Protokoll der Sitzung vom 17.03.2006

Im Gegenteil zu Ihnen leiden wir demokratischen Parteien nicht unter böswilliger Amnesie

(Alexander Delle, NPD: 1973 gab es keinen Adolf Hitler mehr!)

und wissen wohl, dass unzählige Kinder dem Größenwahn dieses Verbrechers zum Opfer gefallen sind.

Der Antrag ist im Übrigen aus folgenden Gründen abzulehnen:

Zu Punkt 1 des Antrages. Die im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten haben Anspruch auf die in den §§ 11 ff. im SGB V näher beschriebenen Leistungen. Dazu gehören nach § 26 auch die Kinderuntersuchungen. Die versicherten Kinder haben danach bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres Anspruch auf Untersuchungen sowie nach Vollendung des zwölften Lebensjahres auf eine Untersuchung zur Früherkennung von Krankheiten, die ihre körperliche oder geistige Entwicklung in nicht geringfügigem Maße gefährden. Näheres wird in den vom gemeinsamen Bundesausschuss geschlossenen Richtlinien bestimmt. Es gilt das Versichertenprinzip. Leistungen werden dann gewährt, wenn der Versicherungsfall eintritt. Damit ließe sich die zwingende Inanspruchnahme von Leistungen nicht vereinbaren, denn die verpflichtende Wahrnehmung aller Vorsorgeuntersuchungen für Kinder, die im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung angeboten werden, würde in erster Linie eine Maßnahme staatlicher Fürsorge darstellen, die mit staatlichem Zwang durchzusetzen wäre. Es ginge hier gerade nicht um die Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen, etwa im Rahmen eines Anreizsystems.

Zweitens. Bei einer Verpflichtung der Krankenversicherten zur Wahrnehmung von Vorsorgeangeboten für Kinder handelt es sich um einen Grundrechtseingriff. Und zwar widerspricht eine solche Verpflichtung erstens dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz nach § 3 Abs. 1 Grundgesetz. Dieser verbietet, Gleiches willkürlich ungleich zu behandeln.

Zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung bedarf es eines sachlichen Grundes. Von einer Verpflichtung zur Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung wären nur diejenigen Eltern und Kinder betroffen, die der gesetzlichen Krankenversicherung unterliegen. Ein sachlicher Grund, warum eine derartige Verpflichtung nur auf die Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung beschränkt sein soll, lässt der NPDAntrag nicht erkennen.

Die vorgeschlagene Regelung widerspricht zweitens außerdem dem Elternrecht nach § 6 Abs. 2 Grundgesetz. Dabei handelt es sich um ein hohes Rechtsgut. Ein Eingriff ist nur dann verfassungsmäßig, wenn er verhältnismäßig ist. Die Verhältnismäßigkeit ist gegeben, wenn das Mittel geeignet, erforderlich und angemessen ist. Das ist in diesem Fall zu verneinen. Das Mittel ist schon deshalb nicht geeignet, da es keine Gewalt gegen Kinder verhindert. Es wäre, selbst wenn es geeignet wäre, nicht erforderlich, weil es mildere Mittel gibt.

Punkt 2 Ihres Antrages verlangt, jedes unentschuldigte Fernbleiben von Kindern von der Betreuung bzw. dem Unterricht an das Jugendamt zu melden, damit dieses zur Abklärung der Ursachen tätig werden kann. Dies ist aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit abzulehnen. Auch das

Jugendamt kann nur dann in die Grundrechte der Eltern eingreifen, wenn das Mittel geeignet, erforderlich und angemessen ist. Auch in diesem Fall ist das zu verneinen. Das Mittel ist schon deshalb unverhältnismäßig, weil es Eltern unter einen Generalverdacht stellt und sich alle Eltern, die kleine Kinder haben, einer generellen Überwachung durch das Jugendamt ausgesetzt sähen. Willkommen im NPD-Polizei-Staat, meine Herren und die Dame! Beim nächsten Mal schlagen Sie doch verfassungsmäßige Maßnahmen vor!

Der Antrag ist deshalb abzulehnen.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Das war die erste Runde der Fraktionen. Mir ist angezeigt worden, dass eine zweite Runde folgen soll. Der Einreicher kann beginnen. Herr Dr. Müller, bitte.

(Dr. Johannes Müller, NPD: Ich bringe das Schlusswort!)

Das Schlusswort dann nur. Gut.

Dann frage ich jetzt die anderen Fraktionen. – Nein, kein Redebedarf. Dann, bitte, die Staatsregierung, Frau Orosz.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Grundsätzlich liegen bekannterweise Erziehung, Bildung, Förderung und Schutz der Kinder in der Verantwortung der Eltern. Dazu haben die Eltern nicht nur das Recht, sondern dazu sind sie auch verpflichtet. Sie haben die Pflicht, ihren Kindern ein gesundes Aufwachsen zu ermöglichen, sie zu stärken und zu schützen. Dieses Recht, meine Damen und Herren, und diese Pflicht, werden, wie wir wissen, zunehmend weniger als die schönste Lebensaufgabe erkannt. Immer mehr Eltern können dieser Aufgabe – aus welchen Gründen auch immer – nicht oder nur eingeschränkt nachkommen. An dieser Stelle muss der Staat seine Wächterfunktion wahrnehmen. Furchtbare Beispiele, in denen Eltern versagen, stellen in der Tat eine Herausforderung für uns, für die gesamte Gesellschaft dar. Solche Vorfälle haben wiederholt auch den Ruf nach mehr staatlicher Kontrolle und Intervention verstärkt.

Der uns vorliegende Antrag sieht die Lösung des Problems in der Pflichtvorsorgeuntersuchung. Diese soll benutzt werden, um Anzeichen von Vernachlässigung, Misshandlung und sexueller Gewalt gegenüber Kindern möglichst frühzeitig zu erkennen und die Kinder zu schützen.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang kurz zur Kenntnis geben, wie die freiwilligen Früherkennungsuntersuchungen der gesetzlichen Krankenversicherungen bereits in Sachsen genutzt werden. Neun von zehn Eltern nehmen im ersten Lebensjahr ihres Kindes die Untersuchung bereits wahr. In den folgenden Jahren sind es im Durchschnitt acht von zehn.

Zusätzlich zu diesen freiwilligen Untersuchungen besteht der Freistaat Sachsen auf weitere Pflichtuntersuchungen. Dazu gehört die Schuleingangsuntersuchung, die im letzten Jahr zu 99,9 % benutzt wurde. Zu weiteren zwei Reihenuntersuchungen während der Schulzeit haben wir ähnliche Zahlen. Im vierten Lebensjahr gibt es seit zwei Jahren ein zusätzliches Angebot, das auf Freiwilligkeit beruht. Auch hier gibt es eine hohe Inanspruchnahme. Die von mir genannten Teilnahmequoten sind, im bundesweiten Vergleich gesehen, sehr gut.

Andererseits, meine Damen und Herren, darf ich darauf hinweisen, dass Vorfälle von sexueller Gewalt an Kindern gerade in den Lebensaltern nach den Früherkennungsuntersuchungen auftreten. Deswegen bin ich der festen Überzeugung, dass wir das angesprochene Problem Gewalt gegen Kinder allein mit Pflichtuntersuchungen nicht werden lösen können. Wir brauchen einen übergreifenden Ansatz auf breiter Basis mit geregelter Zusammenarbeit und klaren Interventionsmöglichkeiten. Wir brauchen ein aktives und konzertiertes Frühwarnsystem, um den Kindern und ihren Familien zu helfen.

Der erste richtige Schritt zu diesem Ziel ist die gefundene Neudefinition des Schutzauftrages des Jugendamtes im § 8 des VIII. Buches Sozialgesetzbuch. Das Jugendamt ist verpflichtet, bei Gefährdung des Kindeswohls einzugreifen. In der Tat, die individuelle Umsetzung ist nicht einfach. Ein Einzelner ist damit meistens überfordert. Der Gesetzgeber hat deswegen die Jugendämter zur Zusammenarbeit verpflichtet, mit anderen Trägern und Einrichtungen die Leistungen der Jugendhilfe zu erbringen.

In diesem Zusammenhang suchen im Moment Bund und Länder nach Wegen – mein Kollege Krauß hat es schon angesprochen –, wie Bürger, Lehrer, Erzieher, Ärzte und das Personal in den Kindertageseinrichtungen, Schulen, Beratungseinrichtungen, Krankenhäusern und Gesundheitsämtern beteiligt werden können. Kooperation, meine Damen und Herren, ist hier das entscheidende Stichwort. Mit der notwendigen Aufmerksamkeit und Sensibilität können wir Gefährdungen des Kindeswohls rechtzeitig begegnen. Zur Kooperation kommen Aus- und Fortbildung, Sensibilisierung, Beratung und Aufklärung. Aus diesen Instrumenten besteht ein wirksames Frühwarnsystem, eines, das wirksamer ist als die einzelne Maßnahme, wie sie der vorliegende Antrag fordert. Aber auch Elternkompetenz ist zu stärken, Familienbildung anzubieten. Auch das wurde schon angesprochen.

Meine Damen und Herren! Jeder Fall, in dem ein Kind ein Opfer von Gewalt und Vernachlässigung wird, ist ein Fall zu viel. Niemand darf mit Kindern machen, was er will. Kinder sind keine Objekte, Kinder sind eigene Persönlichkeiten. Wir als Erwachsene dürfen sie begleiten und wir müssen sie schützen. Kinder sind das Wertvollste unserer Gesellschaft.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU, der Linksfraktion.PDS, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Danke schön. Besteht weiterer Aussprachebedarf? – Nein. Das Schlusswort hat Herr Dr. Müller, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Staatsministerin Orosz, ich danke Ihnen, dass Sie wenigstens als Einzige hier bei der Debatte die Angelegenheit sachlich betrachtet haben. Ich gebe Ihnen natürlich Recht, allein mit einer Pflichtvorsorgeuntersuchung ist das Problem nicht lösbar. Aber ich denke, Sie müssen mir auch Recht geben, dass, wenn Sie sagen, dass neun von zehn am Anfang und dann acht von zehn Eltern diese Vorsorgeuntersuchungen freiwillig wahrnehmen, genau dieses eine von zehn oder diese zwei von zehn durch die Lappen gehen, wo auch die Probleme bestehen. Das ist genau dieses Problem, das man aus meiner Sicht bestenfalls mit dem Zur-Pflicht-machen umgehen kann.

Was Herr Krauß bzw. Frau Herrmann hier abgeliefert haben, das ist bei so einem Thema wirklich der Tiefpunkt dessen gewesen, was man in diesem Parlament bisher erleben durfte.

(Beifall bei der NPD)

Frau Herrmann, nehmen Sie doch wenigstens Folgendes zur Kenntnis: Ich bin 36 Jahre alt und nicht 136 – also ein Reichskanzler Hitler konnte mir keinen Auftrag geben! Das wäre vielleicht wenigstens die erste Erkenntnis bei Ihnen.

Herr Krauß, mir wäre daran gelegen gewesen, eine fachliche Auseinandersetzung zu haben. Vielleicht wäre es besser gewesen, das hätte die gesundheitspolitische Sprecherin, Frau Nicolaus, übernommen. Vielleicht wäre dann etwas Fachlichkeit möglich gewesen. Bei Ihnen zweifle ich daran. Aber Sie können gerne Nachhilfeunterricht nehmen.

Ich beantrage für meine Fraktion entsprechend § 89 der Geschäftsordnung die Rückverweisung an den Ausschuss für Soziales aus dem Grund, weil von der Koalition mit der Drucksache 4/4657 ein ähnlich lautender Antrag am 16. März eingegangen ist. Unserer war vom 8. Februar. Ich denke, wenn jetzt zwei entsprechende Anträge vorliegen, sollte man sie auch gemeinsam im Ausschuss behandeln. Deshalb bitte ich um Rücküberweisung.

(Beifall bei der NPD)

Meine Damen und Herren! Es ist Rücküberweisung beantragt worden. Widerspricht dem jemand im Hause? – Herr Lehmann, bitte.

Herr Präsident! In der Beratung des Präsidiums wurde der NPD-Fraktion dieser Weg bereits empfohlen. Er wurde damals abgelehnt und ich denke, die heutige Debatte hat keine neuen Gesichtspunkte ergeben. Deshalb werden wir der Rücküberweisung an den Ausschuss nicht zustimmen.

Danke. – Herr Dr. Müller.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte gerade die Daten genannt. Die Präsidiumssitzung fand vor diesem Tag statt, sodass uns nicht zur Kenntnis kommen konnte, dass dieser Antrag von der Koalition kommt. Dadurch ist eine neue Sachlage entstanden. Dies muss, denke ich, auch ein PGF Lehmann zur Kenntnis nehmen.

Es mag ja sein, dass Sie etwas ankündigen. Bisher wurde schon vieles angekündigt, darin muss ich meinem Kollegen Recht geben. Nun liegt ein Antrag vor; es ist eine neue Sachlage entstanden und ich bitte um Rücküberweisung an den Ausschuss. Ich denke, als antragstellende Fraktion hat man das Recht, über seine eigenen Anträge zu entscheiden. – Ich bitte dementsprechend um Zustimmung.

Herr Kollege Dr. Hahn.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn im zuständigen Ausschuss ein entsprechender Antrag der Koalition vorliegt, kann er dort beraten werden. Jede Fraktion, jeder Abgeordnete hat die Möglichkeit, Änderungsanträge zum vorliegenden Antrag zu stellen. Diese können dort sachgemäß behandelt werden und gelangen danach gegebenenfalls ins Plenum.

Daher gibt es keinen Grund zur Rücküberweisung, und wir können auf der Basis des Koalitionsantrages im Ausschuss diskutieren. Insofern bitte ich um Ablehnung des Antrages.

Herr Dr. Müller.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte trotzdem erst einmal um Abstimmung über diese Überweisung. Sollte diese entgegen unserem Begehren abgelehnt werden, bitte ich um namentliche Abstimmung.

Die Geschäftsordnung ließe dies zu, wird mir gesagt. Wir stimmen jetzt also darüber ab, um es noch einmal deutlich zu machen, ob dem Antrag der NPD-Fraktion, diese Drucksache an

den Ausschuss zu überweisen, nachdem sie heute im Plenum war, gefolgt wird.

Wer diesem Antrag die Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Bei keinen Enthaltungen und einer begrenzten Anzahl von Pro-Stimmen ist die überwiegende Mehrheit des Hauses dagegen.

Herr Dr. Müller, formulieren Sie nun noch einmal Ihr Begehren, worüber wir abstimmen wollen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, das ist ganz einfach. Wir möchten natürlich über unseren Antrag abstimmen. Es ist nicht mein Begehren, sondern es ist das Begehren meiner Fraktion, darüber namentlich abzustimmen.

Korrekt. Aber Sie waren der Sprecher Ihrer Fraktion.