Protokoll der Sitzung vom 06.04.2006

Nein, Herr Tillich, ich lasse keine Zwischenfrage zu, Sie haben meine auch nicht zugelassen!

Vielen Dank.

(Starke Unruhe bei der CDU – Staatsminister Dr. Horst Metz: Wie im Kindergarten!)

Wird von der CDU-Fraktion noch das Wort gewünscht? – Herr Dr. Rößler, bitte.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Jetzt kommt Gohlis 2!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir erleben kein gewöhnliches Frühjahrshochwasser.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der SPD)

Sachsen ist wieder von einer Flutkatastrophe betroffen. Es hat eben nicht 50 oder 100 Jahre gedauert, wie viele von uns Elbbewohnern vielleicht auch zu sorglos gedacht haben. Das Wasser ist einfach nach vier Jahren wieder da. Bei mir diesmal – zum Glück! – 20 Meter vor dem Haus, aber bei meinen Nachbarn im Keller oder im Erdgeschoss.

Natürlich hat die Flut nicht die Größenordnung von 2002 – jeder, der dort wohnt, sieht das. Die Infrastruktur und die Industrieanlagen blieben weitgehend verschont. Die Zahl der Betroffenen ist viel, viel geringer, und trotzdem gibt es Tausende ganz persönlicher Katastrophen und Schicksale. Jeder, der um sein Haus oder sein Eigentum kämpft – und das passiert momentan –, braucht Hilfe. Jeder, der sein gerade renoviertes Haus – das muss man sich mal vorstellen! – wieder im Wasser versinken sieht, verdient natürlich Mitgefühl und Unterstützung.

(Beifall bei der CDU, der Linksfraktion.PDS, der FDP und vereinzelt bei der SPD)

Da kommt es wirklich auf jedes Wort an, das Politiker in solchen Notsituationen sagen.

(Karl Nolle, SPD: So ist es! Bravo! – Beifall bei der SPD und der NPD)

Leute, packt an, beißt die Zähne zusammen, wir schaffen das, wir halten den Damm! Und was noch wichtiger ist: Wir schicken Feuerwehren und Sandsäcke. Solche Signa

le, die Mut machen, erhofften wir uns am vergangenen Sonnabend in diesem Gohlis bei Dresden, in dem auch ich wohne.

Aber die Dresdner Stadtverwaltung hatte uns von Anfang an aufgegeben. Das wurde uns auch so gesagt. Die Leute reden, das wissen Sie. Sie sagen – ich identifiziere mich nicht damit: „Die Bonzen feiern lieber in der Semperoper.“ Das ist der O-Ton, den Sie dort hören.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Und Sie nicht mehr dabei!)

Man zog dann die Feuerwehr ab und ließ unsere Sandsäcke, die in Cossebaude gefüllt wurden, für andere Stadtviertel abfahren. Einer überstürzten Evakuierungsaktion folgten wenige. An der Stelle stimmt es, der Stadtverwaltung fiel seit 2002 wieder überhaupt nichts Neues ein.

Und es stimmt natürlich auch, der Ministerpräsident hat anfangs unglücklich reagiert. Das muss man einfach sagen. Keiner von den Betroffenen glaubt doch ernsthaft, dass sich die großzügige finanzielle Hilfe – das geht an die NPD-Fraktion – von 2002 wiederholt. Solche Hoffnungen sollte man gar nicht wecken. Aber wenn man bis an die Knie im Wasser steht, wirken schroffe Bemerkungen wie eine kalte Dusche. Es geht nicht immer nur ums Geld, meine Damen und Herren.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU – Beifall bei der Linksfraktion.PDS und der NPD)

Es geht um schnelles Handeln, um Verständnis und vor allen Dingen um Solidarität. Diese Solidarität funktioniert übrigens unter den Menschen viel besser, als wir uns das vielleicht alle vorstellen können. Wir haben den Damm in Gohlis verstärkt. Wir haben uns selbst geholfen. Hunderte! Ich danke noch einmal aus ganz persönlicher Erfahrung den Feuerwehrleuten, dem Technischen Hilfswerk, den Polizisten, die lieber Sandsäcke schleppten als uns zwangszuevakuieren.

(Beifall bei der CDU und der Linksfraktion.PDS)

Ich danke der Landestalsperrenverwaltung, meine Damen und Herren. Die waren überall auf beiden Elbseiten. Der Chef der Landestalsperrenverwaltung, Herr Kraus, hat uns persönlich Feuerwehren und Sandsäcke herangeschafft. Damit haben wir Gohlis/Cossebaude gerettet.

Noch ein Wort. Der Ministerpräsident ist doch seit Montag ununterbrochen in den Flutgebieten unterwegs. Klar, er hat es selbst gemerkt und will natürlich diese große Anfangsscharte auswetzen. Das ist auch gut so. Wissen Sie, meine Damen und Herren, der Dresdner Oberbürgermeister oder seine Bürgermeister haben sich bis heute noch nicht in Gohlis/Cossebaude sehen lassen. Er war wenigstens Montag und jetzt schon ein zweites Mal da und hat konkret geholfen.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Entlang der Elbe und anderswo bewähren sich doch die kommunalen Gemeinwesen. Bürger, Feuerwehren und Verwaltung kämpfen gemein

sam gegen das Wasser. In Radebeul ziehen alle unter dem Oberbürgermeister Bert Wendsche an einem Strang. In Coswig mit Michael Reichenbach oder mit Gerold Mann in Wildberg ist es auch so. Das ist die Region, die ich so überblicke. Und, meine Damen und Herren, am Katastrophenschutz, zum Beispiel im Landkreis Meißen, sollte sich die Landeshauptstadt ein Beispiel nehmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich warne uns vor dem üblichen Schulterklopfen auf der einen Seite und vor der Fundamentalkritik auf der anderen. Das hat heute auch so nicht stattgefunden. Dieses Mal können wir die Flutfolgen nicht mit Milliarden zukleistern, weil eben keine Wahlen sind und weil das Geld einfach nicht da ist.

(Widerspruch bei der Linksfraktion.PDS – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Sogar die Gummistiefel sind weg!)

Wir müssen ehrlich miteinander sein. Dieses Mal wissen wir, dass Flutkatastrophen immer wieder kommen können. Wir hätten vielleicht von Anfang an mehr an den Dämmen machen sollen und ein bisschen weniger dahinter, aber der Druck war doch riesengroß, man erinnere sich. Meine Damen und Herren, sicher kann man, wo das Elbtal sich weitet, dem Fluss mehr Raum geben, aber eben nicht in der Sächsischen Schweiz. Wir müssen den Dammbau und die Planung beschleunigen. Das ist die Lehre, die wir ziehen müssen. Es wird das nächste Mal sicher nicht 100 Jahre dauern, bis wir wieder vor dieser Situation stehen. Darauf müssen wir ausgerichtet sein.

Noch ein letztes Wort zu den Versicherungen. Wissen Sie, was das Paradoxe ist? Versichert werden die, die neu in die Flutgebiete ziehen, dort Häuser bauen, weil die Bodenpreise fallen. Die, die ihre Häuser schon dort hatten – so verrückt ist das –, bekommen überhaupt keinen Versicherungsschutz. Das sind Probleme, die wir hier konstruktiv diskutieren müssen, damit wir den begonnenen Hochwasserschutz schnell und zügig fortführen können.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der NPD)

Ich frage die SPD-Fraktion, ob sie noch das Wort wünscht? – Wird von der Linksfraktion.PDS noch das Wort gewünscht? – Herr Dr. Hahn, bitte.

(Karl Nolle, SPD: Na, André, in Pappritz gibt es doch gar kein Hochwasser!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe in meinem ersten Redebeitrag über Versäumnisse, die es seit 2002 gegeben hat, gesprochen. Ich will nur noch einen Punkt nennen. Sie können ja sagen, ob das zutrifft. Seit 2002 wurden hierzulande Deiche auf einer Länge von 50 Kilometern gesichert bzw. neu gebaut. Wenn Medienberichte stimmen, dann waren es im gleichen Zeitraum in Sachsen-Anhalt über 400 Kilometer. Diese Differenz ist eklatant und erklärungsbedürftig.

Ich möchte noch einmal auf aktuelle Probleme und die notwendige Schadensregulierung zu sprechen kommen. Seit Wochen, ja, man kann sagen, seit Monaten war bekannt, dass auf der tschechischen Seite, aber auch in unseren Mittelgebirgen große Schneemengen liegen, die bei Tauwetter zu einem gefährlichen Hochwasser führen könnten. Trotzdem ist fast nichts geschehen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Sehr richtig!)

Warum wurden zum Beispiel erst jetzt und nicht schon seit Wochen die Deiche verstärkt oder vorsorglich Sandsäcke bereitgestellt? Warum wurden an neuralgischen Punkten wie der S 88 in Gohlis nicht vorbeugende Maßnahmen ergriffen? Warum sind viele Vermessungsunterlagen, die sich 2002 als fehlerhaft erwiesen haben, bis zum heutigen Tage nicht korrigiert worden? Warum sind die historischen Hochwassermargen vielerorts nicht ordentlich eingemessen und kartiert? Warum wurden und werden Straßen- und Brückenbaumaßnahmen in Elbauen trotz berechtigter Einwände bis heute durch die Regierungspräsidien genehmigt?

(Beifall des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Ich frage weiter: Will die Staatsregierung angesichts der neuesten Entwicklung wirklich die Planungen für einen Gesetzentwurf fortführen, der den Verzicht auf das Vorkaufsrecht in Überschwemmungsgebieten vorsieht? Auf diese Fragen erwarte sicher nicht nur ich eine klare Antwort. Es erscheint aus meiner Sicht ganz aktuell zum Beispiel geboten, dass die Hochwasserstände jetzt mit Farblinien markiert werden, um für die Zukunft zu dokumentieren, wo das Elbwasser bei der derzeitigen Pegelhöhe tatsächlich steht. In Pirna hat man in den letzten Tagen diesbezüglich schon vorbildlich agiert. Man hat durch entsprechende Markierungen den Bürgern deutlich gemacht, wie hoch das Wasser bei welchem Pegel steigen wird. In der gesamten Innenstadt hat man entsprechende Maßnahmen getroffen.

Es gibt einen weiteren Punkt, Herr Staatsminister Tillich. Auch die jetzt zutage getretenen Schadstellen an den Deichen müssen umgehend farblich markiert werden, um wenigstens die dringendsten Reparaturen vornehmen zu können. In einigen Tagen, wenn das Wasser zurückgegangen ist, wird man nicht mehr exakt feststellen können, wo das Wasser durch die Deiche gesickert ist. Die Stellen müssen jetzt markiert werden, und natürlich muss im kommenden Doppelhaushalt eine entsprechende Summe für den Hochwasserschutz eingestellt werden. Ich denke, das ist unser aller Wille.

Wenn ich schon beim Haushalt bin, Herr Finanzminister, dann will ich noch einmal aus Sicht der Linksfraktion betonen, dass ein staatliches Hilfsprogramm für die Flutfolgenbeseitigung unverzichtbar ist.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Der Ministerpräsident hat sich tagelang einem solchen Ansinnen widersetzt. Kollege Pecher von der SPD

Fraktion hat gestern Abend im MDR wagemutig ein derartiges Programm gefordert und die Summe von zehn Millionen Euro ins Spiel gebracht. Ich danke Ihnen. Das wäre sicherlich besser als nichts, aber es wird natürlich nicht ausreichen. Allein im Landkreis Sächsische Schweiz werden vermutlich Schäden in deutlich zweistelliger Millionenhöhe zu konstatieren sein. Weder kann der Landkreis die Kosten für die Katastrophenbekämpfung und die unabwendbare Müllbeseitigung tragen, noch sind die betroffenen Unternehmen und Privatpersonen in der Lage, für die Hochwasserfolgen allein aufzukommen.

Herr Rößler hat es eben schon angesprochen: Der Ministerpräsident hat Recht, wenn er sagt, der Freistaat sei kein Versicherungsunternehmen. Aber man darf die Augen nicht vor den Realitäten verschließen. Eine Mehrheit der Betroffenen hat nicht aufgrund eigenen Verschuldens keinen Versicherungsschutz; viele sind deshalb schutzlos geworden, weil die Versicherungen ihnen nach 2002 gekündigt oder neue Policen nur zu exorbitanten Preisen angeboten haben. Zahlreiche Hauseigentümer in der Sächsischen Schweiz, aber auch eine ganze Reihe von Unternehmen haben noch mit Altkrediten zu kämpfen und/oder mit Verbindlichkeiten, die nach dem Hochwasser 2002 aufgenommen werden mussten. Insofern muss vielleicht perspektivisch darüber nachgedacht werden, ob nicht doch eine Pflichtversicherung gegen Elementarschäden für alle Hausbesitzer vernünftig wäre.

(Beifall der Abg. Regina Schulz, Linksfraktion.PDS)

Dennoch muss den Betroffenen jetzt schnell geholfen werden. Dazu werden Spendenaufrufe mit Sicherheit nicht ausreichen. Ich fordere deshalb ausdrücklich das Kabinett auf, schon in der nächsten Sitzung ein entsprechendes Sofortprogramm zu beschließen. Das wäre auch vor der nächsten Landtagssitzung. Tun Sie das, die Betroffenen werden Ihnen dankbar sein.

Eine letzte Bemerkung, Herr Präsident. In einem Punkt stimme ich mit der Staatsregierung überein. Wir müssen alles tun, damit der Tourismus jetzt nicht zusammenbricht. Sachsen ist weiterhin eine Reise wert und wir alle im Landtag tun gut daran, im In- und Ausland dafür zu werben. Die beste Hilfe für die Sächsische Schweiz wäre, wenn noch in diesem Jahr möglichst viele Urlauber dorthin kämen, auch in andere Gebiete Sachsens. Das ist die beste Hilfe und Unterstützung für die Region.

Herzlichen Dank.