Protokoll der Sitzung vom 16.03.2006

Leider haben auch Sie sich, Herr Ministerpräsident Milbradt, sofort in den Chor dieser Basta-Sager eingereiht.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Wo ist er denn?)

Ja, wo ist er denn? Ich hoffe, er hört mich trotzdem. – Unmittelbar nach der Einigung mit Ihren Amtskollegen am 6. März haben Sie die Forderung erhoben, über das Gesetzespaket könne nur als Ganzes und nur ohne Änderung abgestimmt werden, ansonsten werde es an den notwendigen Zweidrittelmehrheiten scheitern.

Es ist wie in der Mathematik. Eine notwendige Bedingung ist etwas völlig anderes als eine hinreichende. Natürlich sind notwendige Bedingungen – sprich: die erforderlichen Mehrheiten zu organisieren – einzuhalten. Hinreichend für einen tragfähigen Erfolg des gegenwärtig erzielten Flickenteppichkompromisses ist aber die gegenwärtige Machtkonstellation noch lange nicht. Allein vom SPD-Fraktionsvorsitzenden Struck und vom ehemaligen Bundestagspräsidenten Thierse waren angesichts des auffälligen Murrens in der eigenen Fraktion nachdenklichere Töne zu vernehmen.

Noch nie habe ein Gesetzentwurf den Bundestag so verlassen, wie er hineingekommen sei – so Struck. Im Übrigen sei es auch kein Unglück, wenn die Föderalismusreform dann eben erst im Herbst und nicht, wie ursprünglich vereinbart, schon im Sommer beschlossen werde.

Ähnlich Thierse, der sehr nachdrücklich an die parlamentarische Verantwortung der Bundestagsabgeordneten appellierte, das Gesetzespaket keinesfalls unkritisch abzunicken, sondern für tragfähige Lösungen zu sorgen.

Trotz der deutlichen Aufrufe dieser beiden prominenten SPD-Politiker zu mehr Besonnenheit hat es im Bundestag bereits den ersten handfesten Skandal gegeben, als die von den Oppositionsfraktionen FDP, GRÜNE und Linke im Bildungsausschuss und im Umweltausschuss beantragten speziellen Sachverständigenanhörungen von der Mehrheit kurzerhand wieder einkassiert worden sind.

Jetzt soll es nur noch eine gemeinsame Sammelanhörung von Bundestag und Bundesrat im Rechtsausschuss geben. Damit wird diesem umfangreichsten Gesetzespaket zur Grundgesetzänderung seit Jahrzehnten im Prinzip nicht viel mehr Zeit gewidmet als jedem noch so kleinen Fachgesetz, was einiges über die tatsächliche Offenheit des Ergebnisses aussagt.

Nun sitzen wir hier im Sächsischen Landtag und nicht im Bundestag oder Bundesrat. Gleichwohl wird die geplante Bundesstaatsreform gravierende Auswirkungen auf den Freistaat Sachsen haben – im Positiven wie im Negativen. Es ist deshalb angezeigt, dass der Ministerpräsident von seinem jederzeitigen Recht Gebrauch macht, eine Regierungserklärung zum Thema abzugeben. Wir fordern diese

Regierungserklärung mit unserem heutigen Antrag ganz bewusst und ganz ausdrücklich nicht irgendwann, nachdem alles andere unabänderlich beschlossen worden ist, sondern hier und heute. Das Grundgesetz ändert man schließlich nicht aller paar Monate.

Dabei ist sich die Linksfraktion sehr wohl der Tatsache bewusst, dass mit dem jetzt im Bundestag und Bundesrat vorliegenden politischen Kompromiss ein sehr fragiles und amorphes Produkt vorliegt; denn es ist ein Kompromiss in vielfältiger Hinsicht: Es ist ein Kompromiss zwischen der Ländergesamtheit und dem Bund, zwischen starken und schwachen Bundesländern, zwischen alten und neuen Bundesländern und es ist ein Kompromiss zwischen CDU/CSU auf der einen Seite und der SPD auf der anderen Seite. Die kleineren Parteien sind leider unter die Räder gekommen. Ich möchte für die PDS – damals hießen wir noch so – ganz klar bemängeln, dass wir zwar im Lübecker Konvent aktiv mitgearbeitet haben, dann aber ausgebootet worden sind. Wir waren aufgrund der Mehrheitsverhältnisse ab einem gewissen Zeitpunkt bedauerlicherweise nicht mehr gefragt.

(Unruhe bei der SPD und den GRÜNEN)

Ganz unstreitig handelt es sich bei dem Kompromiss um ein Problemfeld der politischen Willensbildung, das sehr wohl diesen Landtag angeht und das nicht nur die Exekutive zu interessieren hat, sondern sehr wohl auch die Legislative. Dies ist umso mehr der Fall, als schon in den Verhandlungen der Bundesstaatskommission die Vertreter der Landtage, wie übrigens auch die der kommunalen Spitzenverbände, buchstäblich am „Katzentisch“ gesessen haben. Erst recht waren sie bei der Aushandlung des jetzt von mir beschriebenen Kompromisspaketes außen vor.

Deshalb ergeht nunmehr zum letzten Mal meine höfliche Aufforderung an den Herrn Ministerpräsidenten, die besagte Regierungserklärung abzugeben und damit den sehr spezifischen sächsischen Verhandlungsbeitrag zur Kompromissfindung hier im Landtag darzustellen.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Er sollte sich dabei ein Beispiel am Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit nehmen, der unlängst im Berliner Abgeordnetenhaus für sein Bundesland Ähnliches getan hat. Diese Forderung, denke ich, ist kein Zeichen von Renitenz, sondern eine höchst zeitgemäße Forderung.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Für die CDUFraktion spricht der Abg. Schiemann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist mir unverständlich, wie es zu solch einem Antrag kommen kann. Zu Beginn der Legislaturperiode haben sich die Fraktionen des Sächsischen Landtages auf eine Geschäftsordnung der 4. Wahlperiode geeinigt. Gerade nicht

geregelt wurde, dass der Sächsische Landtag den Ministerpräsidenten des Freistaates Sachsen oder ein Mitglied der Staatsregierung zur Abgabe einer Regierungserklärung zwingen kann.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Wir zwingen niemanden!)

Wann der Ministerpräsident eine Regierungserklärung abgibt, liegt allein in seinem Ermessen. Das ist auch gut so. Es ist auch nicht notwendig, den Mitgliedern des Landtages das Recht auf Erzwingung einer Regierungserklärung einzuräumen. Der Landtag hat genügend Instrumente in der Hand, um Informationen von der Staatsregierung zu erhalten. Hier im Hohen Hause muss ich dies wohl nicht erst aufzählen.

Wenn es der PDS-Fraktion wirklich um das Thema der Föderalismusreform und ihrer Auswirkungen auf den Freistaat Sachsen gegangen wäre, hätte sie beispielsweise einen Berichtsantrag zum Thema Föderalismusreform gestellt und darin für Sachsen entscheidende Fragen aufwerfen können. Können kann man.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Der Antrag auf Beschluss des Landtages zur Abgabe einer Regierungserklärung des Ministerpräsidenten erscheint mir doch etwas konstruiert, umständlich und damit populistisch. Deshalb lehnen wir als CDU-Fraktion diesen Antrag ab.

Dennoch erinnere ich mich gern an die Zeit, in der wir auch an den Ergebnissen der Föderalismuskommission, die es in den neunziger Jahren gegeben hat, mitgewirkt haben. Wir haben daran teilgehabt. Das ist ein Hinweis darauf, dass die föderale Struktur davon gelebt hat, dass auch die Länderparlamente sehr stark an den Veränderungen, die in der Föderalismuskommission beschlossen wurden, beteiligt waren. Wir hatten dazu am 22. Mai 1996 eine sehr umfangreiche Debatte geführt.

(Dr. Michael Friedrich, Linksfraktion.PDS: Das ist schon ein Weilchen her! – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Zehn Jahre!)

Das ist schon eine Weile her, aber ich glaube, dass wir – jeder auf seine Art und Weise – durchaus Gelegenheit haben werden, in den nächsten Wochen und Monaten nochmals zu dem vorgelegten Entwurf zur Änderung des Grundgesetzes Stellung zu nehmen.

Mein Vorredner wies bereits darauf hin, dass am 10. März im Deutschen Bundestag die erste Beratung dazu abgehalten wurde.

Wichtig bleibt für die CDU-Fraktion, dass die Ziele und Wünsche, die dem Grundgesetz 1948 und 1949 in die Wiege gelegt wurden, nicht technokratisch ausgehebelt werden dürfen. Die Würde des Grundgesetzes darf letztendlich auch von den nachfolgenden Generationen nicht

verwässert bzw. bis zur Unkenntlichkeit verändert werden.

Ich möchte zum Thema Föderalismusreform sagen, dass die Reform grundsätzlich wichtig ist. Ob alles richtig ist, wird die Zeit zeigen.

Diese Reform wird von breiten Teilen der Bevölkerung gefordert. Die sächsischen Bürgerinnen und Bürger erhoffen sich von dieser Reform wichtige Signale in Richtung der Modernisierung Deutschlands. Sie erhoffen sich aber auch mehr Handlungsfähigkeit von Bund und Ländern. Die Frage wäre, einmal darzulegen, wo der Bund nicht handlungsfähig war und wo die Länder nicht handlungsfähig waren. Ich habe bisher noch nicht so überzeugend erkennen können, wo die Blockaden in den letzten Jahren lagen. Gab es die Blockaden nicht nur aus politischen Gründen? Die Bürger hoffen natürlich auch, dass die Grundlage für schnellere politische Entscheidungen in wichtigen Bereichen der Gesellschaft gelegt wird.

Die Föderalismusreform soll aus Sicht der Bürger zu Transparenz, zu politischen Entscheidungen und zur Verteilung von Verantwortung führen. Verteilung von Verantwortung klingt sehr gut. Aber ich weiß nicht, ob man die Verantwortung durch eine Grundgesetzänderung so zielgerichtet verteilen kann.

Die Reform soll Freiräume für die Länder und natürlich auch für den Bund bringen. Das sollte man nicht vergessen. Ich weiß nicht, wohin sich die Waage neigen wird, wenn man die Freiräume letztendlich wichten muss.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bürger hoffen aber auch auf verantwortungsvolles Umgehen des Staates mit den Rechten der Bürger. Das Ergebnis der Reform darf nicht nur eine reine Kürzungspolitik sein. Zwar ist der Wettbewerb zwischen den Ländern notwendig, denn ohne Motivation gibt es keine Erfolge, jedoch müssen die ärmeren Länder – und der Freistaat Sachsen gehört im Kanon der Wettbewerbsländer zu den ärmeren – von vornherein auch eine Chance haben, überhaupt am Wettbewerb teilnehmen zu können. Genau hier liegen die Ursachen für die Ängste der Bürger und für die begründeten Fragen der Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Deshalb überrascht es nicht, dass zum jetzigen Zeitpunkt eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag gerade nicht vorliegt.

Die Bürger Deutschlands wollen bei dieser wichtigen Reform mitgenommen und über die Ziele und Inhalte aufgeklärt werden. Es darf dazu keine Diskussion im stillen Kämmerlein stattfinden. Dieses Mitnehmen ist, so glaube ich, das Wichtigste, was wir dem Wähler schuldig sind. Das betrifft natürlich besonders die Abgeordneten des Deutschen Bundestages.

Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages wollen über den Änderungsbedarf diskutieren und ihrer gesetzgeberischen Verantwortung gerecht werden. Das Grundgesetz verdient auch eine solide Befassung mit Veränderungen. Die gerade auch durch Abgeordnete des Bundestages angeschobene öffentliche Diskussion über bestimm

te Inhalte wie Gesetzgebungskompetenz der Länder zum Strafvollzug, zum Umweltrecht, aber auch zur Beamtenbesoldung zeigt, dass die Abgeordneten ihre Aufgabe ernst nehmen. Das lässt uns hoffen, dass die parlamentarische Debatte im Deutschen Bundestag mit dem Abschluss einer gelungenen Reform enden kann. Diese Hoffnung sollte man nicht aufgeben.

Ich hoffe aber auch, dass bei der Reform nicht solche Fehler gemacht werden, wie es bei der Hartz-IV-Reform der Fall war.

Die parlamentarische Debatte wird dazu führen, dass die Bürger mitgenommen werden und die Reform akzeptiert wird. Voraussetzung dafür ist aber auch, dass das Gesetzgebungsverfahren zwar in Gang gebracht wurde, aber noch nicht jeder Punkt feststeht. Es müssen immer noch Änderungen möglich sein. Beide Fraktionsvorsitzenden der großen, die Regierung tragenden Parteien im Bundestag haben diese Meinung geäußert, natürlich auch alle anderen Vertreter der im Bundestag vertretenen Fraktionen.

Grundlage für die abschließende Entscheidung muss die im Bundestag vorgesehene Anhörung sein.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich danke Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit. Wir sollten gemeinsam die Diskussion im Deutschen Bundestag beobachten.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Für die SPDFraktion spricht Herr Dulig.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gegenstand der heutigen Debatte ist nicht das Für und Wider einer zukünftigen Föderalismusreform, sondern einzig die Frage, ob es zum gegenwärtigen Zeitpunkt sinnvoll ist, eine Regierungserklärung des Ministerpräsidenten zu einem nicht abgeschlossenen Reformprozess zu fordern. Diese Frage wird von meiner Fraktion mit einem klaren Nein beantwortet.

Sicherlich kann man sich die Frage stellen, ob und mit welchen Zielsetzungen eine Reform der bundesstaatlichen Ordnung sinnvollerweise zu verfolgen ist und welches die richtigen Reformvorschläge sind.

Herr Dulig, es gibt das Begehren einer Zwischenfrage. Gestatten Sie diese?