Protokoll der Sitzung vom 10.12.2004

Hierzu können die Fraktionen in folgender Reihenfolge in der ersten Runde Stellung nehmen: PDS, CDU, SPD, NPD, FDP, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn gewünscht.

Ich erteile der PDS-Fraktion das Wort. Herr Falk Neubert wird sprechen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema, welches wir als PDS-Fraktion heute auf die Tagesordnung gesetzt haben, ist nicht neu. Schon verschiedentlich haben wir in diesem Hause über das Problem Rechtsextremismus in Sachsen gesprochen. Neu ist nur eines: Die Nazis gibt es in der Zwischenzeit nicht mehr nur in Jugendclubs und Schulen, sondern jetzt auch im Landtag. Vor dieser manchmal ziemlich gespenstischen Kulisse würde sich nur lächerlich machen, wer noch – wie im Jahr 2000 Biedenkopf – sagen würde: „Die sächsische Bevölkerung hat sich gegenüber rechtsradikalen Versuchen als völlig immun erwiesen.“ Wahrscheinlich hat diese Tatsache dazu geführt, dass nun auch in der CDU die Probleme ernster genommen werden, denn bisher hat sie dieses Problem immer heruntergespielt. Zumindest in dieser Beziehung haben wir mit Freude die neuen Töne der gestrigen Regierungserklärung gehört.

Wir hatten als PDS-Fraktion schon in unserem letzten alternativen Haushalt 2 Millionen bzw. 3 Millionen Euro pro Jahr für ein solches Landesprogramm gegen Rechtsextremismus veranschlagt. Die CDU-Mehrheit lehnte unseren Vorschlag ab. Nun endlich steht ein solches Programm im Koalitionsvertrag und ist mit 2 Millionen Euro untersetzt.

Sehr geehrte Damen und Herren, die Sommerlochdebatte zum Rechtsextremismus vor vier Jahren – und das war wirklich das Positive daran – gab den Raum, über dieses Problem öffentlich zu diskutieren und nach gemeinsamen Konzepten zu suchen, wie die Gesellschaft rechtsextremistische Einstellungen zurückdrängen kann.

Von der Bundesregierung wurden verschiedene Programme für Toleranz und Demokratie aufgelegt. Allerdings waren diese der damals noch allein regierenden

CDU ziemlich egal und sie wirkte eher genervt von den bundespolitischen Initiativen. Das war aus unserer Sicht eine gravierende und unverantwortliche Fehleinschätzung der sächsischen CDU; denn man konnte das Erstarken rechtsextremer Strukturen in den letzten Jahren beobachten, und auch die Verfassungsschutzberichte machten das deutlich. Glücklicherweise konnten aber durch die Bundesmittel auch in Sachsen vielfältige Initiativen unterstützt werden und Netzwerke entstehen, die für eine demokratische Alltagskultur streiten, politische Bildung anbieten und Opfer rechter Gewalt unterstützen. Die Ressourcen reichten aber bei weitem nicht aus, zumal die Bundesförderung bedauerlicherweise von vornherein regressiv angelegt war.

Sehr geehrte Damen und Herren, vor diesem Hintergrund ist das vorgeschlagene Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit ein erster und wichtiger Schritt. Nun müssen wir über die Ausgestaltung des Programms sprechen. Der Antrag, der Ihnen heute von der PDS-Fraktion vorliegt, ist dafür ein Angebot. Bevor ich aber darauf etwas näher eingehe, möchte ich noch etwas Grundsätzliches sagen.

Erstens. Rechtsorientierte Einstellungen und rechte kulturelle Verhaltensmuster sind nicht nur und noch nicht einmal vor allem bei jungen Menschen vorhanden. Sie sind relativ konstant in allen Altersgruppen vertreten. Aber Jugendliche unterscheiden sich von anderen Altersgruppen dadurch, dass sie eher bereit sind, ihre Gesinnung, egal welche, offen zur Schau zu tragen. Deshalb ist es aus unserer Sicht ein entscheidender Faktor für die Zurückdrängung von Rechtsextremismus, Jugendliche dabei zu unterstützen, die Demokratie zu leben, sich in die Gesellschaft einzubringen und gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit aufzubegehren.

(Beifall bei der PDS)

Aus diesem Grunde setzt unser Antrag sehr stark bei Jugendlichen an.

Zweitens. Ein Förderprogramm für Demokratie und Toleranz kann und darf in keinem Fall eine solide finanzierte Jugendarbeit ersetzen. Eine ordentliche kommunale Jugendarbeit ist überhaupt die Voraussetzung

dafür, dass ein solches Landesprogramm wirklich erfolgreich sein kann. Da macht es mir schon Angst, mit welcher Leichtfertigkeit auf kommunaler Ebene die Mittel für die Jugend gekürzt werden. Neulich sagte mir beispielsweise ein Bürgermeister, dass die NPD in seiner Gemeinde trotz guter Finanzierung der Jugendarbeit erfolgreich gewesen sei. Sein Fazit war nun, dass man aus diesem Grunde die Mittel auch streichen könnte. Eine solche Einstellung halte ich für verantwortungslos und kurzsichtig.

Sehr geehrte Damen und Herren, vier Schwerpunkte haben wir in unserem Antrag für ein solches Landesprogramm gegen rechtsorientierte Einstellungen und kulturelle Verhaltensmuster bei Jugendlichen benannt. Erstens geht es um die Sensibilisierung bezüglich rechtsextremer Ideologien, Symbole und Strukturen sowie um die Qualifizierung von Pädagoginnen und Pädagogen im Umgang mit rechtsorientierten Jugendlichen. Zweitens geht es um die Kooperation verschiedener gesellschaftlicher Institutionen, insbesondere der Jugendhilfe und der Schule, beim Zurückbringen rechtsorientierter Einstellungen. Drittens ist es wichtig, dass es viel stärker als bisher in den Lehrplänen und Projekten der Schule eine Auseinandersetzung mit dem Faschismus und der menschenverachtenden Ideologie Rechtsextremer gibt.

(Beifall bei der PDS)

Im vierten Punkt unseres Antrages soll die Förderung regionaler Kompetenzzentren sichergestellt werden. Diese Zentren sollen Aufklärungsarbeit zum Thema Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt vor Ort leisten und Opfer rechter Gewalt unterstützen. Sie sollen vor Ort verschiedene Beteiligte aus Schule, Jugendhilfe, öffentlicher Verwaltung, Polizei usw. vernetzen und ein gesellschaftliches Klima fördern, das die Entstehung einer rechten Hegemonie verhindert. Diese Zentren sollen auch alternative kulturelle Veranstaltungen für Jugendliche anbieten.

Sehr geehrte Damen und Herren, es wird Zeit, dass wir an die Untersetzung dieses Landesprogramms gehen. Von verschiedenen Institutionen wurde dafür schon eine gute Vorarbeit geleistet. Ich verweise nur beispielhaft auf die vielfältigen lokalen und überregionalen Initiativen oder auch auf das Positionspapier des Netzwerkes „Tolerantes Sachsen“, welches vor einiger Zeit vom Runden Tisch gegen Gewalt übernommen wurde, oder auch auf die Evaluation der Evangelischen Fachhochschule, welche die Arbeit verschiedener Demokratieprojekte in Sachsen wissenschaftlich begleitet hat. All das sind wertvolle Anregungen für die zukünftige Arbeit in diesem Bereich.

Sehr geehrte Damen und Herren der Koalitionsfraktionen, nicht zuletzt wegen der durchaus klaren Worte, die der Ministerpräsident gestern gefunden hat, rechnen wir jetzt mit Taten und das heißt mit Ihrer Zustimmung für den Antrag der PDS-Fraktion.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS und der Abg. Astrid Günther-Schmidt, GRÜNE)

Als Nächster spricht der Vertreter der CDU-Fraktion, Herr Abg. Rohwer.

Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Im Bierkeller fing alles an. Dort entdeckte der Gefreite sein politisches Talent und schärfte seine rhetorische Begabung zwischen Maßkrügen und Bierbänken. Als Adolf Hitler am 24. November 1920 die verrauchte Luft des Festsaals im Münchner Hofbräuhaus mit seiner schneidenden Stimme durchschnitt, drängten sich 2 000 Menschen auf die engen Bänke. Darunter warteten knapp 400 Sozialisten nur auf die Gelegenheit, die Versammlung zu sprengen. Die schien sich zu bieten, als Hitler mit 25 Thesen zum Nationalsozialismus die Stimmung fast zum Überkochen brachte. So sehr sie auch versuchten, Hitler niederzuschreien – den Linken gelang es nicht.

In der hitzigen Diskussion brüllten die Münchner Sozialisten, eine rechte Diktatur würde mit einer linken Diktatur beantwortet. Nach diesen Worten strömten sie aus dem Hofbräuhaus auf die Straße, die vom Jubel für die „Internationale“ widerhallte. Schlägereien gab es an diesem Abend keine mehr, aber es sollte auf dem Wege zum Nationalsozialismus noch genügend Gelegenheit geben, den politischen Gegner mit Fäusten zu überzeugen – Fäusten, die nicht nur den einen oder anderen Nationalsozialisten und Kommunisten, sondern auch den ersten zaghaften Versuch einer deutschen Demokratie k. o. schlugen.

Was sich in der Weimarer Republik als politischer Sport erwies, findet seit kurzem auch im Freistaat Sachsen wieder Anhänger. Da rühmen sich Rechtsextremisten, eine Podiumsdiskussion zum Thema „Kampf den Verführern!“ am „Tag der Sachsen“ gesprengt zu haben.

Wie schon in der Weimarer Republik, in der die NSDAP bei den Linken in die Lehre gegangen ist, lernt heute die NPD von der Antifa, und dann kommt unser medienberauschtes Landtagsküken und wundert sich, wenn autonome Gesinnungsgenossen den Verfassungsfeinden von der anderen Fraktion einmal zeigen, was sie unter einem „herrschaftsfreien Diskurs“ über Drogenpolitik verstehen.

(Beifall der Abg. Rita Henke, CDU)

Wiederholt sich hier Geschichte? Wird hier Demokratie von den extremistischen Kräften aus der Bahn geworfen? – Ich denke, nicht. Vielmehr bin ich von der freiheitlichen Grundlage unseres Staates fest überzeugt.

(Einzelbeifall bei der CDU)

Unsere wehrhafte Verfassung bringt genug Gewicht auf die Waage. Sie stellt Freiheit über das politische Kalkül und zwingt die Gesellschaft dazu, sich politisch mit ihren Feinden auseinander zu setzen. Mit Feinden, die in den Landtag einfielen wie Maden in einen Apfel. Mit Feinden, die glauben, den wurmstichigen Apfel zu Mus verarbeiten zu können. Gerade deshalb war Ihr Bekenntnis gegen Gewalt, Herr Leichsenring, gestern überhaupt nicht glaubhaft. Warum haben Sie sich denn so treu und

brav gegen die Razzia des Verfassungsschutzes und der Polizei gegen die SSS zu Wort gemeldet?

(Klaus-Jürgen Menzel, NPD: Das war ein Armutszeugnis!)

Die politische Landschaft im Freistaat Sachsen hat sich nach den Landtagswahlen verändert. Damit meine ich nicht die Sitzverhältnisse im Landtag, sondern die politische Kultur im Land. Der „Weberskandal“ am Dresdner Staatsschauspiel ist ein Beispiel dafür. In dieser Inszenierung wird mit Überspitzungen und Emotionen die Wahrnehmung von Politik verzerrt. So soll der „Dresdner Weberchor“ die Gefühle der Zuschauer ansprechen.

Anders bei Brecht. Bei ihm sind Chöre ein Mittel der Verfremdung, die Distanz schaffen soll. Dass diese Distanz in Dresden überhaupt nicht erwünscht ist, zeigt das Programmheft. Hier steht: „Dieser Aufwand ist nicht das Ergebnis einer vernünftigen politischen Überlegung, sondern das Ergebnis einer sich von Akt zu Akt steigernden emotionalen Erregung. Die da oben haben es zu weit getrieben. Jetzt reicht es, und zwar endgültig.“ Da bleibt kein Raum für Pro und Kontra.

Aber brauchen wir heute nicht mehr denn je einen kommentierenden Erzähler im brechtschen Sinne? Einen Erzähler, der Verantwortung übernimmt und Distanz ermöglicht? Sollte die Kunst sich angesichts der extremistischen Bedrohung nicht wieder dieser Verantwortung stellen? – Ich denke, wir sind uns ziemlich schnell einig, Frau Staatsministerin Ludwig, dass wir kein staatstragendes Theater und auch keine Staatskunst wollen. Aber warum nicht einmal Denkanstöße geben, meine Damen und Herren, Denkanstöße, wie man sich kreativ und konstruktiv mit unseren politischen Werten auseinander setzen kann? Brauchen wir heute die Beliebigkeit der 68er oder brauchen wir heute mehr denn je die Bereitschaft der Demonstranten der friedlichen Revolution von 1989, die bereit waren, Verantwortung zu übernehmen?

Mag sein, dass einer der Intendanten in seiner scheinbar staatskritisch-linksintellektuellen Haltung verwurzelt ist. Aber ist das für ein sächsisches Theater, das politisch sein will, heute noch der richtige Weg? Es reicht eben nicht, die Realität auf die Bühne zu bringen. Es reichte zu Schillers Zeiten nicht, es reichte zu Hauptmanns Zeiten nicht und es reicht heute erst recht nicht. Veränderungen, die über ein Entladen von Emotionen hinausgehen, brauchen Distanz zur Sache; denn so manches Ereignis der letzten Wochen zeigt, wie leicht ohne Distanz die Situation eskalieren kann.

Die Frage ist: Wie viele Emotionen vertragen wir? Muss man Eitelkeit wirklich so weit treiben, dass einem kesse T-Shirts, eine Fotostrecke bei „Bild“ und die Einladung zu „Kerner“ mehr wert sind als die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus? Stattdessen müssen wir in diesem Landtag unserer Verantwortung gerecht werden und die selbstbewusste Deutungsmacht der NPD erschüttern. In diesem Moment bin ich dann eben doch emotional.

Sachsen hat ein Problem mit dem Rechtsextremismus. Das Problem hat Sachsen nicht erst, seitdem sich eine Partei nationalsozialistischer Sympathisanten als Anwalt

des kleinen Mannes verkauft. Daher möchte ich die heutige Debatte auch dazu nutzen, den jungen Menschen zu danken, die sich in den national befreiten Zonen dem rechten Mainstream entgegenstellen.

(Beifall des Abg. Volker Bandmann, CDU)

Sie treten für Werte ein, für die ihre Eltern 1989 auf die Straße gegangen sind, und wenn ich mich recht erinnere, Herr Apfel, ging es dort um die Grund- und Freiheitsrechte, deren Allgemeingültigkeit Sie heute infrage stellen. Ein Blick in den von Ihnen herausgegebenen „Taschenkalender des nationalen Widerstandes“ genügt, um die Verlogenheit zu erkennen, mit der Sie sich auf den 9. November 1989 berufen. Schade, dass Sie diese Ehrlichkeit an der Landtagspforte mit Ihrem Mantel abgeben, dem Mantel, in dem wahrscheinlich dieser Kalender steckt.

Zivilcourage ist erste Bürgerpflicht. Aber wie erreichen wir das? Ihr Antrag, liebe Kollegen von der PDS, folgt der ideologischen Beliebigkeit, die Sie beim Rechtsextremismus so gern an den Tag legen. Ich erinnere nur an die Forderung nach einer antifaschistischen Klausel, die Sie in vollkommenem Verkennen der verfassungsrechtlichen und verfassungsgeschichtlichen Grundlagen im Grundgesetz einführen wollen – und nun dieser Antrag, in dem Sie feststellen, dass extrem rechte Einstellungen in Sachsen nicht geduldet würden. Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer politischen Einäugigkeit! Ich hingegen sage: In Sachsen wird Extremismus nicht geduldet;

(Beifall bei der CDU – Caren Lay, PDS: Das steht doch gar nicht drin!)

denn die Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung geht eben nicht nur vom Rechtsextremismus aus,

(Uwe Leichsenring, NPD: Das sind eure Demonstrationen!)

auch Linksextremisten ziehen die Freiheitsrechte in den Dreck.

(Beifall bei der CDU – Uwe Leichsenring, NPD: So ist es!)

Auch deshalb wäre in der gestrigen Landtagsdebatte eine Distanzierung und Entschuldigung der PDS-Fraktion zum Geschehen vom 27. November in Pirna, Dresden und Leipzig richtig gewesen.

(Beifall bei der CDU – Rita Henke, CDU: Richtig!)

Wohin dieser Extremismus führt, wissen wir. Die Nationalsozialisten vergasten ihre eigene Bevölkerung, und im real existierenden Sozialismus tauschte an der Berliner Mauer mancher sein Leben gegen den Wunsch nach Freiheit.

Mir ist bewusst, dass große Teile der PDS immer noch in der ritualhaften Verdrängungsaufarbeitung der DDR verhaftet sind. Die alten Genossen würden am liebsten wie

der Jugendweihefeiern an der „Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald“ durchführen.