Protokoll der Sitzung vom 05.04.2006

Kollege Lichdi weiß, dass ich ihm darin nur zustimmen kann. Dies ist expressis verbis von Werthebach gesagt worden. Das tun wir sehenden Auges. Ich will einfach auf dieses Problem noch einmal nachdrücklich aufmerksam machen.

Das Zweite – wenn ich das jetzt einmal weglasse; Frau Kollegin Weihnert, Sie haben selbst durchaus bemerkenswert die Knackstellen angesprochen – ist eben die Definition dieses Problems des „Kernbereichs der privaten Lebensführung“. Dazu sagen wir: Wenn ich alles, was vom Procedere her technisch notwendig ist, ins Gesetz hineinschreibe – wann er den Knopf ein- und ausschalten darf, wann er in den Kernbereich hinein kommt – und dies dem Kriminalisten, dem Polizisten oder meinethalben dem Verfassungsschützer hineinschreibe, ist das okay.

Aber die Frage, bevor er sich entscheiden kann auszuschalten, ist, dass er wissen muss: Wann bin ich im Kernbereich? Bin ich im Kernbereich, wenn es um das Schlafzimmer oder um die Toilette geht oder schon beim Flur? – Das ist wohnungsbezogen. Bin ich im Kernbereich, wenn zwischen denjenigen, die ich gerade belauschen will, eine enge familiäre Beziehung besteht, also zwischen Eheleuten oder Familienangehörigen ersten bis dritten Grades, oder wie auch immer? Wann bin ich im Kernbereich?

Sicherlich ist die Lösung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN keine Ideallösung, aber es ist eine klare Vorgabe, wenn ich dort insbesondere schreibe: „... mit der entsprechenden Regelkonstellation“.

Ich sage, dass nach der Wesentlichkeitstheorie, nach dem Wesentlichkeitsgrundsatz ins Gesetz hinein muss, was der Gesetzgeber unter „Kernbereich“ versteht. So, denke ich, war es vom Bundesverfassungsgericht gemeint und so war es aufgegeben, und wenn wir unter dieser Schwelle ein Gesetz machen, sind wir letztlich diese Aufgabenstellung schuldig geblieben. Es ist auch löblich, dass der Protokollvermerk zustande kam, dass auch dies nach der Auszeit möglich geworden ist. Dafür können wir uns ohne Not bedanken. Er bringt es aber letztendlich nicht auf die erforderliche Ebene.

Nichtsdestoweniger meinen wir, dass mit diesem Gesetzentwurf eine wesentliche Entwicklung erreicht worden ist.

Was die Gesetzentwürfe der FDP und der GRÜNEN angeht, haben wir mit dem Gesetzentwurf der GRÜNEN in der jetzigen Fassung unter Berücksichtigung der heute unterbreiteten Änderungsanträge keine Probleme. Wir halten ihn für einen guten Gesetzentwurf, dem wir uns anschließen können, weil die Vorbehalte, die wir gehabt haben, durch die Bank ausgeräumt worden sind.

Was den Entwurf der FDP-Fraktion anbetrifft, bleibt es bei dem Problem, dass der Kernbereich nicht definiert ist, Kollege Dr. Martens. Daher kommen wir wegen der Problematik der Nichteinhaltung des Wesentlichkeitsgrundsatzes in die Kollision mit der Verfassungskonformität. Aus diesem Grunde können wir uns bei diesem Entwurf nur der Stimme enthalten, wofür wir um Verständnis bitten.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Die NPD-Fraktion erhält das Wort. Herr Apfel.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die so genannte Opposition innerhalb der Blockparteien im Landtag zeigt sich erfreut, weil die Regierungsparteien angeblich eingelenkt haben und durch ihren Änderungsantrag zum ursprünglichen Gesetzentwurf die Zuständigkeit des Verfassungsschutzes im Bereich der Organisierten Kriminalität herausgestrichen haben. Dabei ist das ganze Tohuwabohu um das Verfassungsschutzgesetz eine erbärmliche Pseudodiskussion, die allein den Zweck erfüllt, Millimeterrechtsstaatlichkeit vorzutäuschen, während der Inlandsgeheimdienst ohnehin macht, was er will oder, besser gesagt, was der Innenminister will.

Dieses Amt trägt nach unserer Überzeugung seinen Namen „Verfassungsschutz“ völlig zu Unrecht; denn als Geheimdienst mit politischem Propagandaauftrag und als politischer Repressionsapparat des Innenministers ist der Verfassungsschutz ein staatsrechtlicher Anachronismus, der nicht nur eine Gefährdung, sondern geradezu eine Verhöhnung des Rechtsstaates darstellt!

Die scheinheiligen Auseinandersetzungen der Blockparteien können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bedeutung der rechtsstaatlichen Regelungen im Verfassungsschutzgesetz begrenzt ist, weil der Verfassungsschutz seine im Gesetz festgelegten Kompetenzen ebenso regelmäßig wie schamlos überschreitet.

Laut Gesetz darf der Dienst eigentlich nur beobachten und Daten sammeln. Was macht er jedoch? Er infiltriert und beeinflusst in massiver Weise die von ihm angeblich nur beobachteten politischen Parteien, Vereine, Presseorgane. Das können Sie, Herr Innenminister, ebenso wenig widerlegen wie die vielen Äußerungen von Vertretern des Landesamtes und von Ihnen selbst, in denen sie mit den eklatanten Verfassungsbrüchen und Verletzungen des Verfassungsschutzgesetzes auch noch geradezu prahlen. Diese in schamloser Offenheit betriebenen Rechtsbrüche einer Regierungsbehörde können nach Auffassung der NPD-Fraktion nur eine rechtsstaatliche Konsequenz haben: Der Verfassungsschutz gehört schleunigst abgeschafft!

(Beifall bei der NPD)

Nein, meine Damen und Herren, dieses Amt ist kein Instrument der wehrhaften Demokratie, es ist ein Werk

zeug der Herrschenden zur Unterdrückung von missliebiger politischer Opposition. Es ist ein Werkzeug zur verfassungswidrigen und auch sittenwidrigen Verhinderung einer bitter notwendigen politischen Wende in diesem Land.

Gerade deshalb hat die NPD die vordergründig rechtsstaatsbeflissenen Debatten der letzten Zeit über die vom Verfassungsgerichtshof geforderte Änderung des Verfassungsschutzgesetzes mit zunehmendem Befremden verfolgt; denn die Teildiskussionen, um die es ging, nämlich die Zuständigkeit des Verfassungsschutzes für die Organisierte Kriminalität und für die Wohnraumüberwachung, sind in der Tat nur Scheindebatten.

Was die Organisierte Kriminalität betrifft, hat sich die Regierungsseite nun mit ihrem Änderungsantrag einen Trick einfallen lassen. So soll dem Verfassungsschutz selbst die Entscheidung überlassen werden, wann die so genannte FDGO oder der Bestand der Bundesrepublik von der Kriminalität bedroht sei. Wenn eine derartige Bedrohung per se angenommen wird, sei davon auszugehen, dass die Kriminalität politisch motiviert sei. Damit sei der Verfassungsschutz zuständig, und zwar ohne dass es ausdrücklich im Verfassungsschutzgesetz stehen muss.

So wird das also gemacht, meine Damen und Herren. So etwas nennt man wohl kreative Gesetzgebung – ein Verfahren, bei dem schon in der Begründung für den Gesetzentwurf die Anleitung zur systematischen Verletzung des Gesetzes mitgeliefert wird.

Als Sprungbrett für diesen geistigen Luftsprung muss das Urteil des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs vom 21. Juli 2005 herhalten. Die Feststellungen des Gerichtshofs werden von den Antragstellern aber auf so elegantperfide Weise verfälscht und ausgelegt, dass fast jede Kriminalität nach Belieben als politisch motiviert bezeichnet werden kann, und so werden sie beliebig zur Spielwiese des Verfassungsschutzes erklärt.

Als eine der absehbaren Folgen wird es dem Innenminister und seinem Geheimdienst künftig noch leichter fallen, Kriminalität und politische Opposition in einen Topf zu werfen; denn beide gefährden ja nach der offiziellen Sprachregelung die staatliche Ordnung und dürfen deswegen vom Verfassungsschutz verfolgt werden.

Diese Trickserei, meine Damen und Herren, passt gut zum allgemeinen Profil der Verfassungsschutzämter und ihrer politischen Nutznießer. Sie passt zu den hemmungslosen Kompetenzüberschreitungen des Amtes, zur systematischen Kriminalisierung der politischen Gegner und zur offenen regierungsamtlichen Hass- und Hetzpropaganda gegen die Opposition.

Bei der Wohnraumüberwachung wurde in den Ausschüssen mit besonderer rechtsstaatlicher Beflissenheit debattiert, und zwar über die Frage, was wohl dem so genannten Kernbereich der privaten Lebensgestaltung zuzurechnen sei und wie der Abbruch der Wohnraumüberwachung vorzunehmen sei, wenn dieser völlig unklare Bereich tangiert ist.

Meine Damen und Herren, das ist eine Gespensterdiskussion; denn jeder weiß, dass in der Praxis kein Hahn danach krähen wird. Die im Gesetzentwurf formulierte Voraussetzung für die richterliche Genehmigung der elektronischen Überwachung der Wohnräume der politischen Opposition ist geradezu atemberaubend. Ich darf zitieren: „... wenn der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Abwehr einer dringenden Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes erforderlich ist und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre“.

Diese Voraussetzungen, meine Damen und Herren, ihre Definition und Deutung sind in jeder Hinsicht rechtlich unbestimmt. Sie sind der Willkür der rabulistischen Wortakrobatik der auf Gesinnungsprüfung spezialisierten Geheimdienstler und ihrer politischen Auftraggeber ausgeliefert.

Meine Damen und Herren, die Ausspähung und Datensammlung über politische Gegner an sich ist schon fast pervers. Überdies wird der Verfassungsschutz aber künftig auch noch mit der unverhohlenen Billigung der herrschenden politischen Klasse die Vorgaben des Verfassungsschutzgesetzes ignorieren und seine Kompetenzen schamlos überschreiten. Nicht zuletzt aus diesem Grunde wäre es nur Arbeit am morschen Holz, etwaige Verbesserungen zu einem Gesetz vorzuschlagen, das sich einzig und allein der Ausspähung und Kriminalisierung missliebiger Opposition verschrieben hat.

Der Verfassungsschutz der Bundesrepublik Deutschland, meine Damen und Herren, steht der DDR-Staatssicherheit und der Gestapo in nichts nach.

(Lebhafter Widerspruch bei der CDU, der Linksfraktion.PDS, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Er ist ein politisches Unterdrückungsinstrument. Der Verfassungsschutz gehört nicht reformiert, er gehört ein für allemal abgeschafft.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Gibt es aus den Fraktionen noch Redebedarf? – Dann frage ich die Staatsregierung. – Dr. Buttolo, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich die Gleichsetzung von Verfassungsschutz und Gestapo mit aller Entschiedenheit zurückweisen.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Gegenstand der heutigen Lesung sind drei Gesetzentwürfe. Ausgangspunkt für diese Entwürfe sind, wie schon

mehrfach diskutiert, mehrere Urteile des Sächsischen Verfassungsgerichtshofes und des Bundesverfassungsgerichts, in deren Folge das Sächsische Verfassungsschutzgesetz und das Polizeigesetz angepasst werden müssen.

Für den Verfassungsschutz ist hierbei das Urteil vom 21. Juli 2005 über den Aufgabenbereich des Landesamtes für Verfassungsschutz und über die akustische und optische Wohnraumüberwachung von besonderer Bedeutung. In dieser Entscheidung hat der Gerichtshof festgestellt, dass die bestehenden Regelungen zur Wohnraumüberwachung im Sächsischen Verfassungsschutzgesetz mit einigen Vorschriften der Sächsischen Verfassung nicht vereinbar sind.

Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom März 2004 über den großen Lauschangriff folgend, hat der Sächsische Verfassungsgerichtshof dargelegt, dass die Voraussetzungen und Schranken schwerwiegender Grundrechtseingriffe und der verdeckten Überwachung von Wohnräumen klar im Gesetz geregelt sein müssen. Diesen Voraussetzungen genüge § 5 Abs. 4 Nr. 2 des Sächsischen Verfassungsschutzgesetzes in der derzeitigen Fassung nicht.

Darüber hinaus wurde § 5 Abs. 7 dieses Gesetzes, der die Ermittlung von Daten aus einer Wohnraumüberwachung regelt, als mit Artikel 30 der Sächsischen Verfassung für unvereinbar erklärt. Zudem hat der Sächsische Verfassungsgerichtshof ein fehlendes Kennzeichnungserfordernis in § 12 Abs. 2 des Sächsischen Verfassungsschutzgesetzes, der die Datenübermittlung für Daten regelt, die durch sonstige nachrichtendienstliche Mittel erhoben wurden, angemahnt. Diese Vorschrift sei mit Artikel 33 der Sächsischen Verfassung ebenfalls nicht vereinbar.

An dieser Stelle merke ich an, dass nur die Regelungsinhalte dieser beiden Vorschriften für verfassungswidrig erklärt wurden. Ihre Fortgeltung hat der Sächsische Verfassungsgerichtshof bis zum 30. Juni 2006 begrenzt.

Weitere Änderungserfordernisse ergeben sich aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum großen Lauschangriff. So weit zur Ausgangslage.

Im Folgenden möchte ich auf den jeweiligen Inhalt der unterschiedlichen Gesetzentwürfe eingehen. Zunächst zu dem Gesetzentwurf in der Drucksache 4/3609. Ich beginne mit dem Gesetzentwurf der Regierungskoalition, dem von mir schon genannten, wie er in Gestalt des Änderungsantrages modifiziert worden ist.

Er sieht im Wesentlichen Änderungen des Sächsischen Verfassungsgerichts in folgenden Bereichen vor: Absicherung der Wohnung als Kernbereich privater Lebensgestaltung, Anpassung der Übermittlungsregeln an die Eingriffsschwelle, die für die Unverletzbarkeit der Wohnung gilt, und Kennzeichnungspflicht für Daten, die Zweckbestimmungsbeschränkungen unterliegen. Der Entwurf der Regierungskoalition ändert damit die vom Sächsischen Verfassungsgerichtshof für verfassungswidrig erklärten Vorschriften. Die Änderungen sind verfassungskonform und sachgerecht.

Kern dieses Gesetzentwurfs ist die Wohnraumüberwachung. In einer eigenen Vorschrift werden die wesentlichen Regelungen der Wohnraumüberwachung nunmehr zusammengefasst. Damit entsteht eine für den Anwender verständliche und stringente Regelung der Materie. Gleichzeitig trägt diese Vorschrift dem Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung in verfassungskonformer Weise Rechnung.

Ferner wurde der Adressatenkreis einer Wohnraumüberwachung beschränkt. Aufgenommen wurden zudem Verfahrensregeln wie das Vorgehen nach einem unbeabsichtigten Eingriff in den Kernbereich. Die Norm enthält außerdem Bestimmungen dazu, wann eine Abhörmaßnahme abzubrechen ist und erhobene Daten zu löschen sind. Unterbrechung und Löschung werden verfahrensrechtlich abgesichert, indem die Maßnahmen vom anordnenden Gericht begleitet werden. Ebenfalls neu aufgenommen wurde der nachträgliche Rechtsschutz von Betroffenen. Daneben werden die Regelungen zur Datenübermittlung solcher Daten angepasst, die mit sonstigen nachrichtendienstlichen Mitteln erhoben wurden.

Alle getroffenen Regelungen sind in der Anhörung von den Sachverständigen bestätigt worden. Der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen entspricht damit den Erfordernissen aus den oben genannten Urteilen in vollem Umfang.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle aber folgende einschränkenden Anmerkungen: Das Änderungsgesetz sieht die Streichung der Beobachtung der Organisierten Kriminalität durch das Landesamt für Verfassungsschutz vor. Die Beobachtung wird sich künftig auf die Fälle beschränken, in denen die OK eine politische Zielrichtung verfolgt und die FDGO in Gefahr gerät. Dies ist ein theoretisches Aufgabenfeld für den Verfassungsschutz, weil die OK in erster Linie auf Gewinnerzielung ausgerichtet ist und vorrangig keine politischen Ambitionen verfolgt. Menschenschleusungen, Geldwäsche, Drogenhandel, aber auch Korruption von Entscheidungsträgern aus Wirtschaft und Politik, Verwaltung, Justiz und Polizei entfallen damit als Beobachtungsobjekte.

Nun zu Ihrer Anmahnung, Herr Lichdi, dass in der polizeilichen Kriminalstatistik die OK nicht erwähnt sei. Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass die Überschrift ausdrücklich „Jahresüberblick 2005“ lautet. Es ist das übliche Verfahren sowohl bei Polizeistatistiken als auch Verfassungsschutzstatistiken, dass relativ früh im Jahr ein erster Überblick über das vergangene Jahr gegeben wird und Mitte des Jahres der umfangreiche Bericht folgt. Ich kann Ihnen versichern, dass die OK in dem umfangreichen Bericht eine mehrseitige Widmung erfahren wird.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Da sind wir gespannt!)

Ich werde mir erlauben, Sie dann ausdrücklich darauf hinzuweisen.