Protokoll der Sitzung vom 15.03.2006

Diese Frage ist in der Landeshauptstadt Dresden bisher völlig unbeantwortet. Sie steht auch für sächsische Kommunen, die vor dieser Verführung stehen. Wo finden Alte ihre Wohnungen, die durch lange Phasen der Arbeitslosigkeit nach 1990 künftig mit sehr kleinen Renten leben müssen? Wo kommen junge Familien mit Kindern unter, die zwar an die Zukunft glauben, wie ihre Kinder zeigen, aber in der Gegenwart wenig Einkommen haben? Was wird aus dem sozialen Frieden einer Stadt, wenn die Viertel ihre Durchmischung verlieren und wenn die soziale Integrationskraft damit verloren geht? Drohen Pariser Zustände? Wo bringen Kommunen ihre ALG-IIEmpfänger unter, wenn jetzt schon – wie in der Landeshauptstadt Dresden – kleine Wohnungen Mangelware sind?

Der schnelle Erlös von heute, der eine Mehrheit in Dresden zu einer Entscheidung bewogen hat, ist mit hohen sozialen Folgekosten erkauft; von steigenden finanziellen Kosten für Wohngeldzahlungen und KdU-Leistungen ganz zu schweigen.

Ebensolche Fragen sind aber auch für die Stadtentwicklung zu stellen. Die kommunalen Wohnungsbestände sind das zentrale Steuerungselement für die Stadtentwicklung und den Stadtumbau.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Die Wohnungsunternehmen sind die originären Partner der Städte. Mit wem soll künftig Stadtentwicklung vorangetrieben werden? Mit wem soll das zentrale Umfeld der Quartiere zielgerichtet verbessert werden? Wie sollen Gewerbeentwicklungen im Zentrum noch steuerbar sein, wenn das kommunale Vermögen nicht mehr existiert?

Werte Kolleginnen und Kollegen, wer sich von Ihnen kommunal engagiert, wer in Stadträten, in Gemeindevertretungen sitzt, der weiß: Stadtentwicklung läuft über Eigentum – über Eigentum an Grundstücken und nicht über den Markt. Das fehlende Vermögen der Kommune, das fehlende Eigentum an Grundstücken lässt sich auch nicht mit Baurecht ausgleichen. Der Preis solcher Verkäufe ist der Verlust an Handlungsfähigkeit. Das ist umso

schwerwiegender angesichts der gravierenden Stadtumbauprobleme, die in allen ostdeutschen Städten und damit auch in den sächsischen Städten auf der Tagesordnung stehen.

Wir haben vor Kurzem über den Stadtumbau Ost diskutiert. Heute müssen wir sagen: Kommunen, die ihre Wohnungsunternehmen veräußern, werden diesen Stadtumbau in den nächsten Jahren besonders teuer bezahlen müssen.

Werte Kolleginnen und Kollegen, der Totalverkauf eines kommunalen Wohnungsunternehmens ist in finanzieller, sozialer und stadtentwicklerischer Hinsicht eine kurzsichtige und unsinnige Entscheidung. Das ist schlechte Politik. Gute, kluge Politik handelt in Verantwortung für die Zukunft. Dazu gehört, dass ein hohes Risiko vermieden wird, insbesondere wenn die Gefahr droht, dass dieses Risiko auf die Schultern der sozial Schwachen abgeladen wird.

Eine gute und kluge Politik trifft auch reversible Entscheidungen; Entscheidungen, die rückgängig gemacht werden können, die umkehrbar sind, wenn sie sich als falsch erweisen. Der Verkauf des kommunalen Wohnungsvermögens ist ein Fehler, der nicht wieder gutzumachen ist.

Ein Zeichen für gute und kluge Politik ist nicht zuletzt auch, dass sie nach Alternativen sucht, dass sie in einer schwierigen Entscheidungssituation abwägt. In der Landeshauptstadt Dresden lagen ganze drei Wochen zwischen der Zurückweisung des Haushaltes durch das Regierungspräsidium und dem Beschluss einer Stadtratsmehrheit über den Totalverkauf. Alternativen wurden nicht einmal ernsthaft gesucht und geprüft, geschweige denn abgewogen. Das war Selbstmord aus Angst vor dem Tod.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Werte Kolleginnen und Kollegen, auch künftig werden wir in den Kommunen nicht ohne Privatisierung auskommen. Unserer Fraktion geht es darum, bei solchen Privatisierungen das Augenmaß zu wahren. Mit Augenmaß meine ich, dass wir einen scharfen Blick auf die Sorgen und Nöte des Teils der Bevölkerung haben müssen, der zu den Verlierern in der Entwicklung zählt und auf staatliche Obacht und Fürsorge angewiesen ist. Zum Augenmaß zählt für mich auch der Weitblick, um mit der Entscheidung, die wir heute treffen, keine Risiken in die Zukunft zu verlagern.

Ich bitte Sie um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der Linksfraktion.PDS)

Das war der Einbringer. Für die CDU-Fraktion spricht Herr Lehmann; bitte schön, Herr Lehmann.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Nur -männer in der CDU: Bandmann, Lehmann, …!)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Gerstenberg, Sie stehen als Dresdner Stadtrat unter einem hohen Leidensdruck. Ich achte das und deswegen werde ich versuchen, die Emotionen aus meinem Vortrag herauszuhalten. Im Übrigen werde ich mich kurz halten.

Gestatten Sie mir trotzdem eine Vorbemerkung. Ich bin seit nunmehr 15 Jahren Stadtrat in Neusalza-Spremberg.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Wo ist das, liegt das in Sachsen?)

Auch in meiner Heimatstadt gab es hitzige Debatten über Kita-Plätze und Schulstrukturen. Aktuell sind wir gerade dabei, eine Brücke zu bauen – nicht über die Elbe, sondern über die Spree. Unsere Brücke wird im Sommer fertig. Eine Posse wie um die Waldschlösschenbrücke konnten und wollten wir uns nicht leisten.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Aber ein Atomkraftwerk?!)

Das kommt noch, das ist Zukunft.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Ha, jetzt haben wir es! – Unruhe – Zurufe)

Wir haben bereits vor sieben Jahren auch wesentliche Teile unseres kommunalen Wohnungsbestandes verkauft. Ich wäre aber niemals auf die Idee gekommen, die Debatten um unsere eigene kommunale Daseinsvorsorge in den Sächsischen Landtag zu tragen. Wir sind in den Stadtrat gewählt worden, um in Verantwortung für die Bürgerschaft nach den bestmöglichen Lösungen zu suchen und anschließend souverän über diese zu entscheiden. Wir nutzen den Spielraum, den uns die sächsische Kommunalordnung einräumt, in aller Verantwortung. Zentralismus hatten wir lange genug. – Soweit die Vorbemerkung.

Nun zum Thema selbst. Auch wenn die Stadt Dresden im vorliegenden Antrag mit keinem Wort erwähnt wird, erscheint der Hintergrund Ihres Antrages klar.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Wenn sogar Sie das gemerkt haben …)

Die Nachricht vom Verkauf der Woba durch die Stadt Dresden hatte schließlich bundesweiten Nachrichtenwert. Aufgeschreckt durch das hohe Maß praktizierter kommunaler Selbstverwaltung,

(Heiterkeit bei der FDP)

sieht sich die Fraktion der Bündnisgrünen nun berufen, diesem liberalen Treiben endlich einen Riegel vorzuschieben.

Aber, meine Damen und Herren, ist es wirklich die Aufgabe des Landtages, sich in die ureigenen Selbstverwaltungsaufgaben der Kommunen einzumischen? Wir meinen: nein.

(Beifall bei der CDU, der Linksfraktion.PDS und der FDP)

Im Abwägungsprozess, der jedem Verkauf kommunalen Eigentums vorausgehen sollte, sind im Wesentlichen drei Aspekte zu beachten; alle drei sind im Antrag der Bündnisgrünen zutreffend erwähnt. Es geht um die positiven Auswirkungen eines solchen Geschäftes auf den Kommunalhaushalt, es geht um die Auswirkungen auf die soziale Wohnraumversorgung und es geht um die Auswirkungen auf die zukünftige Stadtentwicklung. Alle diese Gesichtspunkte müssen sorgfältig gegeneinander abgewogen werden. Aber sie gehören alle drei zweifelsfrei zum Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung.

Die Stadt Dresden hat unter Wahrnehmung ihrer Vertragsfreiheit alles so geregelt, wie es ihr in der konkreten Situation notwendig und vorteilhaft erschien. Gebietskörperschaften mit ähnlichen Problemen sind gut beraten, all diese Aspekte ebenfalls sorgfältig zu prüfen und abzuwägen. Jede Gemeinde kann für sich am besten entscheiden, ob eine teilweise oder vollständige Privatisierung des kommunalen Wohnungsbestandes für sie infrage kommt. Wer könnte besser als die Gemeinde selbst darüber befinden, ob, wie und in welchem Umfang die Vorhaltung sozialen Wohnraumes sinnvoll erscheint? Wer könnte besser als die Gemeinde selbst beurteilen, ob und in welchem Umfang sie zur Realisierung ihrer Stadtumbauziele oder ihrer Zielsetzung in der Stadtentwicklung einen eigenen kommunalen Wohnungsbestand braucht?

Ich bin sicher, dass das Ergebnis eines solchen Abwägungsprozesses im Einzelfall von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich ausfallen wird und dass es deshalb keinen allgemein gültigen Maßstab geben kann.

Herr Lehmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bitte schön, wenn es hilft, nur zu.

Herr Lichdi, bitte.

– Das werden wir an der Antwort erkennen. – Vielen Dank.

Herr Kollege Lehmann, haben Sie sich jemals mit den Aufsichtsbescheiden der Regierungspräsidien zu Haushalten der Gemeinden befasst und haben Sie jemals hineingeschaut, was dort drinsteht, welche Empfehlungen drinstehen? Da steht nämlich meist drin: Privatisierung kürzen usw. usf. Von daher kann ich Ihr Loblied, dem ich ja gerne folgen würde, – –

Bitte etwas genauer Ihre Frage formulieren, Herr Lichdi.

Ich hatte die Frage gestellt, ob Herr Kollege Lehmann jemals in Aufsichtsbescheide der Regierungspräsidien hineingeschaut hat.

Herr Lichdi, danke für Ihre Kurzintervention, obwohl eine solche in der Geschäftsordnung nicht vorgesehen ist. – Wie ich bereits ausführte, bin ich seit 15 Jahren Stadtrat. Ich habe alle Höhen und

Tiefen, die man dabei erleben kann, durchlebt und durchlitten. Sie können mir glauben, dass ich mir das, was uns die rechtsaufsichtlichen Gutachten in das Stammbuch geschrieben haben, durchgelesen habe. Insoweit sind wir am Ende mindestens auf Augenhöhe. Da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.

Die Kommunalaufsicht wird natürlich prüfen müssen, ob die Vermögensveräußerung im Einzelfall rechtmäßig ist. Ich gehe davon aus, dass im Dresdner Fall alles nach Recht und Gesetz abgelaufen ist. Andere Veräußerungsprojekte könnten aus der Sicht der kommunalen Aufsichtsbehörden durchaus anders beurteilt werden.

Aus diesen Gründen ist das Hohe Haus gut beraten, von voreiligen Vorschlägen, Appellen oder Direktiven an die sächsischen Städte und Gemeinden abzusehen. Nicht nur die demokratisch gewählten Stadt- und Gemeinderäte werden es Ihnen danken.

Wir werden deswegen Ihrem Antrag nicht zustimmen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Für die Linksfraktion.PDS ist Herr Fröhlich angekündigt. – Herr Porsch. Auch Sie haben gewechselt.

Wir haben getauscht, aber erst sehr kurzfristig. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man kann jeden Text mindestens auf zweierlei Art lesen; manchmal kommt sehr Unterschiedliches heraus: Man kann ihn buchstabengetreu oder nach dem Geist, der hinter den Buchstaben steckt, lesen. Weil das auf jeden Text zutrifft, trifft es natürlich auch auf diesen Antrag zu.