Protokoll der Sitzung vom 05.04.2006

(Dr. Martin Gillo, CDU: Richtig!)

Herr Ministerpräsident Milbradt als überzeugter Marktwirtschaftler, der Sie vorgeben zu sein, Sie sollten beim Thema Atomkraft besser schweigen, denn ginge es nach dem Markt, wäre nicht ein einziges Atomkraftwerk auf der Welt jemals ans Netz gegangen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie finden heute weltweit nicht ein einziges Unternehmen, das bereit wäre, ohne mehrfache Rückversicherung des Staates in die Atomkraft zu investieren. Auch der jetzt im Bau befindliche Atommeiler in Finnland, der EPR, wäre ohne staatliche Subventionen nicht zu finanzieren gewesen.

(Dr. Martin Gillo, CDU: Wie ist das mit Windrädern?)

Wollen Sie immer noch keine Zwischenfrage stellen; ich lasse sie gerne zu?

Am 20. Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl sollten wir auch über die angebliche Sicherheit der Atomkraftwerke sprechen. Bis zum April 1986 hieß es allgemein – in Ost wie in West –: Atomkraft ist sicher. Ab Mai 1986 wandelte sich die Argumentation. Da wurde das Hohe Lied von der Überlegenheit westlicher Technologie angestimmt.

Meine Damen und Herren, fast alle Fortschritte der Sicherheitstechnik in der Atomenergie wurden erreicht durch die Anti-AKW-Bewegung, durch zahlreiche Gutachten und Prozesse und durch den Widerstand, der bis heute nicht nachgelassen hat. Darum ist es für uns auch am 20. Jahrestag von Tschernobyl ein Anlass, den engagierten Kritikern der Atomkraft Dank zu sagen.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion.PDS und vereinzelt bei der SPD)

Anlässlich des 20. Jahrestages von Tschernobyl sollte der Sächsische Landtag ein Zeichen setzen und die Nutzungsoption aus seinem Energieprogramm streichen. Sie sollten hier auch die Chance nutzen, einer möglichen Laufzeitverlängerung aus dem Ausstiegskonsens eine deutliche Absage zu erteilen. Jeder Tag, an dem Atomkraftwerke am Netz sind, ist ein hoch riskantes Spiel mit

dem Feuer. Die spezifischen Folgen der Materialermüdung bei der Nutzung der Atomenergie, hervorgerufen durch Strahlenexposition, extreme thermische Belastung, korrosive und erosive Prozesse, lassen sich nicht im Labor erkunden. Man ist auf den Praxistest angewiesen und die Risiken dieses Praxistestes tragen wir alle tagtäglich.

Auch eine Verbesserung der Überwachungstechnik kann nicht verhindern, dass das Risiko eines nuklearen Unfalls mit jedem Tag, den ein AKW länger am Netz bleibt, wächst. Mit dem 11. September 2001 ist offenkundig geworden, Herr Bandmann, dass es einen ausreichenden Schutz von Atomreaktoren vor terroristischen Angriffen nicht gibt und wohl auch nicht geben kann.

Schon allein aus diesem Grund ist eine Verlängerung der Laufzeiten absolut unverantwortlich.

(Beifall des Abg. Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)

Es ist doch klar: Die Debatte, die gerade von der CDU auf Bundesebene vom Zaun gebrochen wurde, in der es um die Verlängerung der Laufzeiten geht – wohlgemerkt eine Verlängerung der Laufzeiten durch Übertragung von Reststrommengen von neuen auf alte AKWs, nicht umgekehrt –, ist doch nur das Vorspiel zu der Debatte um den Neubau von Atomkraftwerken.

Nehmen Sie zur Kenntnis, dass 70 % der Bevölkerung für den Ausstieg aus dieser Risikotechnologie sind.

Meine Damen und Herren! 20 Jahre nach Tschernobyl – das sollte uns auch daran erinnern, dass der Brennstoff für die Reaktoren in der ehemaligen UdSSR zu einem Großteil in Sachsen gewonnen wurde. Es hat die deutschen Steuerzahler Milliarden gekostet, die Hinterlassenschaften des Uranbergbaus in Sachsen zu beseitigen, und wir sind immer noch dran. Meine Damen und Herren, wie glauben Sie eigentlich läuft der Uranbergbau in Ländern wie Namibia, Brasilien oder Nigeria ab? Haben Sie etwa die Hoffnung, dass dort das Uran umweltfreundlicher gewonnen wird als hier im Erzgebirge bis 1990? Wer für die Atomkraft streitet, der sollte auch benennen, woher und unter welchen Bedingungen er das Uran gewinnt.

Lassen Sie mich zum Abschluss, auch wenn es Ihnen nicht gefällt, auf ein gleichsam populäres wie schlechtes Argument eingehen. Es lautet: Die vermehrte Nutzung der Atomenergie sei ein probates Mittel im Kampf gegen die drohenden Folgen des Klimawandels. Meine Damen und Herren, Atomenergie als Antwort auf den Klimawandel ist eine reine Milchmädchenrechnung. Nur 2,5 % der weltweit genutzten Energie und nur 17 % des Stromes kommen aus den weltweit 441 Atommeilern, die in 31 Ländern stehen. Wollte man ihren Anteil auf 5 % am Energieverbrauch bis zum Jahr 2020 ausbauen, dann müssten bis dahin in jedem Jahr 50 neue Reaktoren ans Netz gehen, Woche für Woche einer. Selbst dieser Ausbau erbrächte keinen nennenswerten Beitrag zum Klimaschutz, denn 95 % der Energieerzeugung blieben unangetastet. Wir müssen auf andere Weise unsere CO2

Emissionen global bis zum Jahr 2050 um 80 % reduzieren. Die Atomenergie kann dazu keinen nennenswerten Beitrag leisten.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Bei einer Verdoppelung der atomaren Kraftwerkskapazitäten wären sehr schnell die Uranvorräte erschöpft. Die neue Greenpeace-Studie sagt aus, dass es im Jahr 2020 vorbei ist. Dann hätten wir schon alles Atomwaffenmaterial wieder aufgearbeitet und wären wieder in die Schnelle-Brüter-Technologie eingestiegen. Das müssen Sie den Leuten auch sagen.

28 Atomkraftwerke sind derzeit weltweit im Bau und in der Planung. Es ist kein Zufall, dass vorrangig Länder auf den Ausbau setzen, die über Kernwaffen verfügen oder dieses Ziel anstreben. Gebaut und geplant werden Reaktoren in China, Indien, Iran, Pakistan und Russland.

(Heinz Lehmann, CDU: Finnland, Frankreich!)

Zu Finnland komme ich noch.

Es ist doch alles andere als ein Zufall, dass Atomkraftwerke weltweit in pluralen Gesellschaften, nur in Ausnahmefällen in Finnland und Japan, Herr Lehmann, in Finnland und Japan – ich habe gesagt warum – –

(Heinz Lehmann, CDU: Und Frankreich!)

Ach, vergessen Sie es!

Demokratische Systeme mit einer funktionierenden Öffentlichkeit und die Nutzung der Atomenergie – das passt schlicht nicht zusammen, Herr Lehmann.

Meine Damen und Herren! 50 Jahre nach dem Start der Atomindustrie ist weltweit nicht eine einzige Endlagerstätte für atomare Abfälle in Betrieb gegangen. Schon allein dies zeigt, dass Atomenergie jede Menge Probleme schafft, aber nicht ein einziges löst. Deshalb ist es Zeit auszusteigen, und zwar schneller, als es 2000 vereinbart wurde. Die entsprechende Passage des sächsischen Energieprogramms sollte sicher endgelagert werden.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion.PDS und des Abg. Karl Nolle, SPD)

Der mehrfach zitierte Herr Lehmann kann sofort reagieren. Herr Lehmann, CDU-Fraktion, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Lichdi, Sie haben wie immer schwach angefangen und anschließend stark nachgelassen, aber trotzdem bin ich Ihnen dankbar für die unverhoffte Beförderung. Ich wusste bis heute von meinem Glück noch nichts.

(Beifall bei der CDU)

Die GRÜNEN sind in der Tat nicht zu beneiden. Im Landtag werden ihre Themen erst zu abendlicher Stunde

diskutiert, im Bundestag sitzen sie nun nach dem Ende der rot-grünen Koalition auf dem Oppositionsbänkchen und in Rheinland-Pfalz und in Sachsen-Anhalt haben sie es gar nicht erst in den Landtag geschafft. Nach Ihrer Rede, Herr Lichdi, ist auch nachzuvollziehen, warum das so ist. Der Lack ist irgendwie ab. Dabei hatten die GRÜNEN in ihren Gründungsjahren durchaus innovatives Potenzial.

(Widerspruch des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Ich will Ihnen Ihre Verdienste bei der umweltpolitischen Bewusstseinsbildung der Deutschen nicht absprechen. Das ist aber ziemlich lange her. Inzwischen gehört die Umweltkompetenz zum Handwerkszeug fast aller etablierten politischen Parteien. Ihren kategorischen Pazifismus hatten Sie bereits auf dem Altar der rot-grünen Machtallianz geopfert.

(Beifall des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Ihre Alleinstellungsmerkmale sind eigentlich weg, Herr Lichdi. Aus die Maus. Nein, eines ist noch übrig: Ihre Nuklearphobie. Das heißt zu Deutsch so viel wie Ablehnung der Atomkraftnutzung für friedliche Zwecke. In dieser Frage verstehen Sie keinen Spaß. Hier ist Ihnen nach wie vor jedes Mittel recht. Nur interessiert es die Menschen nicht mehr so richtig.

(Dr. Monika Runge, Linksfraktion.PDS: Ha, ha, ha!)

Die GRÜNEN sind in der Frage der friedlichen Nutzung der Atomenergie vor 30 Jahren stehen geblieben. Das Leben, meine Damen und Herren, ist aber weitergegangen.

(Widerspruch des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Herr Porsch, Ihre Zwischenrufe waren auch schon origineller. Sie lassen nach. Sie lassen stark nach.

Die ideologischen Glaubenskriege der letzten Jahrzehnte des vergangenen Jahrhunderts sind dabei, einer neuen Sachlichkeit zu weichen. Das ist gut. Der erste nationale Energiegipfel am Montag ist dafür ein deutlicher Beleg. Sie wissen, 14 Tage vorher hat sich bereits die Europäische Union auf oberster Ebene mit diesem Thema befasst. Das ist wichtig, weil auch in der Energiepolitik gilt: Wer zu spät kommt, den bestraft der Wettbewerb. Die GRÜNEN sind außen vor und das ist gut so. Da kommt Ihnen der 20. Jahrestag der Tschernobyl-Katastrophe gerade recht. Er scheint Ihnen geeignet, noch einmal das alte Spiel zu spielen, noch einmal Politik zu machen mit den Ängsten der Bürger. Zum Glück gelingt Ihnen auch das nicht mehr richtig. Die Menschen vertrauen ihren eigenen Erfahrungen mehr als den angestaubten Handlungsempfehlungen der GRÜNEN.

Die Russen, es waren damals eigentlich noch die Sowjetbürger, wollten die Fähigkeiten ihres älteren Autos mit

Namen „Jadernaja energija“, das heißt so viel wie: Kernenergie im dichten Autoverkehr, testen. Der Fahrzeugführer hat so riskante Lenkbewegungen gemacht, dass das Auto ausbrach und trotz beachtlicher Fahrkunst nicht mehr kontrolliert werden konnte. Er hat einen schlimmen Unfall verursacht, durch den sehr viele Menschen zu Schaden gekommen sind. Das ist im höchsten Maße bedauerlich. Die GRÜNEN haben nach dem Unfall verlangt, alle Autos stillzulegen und stattdessen wieder die Dampflok und das Fahrrad hervorzuholen. Die Menschen, vor allen Dingen die Ingenieure, haben sich geweigert, das „grüne Brett“ an seiner dünnsten Stelle zu bohren. Sie haben sich angestrengt, um die Fahrzeugeigenschaften so zu verbessern, dass nun ein Ausbrechen höchst unwahrscheinlich geworden ist.

(Karl Nolle, SPD: Das ist sehr peinlich, was Sie sagen!)

Dazu haben sie sich noch auf verbindliche Betriebs-

(Karl Nolle, SPD: Sehr peinlich!)

und Inspektionskriterien verständigt. Genau aus diesem Grund hat sich in den vergangenen beiden Dekaden eine Katastrophe der Qualität Tschernobyls nicht mehr ereignet, trotz weltweit gestiegener Atomstromproduktion. Sie haben gesehen, der Praxistest wurde bestanden. Deutsche Ingenieure, meine Damen und Herren, haben an dieser positiven Entwicklung einen beträchtlichen Anteil. Deutschland war immer stark, wenn es auf Innovation gesetzt hat, und immer schwach, wenn es mit wie auch immer gefärbten Ideologen beschäftigt war. Das gilt auch und besonders am 20. Jahrestag der TschernobylKatastrophe.