(Beifall bei den GRÜNEN – Demonstrativer Beifall der Abg. Heinz Eggert und Dr. Matthias Rößler, CDU)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Hermenau, Sie haben hier schon einiges vorgebracht, aber auch einiges untergemischt.
Erst einmal möchte ich noch darauf reagieren, dass wir angeblich eine Art der Wirtschaftsförderung betreiben würden. Also, ich kenne mein Finanzamt mittlerweile recht gut und mancher Kollege Abgeordnete genauso. Die Finanzämter schauen schon ordentlich nach und wir haben eine ordentliche Außenprüfung, wir haben eine Betriebsprüfung. Wenn Sie das so sehen – ich zweifle nach wie vor an, dass man irgendeine Schätzung eines Institutes, heruntergerechnet auf Sachsen, nehmen kann, um hier irgendetwas loszutreten.
Die Steuerbehörde ist eine Bund-Länder-Behörde, das wissen Sie. Der Einfluss unsererseits ist nicht hundertprozentig und hier wurde ausgeführt, dass wir in Sachsen Personal abgebaut und damit viel zu wenig Personal hätten. Ich weiß, dass wir im Ländervergleich relativ viel Personal in unseren Finanzverwaltungen haben, und sicherlich gibt es auch Reaktionen vonseiten des Ministeriums.
Wir haben natürlich in bestimmten Bereichen Personal abgebaut, weil dort elektronische Verfahren eingeführt worden sind. Das System ELSTER läuft seit zwei Jahren und muss zum Personalabbau führen; es hat ja auch Geld gekostet.
Zu guter Letzt will ich noch eine Rechnung aufmachen. Wenn Sie einmal in unseren Haushalt hineingeschaut haben – dort stehen knapp sechs Milliarden Euro Ein
nahmen aus Umsatzsteuer drin. Angenommen, die 3 %, die ab 2007 kommen sollen, würden voll umgelegt – was nicht kommt, wozu wir sicherlich auch gleiche Meinungen haben –, dann wären das ungefähr ein Fünftel, also noch einmal 1,2 Milliarden Euro im Landesdurchschnitt. Diese 400 Millionen Euro akzeptieren Sie sicherlich, dass wir sie nie greifen werden – es sind reichlich 100 Millionen Euro –, und diese 100 Millionen Euro sind am Ende im Prinzip rund 2 % von unserer gesamten Einnahme aus der Umsatzsteuer. – Nur damit wir das, was wir hier diskutieren, auch einmal in Relation setzen.
Diese 100 Millionen Euro sind ein Zehntel dieser Erhöhung, dieser 1,2 Milliarden Euro, zu denen Sie hier irgendwie darzulegen versuchen, dass wir nur die Umsatzsteuererhebung effektiver machen brauchten,
und dann würden wir uns die 3 % sparen können, die nächstes Jahr anstehen. Dem ist eben nicht so, es ist ein Zehntel, was hier kommt. Das wollte ich noch einmal rechnerisch darlegen.
Gibt es weitere Redewünsche? – Das scheint nicht der Fall zu sein. – Doch; möchten Sie vor dem Minister sprechen? – Bitte; Herr Pecher, SPD-Fraktion.
Ich mache es kurz. Frau Hermenau, die Jacke, bitte, muss ich mir nicht anziehen; ich versuche eigentlich immer die Schuhe zu tragen, die mir passen, und deswegen habe ich mich gleich fürs Land entschieden. Deswegen gebe ich den Ball an der Stelle mal zurück.
Frau Hermenau, eine Debatte zum Umsatzsteuerbetrug mit Ihrer Großen Anfrage hier und heute hätten wir führen können. Nun seien Sie aber mal ehrlich, die haben wir doch gar nicht geführt. Wir haben eine Debatte zur Mehrwertsteuererhöhung geführt.
Darüber kann man auch sehr kontrovers diskutieren. Das hatten wir ja auch schon bei dem Thema, zu dem sich der Ministerpräsident geäußert hat.
Man sollte die Sachgebiete trennen. Das eine Thema ist der Vorsteuerbetrug. Man kann insoweit sehr wohl über die Leistungsfähigkeit unserer Finanzbehörden diskutieren. Das andere Thema ist die Mehrwertsteuererhöhung.
Worauf will ich hinaus? Sie haben ein unzulässiges Junktim hergestellt und vermitteln der Bevölkerung das Bewusstsein, wir könnten es uns angesichts des gesamt
gesellschaftlichen Kontextes, in dem die Staatsfinanzen in dieser Republik stehen, noch leisten, mit dem einen das andere zu substituieren. Genau das können wir nicht mehr.
Wir brauchen beides. Wir brauchen wahrscheinlich noch viel mehr, um für zukünftige Generationen die Belastungen aus dem Schuldenberg etwas erträglicher zu gestalten. Dass Sie einen anderen Eindruck erwecken, ist mein Vorwurf in Ihre Richtung. Sie stellen es falsch dar.
Herr Kollege Pecher, man kann sich unangenehmen Wahrheiten nicht verschließen. Da helfen auch keine Ausfälle über Landes- und Bundespolitik. Es stellt sich immer wieder eine Frage: Wie ernsthaft haben wir alle unsere Möglichkeiten geprüft, um eine Steuererhöhung, zum Beispiel die der Mehrwertsteuer, zu verhindern? Aufgrund der Antworten auf die Große Anfrage sind wir zu der Schlussfolgerung gekommen, dass man sich nicht genügend angestrengt hat. Herr Metz wird das anders darstellen; da bin ich mir sicher. Sie müssen natürlich Ihre Beamten verteidigen. Das ist Ihr Job.
Aber darum geht es im Moment nicht. Im Gegenteil, Herr Pecher, Sie erwecken den Eindruck, als habe das eine staatliche Handeln mit dem anderen nichts zu tun. So ist es aber nicht. Öffentliche Finanzen sind kommunizierende Röhren: Wenn man an einer Stelle etwas wegnimmt, geht an anderer Stelle etwas hoch. Wenn Sie das nicht verstehen wollen und so tun, als sei es möglich, das eine ohne das andere zu debattieren, verfehlen Sie den Kern der Diskussion.
Ich bleibe dabei: Wenn die Erhöhung der Mehrwertsteuer nicht zur Absenkung der Lohnnebenkosten führte, wäre sie verfehlt. Sie würde nur dazu dienen, die Sozialausgaben der letzten Jahre nachträglich zu finanzieren, um sie genau nicht der nächsten Generation aufzubürden, indem man jetzt beginnt, die Schulden abzutragen, wobei ich glaube, dass es nicht einmal zum Abtragen reichen wird. Man wird nur weniger neue Schulden machen. Das wird alles sein, was in Berlin möglich ist.
Das hat damit zu tun, wie man seit den siebziger Jahren den deutschen Sozialstaat aufgebaut hat. Das wissen Sie. Daran hat die SPD immer mitgewirkt; ob im Bundesrat oder im Bundestag, ist egal. Wenn Sie jetzt das gute Geld aus der Mehrwertsteuererhöhung – um die zusätzliche Mehrwertsteuerbelastung tragen zu können, müssen viele den Euro zweimal umdrehen – wieder in dieses Loch werfen, ohne eine Senkung der Lohnnebenkosten sowie
eine Reform der Renten- und der Krankenversicherung anzupacken, dann wäre dieses Geld verpufft. Das fände ich schade. Deswegen reden wir heute darüber.
Gibt es aus den Fraktionen weitere Redewünsche? – Im Moment nicht. Dann frage ich den Herrn Minister. – Herr Staatsminister Dr. Metz, bitte.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte nicht zu den Themen „Bundespolitik“ oder „Europapolitik“ sprechen, sondern zu den Dingen, die ich hier im Lande zu vertreten habe.
Ich möchte auf Sie eingehen, Frau Simon. Sie sprachen von „Fiscus“ als Millionengrab. Ich will dazu keine Ausführungen machen – über den „Fiscus“ können wir uns im Haushalts- und Finanzausschuss gern intensiver unterhalten –, sondern nur anmerken: Gott sei Dank sind die neuen Bundesländer an diesem Millionengrab nicht beteiligt. Das ist das Positive, was ich zum Einstieg meiner Rede vermerken möchte.
Meine Damen und Herren! Frau Hermenau, Sie haben uns eine lasche Eintreibungspraxis und den Abbau des Fachpersonals vorgeworfen. Das soll das Thema meiner Ausführungen sein. Ich möchte insoweit einiges ins rechte Licht rücken. Sie wiesen schon darauf hin, dass ich mich schützend vor meine Mitarbeiter stellen werde. Das ist wohl selbstverständlich.
Wie Sie alle wissen, hat das Ifo-Institut München den Steuerausfall durch Umsatzsteuerbetrug – dabei reden wir natürlich von sämtlichen Facetten der Möglichkeiten eines Umsatzsteuerbetrugs – im Jahre 2004 auf bundesweit 17 Milliarden Euro geschätzt. Diese Zahl ist, wie jede Schätzung, mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. Es gibt neuere Schätzungen, die andere Zahlen liefern. Aber da wir uns einmal – ich glaube, es war vor drei Monaten – auf 17 Milliarden Euro deutschlandweit verständigt haben, will ich bei diesem Betrag bleiben.
Wenn wir von diesen Zahlen ausgehen, dann muss mangels gesicherter sonstiger Erkenntnisse einfach der für die gesamte Bundesrepublik Deutschland geschätzte Betrag auf die Bevölkerung Sachsens adäquat heruntergebrochen werden. Eine andere Möglichkeit haben wir nicht. Wir sind davon ausgegangen, dass im Freistaat Sachsen nicht mehr und nicht weniger betrogen wird als in anderen deutschen Bundesländern. Nun könnte man sagen, die Sachsen seien ehrlicher, besser, dynamischer. All das könnte man natürlich auch beachten. Wir haben aber alle Länder insoweit gleich behandelt.
Von dem Gesamtbetrag von 17 Milliarden Euro entfallen nach Schätzung des Ifo-Instituts sechs Milliarden Euro auf die Schattenwirtschaft, 5,7 Milliarden Euro auf Steuerausfälle durch Insolvenzen, 2,1 Milliarden Euro auf Karussellgeschäfte, 1,3 Milliarden Euro auf nicht angemeldete Umsatzsteuer, 1,1 Milliarden Euro auf unberech
tigten Vorsteuerabzug und 0,8 Milliarden Euro auf nicht deklarierte Entnahmen aus den Unternehmen. Wenn die Zusammenstellung richtig ist, müsste sich die Zahl 17 Milliarden Euro ergeben.
Ein Großteil davon, nämlich zwölf Milliarden Euro, betrifft die Bereiche Schattenwirtschaft und Insolvenz. Dazu möchte ich einiges sagen.
Für die Schattenwirtschaft – Scheinselbstständigkeit, Schwarzarbeit, illegale Arbeitnehmerüberlassung – ist ausschließlich der Bund mit der Einheit „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ zuständig. Für diese Ermittlungen stehen dem Bund immerhin 7 000 Zöllner zur Verfügung, davon allein 350 im Freistaat Sachsen.
Insolvenzen schlagen beim Umsatzsteuerausfall mit zirka 5,7 Milliarden Euro zu Buche. Die Höhe dieser Ausfälle ist zum einen von der wirtschaftlichen Lage abhängig; Sie kennen die deutschlandweiten Insolvenzzahlen. Zum anderen werden die Ausfälle durch Änderungen des Insolvenzrechtes hervorgerufen. Dieses Problem macht natürlich die Dinge noch komplizierter, das heißt negativer für uns. Bis zum Jahre 1998 hatte der Staat das so genannte Fiskusvorrecht. Bei Insolvenzen waren Steuerforderungen bevorzugt zu befriedigen. Seit 1998, nach der Rechtsänderung, steht der Fiskus hinsichtlich der Befriedigung seiner Steuerforderungen leider erst an letzter Stelle. Deswegen sind wir immer die Gelackmeierten. Alle anderen bedienen sich, zumindest zu gewissen Anteilen, und wir gehen in der Regel leer aus.
Ich will nicht fragen, welche Regierung dieses Gesetz 1998 geändert hat. Das sei dahingestellt, liebe Frau Hermenau. 5,7 Milliarden Euro schlagen aber in ganz Deutschland allein aufgrund der Tatsache, dass das Steuerrecht geändert worden ist, negativ zu Buche. Aber das ist Bundesrecht.
Allein die Erscheinungsformen Schattenwirtschaft und Steuerausfall durch Insolvenzen machen rund zwei Drittel des gesamten Umsatzsteuerausfalls aus. Das kann von der Länderfinanzverwaltung kaum beeinflusst werden.
Es bleiben somit für die Steuerverwaltung aller deutschen Länder im Ergebnis gut fünf Milliarden Euro – das ist eine große Summe Geld –, die wir beeinflussen können. In Bezug auf Sachsen reden wir von einer Größenordnung – sie ist schon des Öfteren genannt worden – von 100 Millionen Euro, die durch die Steuerverwaltung beeinflussbar sind. Es sind nicht, wie zu hören und zu lesen war, 400 Millionen Euro.
Außerdem befinden wir uns – ich will vor dem Plenum gern darauf hinweisen – in einem Spannungsfeld zwischen den Interessen der Wirtschaft und denen des Staates. Die Unternehmer erwarten eine schnelle Vorsteuererstattung, weil die entsprechenden Mittel in die Finanzplanung des Betriebes einfließen; sie sind häufig fest eingeplant. Auf der anderen Seite steht natürlich der staatliche Anspruch auf intensive Prüfung der Umsatzsteuervoranmeldungen. Beides ist nicht immer miteinander vereinbar.
An dieser Stelle möchte ich daran erinnern, dass auch von Ihrer Seite Beschwerden an mich herangetragen werden, dass Vorsteuererstattungen nicht schnell genug erfolgen. Ich könnte eine ganze Reihe von Fällen nennen. Das mache ich aber nicht. Die Finanzämter brauchen die Zeit für die Überprüfung. Mein Empfinden ist an dieser Stelle ein etwas anderes als das Ihrige, Frau Hermenau.
Meine Damen und Herren! Die hohe kriminelle Energie der Umsatzsteuerbetrüger macht es sehr schwierig, diesen Betrug aufzudecken. Der „Spiegel“ hat in einem Artikel vom 17.10.2005 plakativ dargestellt, dass das jetzige System Betrügereien erst ermögliche. Der systembedingte gigantische Verrechnungsverkehr zwischen Fiskus und Firmen im Rahmen der Umsatzsteueranmeldung und der Vorsteuererstattung böte eine „Lizenz zum Gelddrucken“, wie es der „Spiegel“ nannte. Immerhin handelt es sich um bundesweit jährlich etwa 434 Millionen Zahlungsvorgänge, die in allen Finanzämtern Deutschlands zu überprüfen sind. Die Möglichkeiten, die die Finanzverwaltung in diesem Netz der Zahlungsströme hat, sind daher – auch nach Einschätzung des „Spiegels“; man kann dem wohl keine besondere Verwaltungsnähe unterstellen – natürlich begrenzt. Sie müssen sich da einmal vor Augen halten, dass wir uns in einem Massenverfahren befinden, in dem die sächsischen Finanzämter jährlich etwa 1,5 Millionen Umsatzsteueranmeldungen mit einem Volumen – im letzten Jahr – von 2,6 Milliarden Euro bearbeiten. Damit ist jedem klar, dass nicht jede einzelne Rechnung im Voranmeldeverfahren geprüft wird. Es werden Stichproben durchgeführt, überwiegend im maschinellen Verfahren.