Protokoll der Sitzung vom 19.07.2006

(Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE – Staatsminister Thomas Jurk: Das wurde anders vereinbart, Herr Lichdi!)

Sehr geehrte Damen und Herren! Mit der Bahnreform 1994 wurden im Wesentlichen zwei Ziele verfolgt: mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen und eine nachhaltige Entlastung des Bundeshaushaltes zu bewirken. Wenn wir uns heute allein diese beiden Ziele anschauen, müssen wir resümieren: Sie wurden nicht erreicht. Seit 1994 konnte trotz Umstrukturierung nicht mehr Verkehr auf die Schiene gebracht werden, denn die Anteile der Bahn bei den Verkehrsleistungen im Personenverkehr lagen sowohl 1994 als auch 2004 bei nur 6,6 %. Im Güterverkehr lagen sie 1994 bei 16,8 % und 2004 bei 15,8 %. Hier kann man also nicht von wesentlichen Steigerungen sprechen. Gleichzeitig führte das bestehende Modell nicht zu einer nennenswerten Entlastung des Bundeshaushalts, denn das System Schiene kostete den Bund einschließlich der Regionalisierungsmittel

(Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Herr Lichdi, wir diskutieren doch den Plan später noch, ich denke Ende des Jahres – im Jahr 1994 rund 18,9 Milliarden Euro und im Jahr 2004 rund 18,7 Milliarden Euro. Im Zeitraum von 1994 bis 2004 betrug die Finanzleistung des Bundes für das Eisenbahnwesen insgesamt 213 Milliarden Euro. Das ist eine Wahnsinnssumme.

Wenn man hört – auch Frau Dr. Runge hat es angeführt –, dass man im Endeffekt auf Bundesebene geschwärzte Berichte vorgelegt bekommt, muss ich sagen, ist die Frage zu stellen, was hier zu tun ist. Grundlegend muss man sagen: Wenn man Änderungen vornimmt, müssen es wirklich wesentliche Änderungen sein, die die Bahnreform zum Erfolg führen.

Das im Jahr 2004 vom Deutschen Bundestag geforderte Gutachten mit verschiedenen Varianten liegt seit ein paar Wochen vor. Für die SPD ergeben sich daraus einige Leitlinien, die eine mögliche Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn begleiten sollen.

Ich will dazu fünf wesentliche Dinge nennen:

Erstens. Oberste Priorität der Bahnreform war, ist und bleibt, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen. Nur durch eine Steigerung des Verkehrsanteils der Schiene kann es gelingen, die Beschäftigung in der gesamten Branche einschließlich der für Sachsen sehr wichtigen Bahnindustrie dauerhaft zu sichern und – natürlich ist das wünschenswert – auch auszubauen.

Die Förderung und Stärkung des Wettbewerbs verschiedener Bahnunternehmen auf dem deutschen Schienennetz bietet am besten die Gewähr dafür, dass der Anteil des Schienenverkehrs am Verkehrsmarkt gesteigert werden kann. Das ist auch ein Punkt unseres Entschließungsantrages.

Zweitens. Es sind allgemein gültige Standards einzuhalten. Das halte ich für wichtig, denn der Wettbewerb darf nicht zu Lohn- und Sozialdumping innerhalb der Eisenbahnbranche führen. Bei der Kapitalprivatisierung der Bahn muss daher der Beschäftigungssicherung, dem Standort qualifizierter Arbeitsplätze und dem Angebot

von Ausbildungsplätzen wesentliche Aufmerksamkeit gelten.

Drittens. Die im Artikel 87e Abs. 3 des Grundgesetzes verankerte Verpflichtung des Bundes zur Mehrheitsbeteiligung am Netz dient auch der Sicherung der Investitionen durch den Bund. Daran ist auf jeden Fall festzuhalten.

Viertens. Der Infrastrukturauftrag des Bundes und der Länder muss gewährleistet und dauerhaft gesichert werden. Deshalb fordern wir verbindliche Vereinbarungen für den Bereich der Neu- und Ausbauinvestitionen mit der Bahn. Dazu gehören ein transparentes und verlässliches Monitoring sowie aus Sicht der öffentlichen Hand verbindliche und effektive Durchsetzungsmechanismen, das heißt – auch aus der Erfahrung der Vergangenheit heraus – klare Verantwortungsstrukturen. Daher ist eine gesetzliche Regelung für die Ausgestaltung der Infrastrukturverantwortung des Bundes unter Beteiligung der Bundesländer – wie ich ausdrücklich betone – erforderlich, in deren Rahmen auch eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zwischen Bund und Bahn geschlossen wird.

Fünftens. Im Hinblick auf eine Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn bedarf es einer detaillierten Darstellung und Bewertung des Netzzustandes. Darin gebe ich Frau Runge Recht. Das gibt es bisher nicht. Es stellt sich daher die Frage: Worauf beruhen die Angaben in dem Gutachten, wenn noch nicht einmal eine Netzanalyse vorgenommen wurde und man nicht genau über den Netzzustand Bescheid weiß?

In diesem Zusammenhang verweise ich exemplarisch auf die Sachsen-Franken-Magistrale, die uns sehr am Herzen liegt, und natürlich auf die Strecke zwischen Dresden und Berlin.

Vor einer Entscheidung über die Art und Weise der Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn ist eine Stärken-Schwächen-Analyse durchzuführen, die die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unternehmens klärt und sichert, dass die Risiken der Privatisierung nicht zulasten von Bund und Ländern gehen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Für die NPD-Fraktion spricht Herr Abg. Delle.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit zirka einem dreiviertel Jahr sorgt ein Gutachten unter Führung der Beratungsfirma Booz Allen Hamilton über die verschiedenen Varianten einer Privatisierung der Deutsche Bahn AG für Schlagzeilen und Aufregung. Dem Gutachten kommt eine besondere Bedeutung zu, da es vom Bundestag in Auftrag gegeben und als wichtige Entscheidungshilfe in der Frage aufgefasst wurde, in welcher Form die Bahn an die Börse gebracht werden soll.

Für die NPD-Fraktion ist klar, dass die Bahn überhaupt nicht an die Börse gebracht werden soll. Die Antworten

der Staatsregierung auf die Große Anfrage der Linksfraktion.PDS bestärken uns in dieser Ansicht, da es schlicht und einfach erschreckend ist, wie wenig Interesse die Staatsregierung offensichtlich am weiteren Schicksal des wichtigsten deutschen Infrastrukturanbieters hat.

Das Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass eine Privatisierung der Deutschen Bahn sowohl mit als auch ohne integriertes Gleisnetz möglich ist, wobei das Ergebnis des Gutachtens wohl schon von vornherein festgestanden haben dürfte, da es von Gutachtern aus dem Kreise der Privatisierungslobbyisten erstellt wurde, während man privatisierungskritische Vereine und Verbände, wie den Verkehrsclub Deutschland oder den Bund für Umwelt und Naturschutz, mal wieder außen vor ließ.

Zusammenfassend schreiben die Gutachter, dass die Auswirkungen der Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Privatisierungsvarianten – ob mit oder ohne Netz – deutlich geringer seien als – ich zitiere – „aufgrund der Intensität und Kontinuität, mit der die öffentliche Debatte zu diesem Thema geführt wird, zu erwarten war“. Alle Strukturmodelle weisen nach Ansicht der Gutachter in einzelnen Bewertungspunkten Vorzüge gegenüber ihren Alternativen auf. Schon diese Ansicht ist höchst befremdlich. Denn ein Börsengang der Bahn mit Netz und eine daraus folgende Bewirtschaftung dieses Netzes allein unter Renditegesichtspunkten wäre nichts weniger als ein verkehrspolitischer GAU, der unzählige Streckenstilllegungen nach sich zöge.

Nach Vorlage des Gutachtens notierten der Vizevorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hans-Peter Friedrich, und der verkehrspolitische Sprecher dieser Bundestagsfraktion, Dirk Fischer, dass kein Modell das unumstritten beste sei. Auch der Verkehrsminister ließ bei der Vorstellung des Gutachtens nicht erkennen, welches Modell die Regierung präferiert, was darauf hindeutet, dass das Modell des integrierten Konzerns, also eines Börsenganges von Netz und Betrieb, noch keineswegs vom Tisch ist.

Ein schneller Börsengang der Bahn ist nach Ansicht der Gutachter sogar nur in der heutigen Aufstellung des Staatskonzerns mitsamt dem Gleisnetz möglich, was natürlich auch vom Bahnvorstand Mehdorn befürwortet wird.

Man könnte nun meinen, meine Damen und Herren, bei der Staatsregierung würden angesichts solcher Perspektiven alle Alarmglocken klingeln, da die Streckenstilllegungen im Fall einer Komplettprivatisierung mit Netz den Freistaat mit besonderer Wucht treffen werden. Mit Erstaunen stellt der Leser der Antworten auf die Große Anfrage aber fest, dass die Staatsregierung weder Gespräche mit dem Gutachterteam geführt noch sich zu Aufgaben und Zielstellungen für das Gutachten geäußert hat und auch sonst recht desinteressiert erscheint. Die Verkehrsministerkonferenz hat sich auch noch nicht mit den Ergebnissen des Gutachtens beschäftigt. Natürlich hat die Staatsregierung auch keine Kenntnis über bahninterne Untersuchungen zu möglichen Streckenstilllegungen.

Auch zur möglichen Übertragung von Regionalnetzen in Landeseigentum möchte sich die Staatsregierung nicht äußern.

Insgesamt sind die Antworten der Staatsregierung auf die Große Anfrage zur Bahnreform von beschämender Schlichtheit und Kürze. Wenn das alles ist, was der Freistaat zu einem für ihn hochgradig wichtigen Prozess wie der Bahnprivatisierung zu sagen hat, dann kann man nur noch sagen: Gute Nacht, Sachsen!

Dem Entschließungsantrag der Linksfraktion.PDS werden wir zustimmen, dem der Koalition natürlich nicht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der NPD)

Für die FDP kommt jetzt Herr Dr. Martens.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Entschließungsantrag der Linksfraktion.PDS zur Zukunft der Eisenbahn in Sachsen liest sich anders als das, was wir bei der Einbringung von Frau Dr. Runge gehört haben.

(Dr. Monika Runge, Linksfraktion.PDS: Ich habe noch nichts eingebracht!)

Es war die Begründung, in der wir das gehört haben.

Die Vorschläge, die Sie machen, zielen nach meinem Dafürhalten im Wesentlichen darauf ab, jegliche Art von Bahnreform zunächst einmal zu stoppen.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Es soll dann der Rückwärtsgang eingelegt werden, damit alles so bleibt, wie es war. Das, meine Damen und Herren, ist wohl auch aus sächsischer Sicht keine Vorzugsvariante im Hinblick auf die Privatisierung und die Zukunft der Bahn. Die Bahn soll aber eine Zukunft haben. Deshalb muss man sich Gedanken darüber machen, in welcher Form sie zukünftig als Infrastruktur- und Transportunternehmen bestehen kann. Das bloße Festhalten an überkommenen Strukturen hilft hier nicht weiter. Sie haben selbst die Befürchtung geäußert, dass bei einem Fortbestehen der jetzigen Strukturen auch in Zukunft Milliardensubventionen aus öffentlichen Haushalten sowohl in den Verkehr als auch in das Schienennetz fließen, ohne dass diese Hilfen verringert werden können, was aber unser Ziel ist.

Der Börsengang selbst, meine Damen und Herren, bietet Möglichkeiten, in ganz erheblichem Umfang effizienter zu arbeiten, weil ein Unternehmen, das als Transportdienstleister im Wettbewerb steht, natürlich darum bemüht sein muss, möglichst effizient zu wirtschaften. Das war bei der Bahn bisher beileibe nicht der Fall. Das wird man sagen können, ohne der Bahn zu nahe zu treten.

Was Ihren Antrag auszeichnet, so ist es das tiefe Misstrauen gegen Regelungen eines Marktes und gegen Wettbewerb an sich. Dort wollen Sie nicht hin. Sie wollen

im Grunde genommen nur fröhlich die gute alte Staatswirtschaft weiter betreiben. Nein, das findet nicht unsere Zustimmung. Die Ziele der Bahnreform, meine Damen und Herren, sind nach wie vor noch aktuell. Sie gilt es weiter zu verfolgen. Es geht darum zu kämpfen, mehr Verkehr auf die Schiene zu bekommen, und zwar Personenverkehre wie auch Güterverkehre.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Hört, hört!)

Ja, das ist sinnvoll, auch unter Umweltgesichtspunkten, Herr Kollege Lichdi. Richtig.

Es geht auch darum, dass die finanziellen Belastungen des Bundeshaushaltes für den Verkehrsträger Bahn langfristig und zwar deutlich abgebaut werden. Auch das ist ein Ziel der Bahnreform, das 1994 formuliert und bis heute nur in sehr geringem Umfang erreicht worden ist. In den letzten zehn Jahren sind für die Eisenbahn – es ist gesagt worden – 200 Milliarden Euro an öffentlichen Mitteln ausgegeben worden.

Die Gretchenfrage bei einer Privatisierung ist nun, in welcher Form das gemacht werden soll. Ein Börsengang selbst kann nun in verschiedenen Varianten vorgenommen werden. Genau damit beschäftigt sich auch das Gutachten, das Sie in Ihrem Antrag nennen. Es gibt die Variante des Integrierten Modells, das hier mehrfach genannt worden ist. Das heißt, Schiene und Verkehr bleiben zusammen. Es gibt verschiedene Eigentümermodelle, und es gibt das Trennungsmodell mit einer vollständigen Trennung des Betriebes von Schiene und der Betriebsleistung, das heißt von den Transportleistungen selbst.

Die Position der FDP in dieser Frage ist eindeutig. Wir sprechen uns ohne Wenn und Aber für das Trennungsmodell aus; denn ein integriertes Modell würde nichts weiter heißen, als dass die Monopolstruktur eines Unternehmens, das gleichzeitig den Fahrweg bewirtschaftet und darauf die Transporte abwickelt, weiter erhalten bleibt.

Eine bloße Privatisierung durch Börsengang der Bahn, so wie sie ist, würde mit Sicherheit keine Vorteile bringen. Das müssen wir ganz deutlich sagen. Es bringt höchstens kurzfristige Vorteile im Bundeshaushalt, indem man schneller die Privatisierungsrendite in den Haushalt hineinbekommt. Aber angesichts der bisher geleisteten Bundesausgaben sind diese Haushalts- und Vermögenseffekte, die bei einem Börsengang im Integrierten Modell vorhergesagt werden, in Höhe von 14 bis 23 Milliarden Euro gegenüber der Privatisierungsrendite bei einem Trennungsmodell in Höhe von rund acht bis 14 Milliarden Euro zu vernachlässigen. Hier stehen für uns der volkswirtschaftliche und der verkehrswirtschaftliche Effekt im Vordergrund. Hier gilt es für uns, auf lange Sicht dafür zu sorgen, dass effizient Verkehr erbracht werden kann und dass sich die Bahn als Dienstleister mit ihren Transportverkehren einem Wettbewerb gegenüber Privaten stellen muss, wenn sie, mit welcher Eigentümerstruktur auch immer, Transportdienstleistungen erbringt.

Eine andere Frage ist im Trennungsmodell die Ausgestaltung des Unternehmens für die Fahrwege. Hier ist die

Position der FDP die, dass wir sagen: Lassen Sie uns das in einem Staatsbetrieb zusammenführen und dann langfristig auch daran arbeiten, dass dieses Infrastrukturunternehmen privat finanziert werden kann. Nur so lässt sich auf zukünftige Sicht auch eine flächendeckende Versorgung mit Transportdienstleistungen sichern. Ansonsten würde das eintreten, was die PDS meint befürchten zu müssen: Dann würde es tatsächlich zu erheblichen Ausdünnungen in der Strecke kommen, weil nämlich einfach das Geld fehlt, das die Bahn nicht erwirtschaftet hat.

Meine Damen und Herren! Mit diesem Entschließungsantrag, den die PDS vorlegt, können wir uns deshalb nicht anfreunden. Dieser Antrag verfolgt ein verkehrspolitisches Konzept, in dem es heißt: Rückwärtsgang eingelegt und dann mit Volldampf aufs Abstellgleis.