Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Kollege Bandmann, Sie legen die gleiche Arroganz und Abgehobenheit an den Tag, die die ehemalige SED samt ihrer verbündeten Blockparteien ausgezeichnet hat. Das nur mal zum Anfang.
Herr Staatsminister Buttolo, als Sie zum Pult geschritten sind, hatte ich für einen kleinen Moment geglaubt, ich könnte mein Manuskript zur Seite legen und hier frei sprechen. Als Sie sich nach etwa fünf Minuten wieder hingesetzt haben, habe ich festgestellt, dass es eben doch
nicht so ist und dass Sie mitnichten auch nur annähernd den Aufforderungen der beiden Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP nachgekommen sind. Da ist es noch relativ uninteressant, ob der Ministerpräsident heute spricht oder nicht. Sie haben nichts weiter gemacht, als wirklich kleinkariert dieses Papier, das nun endlich, längst, längst überfällig, gestern Abend ausgeteilt worden ist – ich habe es um 19:00 Uhr in meinem Postfach gefunden –, teilweise vorzulesen. Aber lesen können wir selbst.
Sie sind mit keiner Silbe auf den Skandal – anders kann man das nicht nennen – eingegangen, dass Sie seit Monaten, korrekt seit dem Eckwertepapier im Dezember 2005, dieses Parlament – speziell die Mitglieder des Innenausschusses – wie unmündige Kinder behandeln und uns zwingen, notwendige Informationen über reguläre oder irreguläre Quellen zu beschaffen, zu den jeweiligen Landräten zu gehen, dort um Informationen zu betteln, aus Medien oftmals nicht belastbare Informationen aufzunehmen, derweil jeder x-beliebige Kreisverband der CDU – ich weiß, wovon ich spreche – über gesicherte Informationen verfügt.
Wer sich so verhält, der muss sich den Vorwurf gefallen lassen, wie eine Staatspartei unseligen Andenkens zu handeln.
Was nun vor wenigen Tagen am 19. Juni 2006 herauskam, ist in jeder Weise unbefriedigend, und zwar deshalb, weil es von Inkonsequenzen und Widersprüchlichkeiten nur so strotzt. Ich habe gestern Abend eigentlich das Fußballspiel Argentinien gegen Niederlande sehen wollen. Ich habe es nicht gesehen, sondern gelesen, in der Hoffnung, Erkenntniszuwachs zu bekommen.
Abgesehen davon, dass ich bei dem Fußballspiel nicht viel verpasst habe, hat sich der Erkenntniszuwachs in Grenzen gehalten.
Ich will aber gerecht sein. Sie haben nach erster Durchsicht ein wirklich fundiertes Leitbild für die neue Kreisgebietsreform vorgelegt. Respekt! Aber die notwendige Verkopplung der Funktionalreform mit Verwaltungsreform, mit Kreisgebietsreform bleibt außerordentlich dünn. Dankenswerterweise hat Kollege Dr. Martens bereits viele Widersprüchlichkeiten hier genannt, die mir genauso aufgefallen sind. Das kann ich jetzt alles weglassen. Ich will nur auf drei, vier zentrale Dinge aufmerksam machen, die – wenn sie von der Regierungskoalition in ihrer unendlichen Weisheit nicht beachtet werden, Kollege Bandmann – Ihnen noch mörderisch auf die Füße fallen können.
Erster Punkt. In den Kommunalisierungen strotzt es nur so von Widersprüchlichkeiten. Das hatte ich bereits gesagt. Nur ein kleines Beispiel: Es ist völlig unverständlich, warum der Sachsenforst, der vor wenigen Monaten erst gegründet wurde, wieder zerschlagen und kommunalisiert werden soll, obwohl diese Beratungsaufgaben nun weiß Gott nicht an Kreisgrenzen Halt machen, währenddessen Sie eine längst überfällige Kommunalisierung, nämlich die der Regionalschulämter – das liegt buchstäblich auf der Hand und diese Einrichtungen sind überflüssig wie ein Kropf –, nur höchst halbherzig und mit vielen Vorbehalten in Prüfungsfragen in Angriff nehmen wollen.
Summa summarum sind Sie lediglich bereit, 3 500 Stellen zu kommunalisieren. Die Experten hatten zirka 5 000 Stellen vorgeschlagen, die zwischenzeitlich in der Diskussion waren. Sie wollen nur zirka 70 % des möglichen Potenzials ausschöpfen. Wenn man das umrechnet – das hat Kollege Lichdi zum Teil getan –, kommen am Ende bei jedem Kreis etwa 120 neue Mitarbeiter an. Jeder Kreis und jede Kreisfreie Stadt vergrößern sich im Mitarbeiterbestand um maximal ein Viertel. Das ist etwa so viel wie bei Hartz IV. Vor anderthalb Jahren wurde die Aufgabe Hartz IV an die Landkreise und Kreisfreien Städte, gleich ob ARGE oder optierende Kommune, übertragen. Mir ist nicht bekannt, dass es damals einen Aufschrei oder ein Stöhnen der Landkreise gegeben hätte ob der unzureichenden Möglichkeit, diese Aufgabe zu schultern. Ich sage Ihnen voraus, Herr Staatsminister Buttolo, Herr Bandmann, Herr Brangs, der Sie sicherlich gleich sprechen werden:
Die verfassungsrechtliche Begründung, dass mit diesem mickerigen Kommunalisierungspotenzial eine erneute Kreisgebietsreform in verfassungskonformer Weise zu begründen wäre, zumal es in fast allen Fällen Mehrfachneugliederungen sein werden, dürfte außerordentlich schwer fallen. Es fällt auf, dass Sie zwar tolle Leitlinien entwickelt haben, diese aber sozusagen in der Luft hängen, weil das Kommunalisierungspaket außerordentlich unzureichend ist und bestenfalls einen Flickenteppich darstellt.
Ein weiteres Problem. Sie sprechen großartig von einer Freiwilligkeitsphase, die sein solle bzw. in der sich jeder finden solle. Dann gibt es so interessante Erscheinungen, ob der Czupalla mit der Frau Köpping kann
oder ob der Herr Schöpp aus Torgau den Herrn Gey sympathisch findet oder doch mehr den Herrn Czupalla oder ob Frau Köpping am Ende Verwaltungsdirektorin wird oder doch lieber Chefin eines Großkreises im Leipziger Land. All das mag für die Menschen sicherlich sehr interessant sein und ich lese selbst sehr aufmerksam, ob die Landräte sich lieb haben oder weniger lieb haben, aber
das kann doch nicht ernsthaft das Niveau sein, Herr Staatsminister Buttolo, das die Diskussion einer zukünftigen Verwaltung des Landes Sachsen – ausdrücklich von Ihnen gewollt bis zum Jahre 2020 – ausmacht. Es ist doch völlig irrelevant, ob der Czupalla die Köpping mag oder nicht. Wir müssen doch die fundamentalen Fragen diskutieren.
Dazu müssen Sie den Mut haben, von Anfang an das Parlament entsprechend einzubeziehen, anstatt hier eine solche mickerige Erklärung abzugeben.
Damit hier keine Illusionen aufkommen, möchte ich – das gehört einfach zur Gerechtigkeit, auch wenn Prof. Porsch nicht anwesend ist – in aller Bescheidenheit daran erinnern, dass es Prof. Peter Porsch war, der bereits in seiner Presseinformation 414/05 – es war exakt am 1. Dezember 2005 – eine solche Regierungserklärung gefordert hat. Nun fordern eine solche auch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die FDP. Mich freut immerhin, dass unser Stärkeverhältnis nach d’Hondt auch im zeitlichen Eingang dieser Forderung eingehalten worden ist.
Deshalb werden wir mit großer Freude diesen beiden Anträgen zustimmen. Allerdings, Kollege Lichdi, können wir Punkt 2 Ihres Antrages aus gutem Grund nicht zustimmen und ich sage auch warum: Mich wundert schon, dass Sie und Frau Hermenau als erfahrene Parlamentarier hierbei praktisch wie das Kaninchen auf die Schlange starren und sich freiwillig in die Fänge der Staatsregierung begeben. Sie wollen in Punkt 2 Ihres Antrages von der Staatsregierung einen Vorschlag über das weitere Verfahren der parlamentarischen Beratung zur Verwaltungsreform. Ich finde, das ist völlig deplatziert, denn natürlich hat es der Landtag in der Hand, denn er ist selbst der Souverän, über das weitere Verfahren der parlamentarischen Behandlung autark zu bestimmen – völlig unabhängig von der Staatsregierung. Die Staatsregierung hat korrekterweise genau das gesagt.
Die anderen Fraktionen hätten nur unserem Vorschlag – ich erlaube mir, diesen Vorschlag zum dritten Mal zu wiederholen – zur Bildung eines zeitweiligen Ausschusses oder auch Sonderausschusses Verwaltungsreform nachkommen müssen, dem Vorschlag, nach § 15 Abs. 1 Satz 2 der Geschäftsordnung des Landtages, einen Sonderausschuss zu bilden. Ein solcher Sonderausschuss würde wesentlich zu einer besseren Transparenz beitragen.
Wir könnten das uns zustehende begrenzte Selbstbefassungsrecht in Anspruch nehmen und könnten, wenn wir es wollten, die Staatsregierung und die Opposition vor uns hertreiben. Aber leider ist bis jetzt keine Mehrheit für unseren begründeten Vorschlag zustande gekommen. Ich wiederhole den Vorschlag bei gleichzeitiger Entlastung des Innenausschusses.
Kollege Bandmann, wenn man so handeln würde – das werden Sie später noch sehen, wenn es im Innenausschuss eng wird und Sie vor lauter Sondersitzungen dunkle Augenringe haben –, könnten Sie ganz entscheidend den Zeitablauf entspannen und wir würden nicht in die Bredouille kommen, am Ende des Jahres 2007 vor lauter Sondersitzungen keine fundierten Gesetze beschließen zu können.
Abschließend möchte ich Folgendes sagen: Meine Fraktion wird heute nicht der Versuchung unterliegen, der Kollege Lichdi unterlegen ist, aus einem kurzen Halt heraus diese vielen Vorschläge zu bewerten. Dazu wird es andere Möglichkeiten geben. Wir bleiben bei der Forderung, dass Herr Ministerpräsident – und nur Herr Ministerpräsident – diese Erklärung abgibt. Wir erwarten, dass bei dieser Regierungserklärung von Herrn Ministerpräsidenten ausdrücklich die Verzahnung zwischen Verwaltungs-, Funktional- und Kreisgebietsreform mit den notwendigen Haushaltsbeschlüssen, dem Doppelhaushalt 2007/2008 und der mittelfristigen Finanzplanung einschließlich des Stellenabbaukorridors dargestellt wird. Es kann nicht sein, dass hier ad hoc Stellenabbaukorridore völlig unabhängig von der in Gang gesetzten Verwaltungsreform vorgegeben werden. Diese Verzahnung ist dem Parlament darzulegen. Ohne diese Darlegung werden wir uns nicht zufrieden geben.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon ein wenig seltsam, dass, bevor man an das Mikrofon tritt, die Kollegen Dr. Friedrich und Dr. Martens schon wussten, worüber ich jetzt zu sprechen habe. Vielleicht haben sie eine Kugel, die manchen hier im Haus fehlt und in die man ab und zu einmal hineinschauen kann.
Ich möchte ein wenig mahnen, dass wir etwas gelassener mit dem Thema umgehen und weniger dieses Kasperletheater abfahren.
Passiert ist, dass wir uns als Koalitionsfraktionen mit der Staatsregierung im Rahmen eines Lenkungsausschusses darüber verständigt haben, wie wir das Thema mit den Spitzenverbänden angehen. Ich finde, das ist ein vollkommen legitimes Verfahren, das im Übrigen in anderen Politikfeldern seit Jahren praktiziert wird. Es ist nicht neu, wie wir es jetzt in Sachsen praktizieren.
Das Zweite ist, dass der Lenkungsausschuss, wenn man es genau betrachtet, nichts anderes als die sinnvolle Fortführung der Koalitionsverhandlungen und des Koalitionsvertrages ist, wobei wir uns als regierungstragende Koalition darauf verständigt haben, dass wir eine Verwaltungs- und Funktionalreform wollen. Insofern ist das, was wir mit dem Lenkungsausschuss getan haben, eine Beratungsgrundlage für die Staatsregierung und für die Koalition.