Frau Staatsministerin, geben Sie mir Recht, dass ich in meiner Rede gesagt habe, dass ich eine gewisse Sympathie für das Subsidiaritätsprinzip auch an dieser Stelle habe, und lediglich bekrittelt habe, dass die finanzielle Ausstattung der Kommunen oft verhindert, Regelungen treffen zu können, die im Sinne des Sächsischen Integrationsgesetzes auch auf Kommunal- und auf Landkreisebene Entsprechendes nach sich ziehen würden?
Ich gebe Ihnen Recht, dass Sie das so gesagt haben. Deshalb habe ich darauf reagiert. Für mich stellt es keine Entschuldigung dar, wenn behauptet wird, dass die Kommunen finanziell nicht in der Lage wären, entsprechende Verantwortung in diesem Bereich zu übernehmen. Wir haben heute in den Beiträgen fast aller Redner gehört, dass es nicht immer nur um Geld, sondern auch um Verantwortung geht, die oft kein Geld kostet.
Meine Damen und Herren! Benachteiligung lässt sich per Gesetz nur bedingt regulieren, denn Benachteiligung von Menschen mit Behinderung hat ihren Sitz vor allem – auch heute noch – in den Köpfen. Deshalb müssen wir an vielen Stellen in unserer Gesellschaft vor Ort aktiv werden, damit auch die Barrieren in den Köpfen kleiner werden. Dass dies möglich ist, zeigen unsere Erfolge beim Thema Barrierefreiheit zum Beispiel im öffentlichen Personennahverkehr, der eine immer größere Rolle spielt. Hierzu darf ich anmerken: Mit Fördermitteln des Freistaates wurden fast 250 Niederflurstraßenbahnwagen und zirka 2 000 Niederfluromnibusse angeschafft. Außerdem wurde eine Vielzahl von Haltestellen behindertengerecht gestaltet. Investitionen in Verkehrsanlagen und in Fahrzeuge werden grundsätzlich nur noch gefördert, wenn sie den Anforderungen der Barrierefreiheit entsprechen. Die Verkehrsunternehmen müssen dabei zwingend die zuständigen Behindertenbeauftragten oder -beiräte beteiligen.
Meine Damen und Herren! Neben diesen Investitionen, die vom Wirtschaftsministerium gefördert werden, stellt auch das Sozialministerium jährlich einen Betrag von zirka 16 Millionen Euro – die Tendenz ist steigend – für die unentgeltliche Beförderung schwer behinderter Menschen mit öffentlichen Verkehrsmitteln bereit. Seit dem Jahre 2004 – auch das soll noch einmal erwähnt werden – haben wir eine neu gefasste Sächsische Bauordnung, die grundlegende Bestimmungen über Barrierefreiheit aufgenommen hat und auch für die Kommunen verbindlich ist. Damit ist Barrierefreiheit nicht mehr nur ein Thema für öffentliche Gebäude, Herr Wehner, sondern auch ein Thema für Wohngebäude geworden. Es ist grundsätzlich vorgeschrieben, dass barrierefreie Wohnungen geschaffen werden müssen.
Meine Damen und Herren! Barrierefreiheit bezieht sich aber nicht nur auf Wohngebäude, auf Verkehrsmittel, auf Straßen und Treppen, sondern auch auf Sprache und Information. An dieser Stelle noch einmal der Hinweis: Die entsprechende Rechtsverordnung wird noch in diesem Jahr erlassen werden. Ich hoffe, Herr Wehner, dass damit
wiederum ein Punkt, den Sie heute der Staatsregierung als Hausaufgabe mitgegeben haben, als erledigt betrachtet werden kann.
Ich darf dazu ein anderes Beispiel nennen: Die ersten Internetauftritte sächsischer Behörden erfolgten bereits nach der neuen Gestaltungsrichtlinie. In vielen weiteren sächsischen Behörden wird fieberhaft daran gearbeitet. Ich habe erst beim Sächsischen Familientag am vorigen Sonnabend eine barrierefreie Seite frei geschaltet: www.familienfreundliches.sachsen.de
Der Aspekt der besseren Lesbarkeit von Vordrucken und Bescheiden für Sehbehinderte wird in die Verwaltungsvorschrift über das Erscheinungsbild der Behörden des Freistaates integriert. So weit zum Thema Barrierefreiheit.
Noch kurz ein Ausblick zu den Schwerpunkten unserer weiteren Arbeit. Zum einen sind die ambulanten Angebote und Beratungsdienste für Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen nach dem Grundsatz „ambulant vor stationär“ zu qualifizieren, mit anderen Angeboten zu vernetzen und vor allem im ländlichen Raum auszubauen. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung, die heute die umfangreichste unter den Leistungen der Sozialhilfe ist. Die Aufwendungen dafür haben sich innerhalb von zehn Jahren nahezu verdoppelt. Menschen mit Behinderung müssen sich auch unter wirtschaftlich schwierigen Bedingungen darauf verlassen können, dass sie weiterhin die notwendigen und erforderlichen Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft erhalten.
In der Tat – ich gebe Ihnen wiederum Recht, Herr Dr. Pellmann und Herr Wehner – sind die Daten, die uns vorliegen, noch lange nicht zufrieden stellend. Es ist weiterhin eine große Herausforderung, dies in den nächsten Monaten und Jahren optimal zu gestalten, vor allen Dingen bei dem Arbeitsmarkt, den wir alle kennen. Ich sage Ihnen ganz ehrlich – ohne die Verantwortung auf andere zu schieben –, dass es uns nur gelingen wird, wenn es nicht nur Aufgabe der Politik ist, sondern aller in der Gesellschaft, vor allen Dingen der Unternehmen, sich in diesem Bereich mehr als bisher zu engagieren.
Es muss deshalb unsere Aufgabe sein, in Zukunft die Kosten- und Leistungsträger bei der Umsetzung entsprechender Vorschläge zu unterstützen und sie dafür zu gewinnen, gemeinsam mit den Leistungserbringern weitere tragfähige Konzepte zu entwickeln. Ich denke dabei zum Beispiel an das Maßnahmenkonzept des Kommunalen Sozialverbandes zur Steuerung der Kostenentwicklung der überörtlichen Sozialhilfe.
Ein letzter Punkt. Die Chancen für Menschen mit Handicap auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt müssen verbessert werden. Das sächsische Arbeitsmarktprogramm zum Abbau der Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen wurde deshalb im Jahre 2005 ein weiteres Mal bis Ende 2007 verlängert. Damit wird der Übergang von
Beschäftigten in den Werkstätten für behinderte Menschen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt auch in diesem Jahr mit insgesamt 75 000 Euro zusätzlich gefördert. Darüber hinaus wurde Ende des Jahres 2005 eine Vereinbarung zwischen dem Integrationsamt und dem Kommunalen Sozialverband geschlossen.
Meine Damen und Herren! Sachsen ist eines der ersten Bundesländer, das solche rechtlichen und finanziellen Möglichkeiten für eine verbesserte Eingliederung von behinderten Menschen in den ersten Arbeitsmarkt geschaffen hat. Des Weiteren startet die Staatsregierung zum wiederholten Male gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium eine Informationskampagne zur Beschäftigung von Menschen mit Behinderung. Sie wird am 21. September 2006 mit einer Wanderausstellung zum Thema „Behinderungen hindern nicht“ und mit einer Auszeichnung „Behindertenfreundlicher Betrieb“ fortgesetzt.
Über Fachtagungen und andere Veranstaltungsformen werden wir mit einer neu aufgelegten Broschüre versuchen, weiter alle Verantwortungsträger in der Gesellschaft für diesen Bereich zu sensibilisieren und dafür zu sorgen, dass es ein Mehr an Beschäftigung von Menschen mit Behinderung geben wird. Wir werden dazu alle uns zur Verfügung stehenden Förderungsinstrumente ausnutzen.
Meine Damen und Herren! Integration bedarf nicht immer nur großer Investitionen, wenn es darum geht, die Interessen behinderter Menschen zu berücksichtigen. Integration – das hat Kollege Gerlach vorhin schon sehr deutlich gemacht – braucht ganz sicher auch unsere Bereitschaft, eigentlich Selbstverständliches mit anderen Augen zu sehen.
Die Gesellschaft kann Rahmenbedingungen gestalten, aber Integration ist ein Prozess, der nur dann gelingt, wenn sich alle einbringen: Menschen mit und Menschen ohne Behinderung.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Staatsministerin Orosz, ich danke Ihnen noch einmal für die Klarstellung, dass die ambulanten Dienste und Beratungsstellen für Menschen mit Behinderungen in den Landkreisen Torgau, Oschatz, Döbeln und dem Niederschlesischen Oberlausitzkreis vom Freistaat Sachsen finanziell nicht unterstützt werden.
Die beiden Entschließungsanträge haben schon in der Debatte eine Rolle gespielt. Ich frage dennoch die beiden Fraktionen, ob sie diese noch einmal einbringen möchten. – Für die Linksfraktion.PDS Herr Dr. Pellmann, bitte.
Frau Präsidentin! Ich möchte dazu nicht noch einmal inhaltlich etwas sagen. Damit käme ich heute möglicherweise in die Gefahr des Widerspruchs, und das möchte ich mir wirklich schenken.
Ich möchte einen Vorschlag zu den Abstimmungsmodalitäten unterbreiten. Ich habe in der Debatte festgestellt, dass es ganz offensichtlich einige im Haus gibt – sicherlich keine Mehrheit, aber diese hätte ich gern –, die der Ansicht sind, dass es offenbar zu unserem Entschließungsantrag unter I Punkt 4 unterschiedliche Meinungen gibt. Deswegen beantrage ich, dass über diesen Punkt gesondert abgestimmt wird. Beim Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen bitte ich um gesonderte Abstimmung zu Punkt 1.
Frau Präsidentin! Wir haben unseren Entschließungsantrag bereits eingebracht. Gegen die von Herrn Dr. Pellmann vorgeschlagene gesonderte Abstimmung über Punkt 1 ist nichts einzuwenden.
Meine Damen und Herren! Da es keine weiteren Wünsche zur Aussprache gibt, kommen wir zur Abstimmung.
Ich rufe den Entschließungsantrag der Linksfraktion.PDS, Drucksache 4/5620, auf. Es wurde punktweise Abstimmung in unterschiedlicher Weise beantragt. Ich will dem gern nachkommen. Ich rufe auf den Punkt I, die Punkte 1, 2, 3 und 5. Wer diesen Punkten seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön. Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Einige Stimmenthaltungen und eine größere Anzahl von Stimmen dafür – dennoch mehrheitlich abgelehnt.
Ich rufe auf den Punkt I 4 und frage nach den Befürwortern. – Danke. Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Eine größere Anzahl von Stimmenthaltungen, auch Stimmen dafür. Dennoch ist der Punkt I 4 mehrheitlich abgelehnt.
Ich rufe den Punkt II in seiner Gesamtheit auf. Wer dem seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich das anzuzeigen. – Danke. Gegenstimmen? – Wer enthält sich der Stimme? – Stimmenthaltungen und Stimmen dafür. Dennoch ist der Punkt II der Drucksache mehrheitlich abgelehnt worden.
Damit kommen wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen CDU und SPD, Drucksache 4/5700. Es war gebeten worden, über den Punkt 1 gesondert abzustimmen. Ich rufe den Punkt 1 auf. Wer kann dem zustimmen? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Bei einigen Stimmenthaltungen und einer größeren Anzahl von Stimmen dagegen ist der Punkt mehrheitlich angenommen.
Ich rufe die Punkte 2 und 3 auf. Wer kann diesen zustimmen? – Danke. Gegenstimmen? – Keine. Stimmenthaltungen? – Damit sind die Punkte 2 und 3 einstimmig beschlossen worden.
Es geht weiter mit den Punkten 4 und 5. Wer kann den Punkten 4 und 5 seine Zustimmung geben? – Danke schön. Wer ist dagegen? – Keine Gegenstimmen. Wer enthält sich der Stimme? – Keine Stimmenthaltungen. Damit sind die Punkte 4 und 5 einstimmig angenommen.
Nun rufe ich den Gesamtantrag zur Abstimmung auf. Wer kann dem zustimmen? – Danke schön. Wer ist dagegen? – Stimmenthaltungen? – Bei einer größeren Anzahl von Stimmenthaltungen ist der Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU und SPD mehrheitlich beschlossen worden.
Damit, meine Damen und Herren, ist die Behandlung der Großen Anfrage mit dem Beschluss der Entschließungsanträge beendet und ich kann den Tagesordnungspunkt 3 schließen.
Drucksachen 4/4268, Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD, mit Stellungnahme der Staatsregierung
von der heutigen Tagesordnung abgesetzt wird. Gibt es dagegen Widerspruch? – Das ist offensichtlich nicht der Fall. Damit behandeln wir diese beiden Drucksachen heute nicht.