Protokoll der Sitzung vom 23.06.2006

Befindlichkeit sagen möge, was weggelassen werden soll und was er beibehalten will, zu nichts führen. Wir müssen uns schon irgendwann einmal einigen, welchen Sinn und Zweck Rechtsvereinfachung haben und wohin sie führen soll.

Es wird Leute geben – ich denke dabei an die FDPFraktion –, die dafür eintreten, so wenig wie möglich zu regulieren, allerdings mit der klaren Konsequenz, dass auch die Fürsorgepflicht des Staates sukzessive zurückgenommen wird. Schauen Sie sich doch einmal die Verwaltungsmodernisierungsgesetze an, die eingebracht wurden. Da wird beispielsweise in § 7 Abs. 3 Satz 2 das und das Rechtsmittel gestrichen, das der Bürger vorher einlegen konnte. Der Rechtsweg wird verkürzt.

Ich nehme als Beispiel die Bauordnung. Wie sehr haben wir es bejubelt, dass wir mit der Bauordnung bestimmte staatliche Genehmigungs- und Betreuungsregelungen zurücknehmen! Was ist die Konsequenz? Die Konsequenz ist, dass es für die Bauherren um Längen teurer kommt. Wenn es zu einem Schaden kommt, laufen sie mitunter monate- und jahrelang herum, bis sie denjenigen, der den Schaden verursacht hat, beispielsweise den Architekten oder den Bauingenieur, der das ersonnen hat, haftpflichtig machen können. Vorher wurde das fürsorglich durch die Bauordnungsbehörden begleitet.

Eine der Ursachen für die relativ hohe Bausicherheit in Deutschland waren doch die Bestimmungen der Bauordnung. Erst nachdem einige Bauten wegen der Schneelast und Ähnlichem eingestürzt sind, räumt man ein, dass eventuell die diesbezügliche Änderung der Bauordnung der falsche Weg zur Erreichung von Einsparungen war.

(Zuruf des Abg. Dr. Jürgen Martens, FDP)

Aber Herr Kollege, wenn ich mit der Vereinfachung des ganzen Geschäftes dem Bürger nur mehr Wege und mehr Ärger aufbürde, handelt es sich nicht um eine sinnvolle Vereinfachung. Ende der Durchsage!

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Da kann ich nicht erklären, so und so viele Vorschläge seien eingegangen und nur so und so viele seien übernommen worden. Man kann das Problem doch nicht durch einen Zahlenwettbewerb bewältigen. Ich denke, in ein Haus, das zuallererst Gesetzgeber ist, gehört etwas mehr Solidität. Wenn wir in Deutschland anfangen wollen zu vereinfachen, wird es uns schwer fallen, das allein von der Elbe aus zu tun.

Wie schwierig es ist, auch längst als Reformstau bekannte Rechtsregelungen zu vereinfachen, hat doch die Entwicklung seit der Wende gezeigt. Das ist doch eine alte Weste. Jeder, der sich damit beschäftigt, weiß, dass in der alten Bundesrepublik bis 1989 zehn bis 15 Jahre darüber nachgedacht worden ist, das Zivilrecht, das Familienrecht, das Prozessrecht zu vereinfachen und zu verschlanken. Dann kam die Wende und das Gegenteil trat ein. Nichts ist verschlankt worden. Das ZGB der DDR – und da gab es im Großen und Ganzen nicht Tag und Nacht nur

Schlägereien – hatte reichlich 400 Paragrafen, nicht reichlich 2 000 wie das BGB. Und das ging!

Das hing auch nicht nur mit dem Deutschtum zusammen. Das war ja deutscher Sozialismus mit allen Auswüchsen. Aber trotzdem gab es andere Regelungsmöglichkeiten, die letztlich zeigen, dass man diese Paragrafenflut nicht braucht. Wenn wir uns in dieser Hinsicht ernst nehmen wollen, müssen wir tatsächlich viel tiefer ansetzen. Vor allen Dingen dürfen wir uns nicht auf Zahlen beschränken, sondern wir müssen wissen, wohin wir mit der Vereinfachung des Rechts wollen. Dann erst nutzen wir dem Bürger und dann erst macht es Sinn.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Wird von der SPD-Fraktion noch das Wort gewünscht? – Von der NPD-Fraktion? – Herr Dr. Müller, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind jetzt vielleicht im Endspurt der ersten Runde des Paragrafenprangers. Die Kollegen Herbst und Martens wurden ja nicht müde, immer wieder von der wundersamen Reduzierung von 1 800 Vorschlägen auf möglicherweise 40 umzusetzende Vorschläge zu verweisen. Mein NPD-Fraktionskollege Leichsenring und Kollege Schiemann von der CDU-Fraktion haben auf die Probleme der Umsetzung von europarechtlichen bzw. bundesrechtlichen Vorschriften hingewiesen.

Ich möchte auf ein zweites Spannungsfeld verweisen, nämlich auf das Problem der Verknüpfung mit Regelungen durch Berufsgenossenschaften, Krankenkassen, Berufsverbänden, Innungen. Das ist nämlich mindestens genauso problematisch. Ich erinnere nur an das zu trauriger Berühmtheit gelangte „Formular 60“, das meine niedergelassenen ärztlichen Kollegen betrifft. Das ist ein Formular, um einen Antrag auf Rehabilitation stellen zu können. Man stelle sich das vor: Man muss ein zweiseitiges Formular ausfüllen, um von der Krankenkasse überhaupt ein Formular zu erhalten, mit dem man einen Antrag auf Rehabilitation stellen kann. Das ist paradox, das ist Bürokratie pur!

Aus meiner Sicht ist also unbedingt eine zweite Runde des Paragrafenprangers notwendig, die diese Berufsverbände, die Krankenkassen usw. einschließt und natürlich auch die Fühler in Richtung Bundes- und Europapolitik ausstreckt.

Generell aber möchte ich davor warnen, Bürokratieabbau ohne wirkliche Berücksichtigung der Folgen zu betreiben. Dem, was Dr. Martens hier in witziger Verpackung bezüglich der Bäume vorgebracht hat, kann ich überhaupt nicht zustimmen. Neben den ökologischen Problemen, zu denen ein wildes Baumfällen führt, sind aus meiner Sicht auch kulturhistorische Belange zu berücksichtigen. Denken Sie beispielsweise an geschützte Gebäude im ländlichen Raum, beispielsweise Häuslergebäude aus vergangenen Jahrhunderten, die alle auch ihre Hausbäume haben. Wenn auf diesen Grundstücken die Hausbäume

gefällt werden, geht auch ein kulturhistorischer Wert verloren. Das kann man nicht so ohne Weiteres stehen lassen.

(Dr. Jürgen Martens, FDP: Also weg!)

Zu dem, was Sie, Kollege Martens – bleiben Sie ganz ruhig! –, zur Baumschutzsatzung gesagt haben: Es ist doch gar nicht so, dass der Anflugbaum nicht gefällt werden darf. Das alles ist doch in den Baumschulsatzungen der Kommunen so geregelt, dass solche Dinge möglich sind. Ich möchte auch nicht, dass alles zu einer „Wildflora“ verkommt.

Bei dem ganzen Thema Bürokratieabbau, Paragrafenpranger ist, denke ich, sehr viel Fingerspitzengefühl gefragt. In diesem Sinne sollten wir das im Landtag auch zukünftig weiter diskutieren.

(Beifall bei der NPD)

Wird von den GRÜNEN das Wort gewünscht? – Dann frage ich die FDP. – Herr Dr. Martens, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Kürze nur zu dem, was Sie, Herr Dr. Müller, gerade von den schönen Hausbäumen, vom drohenden Ende des Abendlandes und vom Fingerspitzengefühl gesagt haben:

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Es hat mich schon sehr gewundert, dass ausgerechnet diejenigen vom Fingerspitzengefühl reden, die nichts als große Zehen an den Händen haben.

(Zurufe von der NPD)

Herr Schiemann, wenn Sie sagen, wenn wir dieses Thema aufgreifen, sei das Populismus, dann muss ich Ihnen eines dazu sagen: Wenn Populismus hilft, warum nicht? – Wer das gesagt hat, war Thomas de Maizière am 16.02.2004 zur Einrichtung des Paragrafenprangers. Wir finden, diesen sollte man ruhig bestehen lassen. Man sollte ihn vor allen Dingen ernst nehmen, denn er ist auch ein Teil der Möglichkeit einer Bürgerbeteiligung, dass die Bürger sich aussprechen können, dass sie ernst genommen werden. Man muss sie nur ernst nehmen wollen, dann würde auch dabei etwas herauskommen.

(Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Wird von den Fraktionen noch das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. – Dann Herr Staatsminister Mackenroth, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das,

was wir nicht tun.“ Dieses Zitat von Molière gilt selbstverständlich auch für den Bürokratieabbau. Hätten wir nichts getan, wie die Damen und Herren Abgeordneten der FDP suggerieren, dann wären wir verantwortlich. Hätten wir keinen Mut, wir wären verantwortlich. Wäre der Paragrafenpranger ein Flop, wir wären verantwortlich. Und wir sind verantwortlich, allerdings nicht für das Nichtstun, wir sind verantwortlich für mehrere Schritte, mal winzig, mal ordentlich, für Schritte hin zu weniger Bürokratie – für nicht mehr und nicht weniger.

Aus der Sicht der FDP sind wir verantwortlich für das Nichtstun, allerdings nicht, weil wir nicht das erreicht haben, was wir angekündigt haben, sondern weil wir nicht das erreicht haben, was die FDP angekündigt hat. Ja, meine Damen und Herren, wir haben weder die Welt verändert noch die Gesellschaft revolutioniert. Ja, wir haben die Urne im Wohnzimmer nicht erlaubt. Ja, wir haben den Kündigungsschutz nicht flächendeckend abgeschafft. Das wollten wir auch nicht.

Wir wollten und wir wollen Bürokratie abbauen und nicht die Gesellschaft verändern. Wir wollten und wollen das Vorschriftendickicht lichten, können aber nicht die Mehrheitsverhältnisse im Sächsischen Landtag oder im Deutschen Bundestag verändern. Misst man uns daran, ob wir die Gesellschaft verändert haben, ist der Paragrafenpranger ein Flop. Misst man uns daran, ob wir Schritte zum Bürokratieabbau gewagt haben, ist der Paragrafenpranger ein Schritt in die richtige Richtung, ein Erfolg, mit dem wir uns sehen lassen können im Freistaat Sachsen, auch im Vergleich mit dem, was andere Länder, mit dem, was die früheren Bundeswirtschaftsminister Rexrodt und Clement mit ihren Bürokratieabbaugesetzen erreicht haben.

Dass der Freistaat Sachsen in Sachen Vorschriftenabbau insgesamt auf gutem Wege ist, ist hier gesagt worden. Zur Klarstellung: Das Ende des Projekts Paragrafenpranger ist weder das Ende des Bürokratieabbaus noch das Ende der Bürgerbeteiligung. Die Vorschläge, die von den Bürgerinnen und Bürgern eingereicht werden, werden auch weiterhin im Justizministerium bearbeitet und berücksichtigt werden.

Wir sind nicht nur beim nachträglichen Abbau von Vorschriften erfolgreich, sondern wir sind es schon im Vorfeld. Das Stichwort „Normprüfung, Abbau von Verwaltungsvorschriften“ ist gefallen. Ich will das hier nicht wiederholen und natürlich sind von den Vorschlägen des Paragrafenprangers einige bereits seit Langem umgesetzt: Bauordnung, Meldegesetz usw.

Zum Aktuellen: 40 noch nicht umgesetzte Empfehlungen der Kommission für Vorschriftenabbau – es handelt sich um Empfehlungen, um nicht mehr und nicht weniger; die Empfehlungen können Sie ab nächste Woche im Internet nachlesen – sind in einem Eckpunktepapier zusammengefasst, das das Kabinett am Dienstag beschlossen und zur Anhörung freigegeben hat. Einige Beispiele sind hier genannt worden. Die Liste wird in den zuständigen Gremien des Landtages im Einzelnen besprochen werden.

Es sind insgesamt kleine Schritte, die nicht dadurch falsch werden, dass sie klein sind. Sie werden sich für die Bürgerinnen und Bürger in einfacheren Abläufen und auch in Euro und Cent auszahlen. Gerade das Beispiel der Ausnahme von den Baumschutzsatzungen ist eines, auf das ich stolz bin. Es ist ein kleiner Schritt, aber er ermöglicht den Gartenbesitzern, ihren eigenen Garten so zu kultivieren, dass er auch im Einklang mit der Natur steht. Ich glaube, gerade bei den Gartenbesitzern kann man davon ausgehen, dass das sicher und richtig ist, auch was das Brunnenwasser angeht. Ein Nichts vor der Ewigkeit – ich gebe es zu, Herr Dr. Martens –, aber alternativlos, um den Bürgerinnen und Bürgern in kleinen Schritten zu zeigen: Wir meinen es ernst mit dem Bürokratieabbau. – Ich will die weiteren positiven Beispiele hier nicht nennen.

Sie wissen alle: Wir haben die Umsetzung einiger Empfehlungen der Kommission zurückgestellt und dazu gehört das berühmte Stichwort „Videotheken und Autowaschanlagen an Sonn- und Feiertagen“. Sie wissen auch, dass der Bund in Kürze das Ladenschlussgesetz aufheben will. Dann wird sich dieses Parlament ohnehin erneut mit dem Sonn- und Feiertagsgesetz zu beschäftigen haben und ein eigenes Ladenschlussgesetz erlassen müssen, wenn die Läden in Sachsen nicht rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche offen bleiben sollen. In diesem Zusammenhang werden Sie zu prüfen haben, ob Sie dem Wunsch vieler Bürger, Waschanlagen und Videotheken zeitlich befristet auch am Sonntag zu öffnen, Rechnung tragen können.

Noch einmal! Ich höre die Opposition: Die hohen Erwartungen wurden nicht erfüllt. – Ich sage Ihnen noch einmal: Diese hohen Erwartungen hat jedenfalls nicht die Staatsregierung geweckt. Dass die Koalition die Erwartungen der FDP nicht erfüllt hat, findet seinen Grund – Frau Hermenau, da haben Sie völlig Recht – im Mandat des sächsischen Wählers. Die Staatsregierung inklusive meines Amtsvorgängers jedenfalls war und ist sich der vielschichtigen Schwierigkeiten des Bürokratieabbaus immer bewusst gewesen. Dass und wo sie den Mund zu voll genommen hätte, habe ich auch von der Opposition nicht konkret gehört. Mit Ihren Pauschalvorwürfen kann ich nichts anfangen. Im Übrigen, wenn Sie sich einmal die wunderbare FDP-Aktion www.wirmachenseinfacher.de ansehen, Herr Dr. Martens, dann sind dort Beispiele dabei, bei denen wir im Freistaat Sachsen dreimal so gut und dreimal so schnell sind wie Sie bei Ihrer Aktion im Internet.

(Beifall bei der CDU)

Kein großer Wurf, kleine Schritte. Dazu ist bereits genug gesagt worden. Es ist mit dem Projekt Paragrafenpranger auch nicht getan, das Projekt Bürokratieabbau geht weiter. Herr Abg. Bräunig hat auf einige Dinge hingewiesen. Ich will nur noch nennen: Stichwort „Standardkostenmodell, Modellversuch mit der Bertelsmann-Stiftung“. Das wird unseren kleinen und mittelständischen sächsischen Unter

nehmen unter dem Strich wahrscheinlich mehr helfen als viele Debatten.

Meine Damen und Herren! Bürokratieabbau braucht nicht nur die Unterstützung der Staatsregierung. Die hat er. Er braucht auch und vor allem – Herr Abg. Schiemann hat darauf hingewiesen – Ihre Unterstützung, die Unterstützung des Gesetzgebers.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Selbstverständlich.

Herr Staatsminister, Sie haben eben die Einführung dieses Bürokratiekosten-TÜV nach dem Standardkostenmodell niederländischen Vorbilds angesprochen. Die FDP hat dazu einen Antrag eingebracht, der hier in diesem Haus abgelehnt worden ist, weil – Zitat – die politischen Voraussetzungen dafür in Sachsen eben noch nicht vorlägen. Woher nimmt die Staatsregierung ihre Gewissheit, dass diese Voraussetzungen nunmehr vorliegen?

Was wir machen wollen, Herr Dr. Martens, ist nicht sofort schnell schießen, sondern sorgfältig anschauen und prüfen, ob dabei tatsächlich etwas herauskommt. Wir wollen das seriös machen. Deswegen haben wir uns die BertelsmannStiftung ins Boot geholt. Davon habe ich in Ihrem Antrag überhaupt nichts gelesen, sondern Sie wollten wieder von vornherein über das Ziel hinausschießen und sagen: Wir verändern die Welt. – Wir machen das seriös in kleinen Schritten, dann schauen wir, was hier im Landtag politische Mehrheiten findet, und danach entscheiden wir es.