Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Worum geht es? Um es noch einmal auf den Landtag zurückzuführen: Es geht um den Paragrafenpranger, der nach den Pressemitteilungen vor dem Aus steht und nicht mehr fortgeführt werden soll, sondern nun wird nach einem Masterplan gearbeitet, den die Staatsregierung hat, um die von Herrn Schiemann so gepriesene superdynamische Entbürokratisierung und Deregulierung, die in Sachsen bereits seit Jahren übers Land tobt, mit der gleichen Energie fortzusetzen.
Dies wird inzwischen noch von einem weiteren KoErfinder der Deregulierung, der SPD, gefördert. Daran mag ich nicht richtig glauben.
Ich glaube nicht daran, dass die nicht ganz so große Koalition in Sachsen wirklich deregulieren möchte. Das war schon bei der letzten Regierung nicht besonders ausgeprägt und es hat auch nicht zugenommen. Die Ergebnisse des Paragrafenprangers zeigen dies. 1 800 Vorschläge sind dort gemacht worden und 40 davon sind auf eine Liste gekommen. Das ist zu wenig. Herr Schiemann, wie man dabei auf die Idee kommen könnte, so zu tun, als wäre die Union der Erfinder der Deregulierung, ist mir schleierhaft. Aber Sie haben da anscheinend vieles nicht verstanden.
Wenn Sie sich über den Begriff Bürokratiekosten-TÜV wundern und nicht verstehen, dass dort Normen auf ihre wirtschaftlichen Folgen im Hinblick auf die Kosten überprüft werden sollen, tut mir das Leid. Aber der Paragrafenpranger, das haben Sie wohl verstanden, ist auch kein Brett mit drei Löchern gewesen, durch die Paragrafen hindurchgesteckt wurden.
Herr Dr. Martens, Sie haben ja das Thema in der Aktuellen Debatte beantragt. Haben Sie sich eigentlich schon einmal die Frage gestellt, warum es so ist, dass in Deutschland
Könnte es nicht sein, dass die Existenz des Berufsbeamtentums zur Selbstlegitimierung und Rechtfertigung seiner Existenz eine besondere Motivation dafür entwickelt, immer wieder neue Gesetze zu stricken? Oder könnte es nicht auch sein, dass sich politische Verantwortungsträger rechtlich immer weiter absichern wollen, um keine Risiken einzugehen?
Frau Dr. Runge, ich glaube nicht, dass die Gesetzes- und Normenflut, die wir haben, ein Ausfluss der althergebrachten Grundsätze des deutschen Berufsbeamtentums ist. Aber sie sind der Ausdruck einer Gesellschaft und eines Staates, die versuchen, alles möglichst perfekt zu regeln, und die Deutschen sind als Perfektionisten bekannt, das heißt, sie regeln wirklich überall alles bis in den letzten Winkel, und das mit maximaler Einzelfallgerechtigkeit. Dafür brauchen sie Normen, Normen, Paragrafen und nochmals Paragrafen und dazu die passenden Formblätter, und zwar in einer Menge, dass es inzwischen den meisten Bürgern echt auf den Keks geht.
Wenn Sie einen Baum in Ihrem Garten fällen wollen, einen kleinen, krumm aufgegangenen Birkenstamm, müssen Sie in manchen Gemeinden vierseitige Formulare ausfüllen. In jedem Fall – –
(Volker Bandmann, CDU: Aber nur, wenn die Kommune eine Baumschutzsatzung hat! – Zuruf des Abg. Karl Nolle, SPD)
Hinterher kommt die entsprechende Beauftragte, die bei Ihnen durch den Garten stiefelt und sich das mit einem weiteren Beamten in Begleitung anschaut. Wenn die dann in Pluderhosen, mit dem Batiktuch um den Hals und in Jesuslatschen aufkreuzen, dann wissen Sie, das wird eine Veranstaltung von mindestens zweieinhalb Stunden.
Wenn Sie mit dem Ganzen fertig sind, dürfen Sie hinterher 35 Euro Gebühren bezahlen. Die Einzigen, die das in diesem Land toll finden, sind die GRÜNEN, das muss man deutlich sagen. Herr Bräunig, darin haben Sie völlig Recht.
Um es noch einmal zu sagen: Wir wollen mit dieser Aktuellen Debatte zeigen: Es kommt auf den wirklichen Willen zur Deregulierung an. Was wir in der Pressemitteilung des Justizministers gelesen haben, hat uns wirklich
nicht überzeugt, es hat uns eher erschreckt. Was dort als Highlights angekündigt wurde, war nun wirklich blass. Das heißt, in Zukunft soll den Menschen erlaubt werden, mit dem Wasser aus dem eigenen Garten ihre Blumen gießen zu dürfen, und das wird als Highlight verkauft. Meine Damen und Herren, mit welcher Geisteshaltung muss man eigentlich auf die Menschen im Land zugehen, um sich anmaßen zu können, ihnen überhaupt nur zu verbieten, mit ihrem Brunnenwasser aus dem Garten die eigenen Blumen zu gießen?!
Das ist die Frage, die in dem ganzen Geklingel untergeht. Welche Grundhaltung hat man dazu? Wir haben eine andere Grundhaltung als anscheinend die Meisten in diesem Hause. Wir sagen: Der Staat hat das zu regeln, was er tun muss, aber darf den Bürger nicht einengen und einschränken mit immer mehr Regelungen, Vorschriften und Formularen, wie es bisher geschehen ist und wie es offensichtlich weitergeht. Der Mut, der notwendig ist, um diesen Paragrafendschungel zu lichten, meine Damen und Herren, fehlt an allen Ecken und Enden, und wir sehen es nicht zuletzt auch als unsere Aufgabe in diesem Hause an, ständig nachzubohren, damit hier endlich Bewegung hineinkommt.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es reicht eben nicht aus, dass man den Topf nimmt, von den Flaschen, die man da- neben stehen hat, vielerlei hineingießt – wie es mein Kollege Dr. Martens getan hat –, kräftig umrührt und den Menschen suggeriert: Es wird alles einfacher, es wird alles besser. – Das reicht eben nicht, wenn man ehrlich und fair auch mit den Rechtsanwendern umgehen will, und von einem Rechtsanwalt, lieber Herr Kollege Dr. Martens, kann ich schon erwarten, dass Sie sich solider mit diesem Thema befassen, als Sie es gerade getan haben.
Verwaltungsbelastungen zu reduzieren – ich glaube, das ist der Anspruch eines jeden Staates; und der Freistaat, ich betone dies noch einmal, hat die wenigsten Gesetze und Rechtsnormen selbst auf den Weg gebracht. Im Vergleich zu den Belastungen, die von Bundesebene auf uns niederprasseln bzw. die einfach da sind, kann man die Zahl zwischen 5 000 und 6 000 benennen: Normen, Bundesgesetze und Vorschriften, die die Bundesregierung bzw. der Bundestag als Gesetzgeber erlassen und für uns als Rechtsanwender verbindlich dargestellt haben.
Der Freistaat Sachsen sollte kleine Schritte machen. Ich glaube, Herr Staatsminister der Justiz, das ist solide. Das hat nichts mit Populismus zu tun. Das geht ehrlich auch
auf den Rechtsanwender zu und wird letztlich auch Rechtsklarheit für den Rechtsanwender bringen. Das ist ein Weg, den die CDU-Fraktion gemeinsam mit ihrem Koalitionspartner und mit der Staatsregierung gehen möchte.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist richtig: Der Bürger will von der Verwaltung fair behandelt werden. Er will korrekte Auskünfte erhalten, die belastbar sind, die sich an das geltende Recht halten, und er will von der Verwaltung schnelle Entscheidungen. Das ist ein Anspruch, dessen Erfüllung eine moderne Verwaltung auch im Freistaat Sachsen garantieren muss. Gängelei, wie wir sie früher gewohnt waren, hat in den Amtsstuben nichts mehr zu suchen. Wenn Bürger gegängelt werden, dann ist das das Schlimmste, was Bürokratie an Eindrücken hinterlässt. Das darf in Sachsen keine Heimat haben.
Ich komme zum Schluss. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir stehen dazu, Verwaltungsbelastungen abzubauen. Wir als Sächsischer Landtag sind aber gefordert, selbst Beiträge dazu zu leisten. Ein wichtiger Beitrag sind eine solide Gesetzgebung, eine klare Sprache, Verbindlichkeit der Normen und eine geringere Belastung der Justiz, die wir hier vorbereiten können.
In diesem Sinne würde ich mich freuen, wenn es gelingen würde, gemeinsam mit der Staatsregierung einen Weg zu suchen, der es ermöglicht, die Verwaltung nicht mehr so stark zu belasten wie bisher. Aber der gleiche Anspruch richtet sich auch an die Bundesebene. Wir müssen unsere Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag davon in Kenntnis setzen und auch stärker nachfragen, damit Bundesgesetze – jetzt kann man darüber nachdenken, wie man will – das Land eben nicht belasten.
Nehmen Sie doch die Hartz-IV-Gesetzgebung, dieses Dümpelgesetz, das man vor Jahren auf den Weg gebracht hat. Es ist eine Schande, dass Gesetzgeber und Regierung so viele Fehler in dieses Land bringen konnten, die jetzt – das wurde gestern politisch diskutiert – auf uns niedergeprasselt sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Letzten Endes ist diese Debatte nur die Reaktion auf die Unmöglichkeit der Themenstellung. Es geht kreuz und quer. Nach meiner Überzeugung kann der Weg, einfach die Schlagworte „Rechtsvereinfachung“ oder „Paragrafenpranger“ in den Wald hineinzurufen und dann noch dazu aufzufordern, dass jeder nach seiner
Befindlichkeit sagen möge, was weggelassen werden soll und was er beibehalten will, zu nichts führen. Wir müssen uns schon irgendwann einmal einigen, welchen Sinn und Zweck Rechtsvereinfachung haben und wohin sie führen soll.