Protokoll der Sitzung vom 23.06.2006

(Lachen und Beifall bei der FDP)

auf seinem kleinen Grundstück ohne behördliche Aufsicht ein paar Bäume fällen darf, das ist absurd. Das glaube ich auch nicht.

(Beifall des Abg. Karl Nolle, SPD)

Genau das ist diese Vollkaskomentalität, die der Herr Staatsminister angesprochen hat. Die GRÜNEN haben eine Vollkaskomentalität, zumindest wenn es um Bäume geht.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Nur 10 %! – Zuruf der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

Nein, was ich meine: Werfen Sie doch einfach Ihre Bedenken einmal über Bord! Genau das ist der Mut, den man als Begleiter auf dem Weg zu mehr Bürokratieabbau braucht.

Ich sage auch deutlich, bei Einführung des Paragrafenprangers im Jahre 2003 haben unsere geschätzten Kollegen Peter Adler und Karl Nolle schon einmal Bedenken für die SPD-Fraktion geäußert, ob denn das mit großem Brimborium gestartete Projekt überhaupt den damit verbundenen hohen Erwartungen gerecht werden kann. Insofern sind wir auch nicht sonderlich überrascht, dass es jetzt zu dieser Situation gekommen ist.

Persönlich bin ich der Meinung, dass die Erwartungen nicht erfüllt werden konnten, weil die Trauben von Anfang an beim Paragrafenpranger zu hoch hingen. Nichtsdestotrotz – das wissen Sie alle – haben wir uns in den Koalitionsverhandlungen zu einer Fortführung des Paragrafenprangers bekannt, weil es einfach ein wichtiger Baustein im Gesamtpaket Bürokratieabbau ist.

Wir, die Koalition, haben uns den Bürokratieabbau als eine Daueraufgabe gestellt. Ich sage es auch ganz deutlich: Wir sind der Motor des Bürokratieabbaus in diesem Land.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Das ist eine Feststellung, an der auch Sie nicht vorbeikommen, denn es gibt neben dem Paragrafenpranger natürlich noch weitere Projekte. Ich will einmal ein paar aufzählen: Bürokratiekosten-TÜV.

(Dr. Jürgen Martens, FDP: Aha!)

Wir haben vor Kurzem hier darüber debattiert. Damals konnten Sie noch nicht wissen, dass die Staatsregierung bereits daran arbeitet. Aber jetzt weiß es das ganze Land.

Stichwort: Funktional- und Verwaltungsreform. Das ist Bürokratieabbau in Größenordnungen, meine Damen und Herren. Der gestrigen Diskussion fehlte es etwas an Substanz, das gebe ich zu. Aber das ist natürlich die Substanz in Form eines Gesetzentwurfes, die wir brauchen, um ernsthaft über dieses Thema zu diskutieren.

Stichwort: E-Government, elektronische Verwaltung, Vernetzung der Behörden auf Landesebene. Das ist vorbildlich im Freistaat Sachsen. Jetzt müssen wir darangehen, im Hinblick auf die Verwaltungsreform die Kommunen anzubinden, also den Ausbau von E-Government auf der untersten Ebene voranzutreiben.

Was haben wir noch? Die One-Stop-agencies. Ich mag den Begriff nicht besonders, das muss ich ehrlich sagen, auch wenn ich die englische Sprache in Wort und Schrift beherrsche und mir deshalb vorstellen kann, was damit gemeint ist. Man hätte sicher auch einen deutschen Begriff dafür finden können. Sei es drum: Die One-Stopagencies sind für den Bürger direkt spürbar. Der Bürger spürt hier nämlich direkt nicht vorhandene Bürokratie,

(Erstauntes Lachen der Abg. Dr. Jürgen Martens, FDP und Torsten Herbst, FDP – Beifall bei der SPD)

getreu dem Motto: Die beste Bürokratie ist die, die erst gar nicht entsteht.

Ich will noch eine Idee in den Raum stellen. Vielleicht sollte man sich manchmal die Frage stellen, ob nicht im Einzelfall auch eher ein Defizit beim Vollzug von Normen für spürbare Bürokratie sorgt und weniger die Tatsache, dass zu viele Vorschriften existieren. Das können wir hier leider nicht vertiefen.

Noch einmal kurz wiederholt: Die Koalition ist beim Bürokratieabbau auf einem guten Weg. Der Weg ist lang und steinig. Aber wir haben den Mut und die Entschlossenheit, diesen Weg zu beschreiten.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Ich erteile der NPD-Fraktion das Wort. Herr Leichsenring, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ging durch die Medien, dass der Paragrafenpranger gescheitert ist. Der Entwurf des Justizministers, so vermeldete die „Sächsische Zeitung“, ist von der Staatsregierung abgelehnt worden. Die Begründungen, warum verschiedene einzelne Vorschriften, die abgebaut werden sollten, nun nicht abgebaut werden können und sollen, sind sicherlich genau so vielfältig wie der Paragrafendschungel selbst. Diese Bedenken sind alle in einen Katalog eingeflossen, der leider erst zum Ende des Jahres veröffentlicht werden soll, wenn überhaupt. Gerade dieser Katalog wäre ja einmal sehr interessant, denn da könnte man sicherlich genug Anschauungsbeispiele dafür finden, wie schwer es eigentlich ist, ein Gesetz oder eine Regelung wieder abzuschaffen, wenn sie einmal eingeführt ist,

zumal, wenn es einen Bundesbezug gibt oder einen Bezug zur EU.

Herr Schiemann hat das ja wunderschön gesagt. Er hat es blumig ausgedrückt. Aber er hat, wenn man es einmal in Umgangsdeutsch ausdrückt, gesagt: Der Landtag hat nicht mehr viel zu sagen. Der Gesetzgeber in diesem Land, der sächsische Gesetzgeber, hat nicht mehr viel zu sagen. So können wir ja seine Worte verstehen.

Auch Herr Justizminister Mackenroth hat das schon im März 2005 geahnt: „Das Unterfangen der sächsischen Regierung, die kleinen und mittelständischen Betriebe zu stärken und die Spirale der Bürokratisierung zu durchbrechen, stößt nicht nur auf den Widerstand von Interessengruppen, es stößt auch rechtlich an Grenzen, Grenzen des Europarechtes und des Bundesrechtes.“ Während das Motto der Regierung in Sachsen ist, im Zweifel für die Freiheit und gegen die Regelung, scheint in Europa und auf Bundesebene die gegenläufige Tendenz Platz zu greifen: im Zweifel gegen die Freiheit und für die Regelung. Da, denke ich, ist die Crux. Da brauchen wir uns nur das Antidiskriminierungsgesetz anzusehen. Da kommt etwas von Brüssel. Nach derzeitig geltender Lage müssten wir es umsetzen, aber wir packen noch eins drauf. Genau das ist es, was wir hier beenden sollten.

Den Paragrafenpranger an sich halte ich nicht für so schlecht. Natürlich ist es eigentlich die Aufgabe des Gesetzgebers, unnütze Regelungen abzuschaffen. Aber warum soll man nicht auf das Volk hören? Aber man hätte natürlich auch wissen müssen, dass, wenn man Bürokratie und Regelungen abbauen will, auch ein halbwegs autonomes Rechtssystem dazugehört. Haben wir das in Deutschland oder gar in Sachsen? Daran habe ich jedoch erhebliche Zweifel, nicht nur ich, der Bundesrat auch. Lesen Sie einmal den Beschluss vom 8. Juli 2005. Da ist das alles im Einzelnen aufgeführt.

Die NPD-Fraktion hat sich immer – das wissen Sie – gegen die Gängelung durch Brüssel ausgesprochen. Wir wollen auch einmal wissen, welcher Anteil von diesen 1 800 Gesetzen, die jetzt in Rede stehen, und wie viel Prozent davon nicht umgesetzt werden können, weil höheres EU-Recht und Bundesrecht dagegen stehen. Ich denke, die Vorschriftenwut wird eher zunehmen.

Als ein Beispiel hatte ich das Antidiskriminierungsgesetz genannt. Es gibt ja noch viele weitere. Dieses Antidiskriminierungsgesetz zum Beispiel greift dann wirklich in die Rechte jedes Menschen in diesem Lande ein. Wir haben da überhaupt keine Chance, irgendetwas daran zu beästeln.

Die genauen Ablehnungsgründe, Herr Mackenroth, kennen wir nicht im Detail. Deswegen noch einmal die Bitte an Sie persönlich: Veröffentlichen Sie bitte den Katalog. Sie haben die Hauptgründe für die Ablehnung genannt: Widerstand von Interessengruppen und Grenzsetzung durch EU- und Bundesrecht. Aber legen Sie alles auf den Tisch. Wir wollen wissen, welche Vorschläge gemacht worden sind, welche umgesetzt werden – gut, das erfahren wir –, aber auch, was abgelehnt worden ist

und warum es abgelehnt worden ist. Bitte nicht erst zum Ende des Jahres, sondern umgehend!

Vielen Dank.

(Beifall bei der NPD)

Ich erteile der Fraktion GRÜNE das Wort. Bitte, Frau Hermenau.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Herr Herbst, es gehört schon ein gewisser liberaler Mut zum sehr einfachen Mantra dazu, eineinhalb Jahre nach der Wahl immer noch davon zu sprechen, die Waschanlagen sonntags öffnen zu wollen und das für Reformen zu halten.

(Torsten Herbst, FDP, steht am Mikrofon.)

Ich möchte keine Zwischenfrage dazu haben. Sie können nachher reden.

Ich habe weiland den Herrn Bundeswirtschaftsminister Rexrodt in den neunziger Jahren im Bundestag erleben müssen, wie er drei Jahre lang die Reform des Ladenschlusses – übrigens abends eine Stunde länger zu öffnen – für die größte Reform des Bundeswirtschaftsministeriums herausgegeben hat, was auf seine eigene Initiative zurückgegangen ist.

Was ist der Gradmesser einer modernen Verwaltung? Sind es, wie Sie es gemacht haben, Herr Justizminister Mackenroth, eine Unzahl von Vorschriften, die sich sehr oft ähneln und deswegen in einem Paket wie eine Vorschrift behandelt werden müssten? Oder sind das lustige Zahlenspielchen, die so klingen, als wäre ganz viel getan worden? Dabei wurde irgendwo ein Wort gestrichen. Oder ist der reale Gradmesser für die Vereinfachung von Verwaltung und Bürokratie nicht vielmehr, dass Verwaltung funktioniert und freundlich ist, kundenorientiert, dass es kurze Wege gibt und relativ wenig Papierkram? Ich glaube, der Bürger hat eine ganz klare Perspektive, was er eigentlich für Entbürokratisierung und Verwaltungsvereinfachung hält.

Wenn Sie beim Mittelstand nachfragen, dann hören Sie, das Steuerrecht ist zu kompliziert. Da kann ein Bundesland auf Bundesebene aktiv werden, wenn es das will. Aber das ist natürlich vermintes Territorium. Das Sozial- und das Arbeitsmarktrecht ist zu kompliziert. Da sitzt der Handwerksmeister bis abends um zwölf und macht den ganzen Papierkrieg. Natürlich ist das für ihn die schlimmste Bürokratie, die er hat. Also muss da etwas geändert werden. Auch das muss auf Bundesebene entschieden werden. Aber da können Länder initiativ werden. So ist es ja nun nicht. Zufällig regiert ja im Bund dieselbe Koalition wie in Sachsen. Also könnte man etwas ändern.

Übrigens kommt das Umweltrecht als belastender Faktor erst ganz zum Schluss, Herr Bräunig. Die SPD in Sachsen muss ja doch ziemlich Angst vor den Bündnisgrünen in Sachsen haben, wenn sie sich bei einer Debatte, die die FDP angemeldet hat, unbedingt thematisch auf die

GRÜNEN beziehen muss. Ich gehe davon aus, dass Sie in Ihrem einprozentigen Biotop natürlich jetzt Muffensausen davor haben, dass die GRÜNEN stärker werden als die SPD, und deswegen hacken Sie auf uns herum.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Aber in der Sache haben Sie nichts vorgetragen. Wenn man sich einmal ansieht, was im Aufbau Ost als Nachbau West in den letzten 16 Jahren am besten geklappt hat, dann ist es die Verwaltung, die Bürokratie, dann sind es die Vorschriften. Das ist das, was wirklich reibungslos funktioniert hat. Darauf kann sich jeder seinen Reim machen. Nichts ist so gut in Funktion gesetzt worden im Aufbau Ost als Nachbau West wie die perfekte Übernahme westdeutscher Überbürokratisierung.

(Karl Nolle, SPD: So ist es!)

Man kann schon sehr leicht zu dem Verdacht kommen, dass hier von der Staatsregierung Ablenkungsmanöver unternommen werden, da Sie Ihre Verwaltungsreform nicht in den Griff bekommen. Wir hatten das Thema gestern und wir haben es eigentlich jeden Tag. Die Verwaltungsreform wäre auch eine Möglichkeit, Bürokratie abzubauen. Aber haben Sie den Mut, verwaltungsinterne Strukturen wirklich infrage zu stellen? Das, was wir gestern vom Innenminister gehört haben, legt dies in keiner Weise nahe, und Sie, Herr Mackenroth, können froh und stolz sein, dass die Bürger in Sachsen den Pranger nicht wortwörtlich nehmen und nicht mit faulem Obst nach Ihnen werfen.

Ich glaube, man kann sich, ohne ideologisch verdächtig zu sein, als eine schwarz-rote Regierung in Sachsen an der schleswig-holsteinischen – ebenfalls schwarz-roten – Koalition ein Beispiel nehmen. Damit bricht man sich ideologisch keinen Zacken aus der Krone und muss auch keine Ablenkungsmanöver durchführen wie Herr Bräunig. Es geht darum, dass man in einem gut vergleichbaren strukturschwachen Flächenland wie Schleswig-Holstein einmal schaut, wie sie das auf die Reihe gebracht haben – und sie haben etwas getan. Sie haben Vorschriften vereinfacht und zusammengesetzt. Sie haben verwaltungsinterne Abläufe optimiert und sich überlegt, wie man in der Verwaltung kreativ auf den Kunden, nämlich den Bürger, zugehen kann.

Wer es konkreter haben möchte, kann natürlich gern im Internet nachschauen, aber ich bringe einmal einige Beispiele. Aufgabenverzicht: In Schleswig-Holstein wurde zum Beispiel der Forst privatisiert. Man hat beispielsweise beim Straßenbau auf Aufgabenverzicht gesetzt; Sperrzeitverordnung, Jubiläumsverordnung, man hat auf viele Dinge verzichtet. Es gibt eine Aufgabenverlagerung auf die kommunale Ebene: Katasterverwaltung, Förderung des ländlichen Raumes, Wasserwirtschaft. Man kann über alles im Einzelnen diskutieren. Ich glaube, der politische Streit über jede Maßnahme wäre groß; aber sich der Sache erst einmal zu nähern und zum Beispiel auch Prozessoptimierungen vorzunehmen, die ebenfalls in der norddeutschen Kooperation laufen, sind, glaube ich, der

richtige Weg, und der Paragrafenpranger kam natürlich medial-spektakulär daher. Das sollte er auch. Er sollte nämlich genau von diesen schweren Reformschritten, die ich gerade am Beispiel Schleswig-Holsteins zitiert habe, ablenken. Deshalb ist das Ganze nur mediales Getöse.

(Beifall bei den GRÜNEN)