Wir hatten dann einen sehr schönen Ostersonntag und kamen auch dazu, darüber zu reden – das gehört zu einer Konfliktlösung dazu –, warum wir so vollkommen gestresst waren. Dabei mussten wir feststellen, dass wir unter ganz bestimmten und sehr ähnlichen Bedingungen leben müssen. Da gibt es eine permanente Existenzangst von Alleinstehenden, da gibt es die Angst, finanziell nicht zurecht zu kommen, da gibt es die Angst, den Job zu verlieren, da gibt es die Angst, den Kindern vielleicht tatsächlich nicht die Möglichkeit zu geben, aufs Gymnasium zu gehen, und Ähnliches, und man erlebt auch Rücksichtslosigkeit.
Eine Freundin arbeitet in einem Sozialprojekt und muss ständig versuchen, ihre Stelle aus verschiedenen Fördertöpfen zu finanzieren. Die anderen beiden Frauen haben sich selbstständig gemacht. Da gibt es das Kind, das auf ein russisches Gymnasium geht, wo man schauen muss, woher man Geld bekommt, um das Klavier bezahlen zu können. Da gibt es die Väter, die nicht da sind, die sich nicht kümmern, die keinen Unterhalt bezahlen. Eine Freundin schreibt in der Nacht ihre Doktorarbeit, weil sie am Tag keine Betreuung für ihr Kind hat. Den Krippenplatz bekommt sie nicht selbstverständlich und außerdem ist er sehr teuer. Und so weiter.
Das heißt, wir erleben eine Umwelt, die unseren gewählten Lebensformen und Lebensbedingungen nicht gerecht wird, und die rechtlichen Bestimmungen berücksichtigen unsere Lebensformen nicht. Wir sind schlechter gestellt als Ehen und auch schlechter gestellt als Ehen, die ohne Kinder sind. Es geht auch nicht nur um materielle Fragen. Seit meine Kinder in die Schule gehen, kann zum Beispiel niemand zum Sommerabschlussfest kommen, weil am Freitag die Zeugnisse ausgereicht werden und meine Kinder ganz selbstverständlich erwarten, dass ich dabei bin und mit ihnen gemeinsam in den Zeugnissen lese.
Nun zurück zu unserer Ostergemeinschaft. Ich habe schon gehört, für Sie klingt das alles sehr ungewöhnlich, obwohl es in allen Parteien auch Beispiele dafür gibt, dass Menschen sich trennen und eine neue Partnerschaft eingehen, wieder Kinder geboren werden usw. Wir sind also nicht die Ausnahme. Die Normalfamilie, wie Sie sie sich vorstellen und wünschen, existiert so kaum noch.
Seit 30 Jahren sinkt der Anteil der Ehen im Vergleich zu anderen Familienformen. Im Osten werden inzwischen 50 % der Kinder nichtehelich geboren. Gleichzeitig etablieren sich neue Lebensformen. Es gibt 1,8 Millionen Alleinerziehende in Deutschland. Der Anteil der nichtehelichen Lebensgemeinschaften hat sich selbst im Westen verzwölffacht. Jede zweite Ehe im Bund wird geschieden. Viele heiraten erneut. Die Anzahl der Stieffamilien nimmt zu.
Hier liegt im Übrigen eine – aber nicht nur eine – Crux, nämlich beim Familiensplitting. Zum einen wird damit eine Verteilungsungerechtigkeit nicht aufgehoben und zum anderen ändert sich für kinderlose Ehepaare nichts.
Es werden hier nur die Ehepaare steuerlich entlastet, die einkommensstarke Familien sind. Das Ehegattensplitting wird teurer werden und es wird Verteilungsungerechtigkeiten in Bezug auf andere Familien-, Lebens- und Arbeitsmodelle nicht ändern. Damit kann man vielleicht nur ein Ziel erreichen, nämlich Bevölkerungspolitik, weil der Anreiz, ein drittes oder viertes Kind zu bekommen, sich damit verstärkt. Wir haben trotzdem das Problem der Abgrenzung von bestimmten Familien- oder Lebensformen.
Nun komme ich dazu, warum das Familiensplitting noch eine Crux hat. Was machen wir mit Patchworkfamilien oder den Stieffamilien? Nehmen wir das Beispiel einer gut funktionierenden Patchworkfamilie, also zwei biologische Eltern, die sich das Sorgerecht teilen, also die hälftige Betreuung der Kinder, die wiederum selbst neue Lebenspartner gefunden haben, die wiederum gemeinsam Kinder bekommen haben. Wie wollen Sie die besteuern? Wie wollen Sie das klären? Sie halten im Prinzip mit dem Familiensplitting am alten Familienbild fest, das nicht nur unzeitgemäß, sondern auch überholt ist.
Zum Ehegattensplitting wird eine ganze Menge gesagt. Das Alleinernährermodell wird bevorzugt. Wir erinnern uns an den Bayerischen Zukunftsbericht, in dem auf die übertriebene Erwerbsneigung der Frauen im Osten hingewiesen wurde, usw. Das Rad der Geschichte hat sich weitergedreht, auch wenn das einige nicht wahrhaben wollen. Frauen emanzipieren sich, sie wollen in einer Partnerschaft leben, aber nicht abhängig, sondern selbstbestimmt. Auch für Männer ist dieses alte Modell nicht mehr stimmig. Zum einen wollen sich Männer nicht mehr in die alten Rollen drängen lassen, aber sie sind eben auch von Arbeitslosigkeit, Niedriglohn usw. betroffen. Das bringt Männer in bestimmte Abhängigkeiten. Diese Abhängigkeiten sind einem partnerschaftlichen Zusammenleben nicht zuträglich.
Ich bin schon auf verschiedene Lebensweisen eingegangen, aber ich will auch noch etwas anderes sagen. Ich will damit nicht sagen, dass Familie gescheitert wäre, wie einige jetzt vielleicht denken werden. Wenn man auf die Zahlen sieht, kann man feststellen, dass sich neue Formen des Zusammenlebens entwickelt haben. Da gibt es die spannende Aussage einer Soziologin, die verschiedene europäische Länder verglichen hat und feststellen konnte, dass Geschiedene mit einem neuen Partner sich oft noch einmal für Kinder entscheiden, für die sie sich vorher nicht entschieden hätten. Man kann sagen, dass diese neuen Familienformen zu mehr Familie führen.
Da nützt es überhaupt nichts, das Mantra Ehe vor sich herzubeten. Das wird uns nicht weiterbringen. Wir müssen ganz ehrlich – und das wurde vorhin schon angesprochen – die familienpolitischen Instrumente überprüfen und schauen, welche Ziele sie hatten, wen sie wirklich erreicht haben, und die Lücken finden. Für das Ehegattensplitting kann man das sehr klar feststellen. Familien profitieren nur sehr bedingt und in unterschiedlicher Höhe davon, aber Alleinziehende, Lebensgemeinschaften mit
Kindern, Lebenspartnerschaften können das Ehegattensplitting nicht in Anspruch nehmen. Wie das im Osten ist, wurde vorhin schon gesagt, die Verteilungsungerechtigkeit wurde bereits angesprochen.
Es ist auch wichtig zu sagen, dass durch das Ehegattensplitting die individuelle Entscheidungsfreiheit von Eheleuten – hier kommen wir zum Gleichstellungsaspekt – eingeschränkt wird, weil – das wurde auch schon erwähnt –
danke schön – bereits ein geringer Zuverdienst eines Ehepartners, meist der Ehefrau, erhebliche Steuernachteile nach sich zieht. Die Folge ist, dass der Anreiz, erwerbstätig zu sein, gesenkt wird.
Wir haben also ganz klar ein Instrument, das Ungerechtigkeit produziert, das außerdem sehr viele unerwünschte Nebenprodukte hat und vor allem nicht bei Kindern ankommt, das einkommensschwache Eltern benachteiligt, jedoch unheimlich teuer ist.
Nun haben wir als Linksfraktion mit unserem Antrag ein Modell der Familienförderung vorgeschlagen, das nicht nur zeitgemäß ist, sondern auch sehr viele positive Nebeneffekte hat. Die Individualbesteuerung setzt finanzielle Mittel frei, die zielgerichtet für eine tatsächliche Kinderförderung eingesetzt werden können. Die eingesparten acht Milliarden Euro könnten in die Kindergrundsicherung und die Kinderbetreuung fließen. Dies würde wirklich bei allen Kindern ankommen und wir würden gleichzeitig die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie fördern. Alle Familien und Lebenspartnerschaften würden steuerlich weitgehend gleichgestellt werden.
Meine Damen und Herren, dass diese Thematik zur Diskussion herausfordert, ist mir verständlich; aber ich würde Sie bitten, diese draußen zu führen. Es gehört sich so, dass die Rednerin ihr Rederecht wahrnehmen kann.
Danke. – Wenn also beide Partner arbeiten würden, würde dies nicht steuerlich bestraft werden. Es würde die individuelle Entscheidungsfreiheit befördern und wir hätten – ein weiterer positiver Nebeneffekt – außerdem ein Instrument aktiver Gleichstellungspolitik geschaffen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, Ihnen liegt hier ein Angebot vor, das zeitgemäß, modern und zukunftsweisend ist;
Meine Damen und Herren, gibt es daraufhin offiziellen Redebedarf? – Jawohl, Frau Nicolaus von der CDU-Fraktion, bitte.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eigentlich haben wir nicht vorgehabt, noch einmal zu erwidern, aber Sie haben es herausgefordert, Frau Werner.
Man kann es so nicht stehen lassen – ich denke, ich spreche auch für die Koalition –, dass die Ehe kein Auslaufmodell in Sachsen ist. Sie sprechen vielleicht nur, so hoffe ich, für Ihre Fraktion oder für sich selbst
und haben Ihre persönlichen Verhältnisse vorgetragen; das könnte man nachvollziehen. Wir können Sie nur beglückwünschen, wenn Sie eine Lösung gefunden haben, die auch für Ihre Kinder solide ist und mit der Sie es in der Familie auf die Reihe bekommen.
Frau Nicolaus, ist Ihnen bekannt, dass mittlerweile mehr als jede zweite Ehe geschieden wird und dass immer mehr Ehen nach der Silberhochzeit geschieden werden, sodass irgendetwas an dieser Institution Ehe nicht mehr in Ordnung bzw. zeitgemäß sein kann?
Ja, Herr Prof. Porsch, Sie wissen aber, dass auch diejenigen, die sich nach der Silberhochzeit scheiden lassen, vielleicht mit anderen Partnern wieder den Bund der Ehe schließen.
Ist Ihnen bekannt, Frau Nicolaus, dass 70 % der Ehen nicht geschieden sind und die 50 % von Herrn Prof. Porsch möglicherweise – Sie können es sich ausrechnen, wie Ihre Kollegin es darstellte – eine zweite, dritte oder vierte Ehe betreffen, die auseinander geht? Es gibt diese Viel-Scheidungen, und sie dürfen uns nicht davon ablenken, dass 70 % nicht geschieden werden.
Ja, Herr Patt, es ist mir bekannt. Dies ist der bundesweite Durchschnitt; Herr Prof. Porsch sprach ja vom sächsischen Durchschnitt. Wir sollten aber
in der Diskussion, die sehr engagiert geführt wird, trotz der unterschiedlichen Auffassungen das, was an Gutem vorhanden ist, zum Beispiel an Familienstrukturen, nicht verkennen.
Ich gebe Ihnen darin Recht, Frau Werner, dass 50 % der Kinder in einer „allein stehenden“ Situation geboren werden; aber es ist oftmals so, dass im überwiegenden Teil dieser 50 % die jeweiligen Mütter Lebenspartner haben und nur noch nicht geheiratet haben, sondern im weiteren Lebensfortgang heiraten werden bzw. geheiratet haben. Dies muss man, bitte schön, zur Kenntnis nehmen. Man kann natürlich viele Fakten in den Raum stellen, ohne sie noch einmal tiefgründig zu beleuchten, und ich denke, es gehört zur Ehrlichkeit, dass wir diese Aspekte genauso benennen.
Frau Nicolaus, würden Sie mir zustimmen, dass möglicherweise eine erkleckliche Anzahl der Ehen, von denen Herr Patt sprach, insbesondere im Westen unseres deutschen Vaterlandes nur deshalb nicht geschieden wird – obwohl sie möglicherweise zerrüttet sind –, da einer der beiden Partner dann nicht mehr wüsste, wie er sein Leben materiell absichern könnte?