Protokoll der Sitzung vom 06.04.2006

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS, der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Meine zahlreichen Gespräche mit Helfern und Betroffenen – und da kommt die andere Seite der Medaille – haben aber auch gezeigt, dass viele aufgrund bestimmter Äußerungen von Georg Milbradt regelrecht wütend und demotiviert sind. Herr Ministerpräsident, welcher Teufel hat Sie denn geritten, wieder und wieder zu erklären, bei der aktuellen Situation handle es sich um keine Katastrophe, sondern lediglich um ein etwas stärker ausgefallenes Frühjahrshochwasser? Ich frage mich, warum Landräte und Bürgermeister entlang der Elbe reihenweise Katastrophenalarm ausgelöst haben, wenn es Ihrer Meinung nach überhaupt keine Katastrophe gibt. Herr Milbradt, gehen Sie doch zu den Betroffenen, sagen Sie den Menschen in Bad Schandau ins Gesicht, dass das, was sie derzeit durchmachen müssen, keine Katastrophe, sondern lediglich ein verstärktes Frühjahrshochwasser ist.

Vielerorts sind fast sämtliche Häuser überflutet, die auch im Sommer 2002 schon betroffen waren. Der einzige Unterschied ist der – häufig jedenfalls –, dass das Wasser diesmal nicht bis in den zweiten Stock, sondern „nur“ in die erste Etage eingedrungen ist. Die Schäden aber werden trotzdem immens sein.

Herr Ministerpräsident, nicht nur ich finde, Sie sollten sich für diese Äußerung öffentlich entschuldigen. Die heutige Debatte gibt Ihnen Gelegenheit dazu.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS, den GRÜNEN und der NPD)

Machen wir uns nichts vor! Wenn das Wasser wieder abgelaufen ist und die Schäden offenbar werden, dann kann die bisher durchaus positive Stimmung kippen. Dann wird man nach Verantwortlichkeiten ebenso wie nach staatlichen Hilfsangeboten fragen und ich meine, dafür gibt es auch gute Gründe.

Wenn man die Zeit nach dem so genannten Jahrhunderthochwasser vom August 2002 Revue passieren lässt, dann hat es zwar einige Maßnahmen zum Hochwasserschutz gegeben, und die neuen Rückhaltebecken haben zweifellos zur Entlastung beigetragen. Aber insgesamt ist festzustellen: Die Staatsregierung hat ihre Hausaufgaben seit 2002 nicht oder nur unzureichend gemacht. Auch deshalb ist die Forderung nach einem staatlichen Hilfsprogramm absolut gerechtfertigt.

(Jürgen Gansel, NPD: Die Sie abgelehnt haben!)

Wenn es dazu nicht käme, dann wären die betroffenen Kreise pleite. Das Land darf sich nicht aus seiner Verantwortung stehlen, denn es trägt eine Mitschuld an den neuerlichen Schäden.

Ich erinnere mich noch gut an die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten vom 11. September 2003 zur Bilanz ein Jahr nach der Flutkatastrophe. Was ist dort und auch unmittelbar nach dem Ereignis im Jahr 2002 nicht alles versprochen worden. Umgesetzt wurde jedoch nur ein geringer Bruchteil. Ich frage: Was ist aus den Vorschlägen der Kirchbach-Kommission geworden, Herr Milbradt und auch Herr Tillich? Wo ist die Rechenschaft über Soll und Haben, über Versprochen und Gehalten? Herr Tillich, Ihre Rede vorhin war diesbezüglich schlichtweg enttäuschend.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN)

Jeder weiß – auch die Linksfraktion –, dass nicht alle Maßnahmen in wenigen Jahren zu realisieren sind, aber die Zögerlichkeit der Staatsregierung war unverantwortlich. Erst am 30. November 2005, also sage und schreibe drei Jahre und drei Monate nach dem Jahrhunderthochwasser, legte das Umweltministerium endlich eine Prioritätenliste für den Hochwasserschutz, für entsprechende Maßnahmen in Sachsen vor. Gohlis bei Riesa ist darin ebenso mit höchster Priorität aufgeführt wie Dresden-Gohlis oder Pirna. Geschehen ist dort nichts.

Wer mehr als drei Jahre braucht, um eine Liste zu erstellen, der braucht sich nicht zu wundern, wenn ihn das Hochwasser bei veränderten Klimabedingungen schneller als erwartet erneut überrascht.

(Zuruf der Abg. Uta Windisch, CDU)

Eine Journalistin hat dieser Tage zutreffend kommentiert: Katastrophen beginnen nicht erst mit den Pegelständen von 2002. – Ich finde, sie hat Recht.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Ich erteile der Fraktion der NPD das Wort. Herr Paul, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bad Schandau, Pirna, Dresden, Meißen und zahlreiche andere Orte im Freistaat Sachsen stehen unter Wasser und unser Ministerpräsident – Herr Hahn hat es eben schon gesagt – spricht gegenüber der Presse von einem etwas stärkeren Winterhochwasser. Solche und andere Aussagen, die in den letzten Tagen seitens der Staatsregierung gegenüber der Öffentlichkeit geäußert wurden, sind meines Erachtens ein Schlag ins Gesicht aller Menschen, die in diesem Jahr wieder direkt vom Hochwasser betroffen sind.

Heute erleben wir hier im Hause eine Aktuelle Debatte, mit der sich die Koalitionsfraktionen anscheinend selbst beweihräuchern wollen, welche großartigen Leistungen beim Hochwasserschutz bisher erreicht wurden. Der Freistaat Sachsen plant millionenschwere Hochwasserschutzmaßnahmen, aber bei der Planung ist es bisher weitgehend geblieben.

Auch wenn Herr Staatsminister Tillich ständig betont, dass der Freistaat Sachsen führend im Bereich des Hochwasserschutzes ist, muss eines gesagt werden: Die Prioritätensetzung beim Hochwasserschutz des Freistaates Sachsen ist eindeutig falsch. Fast vier Jahre nach der Hochwasserkatastrophe von 2002 können wir heute zwar den Anstieg der Pegel per Internet abfragen und wir werden auch gewarnt, dass ein Hochwasser kommen wird. Was aber bisher kaum geschehen ist, sind die Maßnahmen, welche die Entstehung von Hochwassern verhindern bzw. abschwächen können.

Schauen Sie sich als Beispiel den Straßendamm in Gohlis bei Riesa an. Seit 2002 ist bekannt, dass dieser Damm zu verheerenden Folgen für den Ort führen kann. Dieser Damm ist dann auch in die Prioritätenliste aufgenommen worden. Bisher ist nichts geschehen. Die Baumaßnahmen sollen wohl erst im Laufe des nächsten Jahres beginnen.

Das gesamte Konzept ist einseitig auf den technischen Hochwasserschutz ausgerichtet. Mich würde interessieren – als Beispiel –, wie viel Hektar Wald in den Jahren seit 2002 in den Hochwasserentstehungsgebieten in Sachsen neu entstanden sind. Mich würde auch interessieren, warum in Sachsen zum Beispiel Radwege mit Asphalt versiegelt werden sollen und diese Versiegelung vom

Freistaat auch noch finanziell gefördert wird. Wenn heutzutage irgendetwas gebaut wird, gibt man sich die allergrößte Mühe, auch noch den letzten Grashalm und die letzte Stelle, an der Wasser überhaupt versickern kann, zu beseitigen. Straßen werden so breit wie möglich gebaut, Gewerbegebiete entstehen auf der grünen Wiese und wir bauen für viel Geld Hochwasserdeiche, die an einigen Stellen auch nichts bringen.

Wir haben es in der Hand, unsere Umwelt so zu erhalten, dass diese Gefahren zumindest teilweise minimiert werden können. Dem Hochwasserschutz des Freistaates Sachsen muss deshalb schnellstmöglich eine andere Zielrichtung gegeben werden. Ein bisschen an den Symptomen herumzubasteln wird auf lange Sicht wenig hilfreich sein. Wir müssen endlich Schluss machen, mehr Geld für die Schadensbegrenzung auszugeben. Wir müssen mehr in die Beseitigung der eigentlichen Ursachen investieren.

Abschließend möchte ich noch einmal eindringlich an die Staatsregierung appellieren. Wir haben heute Morgen kurz über einen Dringlichen Antrag der NPD-Fraktion gesprochen, wobei es einfach darum geht, heute hier ein Zeichen zu setzen, indem der Landtag beschließt, dass der Freistaat Sachsen sofort ausreichend finanzielle Mittel für die Betroffenen, vor allen Dingen für die Gewerbetreibenden, zur Verfügung stellt. Alle Fraktionen in diesem Haus – außer der NPD-Fraktion – haben sich diesem Dringlichen Antrag verweigert, haben sich schon verweigert, diesen Antrag erst einmal zu behandeln.

Ich kann nur sagen: Ändern Sie Ihre bisherige Haltung zur Frage einer Soforthilfe für die Hochwassergeschädigten! Herr Tillich hatte eingangs die Thematik kurz angesprochen, dass es eine Hilfe geben soll. Es wurde aber, wie gesagt, nur kurz angesprochen. Es gab keine klaren Aussagen, es wurde keine Zeitschiene genannt, es wurden keine Beträge genannt, es ist einfach nur kurz angeschnitten worden. Überdenken Sie Ihre Aussagen und lassen Sie die Betroffenen in den Orten entlang der Elbe nicht allein!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Ich erteile der Fraktion der FDP das Wort. Herr Günther, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Für tausende Sachsen ist dieses Frühjahrshochwasser wieder ein Fiasko, so wie die Jahrhundertflut 2002. Wieder drohen schwere Schäden an Gebäuden und wieder muss in verschiedenen Wirtschaftszweigen, besonders im Tourismus, mit Einnahmeverlusten gerechnet werden.

Wer angesichts der aktuellen Situation die Lage herunterspielt, wie es Ministerpräsident Milbradt jüngst leider getan hat, muss sich nicht wundern, wenn eine Welle der Empörung bei den betroffenen Bürgern hochschwappt. Für die Menschen, denen die Keller abgesoffen sind, ist

die Aussage, dies sei keine Katastrophe wie 2002, nicht Leid mildernd.

Herr Ministerpräsident, eines muss ich Ihnen auch sagen: Bedanken Sie sich bei den Mitgliedern der Staatsregierung, die medial die Kastanien aus dem Feuer geholt haben, die Sie für die Menschen dort hineingeworfen haben.

(Beifall bei der FDP)

Das Hochwasserschutzkonzept, das Sie, Herr Minister Tillich, im letzten September vorgestellt haben, war in der Tat ein hartes Stück Arbeit. Über die Prioritätensetzung lässt sich sicherlich in Erkenntnis der aktuellen Ereignisse an der einen oder anderen Stelle streiten. Die Hochwasserschutzmaßnahmen hingegen sind unstrittig: Bau, Sanierung und Ausbau von Deichen, Rückhaltebecken oder Bauverbotszonen, um nur einige zu nennen. Diese Maßnahmen sind wichtiger denn je, wie wir gerade jetzt erleben.

Deshalb wundert es uns schon sehr, dass Sie in der letzten Plenumsdebatte ganz auf das Vorverkaufsrecht in hochwassergefährdeten Gebieten verzichten wollten. Wir brauchen diese Maßnahmen. Wir dürfen uns die Möglichkeit, zum Beispiel Rückhaltebecken im Erzgebirge zu errichten, nicht nehmen lassen.

Mir ist – da wir gerade von Prioritäten sprechen – nicht wirklich klar, wie es denn im Freistaat gehalten wird: Steht der Hochwasserschutz an erster Stelle vor dem Naturschutz oder nicht? Das Wasser- und Schifffahrtsamt hält beispielsweise die Elbwiesen frei von Bäumen. Mit dieser Hochwasserschutzmaßnahme zieht sie sich den Zorn des Umweltamtes und der Naturschutzbehörden zu, denn der Lebensraum der Biber wird eingeschränkt. Wir müssen klar sagen, was wir wollen. Wollen wir Hochwasserschutz vor dem Naturschutz? Steht der Hochwasserschutz hinter dem Denkmalschutz? Das lässt zum Beispiel die Situation in Bad Schandau ahnen. Das ZDF hat in einer Reportage in der letzten Woche berichtet, dass die Genehmigung verweigert wurde, ein 2002 zerstörtes Haus um einige Meter erhöht wieder aufzubauen. Jetzt ist es wieder komplett abgesoffen und die Besitzer stehen erneut vor dem Nichts. Wir müssen uns schon einig werden, wo Prioritäten in diesem Land gesetzt werden.

(Beifall bei der FDP)

Das bedeutet aber auch, dass wir Abstriche und Umschichtungen im Haushalt vornehmen müssen. Da muss in anderen Bereichen zugunsten des Hochwasserschutzes eingespart werden. Das müssen wir den Sachsen auch erklären können.

Dass vieles zügiger bearbeitet werden muss, sehen wir an der aktuellen Notmaßnahme, dem Straßendurchbruch an der S 88. Mit dem Durchbruch ist der vom Wasser eingeschlossene Ort Gohlis entlastet worden. Gohlis wäre wohl komplett untergegangen, wenn der Durchbruch nicht gemacht worden wäre. Aber es scheint sich abzuzeichnen, dass hier viel zu spät entschieden wurde.

Während die Flut 2002 sehr breitflächig und mit eher geringer Strömungsgeschwindigkeit wirkte, ist in diesem Jahr das Schadenspotenzial im Moment noch gar nicht abschätzbar. Deshalb, Kollegen von der NPD, ist Ihr Dringlichkeitsantrag im jetzigen Augenblick völlig unnötig, weil wir noch gar nicht wissen, wie hoch die Schäden sind.

(Dr. Johannes Müller, NPD: Das ist ein Signal! – Uwe Leichsenring, NPD: Vielleicht gibt es gar keine Schäden, kann ja sein?! – Alexander Delle, NPD: Genau – es ist gar nicht so schlimm!)

Es ist noch gar nicht erkennbar, welche Schäden wegen der durchgeweichten Dämme an der Elbe auf uns zukommen.

(Beifall bei der FDP)

Wir müssen uns einig sein: Hochwasserschutz ist eine Solidaraufgabe, die alle demokratischen Parteien gemeinsam meistern müssen. Hochwasserschutz ist kein Thema zum Parteienstreit und auch kein Grund, um den Ministerpräsidenten zum Rücktritt aufzufordern. Das ist Quatsch.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Wir erwarten allerdings von der Staatsregierung ein Handeln mit Augenmaß. Bau- oder Hochwasserschutzmaßnahmen, die sich als Fehlplanungen herausstellen, wie zum Beispiel jetzt in Gohlis, werden wir uns im Interesse aller Bürger in Zukunft nicht mehr leisten können.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP)

Ich erteile der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort. Herr Lichdi, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Am Anfang der Debatte möchte ich das Mitgefühl unserer Fraktion und ich denke auch des ganzen Hauses für die Opfer des Hochwassers ausdrücken. Ich denke, das ist angemessen. Ich möchte auch die Hochachtung vor all denen ausdrücken, die ihren Nachbarn uneigennützig helfen.