Protokoll der Sitzung vom 10.12.2004

Das war der Sprecher der Antragstellerin. Jetzt folgt die allgemeine Aussprache, als Erstes die CDU-Fraktion. Für sie spricht Herr Jürgen Petzold. – Nein, Herr Schiemann; man hat gewechselt.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am gestrigen Tag hatten wir Gelegenheit, uns über die Existenz der deutschen Länder zu unterhalten. Es gab unterschiedliche Auffassungen zum Föderalismus. Die einen sprachen vom Wettbewerbsföderalismus, die anderen spra

chen davon, dass wir den Föderalismus überhaupt erhalten müssen und damit auch unser Land. Ich glaube, es ist wichtig, dabei festzustellen, dass die Unterschiedlichkeit der deutschen Länder von allen Fraktionen angepriesen worden ist. Alle Fraktionen haben gesagt: Natürlich müssen die Länder auch Gestaltungsspielräume haben und sollten nicht nur die Landesrechte der anderen Länder übernehmen. Das ist ein Maßstab, dem wir uns heute an dieser Stelle gleich stellen können.

Die CDU-Fraktion hat sich – wie bereits einige Legislaturperioden zuvor – sehr intensiv mit dem Inhalt des in Rede stehenden Antrags befasst. Die angesprochenen Sachprobleme sind aus wirtschaftspolitischer, aus finanzpolitischer, ja auch aus kulturpolitischer, aus religiöser, aus gesellschaftspolitischer Sicht und natürlich auch aus dem Blickwinkel des Verfassungsrechts diskutiert worden. Dabei gab es je nach Blickwinkel der Diskussion Unterschiede in den Auffassungen.

Zu einer Frage gab und gibt es überhaupt keinen weiteren Erörterungsbedarf und keinen Dissens: Der Schutz der Sonn- und Feiertage darf nicht angetastet werden.

(Beifall bei der CDU und der SPD – Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, PDS)

Die CDU hat dazu nach wie vor eine klare Position.

Herr Schiemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

(Dr. André Hahn, PDS, steht am Mikrofon.)

Ich gestatte heute leider keine Zwischenfragen.

(Dr. André Hahn, PDS: Tut mir Leid!)

Wir stehen zur 1992 verabschiedeten Sächsischen Verfassung, zu den Staatskirchenverträgen mit der Evangelischen Landeskirche und der Katholischen Kirche ohne Wenn und Aber. Zitat: „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.“ So Artikel 139 der Weimarer Verfassung, der über Artikel 140 des Grundgesetzes und natürlich Artikel 109 Abs. 4 der Verfassung des Freistaates Sachsen in Sachsen unmittelbar geltendes Recht, Verfassungsrecht ist.

Dies ist die verfassungsrechtliche Grundentscheidung für die Ausgestaltung des Sonn- und Feiertagsrechts. In der verfassungsrechtlichen Kommentarliteratur ist anerkannt, dass die Normen des einfachen Rechts im Lichte der Grundrechte auszugestalten sind. Ich wiederhole: Das ist geltendes Recht. Wir sind von Verfassungsrechts wegen gehalten, so wenig werktägliche Tätigkeiten wie möglich an Sonn- und Feiertagen zu erlauben.

Wenn das Autowaschen als typisch werktägliche Beschäftigung in Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt erlaubt ist, so kann ich mir das nur mit einer in diesen Ländern anderen Verfassungsrechtslage erklären.

Ich möchte aber nicht nur auf der juristischen Ebene argumentieren. Ich möchte auch die gesellschaftspolitische Frage stellen: Was ist uns der Sonntag wert? Was bedeuten uns die Feiertage?

(Beifall der Abg. Dr. Barbara Höll, PDS)

Danke. Dabei verkenne ich nicht die wirtschaftlichen Interessen der Videoverleiher und der Tankstellenpächter. Wir sind aber nach einem Abwägungsprozess, den sich meine Fraktion wahrlich nicht leicht gemacht hat, zu der Überzeugung gelangt, dass der Schutz der Sonnund Feiertage für die Gesellschaft weitaus wichtiger ist.

Der Sonntag ist für viele Familien der einzige Tag, an dem sie ihr Familienleben gemeinsam gestalten können. Er ist damit für viele Menschen der einzige Tag, an dem sie im Kreis ihrer Lieben von der Erwerbstätigkeit und damit auch von werktäglichen Verrichtungen frei bleiben können. Sonntage sind für viele Menschen in unserem Land Erholungstage von schwerer und anstrengender Arbeit. Wenn wir die Erwerbstätigkeit auf den Sonntag ausdehnen, geht mit jedem einzelnen Schritt in dieser Richtung auch ein Stück Erholungstätigkeit verloren. Am Ende könnte ein Sonntag stehen, der sich in nichts mehr vom Werktag unterscheidet. Dies ist weder mit unserer im Christentum ruhenden Kultur noch mit der Würde des arbeitenden Menschen vereinbar.

Der Sonntag ist natürlich auch ein wichtiger religiöser Tag der Woche. Ähnliches gilt für die Feiertage. Wenn wir es verlernen, Feste als solche zu begreifen und zu feiern, verliert unser Leben seinen Rhythmus. Die Gleichförmigkeit und die Gleichartigkeit der Tage mag im Interesse der Wirtschaft, zumal einer globalisierten Wirtschaft, liegen, im Interesse der Menschheit und zumal des einzelnen Individuums liegt sie nicht.

Schließlich möchte ich noch auf das Arbeitsplatzargument eingehen. Bitte bedenken Sie, dass die Gesamtzahl der zu waschenden Autos nicht deshalb größer wird, weil man auch am Sonntag Autos waschen könnte. Wer sein Auto in einer automatischen Waschanlage waschen möchte, kann dies von Montagfrüh bis Samstagabend zu fast jeder Zeit tun.

Das Gleiche gilt natürlich für die Ausleihe von Videofilmen. Nach meinen Erkundigungen sind beispielsweise in der schönen Stadt Görlitz Videotheken montags bis donnerstags von 10:00 bis 22:00 Uhr sowie freitags und sonnabends sogar bis 23:00 Uhr geöffnet. Freunde des Videofilms können also ohne Schwierigkeiten ihren Bedarf an sechs Werktagen decken.

(Dr. André Hahn, PDS: Kostet aber mehr!)

Meine Damen und Herren! Wenn wir etwas für die Tankstellenpächter tun wollen, dann sollten wir steuerrechtliche Maßnahmen zur Unterbindung des Tanktourismus nach Polen und Tschechien ergreifen. Der außerordentlich hohe Steuerunterschied zwischen Deutschland einerseits sowie Polen und Tschechien andererseits ist eine echte Existenzbedrohung für die Tankstellenpächter im Grenzgebiet. Hier sollten wir gemeinsam auf den Bund einwirken, durch Tankkarten oder Steuererstattungen das Tankstellensterben in den Grenzregionen zu verhindern. Dankbar bin ich deshalb dafür, dass die CDU

in Görlitz eine entsprechende Initiative diskutiert hat, und ich bin sehr froh, dass Herr Staatsminister Jurk diese Initiative weitergetragen und einen klaren Vorstoß dazu unternommen hat. Wir unterstützen ihn in dieser Angelegenheit rückhaltlos.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Schluss möchte ich meiner Fraktion ganz herzlich dafür danken, dass sie einen – ich wiederhole es nochmals – aus wirtschaftspolitischer, finanzpolitischer und auch gesellschaftspolitischer Sicht sehr schwierigen Prozess abgeschlossen hat. Danken möchte ich den Bischöfen der Kirchen für die klaren Worte, die sie an uns gerichtet haben. Werte werden für uns nur wertvoll bleiben, wenn wir sie als Besonderheit ansehen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sonntage sind das kulturelle Tafelgold unseres Sächsischen Landtages – unseres sächsischen Landes.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU – Lachen bei der PDS – Dr. André Hahn, PDS, tritt ans Mikrofon.)

Nein, ich bin jetzt nicht willens, eine Frage zuzulassen. – Wer daran rüttelt, setzt den Zusammenhalt unserer Gesellschaft aufs Spiel. Ich wiederhole: Die CDU-Fraktion wird sich weiter an die Verfassung halten. Wir möchten, dass Sonn- und Feiertage geschützt sind, und werden Ihrem Antrag nicht zustimmen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU sowie der Abg. Karl Nolle, SPD, und Astrid Günther-Schmidt, GRÜNE)

Jetzt spricht für die PDS-Fraktion der Abgeordnete Gebhardt.

Herr Präsident! Herr Schiemann, ich glaube, Ihr Versprecher am Ende entsprach vielleicht doch der Realität. Sie leben nicht in dieser Realität, sondern hier im Landtag. Wenn ich mir die Vorberichterstattung zu der heutigen Landtagssitzung in den sächsischen Medien anschaue, müsste ich meinen, mit dem jetzigen Tagesordnungspunkt werde ein neues Zeitalter in der technischen Revolution begonnen. Wenn man dann noch hört, was Herr Schiemann uns gerade vorgetragen hat, muss man als Betrachter schon den Eindruck erhalten, es gehe um große politische Veränderungen in diesem Land. Dabei geht es weder um die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit noch um die finanzielle Situation der Kommunen im Freistaat noch um die Bildungspolitik im Lande, sondern es geht simpel darum, ob Videotheken und vollautomatische Autowaschanlagen künftig an Sonn- und Feiertagen geöffnet haben dürfen.

Nachdem der Deutsche Bundestag am 29. April 1998 einen Entschließungsantrag zu den Öffnungszeiten der Videotheken gefasst und angeregt hat, eine Öffnung an Sonn- und Feiertagen zu ermöglichen – Zitat: „… weil insoweit eine Schlechterstellung dieses Bereiches im Gegensatz zu allen anderen Arten von Unterhaltung, wie Filmtheater- und Theaterbesuch sowie Besuch von Sportveranstaltungen, vorliegt –, ist es den Ländern freige

stellt,“ – da liegt der Föderalismus drin, den Herr Schiemann angesprochen hat –, „auf eine Änderung der Sonn- und Feiertagsgesetze hinzuwirken.“

Diese Debatte fand im Übringen anlässlich der Novellierung des Filmförderungsgesetzes im Bundestag statt. Der Bundestag erkannte die Videotheken als kulturelle Dienstleistungseinrichtungen an.

Aus den Antworten auf zwei Kleine Anfragen von Mitgliedern meiner Fraktion aus den Jahren 1999 und 2001 geht hervor, dass die Staatsregierung der Meinung war, in Sachsen solle es weiterhin keine Sonntagsöffnungszeiten geben. Herr Schiemann bestätigte das eben nochmals für seine Fraktion. Herr Schommer antwortete 1999, für die Ungleichbehandlung von Videotheken gegenüber anderen Freizeitund Kultureinrichtungen bestehe ein sachlicher Grund. Als Grund wurde der Schutz der Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen angegeben.

Ich denke – und so sieht es auch die Mehrheit meiner Fraktion –, mit einer Öffnungsmöglichkeit für Videotheken würden wir auch in Sachsen dem Wandel in der gesellschaftlichen Anschauung über Sinn und Zweck der Sonntage und der gesetzlichen Feiertage und dem deutlich in den Vordergrund getretenen Erholungscharakter Rechnung tragen. Letztlich können mündige Bürgerinnen und Bürger selbst entscheiden, was sie sonntags machen, ob sie diesen Tag damit verbringen wollen, in eine Autowaschanlage zu fahren oder in der Familie oder mit Freunden eine DVD oder ein Video auszuleihen und anzuschauen oder zu einem Spiel einer sächsischen Mannschaft der 2. Bundesliga zu gehen. Letztlich geht es bei den Öffnungen an Sonn- und Feiertagen nicht nur um die Befriedigung von Kundeninteressen, sondern die Erhöhung des Umsatzes der Videowirtschaft trägt auch nicht unwesentlich zur Förderung der neuen deutschen Filmproduktion bei. Je höher der Umsatz ist, desto höher sind die Abgaben an die Filmförderungsanstalt.

Der Hauptinhalt der Tätigkeit der Videotheken ist die Verbreitung von Spielfilmen auf Video bzw. DVD. Videotheken müssen als Dienstleistungseinrichtungen für den Kunden oder die Kundin dann erreichbar sein, wenn er oder sie die meiste Freizeit hat, in der Regel am Sonntag. Die Behauptung, man könne sich doch bereits an einem Werktag entscheiden, ob man am Sonntag einen Film anschauen möchte, geht an dem grundlegenden Freizeitverhalten der Bürgerinnen und Bürger weit vorbei. Das Freizeitverhalten hat sich grundlegend gewandelt. Dass über die Nutzung von Freizeitangeboten fast nur noch sporadisch entschieden wird, wissen wir doch alle selbst. Die Videotheken werden dadurch an Sonn- und Feiertagen als mögliche Form der Nutzung durch filminteressierte Bürgerinnen und Bürger ausgeschlossen. Mit ihrem Filmangebot sind Videotheken heute längst ein Teil des örtlichen Kulturangebotes.

In den Ländern, in denen es Sonntagsöffnungszeiten gibt, nutzen 30 % der Sonntagskunden nur am Sonntag die Videothek. Der Sonntag ist dort zum drittwichtigsten Ausleihtag geworden.

Ich denke, wenn wir in den nächsten Monaten entscheiden, ob wir in Sachsen Sonntagsöffnungszeiten zulassen oder nicht, wird sich für weitere Videotheken eine Öffnung nicht nur an Sonntagen gar nicht mehr rechnen. Wir erleben in den letzten Jahren einen radikalen Wan

del in der Zur-Verfügung-Stellung von Filmen. So ist es heute relativ einfach, über Kabelkanäle oder das Internet bestimmte Filme legal auf den heimischen Fernseher oder Rechner zu laden – ohne Beachtung von Sonn- und Feiertagsöffnungszeiten.

Dass die FDP die Sonn- und Feiertagsöffnungszeiten der Videotheken und die Nutzung der vollautomatischen Autowaschanlagen in einen gemeinsamen Antrag genommen hat, kann man nur damit erklären, dass es um die Sonn- und Feiertagsöffnungszeiten geht. Ansonsten haben beide Probleme doch relativ wenig miteinander zu tun.

Trotzdem ist die Mehrheit meiner Fraktion dafür, in Sachsen die Möglichkeit des Betriebes von vollautomatischen Autowaschanlagen an Sonn- und Feiertagen zu eröffnen.

Herr Gebhardt, ist eine Zwischenfrage erwünscht?

Herr Hahn.

(Zuruf des Abg. Volker Bandmann, CDU)

Herr Bandmann, ich möchte gern dem Redner eine Zwischenfrage stellen und nicht Ihnen. Deshalb habe ich mich gemeldet, während Herr Gebhardt spricht.

(Zurufe von der CDU)

Ich möchte Sie fragen, Herr Kollege Gebhardt, ob Sie heute Morgen möglicherweise MDR info und die Stellungnahme des CDU-Fraktionsvorsitzenden zu diesem Antrag der FDP gehört haben, ob Sie auch gehört haben, dass sich die CDU das eigentlich vom Grundsatz her durchaus vorstellen kann, und ob Sie wie ich der Auffassung sind, dass das, was Kollege Schiemann hier dargestellt hat, nicht mit dem übereinstimmt, was Herr Hähle heute Morgen im Rundfunk verkündet hat.

Und zweitens möchte ich Sie gerne fragen – –