung ergibt sich allerdings, und zwar nicht für Herrn Beleites, sondern für die Staatsregierung. Die Verwaltungsvorschrift zur Überprüfung der persönlichen Eignung im Beamtenverhältnis vom 14. Dezember 1994 mit ihren de facto schwarzen Listen einer vermuteten Nichteignung aufgrund bestimmter in der DDR innegehabter Kaderfunktionen ist sehr viel weitgehender, auch sehr viel schikanöser als in jedem anderen Bundesland. Diese Verwaltungsvorschrift wird spätestens mit Ablauf der Frist am 19. Dezember 2006 obsolet. Ich fordere die Staatsregierung hiermit auf, diese von uns schon immer kritisierte Verwaltungsvorschrift umgehend zurückzuziehen.

Sehr kurz zu einem letzten Problem, dem Regionalkonzept der Bundesbeauftragten für die Hinterlassenschaften der Staatssicherheit. Wir stimmen Herrn Beleites hierin gern zu, dass die Reihenfolge der anstehenden Grundsatzentscheidungen umgekehrt werden muss. Wie sonst kann sinnvoll über die sächsische Archivstruktur entschieden werden, ohne fahrlässig Steuergelder aus dem Fenster zu werfen, wenn nicht die mittel- und langfristige Perspektive des Umgangs mit diesen Unterlagen geklärt ist? Herr Beleites stellt auf den Seiten 36 ff. durchaus die richtigen Fragen. Beantworten kann sie allerdings nicht der Sächsische Landtag, sondern nur der Bundestag.