Ich bin auch kein Fan der Umsatzsteuererhöhung, aber es gibt leider keinen Ausweg. Hören Sie auf, dagegen zu wettern, und machen Sie konkrete Vorschläge, an welcher Stelle wir einsparen können! Ich glaube, das tut Deutschland insgesamt gut. Wir würden das dann auch gern nach Berlin weiterleiten.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt sicherlich Themen, über die man gar nicht häufig genug sprechen kann. Der Umsatzsteuerbetrug gehört offensichtlich dazu, denn das Thema war bereits im November 2005 Gegenstand einer Debatte. Das ist durchaus verständlich, denn er kostet die Bundesrepublik schließlich Jahr für Jahr zwischen 15 und 20 Milliarden Euro Steuereinnahmen.
Jahr für Jahr heißt aber leider auch: seit vielen Jahren. Es wäre doch viel besser, wenn nicht nur darüber gesprochen, sondern vor allem auch gehandelt würde. Immerhin bringt die Umsatzsteuer den höchsten Ertrag aller Steuerarten in die Staatskasse. Im Jahre 2004 waren es 137,4 Milliarden Euro, das ist fast ein Drittel des Gesamtsteueraufkommens bei einer Summe von 439 Milliarden Euro. Die Umsatzsteuer teilen sich vor allem Bund und Länder. Die Gemeinden werden seit dem Jahre 1998 mit 2,2 % beteiligt als Ausgleich für den Wegfall der Gewerbekapitalsteuer. Das gesamte Land profitiert von den Einnahmen aus dem Verbrauch.
Auch dies ist eigentlich ein Grund anzunehmen, dass die Steuerart, die zu einem Drittel das Gesamtsteueraufkommen bestimmt und ab dem Jahre 2007 unter Bruch von Wahlversprechen noch um weitere 3 % erhöht werden soll, eine effektive, übersichtliche und beherrschbare gesetzliche Regelung zur Grundlage hat, die von vornherein Betrug unmöglich machen sollte. Aber weit gefehlt!
Nun behandelt der Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die großen, richtig kriminellen Straftaten, aber jeder, der sich mit dem deutschen Steuerrecht, der sprichwörtli
chen Bürokratie, deren Abbau vor Wahlen immer von allen versprochen wird, und danach entstehen nach 50 abgeschafften 200 neue Verordnungen, beschäftigen muss, weiß, dass es noch viel, viel zu viel in unserem Land zu tun gibt.
Lassen Sie mich daher kurz zum Umsatzsteuergesetz generell etwas sagen. Bekanntermaßen gibt es den Steuersatz von 16 %, demnächst 19 %, und den ermäßigten Steuersatz von 7 %. Ermäßigte Steuersätze sind meistens das Ergebnis von Lobbyarbeit, irgendwann einmal staatlich verordneten Schwerpunkt- und Förderaufgaben, deren Zeit längst vorbei ist. Die ermäßigten Steuersätze aber sind geblieben, füllen kleinstgedruckt fünf Seiten im Gesetzestext und umfassen 54 Tatbestände mit Positionen und Unterpositionen, gegliedert bis ins Detail. Drei kleine Kostproben zu Produkten, die bevorzugt mit 7 % statt 16 % Umsatzsteuer belegt sind:
Laufende Nummer 35: Milchmischgetränke mit einem Anteil von Milch oder Milcherzeugnissen, wie zum Beispiel Molke, mit mindestens 75 vom Hundert des Fertigerzeugnisses. Wer soll das kontrollieren?
Laufende Nummer 49: Bücher, Zeitungen und andere Erzeugnisse des grafischen Gewerbes mit Ausnahme der Erzeugnisse, für die die Hinweispflicht nach § 4 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften besteht. – Erziehungsarbeit über Steuersätze?
Laufende Nummer 52, versehen mit vier Unterpunkten: Körperersatzstücke, orthopädische Apparate, künstliche Gelenke, Prothesen, Krücken, Gürtel, Bandagen, Herzschrittmacher, Schwerhörigengeräte – Brillen nicht: Hatten die Optiker keine Lobby?
Nun zurück zum großen Betrug, zum kartellmäßig organisierten, und zu den Vorstellungen der Staatsregierung zu seiner Bekämpfung. Da hüpfte mir doch das Herz im Leibe, als ich auf Seite 12 unter Punkt 2a das Wort „Fiscus“ las. „Fiscus“, das Millionengrab.
Es ist sehr schön, dass die Staatsregierung – ich zitiere – „auch heute noch das damit verfolgte Ziel, den Einsatz einer bundesweit einheitlichen Software für das Besteuerungsverfahren in den Ländern, weiterhin für sinnvoll und notwendig hält“.
Nur hat diese immerwährende Wertschätzung nicht dazu geführt, dem Projekt zum Erfolg zu verhelfen. „Fiscus“ heißt jetzt „Konsens“ und droht genauso zu scheitern, allein schon deshalb, weil sich wieder nicht alle Bundesländer – und inzwischen nicht einmal der Bund – beteiligen, wie damals auch. Im Jahre 1999 und in den nachfolgenden Jahren beschäftigten sich die Landesrechnungshö
fe und der Bundesrechnungshof wiederholt mit „Fiscus“, dem Föderalen integrierten standardisierten computerunterstützten Steuersystem. Im Jahre 1999 hatte das auf zehn Jahre angelegte Projekt – begonnen im Jahre 1992 – bereits zwei Jahre Zeitverzug. Es war geplant mit einem Gesamtaufwand für die Bundesrepublik von 1,5 Milliarden DM, für Sachsen immerhin noch 82 Millionen DM.
Die Hauptkritiken der Rechnungshöfe lauteten: fehlender geistiger Vorlauf, keine exakte Kalkulation aller Kostenarten, keine Berücksichtigung des rasanten Alterns von Hard- und Software und der Folgekosten. Die Stellungnahme der Staatsregierung war oberflächlich, wenig konkret, ohne Terminstellung, ohne exakte vertragliche Regelungen und ohne eine tatsächliche Gesamtkostenübersicht. Ein privater Unternehmer wäre bei so viel Versagen Pleite gegangen. Bei Vater Staat kommt nach „Fiscus“ „Konsens“ – einfach grausam.
Da konnten sich nicht einmal die Finanzministerien der Länder und des Bundes auf ein gemeinsames Vorgehen bei einer unbedingt notwendigen bundesweit einheitlichen Software für das Besteuerungsverfahren in den Ländern einigen, und dann soll die Steuergesetzgebung in ganz Europa als Gemeinschaftsrecht ausgestaltet werden. Da geht doch wohl eher das berühmte Kamel durch ein Nadelöhr, als dass diese offensichtlich nicht im eigenen Stall klärbaren Probleme europaweit geregelt werden könnten.
Denn europaweit gibt es – dazu eine kleine Kostprobe von europaweitem Recht – Nullsätze, ermäßigte Sätze zwischen 2,1 % in Frankreich über 5 % in Portugal bis 17 % in Finnland und Normalsätze zwischen 15 % in Luxemburg und 25 % in Schweden. – Das sollte jetzt keine Anregung sein, auf schwedische Verhältnisse zu erhöhen.
Mit Verlaub, Herr Dr. Metz, zu Ihrer Formulierung auf Seite 16: „Vor dem Hintergrund der fortschreitenden Harmonisierung im Bereich der indirekten Steuern innerhalb der Europäischen Union ist die Sächsische Staatsregierung außerdem intensiv um eine Lösung bemüht, die im gesamteuropäischen Interesse liegt“, ist zu sagen: Eine Nummer kleiner geht es wohl nicht?
Der Freistaat Sachsen hatte damals bei „Fiscus“ genauso versagt wie die anderen Bundesländer und der Bund und ist genauso mit schuld an wieder einmal vergeudeten Steuermillionen. Keiner der Regierenden ist bereit – die GRÜNEN waren es in ihrer Regierungszeit offensichtlich auch nicht –, eines der betrugsanfälligsten Steuergesetze so zu ändern, dass die Ursache, nämlich die per Gesetz ermöglichten Missbräuche, beseitigt wird. Warum eigentlich nicht? Warum wird zum Beispiel das amerikanische Modell der Sales and uses taxes nicht auf Europatauglich
keit geprüft, ein System, bei dem es keine Vorsteuern gibt wie bei dem Umsatzsteuergesetz, und damit eben auch keinen Vorsteuerabzug? Denn die Vorsteuererstattung ist doch letzten Endes einerseits inzwischen eine bei Unternehmen benötigte und begehrte Finanzspritze, aber andererseits eben der Ansatz für Ketten- oder Karussellgeschäfte mit einem Betrugsvolumen, wie schon gesagt wurde, in Milliardenhöhe.
Zweitens. Da können die Behörden Prüfer einstellen, mit Hard- und Software aufrüsten, wie sie wollen, sie werden stets nur reagieren können.
Drittens. Wieder einmal versteckt sich die deutsche Finanzverwaltung hinter der EU und wartet ab bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag. Andere Länder wie Belgien oder Griechenland haben das Problem längst geklärt, siehe Debatte in diesem Hohen Hause im November 2005 zum gleichen Thema.
Viertens. Mit der für 2007 angedrohten Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 19 % erhöht sich natürlich auch die Attraktivität der erzielbaren Gewinne aus Betrug.
Mit einem weniger betrugsanfälligen System könnten bereits jetzt die zwischen 15 und 20 Milliarden Euro geschätzten Mittel dem Staatshaushalt zufließen. Damit wäre diese volkswirtschaftlich schädliche Erhöhung, die geplant ist, hinfällig, nicht nötig, und mit dem Geld könnte man Gutes tun.
Sollte die heutige Debatte zu solchen Aktivitäten angeregt haben, dann gebührt den Antragstellern tatsächlich unsere Anerkennung. Jedoch der Worte sind genug gewechselt, nun lasst uns endlich Taten sehen!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Simon, ehrlich gesagt, ich mag Ihren ironischen Humor. Ich weiß nur nicht, ob es bei diesem Thema so glücklich ist, das so exzessiv auszuweiten. Ich persönlich würde mir bei manchen Themen im Petitionsausschuss solch eine Ironie nicht anmaßen, wie Sie sie jetzt vorgetragen haben. Ich glaube, das ist dem Thema auch nicht angemessen.
Ich möchte einen kleinen Vorwurf aufgreifen, den Sie gemacht haben. Das ist das Thema Handeln. Dazu beginne ich mal mit einem Zitat: „Den Umsatzsteuerbetrug werden wir verstärkt bekämpfen. Um das Übel an der Wurzel zu packen, müssen hier alle administrativen Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Dabei werden wir
auch von den im Rahmen der Föderalismuskommission im Bund zugewiesenen Möglichkeiten, die Prüfungsdienste zu koordinieren und die Steuerkriminalität zu bekämpfen, Gebrauch machen. Wir werden darüber hinaus prüfen, inwieweit den zuständigen Verfolgungsbehörden weitere Instrumente an die Hand gegeben werden müssen, um Umsatzsteuerbetrug effektiv aufspüren zu können. Notwendig ist eine Ablösung des geltenden Systems mit Vorsteuerabzugsmöglichkeit für Umsätze zwischen Unternehmern durch das Reverse-ChargeModell, um national und international organisierten Steuerbetrug zu unterbinden. …“ – Zitat aus der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU/CSU und SPD, kürzlich abgeschlossen.
Aber es war auch vorher schon in Arbeit und wir hatten die Diskussion hier. Das Bundesfinanzministerium hatte entsprechende vergleichende Prüfungen in Auftrag gegeben, zum Beispiel bei der Ist-Besteuerung – wir hatten die Diskussion bei dem FDP-Antrag –, dort das Problem der enorm hohen Kosten im Zuge der Zinsverluste und der entsprechenden Kosten, nämlich zirka 50 Millionen Rechnungen täglich gegenprüfen zu müssen. Das wurde geprüft. Es wurde auch dieses ReverseCharge-Modell geprüft. Die Finanzminister haben sich einvernehmlich darauf geeinigt, dass das erst einmal der bessere Weg ist.
Selbst der Deutsche Steuerberaterverband hat festgestellt: „Bis zu einer Änderung des geltenden Systems bedarf es neben der EU-rechtlichen Genehmigung“ – das ist nun einmal so, das kann man leider nicht wegdiskutieren, die EU redet nun einmal mit – „sorgfältiger Abwägung der Vor- und Nachteile und einer Erprobungsphase.“
„Da die Gefahr der Steuerverkürzung wohl in keinem System gänzlich ausgeschlossen werden kann“ – das sagt der Steuerberaterverband, und der muss es ja schließlich wissen –, „ist die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene in jedem Fall notwendig …“
Umsatzsteuerbetrug ist also kein neues Phänomen, aber die Methoden, die Technik und die kriminelle Energie der handelnden Betrüger sind offensichtlich raffinierter und effizienter geworden. Die Betrüger agieren europaweit, und sie agieren auch mit neuen Techniken. Die Zahlen des vermuteten Verlustes sind genannt worden: 17 bis 20 Milliarden Euro. Sie schwanken jährlich, sie schwanken auch von den absoluten Zahlen her.
Herr Bolick hat noch einmal darauf hingewiesen, dass wir, wenn wir die Zahlen des vermuteten Verlustes betrachten, dort auch Blöcke betrachten müssen, nämlich die Themen Insolvenzen und Schwarzarbeit sowie den eigentlichen Vorsteuerbetrug. Wenn man diese einmal nimmt, dann lautet die geschätzte Zahl für Sachsen nicht 400 Millionen, sondern sie bewegt sich irgendwo um die 100 bis 150 Millionen, die durch den eigentlichen Vorsteuerbetrug verursacht werden könnten.
Es besteht also Einigkeit unter den Experten – politisch wie wirtschaftlich –, dass innerhalb des geltenden Steuergesetzes eine Reduzierung der Umsatzsteuerausfälle kaum möglich ist, wenn nicht weitere effektive Maßnahmen, unter anderem zur Betrugsbekämpfung, zur Verfügung stehen. Hierzu das Stichwort „Telefonüberwachung“. Hier gibt es auch bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im AK Finanzen der Bundestagsfraktion die Erkenntnis, dass man dort wahrscheinlich in einen Zielkonflikt zwischen Datenschutz und den Kontrollmechanismen käme. Denn wenn man dieses System von der Anfälligkeit her auf null fahren wollte, dann müsste man wahrscheinlich die „gläserne Firma“ einführen, und dagegen würde mit Sicherheit auch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN etwas haben.