Das, was die polnische Seite, nein, was wir alle im Endspurt der Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas am meisten brauchen, hat ein polnischer Unternehmer in die Worte gefasst: Kultur der Zusammenarbeit, eine Kultur der Zusammenarbeit, die auch noch Bestand hat, wenn die Neißestadt den Titel „Kulturhauptstadt Europas“ schon längst an eine andere Stadt weitergegeben hat. – Das hätte dann auch etwas mit Nachhaltigkeit zu tun, was ja für eine Kulturhauptstadt-Bewerbung durchaus von Vorteil ist.
Wird von den Fraktionen noch das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. – Frau Staatsministerin Ludwig, bitte.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Bewerbungskonzept der Europastadt Görlitz/Zgorzelec setzt auf Kultur, auf Bildung und die Künste als wichtige Grundlagen europäischen Zusammenlebens. Die Bewerbung verkörpert in beispielhafter Weise die Idee der europäischen Einigung. Eine Stadt zweier Nationen, zweier Kulturen, zweier Sprachen will zusammenwachsen. Damit stellt sich die Bewerbung in das Zentrum der großen europäischen Aufgabe, die vor uns liegt: Anerkennung der Vielfalt und Integration.
Knapp zwei Jahre nach der historischen Zäsur in der Geschichte der Europäischen Union, der Aufnahme von zehn neuen Mitgliedsstaaten aus Mittel- und Osteuropa, müssen wir jedoch feststellen: Die Osterweiterung hat zwar die Staaten einander näher gebracht, die Menschen aber noch nicht in gleicher Weise. Die Ablehnung des Entwurfs der Europäischen Verfassung in Frankreich und in den Niederlanden ist auch in diesem Zusammenhang zu betrachten.
Görlitz und Zgorzelec haben sich gemeinsam auf den Weg gemacht, die große Idee der europäischen Integration im Alltag ihrer Doppelstadt lebendig werden zu lassen. Polnische Kinder gehen in deutsche Kindergärten, in dem deutschen Theater in Görlitz wird in polnischer Sprache gespielt, Kulturprojekte werden zunehmend grenzübergreifend gedacht und geplant – Beispiele, die ermutigen. Sie zeigen mit Nachdruck, welche verbindende Gestaltungskraft der Kultur innewohnt. Die vielfältigen Ausdrucksformen der Kultur und die Sprache der Kultur helfen uns, ohne Angst verschieden zu sein.
Die Gründe, die Bewerbung von Görlitz/Zgorzelec zu unterstützen, sind in dieser Debatte in vielfältiger Weise von den Vertretern der demokratischen Fraktionen unterstrichen worden.
Die Sächsische Staatsregierung unterstützt die Bewerbung von Görlitz in der letzten Etappe mit Nachdruck. So haben wir beispielsweise im vergangenen Jahr mehr als
250 000 Euro für die Aktivitäten in dieser Bewerbungsetappe zur Verfügung gestellt. Der Sonderbeauftragte des Ministerpräsidenten und der Koordinator meines Hauses bringen in zahlreichen Gesprächen im Umfeld der Bewerbung und durch ihre Teilnahme an den Sitzungen des Beirates und der Lenkungsgruppe der Staatsregierung ihre unterschiedlichen Erfahrungen ein und helfen, wo Hilfe von der Stadt Görlitz gebraucht wird.
Wir wissen: Eine solch große Bewerbung auf den Weg zu bringen, das bedeutet für eine so kleine Stadt wie Görlitz eine außergewöhnliche Kraftanstrengung. Die Qualität, die die Bewerbung inzwischen erreicht hat, ist ein eindrucksvolles Zeugnis der Leistungsfähigkeit dieser beiden Städte. Dazu zählen das große Engagement vieler Bürgerinnen und Bürger und auch vieler Freunde der Stadt sowie die großzügige Unterstützung der regionalen Wirtschaft. Dazu zählt aber auch die Fähigkeit aller Beteiligten, kontroverse Diskussionen über Inhalte und Formen der Bewerbung zuzulassen, auszuhalten und auch öffentlich zu führen. Diese öffentlichen Diskussionen sind wichtige Schritte auf dem Weg der gemeinsamen kulturellen Entwicklung, den Görlitz und Zgorzelec eingeschlagen haben.
Ich möchte einige wenige Aspekte in diesem Zusammenhang hervorheben. Eine Kulturhauptstadt-Bewerbung muss sich in einem angemessenen Ausmaß an den Anforderungen derjenigen messen lassen und orientieren, die diesen Titel vergeben. Ein Kulturhauptstadt-Programm ist erheblich mehr als die Summe der bisherigen kulturellen Aktivitäten beider Städte. Der Erfolg des Kulturhauptstadt-Jahres wird wesentlich davon abhängen, ob es gelingt, die vielen gesellschaftlichen Kräfte, die die Europastadt besitzt, in die Projekte einzubinden und zur Geltung kommen zu lassen.
Finanziell stößt die Stadt Görlitz mit dieser Bewerbung an ihre Leistungsgrenzen. Die Staatsregierung hat bereits beschlossen – den Erfolg der Bewerbung vorausgesetzt –, die Vorbereitung und Durchführung des Kulturhauptstadtjahres mit 20 Millionen Euro zu unterstützen. Es ist selbstverständlich, Herr Hilker, dass dementsprechend ein Haushaltstitel im nächsten Doppelhaushalt da sein muss. Darin gebe ich Ihnen völlig Recht. Vom Bund erwarten wir ebenfalls einen substanziellen Beitrag für dieses für Deutschland wichtige Ereignis – einen Beitrag, der sich an den Mitteln, die der Freistaat Sachsen zur Verfügung stellt, orientieren soll.
In diesem Sinne habe ich mich gemeinsam mit meinem Kollegen aus Nordrhein-Westfalen an die Bundesregierung gewandt. Aber auch die Stadt Görlitz wird ihre Kräfte bündeln und das Wünschenswerte mit dem Machbaren in Einklang bringen müssen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die fünf zentralen Projekte der Bewerbung widmen sich nicht nur der gemeinsamen Zukunft der Europastadt und ihrer glanzvollen Vergangenheit als Handelsmetropole. Es sind auch Projekte, die sich der durch Krieg und Vertreibung geprägten schmerzhaften Vergangenheit der Doppelstadt
annehmen. Ich bin vor diesem Hintergrund sehr beeindruckt von dem großen Zuspruch, den diese Bewerbung bei unseren Nachbarn und Freunden in Polen und Tschechien ausgelöst hat. Wir haben sehr frühzeitig und nachträglich die Signale erhalten, die deutlich Hilfe zum Ausdruck gebracht haben. Diese Hilfe ist inzwischen in die Tat umgesetzt worden. Ich weiß, dass diese Unterstützung nicht selbstverständlich ist, umso höher ist ihr Wert zu schätzen. Sie zeigt, dass eben Kultur in der Lage ist, die Menschen miteinander zu versöhnen und die europäischen Nachbarn einander näher zu bringen.
Was aber ist es, was Kultur für die europäische Integration leisten kann? Kultur wird vielfach als die Beschreibung von Fertigkeiten und Errungenschaften verstanden, die eine Gesellschaft für sich und ihren Zusammenhalt braucht oder zumindest für sinnvoll und notwendig ansieht, die Fähigkeit des Menschen, sich mit seiner Umwelt in Beziehung zu setzen und gemeinsame Werte zu schaffen, die überliefert und weiterentwickelt werden. Kultur ist etwas Erlerntes und etwas Erlernbares. Kultur ist auch etwas, das übrig bleibt, wenn wir alles Gelernte vergessen haben. Ein solches Kulturverständnis ist notwendig, um die Aufgaben, die wir uns selbst mit der EU-Erweiterung für den europäischen Integrationsprozess aufgegeben haben, lösen zu können. Er trägt aber keine Wegweisung in sich, wie Kultur die Menschen einander näher bringt. Edward Said, der US-amerikanische Orientalist palästinensischer Herkunft, vertritt die These von der „Kultur der Einfühlung“. Wer andere Gesellschaften wirklich verstehen will, Herr Gansel, muss zuallererst lernen, jeden Überlegenheitsanspruch abzulegen.
Frau Ministerin, meine Frage lautet: An welcher Stelle meiner Rede habe ich einen wie auch immer gearteten kulturellen Überlegenheitsanspruch herausgestrichen? Geben Sie mir Recht, dass meine Kritik an der Bewerbung, wie sie läuft, vor allem finanzieller Natur war und ich auf die Aspekte der Steuergeldverwendung abgehoben habe?
Ich gebe Ihnen nicht Recht, weil Sie versucht haben, über das Argument der Finanzierung unsere polnischen Nachbarn zu diskreditieren.
(Martin Dulig, SPD: Lesen Sie Ihre eigenen Programme! – Beifall bei der SPD, der CDU, der Linksfraktion.PDS, der FDP, den GRÜNEN und der Staatsregierung)
Frau Staatsministerin, geben Sie mir Recht, dass Herr Gansel in seinem Redebeitrag die Geschichte von Görlitz einseitig als deutsche Geschichte dargestellt und ihre Einbettung in die europäische Geschichte, die gerade für Görlitz bedeutsam ist, außen vorgelassen hat, was durchaus einem Überlegenheitsanspruch entsprechen könnte?
Herr Prof. Porsch, ich habe dem nichts hinzuzufügen. Wenn Sie wollen, dass ich auf die Frage antworte, antworte ich mit Ja.
Nur wenn wir uns, meine sehr geehrten Damen und Herren, aufbauend auf die zivilisatorischen Errungenschaften, die Europa seit Jahrhunderten miteinander verbunden haben, gleichberechtigt gegenüberstehen und bereit sind, gemeinsam Neues zu schaffen, wird dieser Integrationsprozess mit dem Ziel der Entwicklung einer neuen gemeinsamen europäischen Identität gelingen. Dafür müssen wir viel voneinander wissen; denn Unkenntnis gebiert Angst und Angst folgt oft die Ablehnung. Den kulturellen Dialog zwischen unseren Gesellschaften zu gestalten und zu fördern, ist dabei einer der wertvolls
Die Kulturhauptstadt-Bewerbung Görlitz/Zgorzelec leistet genau einen solchen Beitrag. Deshalb glauben wir an die Stärke und an die Größe der Bewerbung der beiden kleinen Städte Görlitz/Zgorzelec. Deshalb ist diese Bewerbung ein zentrales Projekt der Sächsischen Staatsregierung. Mein Dank gilt allen Fraktionen, die heute noch einmal in sehr aufgeschlossener und engagierter Weise unterstrichen haben, dass sie dieses Projekt ebenso unterstützen.
Weitere Wortmeldungen liegen von den Fraktionen nicht vor. Damit ist die 1. Aktuelle Debatte, beantragt von den Fraktionen der CDU und der SPD, zum Thema „Endspurt in der Bewerbung von Görlitz/Zgorzelec als Kulturhauptstadt Europas 2010“ abgeschlossen.
Als Antragstellerin hat zunächst die Linksfraktion.PDS das Wort. Danach folgen CDU, SPD, NPD, FDP, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Die Debatte ist eröffnet. Frau Dr. Runge, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben dieses Thema bewusst noch einmal auf die Tagesordnung gesetzt, weil das Thema „Preissteigerung ohne Ende“ tatsächlich kein Ende zu nehmen scheint. Steigende Energiekosten heizen die Inflation an. Sie hat längst die Grenze von 2 % in Deutschland überschritten. Die letzten Preissteigerungen für Strom und Gas sind darin noch lange nicht eingepreist. Das für das laufende Jahr prognostizierte Wirtschaftswachstum von 1,5 % wird von dieser Inflation wieder aufgefressen. Energieintensive Unternehmen wie das Hamburger Aluminiumwerk wandern ins Ausland. Die Energiekosten sind längst zum Wettbewerbsnachteil für hier produzierende Unternehmen geworden. Während für Energiekunden und Großabnehmer immer wieder Sonderkonditionen eingeräumt werden, treffen die völlig überhöhten Energiepreise mit aller Wucht die privaten Verbraucherinnen und Verbraucher.
Von Sozialverträglichkeit der Heiz- und Energiekosten für Geringverdiener und ALG-II-Empfänger kann längst keine Rede mehr sein. Endlich schlagen die privaten Kunden und Verbraucherverbände Alarm und klagen. Dabei wünschte ich mir von Sozialministerin Orosz mehr Engagement und Unterstützung für die Verbraucherschutzzentralen, die diese Klagen wesentlich auf den Weg bringen, denen man aber immer wieder die Finanzmittel gekürzt hat. Die Energiekosten in den neuen Bundesländern sind im Durchschnitt immer noch um ein Drittel höher als in den alten Bundesländern. Es ist auch nicht einzusehen, wenn in Sachsen 80 % des Stromes aus der angeblich billigen Braunkohle gewonnen werden und die Menschen hier trotzdem die höchsten Strompreise zu zahlen haben,
dafür aber die Zerstörung der Landschaft und von Dörfern sowie den Verlust von Heimat in Kauf nehmen müssen, wie im Fall Heuersdorf. Auch die hohen Abschreibungskosten für die gebauten Braunkohlenkraftwerke sollten längst vorbei sein.
Ostdeutschland wird im Strombereich vom großen Monopol Vattenfall, im Gasbereich von der Leipziger Verbund
netz AG dominiert. Die im Zuge der Energiewirtschaftsreform entstandenen vier großen Monopole beherrschen den bundesdeutschen Markt insgesamt. Hier haben die verantwortlichen Politiker versagt. Statt mehr Wettbewerb in den Energiesektor zu bringen, ist ein Oligopol entstanden. Das wurde und wird reichlich ausgenutzt, denken wir nur an die Durchleitungsentgelte. Sie liegen um 70 % höher als im EU-Durchschnitt und machen mittlerweile rund 30 % des Kostenanteils in Bezug auf die Endverbraucherpreise aus.
Kurz vor Abgang der rot-grünen Bundesregierung wurde endlich das Energiewirtschaftsrecht – im vergangenen Sommer – novelliert, womit die Regulierungsbehörde des Bundes und die Regulierungsbehörden in den Ländern eingerichtet werden konnten. Ich freue mich, dass auch Sachsen eine solche Regulierungsbehörde im Wirtschaftsministerium eingerichtet hat, um künftig die Netzdurchleitungsentgelte zu prüfen und zu genehmigen, denn Thüringen will bislang auf eine solche Regulierungsbehörde verzichten. Herr Jurk, wir werden Sie in Ihrem Bemühen unterstützen und weiter von der Linkspartei aus Druck machen, dass die Strompreise und Gaspreise in Sachsen auch für private Verbraucher bezahlbar und sozial verträglich werden,
denn sie sind es längst nicht mehr. Sie gaben bekannt, Herr Jurk, dass Sie nur begrenzten Einfluss auf Strompreise nehmen können – das gestehe ich zu –, denn sie seien gezwungen, die nachgewiesene Steigerung für die Großhandelspreise an die Endversorger weiterzugeben. Im Unterschied zu Ihnen genügt das Hessens Wirtschaftsminister eben nicht, und er sagt, es ist überhaupt keine hinreichende Begründung, wenn Sie sagen, die Großhandelspreise seien um so und so viel gestiegen und man müsse das an die Endverbraucherpreise weitergeben. Nachdem aber Hessens Wirtschaftsminister sämtliche Anträge auf Preiserhöhungen abgelehnt hat, ist dieser Warnschuss im Osten verhallt. Hier wünschte ich mir mehr politischen Mut, ein Stoppschild zu setzen und tatsächlich auch die Energieversorger zum Einlenken und Umdenken zu bewegen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sachsen ist Spitze, das wissen wir alle, leider auch bei den Strom- und Gaspreisen. Vor wenigen Tagen konnten wir es wieder schwarz auf weiß nachlesen, dass Leipzig mit knapp 643 Euro auf 3 000 Kilowattstunden bundesweit mit die höchsten Strompreise hat; Dresden ist nicht viel besser. Leider sind trotz der Liberalisierung des Strommarktes die Strompreise gestiegen, weil monopolartige Strukturen auch dort den