Protokoll der Sitzung vom 05.04.2006

– Nein, erst höre ich mal, was Herr Prof. Weiss dazu beiträgt.

Herr Prof. Weiss, bitte.

Ich darf fragen?

Bitte.

Herr Kollege Bartl, ich wollte Sie fragen: Kennen Sie das alte ostpreußische Sprichwort „Für das Gewesene gibt der Geldverleiher nichts“? Warum reden wir jetzt so lange über die Vergangenheit?

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Hat Frau Weihnert gemacht!)

Ich habe nur vorhin mit einiger Verwunderung gesehen, wie hier eine partielle Amnesie einsetzt, wie denn das Gesetz, das jetzt aufgehoben und per Rückwärtssalto wieder abgewickelt wird, vorher in dem Haus zustande kam, als wir händeringend darum baten, gar nicht erst den verfassungswidrigen Fehler zu machen, sich daran hier überhaupt niemand entsann. Heute hat Herr Bandmann im tiefsten Brustton der Überzeugung, dass er schon immer Demokrat ist, so getan, als ob ihm das stets so zugefallen war. Sie waren doch damals der Haupteinpeitscher für die OK-Nummer.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und Zuruf von der Linksfraktion.PDS: Richtig!)

Herr Bartl, es gibt noch eine Zwischenfrage. – Herr Lichdi, bitte.

Herr Kollege Bartl, nehmen Sie zur Kenntnis, dass wir ausdrücklich anerkennen, ich im Namen meiner Fraktion, dass es die Linksfraktion.PDS – oder damals wahrscheinlich noch PDS-Fraktion – war, die das Klageverfahren eingeleitet hat? Wir würdigen das ausdrücklich.

(Zuruf von der NPD: Ist ja gut!)

Wir freuen uns. Nehmen Sie das zur Kenntnis.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Herr Kollege Lichdi, ich bin völlig überzeugt, wenn Sie damals schon im Landtag gewesen wären, hätten Sie es mit uns gemeinsam getan. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel.

(Zuruf des Abg. Heinz Eggert, CDU)

Wie Sie ja auch auf Bundesebene in den letzten vier Jahren die Rechtsschutzgüter ohne alle Einschränkungen im Bundestag bewahrt haben.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Sie waren gegen alle Schily-Gesetze im Bundestag. Das ist mir bekannt.

Wir haben es zum Verfassungsgerichtshof getragen. Dieser erkannte mit seinem Urteil vom 21. Juli 2005, dass drei Bestimmungen des durch die CDU geänderten Landesverfassungsschutzgesetzes mit der Sächsischen Verfassung unvereinbar sind – „unvereinbar“ ist die heftigste Ohrfeige, die man vom Verfassungsgericht erhalten kann – und zwei weitere Bestimmungen nur dann, wenn die Gesetzesnorm verfassungskonform ausgelegt wird.

Mit seiner Judikatur in dieser Sache und eingeschlossen die Problematik der Anwendungsvoraussetzungen für den so genannten großen Lauschangriff auf geschützte Wohnungen schrieb der Landesverfassungsgerichtshof ein weiteres Mal Verfassungsgeschichte. Dies festzustellen ist keineswegs überhöht.

Zweite Vorbemerkung; dafür wird der Hauptteil kürzer. Dass wir uns heute mit diesen drei Entwürfen befassen müssen, entspringt allerdings einem betrüblichen Umstand, nämlich der Tatsache, dass sich am 16. Januar 1998 in 2. und 3. Lesung der damals 14. Deutsche Bundestag überhaupt bereit gefunden hat, mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit über eine Änderung des Artikels 13 des Grundgesetzes und mit einfacher Mehrheit über die Annahme des so genannten Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität das elektronische Abhören von Wohnungen – landläufig der große Lauschangriff genannt – zuzulassen. Das ist der Skandal!

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Hört, hört!)

Wir tun heute alle so, als ob das schon immer die Normalität des bürgerlichen Lebens in der rechtsstaatlichen Bundesrepublik Deutschland gewesen wäre. Damit war nämlich den Protagonisten in jenen Januar- und Februartagen 1998, die mit immer weitergehenden Ermittlungsmethoden auf Kosten des Abbaus von Rechtsstaatsparametern hantierten, ein ganz maßgeblicher Durchbruch gelungen. Eine Schallmauer wurde geknackt.

Mitte der achtziger Jahre hatte die Jagd auf Artikel 13 Grundgesetz, auf das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung, begonnen. Die CSU fing an. Die CDU schloss sich an. Die FDP und die SPD folgten. Das große Halali blies man dann am 6. Februar 1998 im Bundesrat dem Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung.

(Zuruf des Abg. Heinz Eggert, CDU)

Erzwungen hatten ihn die Kanthers, Schäubles, Schilys, indem immer schlimmere Bilder der angeblichen Bedrohung Deutschlands durch die Organisierte Kriminalität an die Wand gemalt wurden, ohne dass es zu diesem Zeitpunkt – und jetzt sage ich wie mein Kollege Lichdi: auch heute noch nicht – eine verlässliche, belastbare Definition der Organisierten Kriminalität gibt.

(Volker Bandmann, CDU: Lichdi ist gar nicht da!)

Trotz der Tatsache, Herr Bandmann, dass die Kriminalität, die nach der Definition der OK zugerechnet werden kann, im 1-%-Bereich liegt – wenn ich es auf die gewaltbezogene OK beziehe, liegen wir im Promillebereich beim Anteil der allgemeinen Kriminalität –, haben Sie das Ding so weit aufblasen können, ganz geschickt aufblasen können, dass Sie damit das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung geknackt haben.

Das war eine respektable Nummer, das muss ich wirklich sagen.

(Volker Bandmann, CDU: Haben Sie Angst davor, weil die SED vielleicht mit in diesen Bereich hineinfiel?)

Es ist ein bleibendes Verdienst solch liberaler Köpfe dieser Republik wie Burkhard Hirsch und im Besonderen der seinerzeitigen Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die mit ihrer Ablehnung des großen Lauschangriffes nicht nur ihr Ministeramt opferte, sondern auch den Gesetzentwurf nach Karlsruhe trug.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Frau Leutheusser-Schnarrenberger war es, die seinerzeit in einem Aufsatz in der Fachzeitschrift „ZRP“ veröffentlichte – ich zitiere –: „Beim großen Lauschangriff geht es gegenüber dem derzeitigen Instrumentarium der Strafermittlungsbehörden um einen bisher vergleichbar nicht da gewesenen massiven Eingriff in die Persönlichkeitssphäre eines jeden Bürgers. Anders als beim staatlichen Zugriff auf Telekommunikation, auf den Briefverkehr oder auf Gespräche in der Kneipe oder auf der Straße, gibt es vor der Überwachung von Gesprächen in den Wohnungen schlechterdings keine weitere Rückzugsmöglichkeit für den Betroffenen. Mit jeder Abhörmaßnahme wird – gleichgültig, ob sie berechtigt oder unberechtigt ist – die Privatsphäre verletzt, und die Verletzung kann nicht rückgängig gemacht werden. Sie kann nur durch schnelle Löschung der Bänder und Nichtverwertung beendet werden. Diese Aushöhlung der grundrechtlichen Unverletzlichkeit der Wohnung wirft zuletzt die Frage auf, ob mit dem elektronischen Abhören der Wesensgehalt des Artikels 13 angetastet wird, was dann nach Artikel 19 die

Grundgesetzänderung unzulässig machen würde.“ – Das ist der Ansatz der ehemaligen Bundesjustizministerin, die der FDP angehörte, die dem Gesetz dann auch bedauerlicherweise in ihrer Mehrheit zustimmte.

So weit ging das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 3. März 2004 zwar nicht, das heißt, es hat nicht die Antastung des Wesensgehaltes bejaht, jedoch hat der I. Senat in seinen Leitsätzen des Bundesverfassungsgerichts zu Artikel 13 Abs. 3 in der Fassung dieses Änderungsgesetzes vom 26. März 1998 sehr prononciert betont, dass „zur Unantastbarkeit der Menschenwürde gemäß Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz die Anerkennung eines absolut geschützten Kernbereiches privater Lebensgestaltung gehört“, und weiter: „In diesen Bereich darf die akustische Überwachung von Wohnräumen zum Zwecke der Strafverfolgung nach Artikel 13 Abs. 3 nicht eingreifen.“

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Hört, hört!)

Nebenbei bemerkt: Heribert Prantl von der „Süddeutschen Zeitung“ würdigte das Urteil seinerzeit als „Entwanzung des Rechts“, als ein „Stoppschild für die Politik“, „eine Leitentscheidung für den Gesetzgeber“, einen „Meilenstein in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“.

Das Urteil hat ja auch mit dem schlimm-gefährlichen Vorurteil aufgeräumt, dass man die Grundrechte klein machen muss, um Straftaten zu bekämpfen. Dies hat der Bundesverfassungsgerichtshof mit diesem Urteil klar gemacht und damit bemerkenswerterweise in einem Zeitalter der Hysterie nach dem 11. September 2001 rechtsstaatliche Imperative gegen den politischen Zeitgeist, die Tendenz aller neueren Sicherheitsgesetze gesetzt – auch gegen die bis dahin geltende Marschrichtung von Schily & Co.: In dubio pro Sicherheit und kontra Grund- und Bürgerrechte.

Karlsruhe domestizierte den Lauschangriff mit diesem Urteil, indem es in dessen Zulässigkeit – das muss man bis zum Ende durchdenken – auf die Fälle schwerer und schwerster Kriminalität reduzierte, gleichzeitig außerordentlich hohe Anforderungen an die technischen Vorkehrungen und an seinen Vollzug stellte und eine Überwachung „ins Blaue hinein“ mit Verdachtsmomenten ausschloss.

Es gibt viele Rechtswissenschaftler, Frau Kollegin Weihnert, die seinerzeit gesagt haben: Das Bundesverfassungsgericht hat zwar den Einsatz der Wanze zur Aufklärung schwerer Verbrechen nicht a priori verboten, es hat aber die Hürden so hoch gesetzt, dass die Erlaubnis praktisch nicht von einem Verbot zu unterscheiden ist. Vor dieser Frage stehe ich doch, wenn ich über § 5a – oder worüber auch immer – dennoch jetzt wieder aufrechterhalten will, dass ich den Verfassungsschutz in die Wohnung lasse.

Es ist völlig unbestreitbar, dass sich die Koalition – und da weiß ich genau zu beurteilen, wer wo gedrückt hat – in

sehr bemerkenswerter Weise bewegt hat. Ich sage auch: Für mich ist es eine Sternstunde – darin gebe ich Kollegen Lichdi Recht –, dass es in diesem Parlament möglich ist, dass sich eine regierungstragende Mehrheit korrigiert. Das haben wir seit dem 19.10.1990 zum ersten Mal. Die Premiere befeiere ich heute Abend; keine Frage. Respekt auch dafür!

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Das Problem ist nichtsdestotrotz, dass mehr oder weniger dennoch die Frage steht: Sind wir damit auf der sicheren Seite? Sind die Anwender damit auf der sicheren Seite? Können damit in jeder Hinsicht diejenigen, die im Verfassungsschutz oder bei der Polizei meinen, sie handeln legal und legalistisch, auch sicher sein? Dazu sagen wir nach wie vor: Vollständig gelungen ist es nicht, und zwar aus zwei – unserer Auffassung nach wesentlichen – Gründen, die ich noch einmal kurz referieren möchte:

Das Erste ist, dass nach unserer Überzeugung, die wir mit den verschiedenen Experten – Prof. Hans-Peter Bull nenne ich einmal – in der Anhörung teilen, Artikel 13 Abs. 4 des Grundgesetzes definitiv nicht als Ermächtigungsnorm für den nachrichtendienstlichen Angriff des Geheimdienstes auf die Wohnung herhalten kann; denn Artikel 13 Abs. 4 lautet: „Zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder Erlebensgefahr, dürfen technische Mittel zur Überwachung von Wohnungen nur aufgrund von richterlicher Anordnung eingesetzt werden.“ – Abwehr dringender Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Das ist doch ganz eindeutig nur Polizei- und nicht Verfassungsschutz.

Wir können uns drehen und wenden, wie wir wollen. Das Problem, dass der Verfassungsschutz in dieser Frage nicht benannt wird und nicht gemeint war, ist in besonderer Weise auch dadurch akut, da die vorherige Entwurfsfassung, die Artikel 13 Abs. 4 ändern sollte, den Verfassungsschutz mit enthalten hatte. Ursprünglich war daran gedacht worden, dass auch die Verfassungsschutzbehörden mit hineinkommen. Im Entwurf zur Änderung des Artikels 13 war ursprünglich eine ausdrückliche Sonderregelung „Maßnahmen der Verfassungsschutzbehörden“ enthalten. Diese wurde dann in der endgültigen Vorlage nicht übernommen, nachdem in der Sachverständigenanhörung darauf hingewiesen wurde, dass damit eine neue Befugnis für die Verfassungsschutzämter geschaffen wird. Damit ist dies nicht in Artikel 13 Abs. 4 hineingekommen; aber Sie machen heute ganz eindeutig mit Ihrem Gesetz ein Gesetz, das sich überhaupt nur auf der Grundlage des Artikels 13 Abs. 4 rechtfertigen kann.

Herr Bartl, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Ja, bitte schön.

Herr Lichdi.

Vielen Dank. – Herr Kollege Bartl, stimmen Sie mir zu, dass selbst der ehemalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Herr Werthebach, dieser von Ihnen jetzt – meines Erachtens zutreffenden – vorgetragenen Rechtsauffassung zugestimmt hat?

Kollege Lichdi weiß, dass ich ihm darin nur zustimmen kann. Dies ist expressis verbis von Werthebach gesagt worden. Das tun wir sehenden Auges. Ich will einfach auf dieses Problem noch einmal nachdrücklich aufmerksam machen.