Protokoll der Sitzung vom 20.07.2006

Herr Flath, wenn Sie sagen, dass der Unterrichtsausfall noch höher ist, stimmt mit Ihren Lehrerzahlen etwas nicht. Damit muss es zusammenhängen. Wir sind der Meinung, dass wir individuell besser fördern wollen, gerade im Grundschulbereich. Wenn man das politisch will und es wirklich verfolgt, muss man dafür auch die Kapazitäten bereitstellen, sonst funktioniert das Ganze nicht.

(Beifall bei der FDP und der Linksfraktion.PDS)

Die Schülerentwicklung ist im Grundschulbereich regional differenziert. Deshalb wundert es nicht, dass über die Fläche hinweg Lehrer fehlen. Die Plangröße je Klasse sind laut Verwaltungsvorschrift 25 Schüler. Die Realität – das wissen Sie selbst – sind zirka 19 pro Klasse. Das heißt, rein mathematisch – da muss man nicht besonders begabt sein – sieht man, dass es eine große Differenz gibt. Diese Differenz ist nicht gedeckt. Das ist der Mangel, der hier im Lande herrscht.

Es ist aus unserer Sicht dringend notwendig, die Planung an die Realität anzupassen. Wir hatten in den letzten Haushaltsberatungen den Antrag gestellt, 339 zusätzliche Lehrerstellen an Grundschulen zu schaffen. Die Koalition hat es abgelehnt.

Seit Jahren ist die Situation an Förderschulen unbefriedigend. Hier ist nicht einmal der Grundschulbereich zu 100 % abgedeckt. Es fehlt sowohl an weitergebildeten Lehrern als auch an ausgebildeten Lehrern. Man muss sich mal Gedanken über die lange Zeit des Mangels machen, ob man nicht besondere Anreize schafft, Lehrer zu motivieren, auch in diese schwierige Schulform zu gehen und sich dafür ausbilden zu lassen. Wir wissen, dass das Problem umso schwerer wiegt, als die Förderschulen in Sachsen die einzige Schulart sind, die immer noch steigende Schülerzahlen verzeichnet.

Auch an den beruflichen Schulen ist Lehrermangel ein Dauerbrenner. Man hat das Problem in der Vergangenheit trotz Kenntnis des Mangels auffällig verschlafen. Es gibt die Flexibilisierungsvermerke im Haushalt. Im Rahmen des Seiteneinsteigerprogramms sollten neue Möglichkeiten geschaffen werden, aber de facto – es sei denn, Sie belehren mich in Ihrem Bericht eines Besseren – herrscht der Mangel immer noch vor. Wir müssen auch nicht auf Teufel komm raus nur neue Stellen schaffen. Das ist schon richtig; denn auch die Entwicklung der Schülerzahlen wird dort in den nächsten Jahren rückläufig sein. Aber dann muss es uns doch gelingen, wenigstens Honorarkräfte zu finden. Ich vertraue darauf: Wenn man die entsprechenden Anreize schafft, schafft man es auch, Honorarkräfte zu binden. Man muss eben ein Stück Geld in die Hand nehmen; denn was wir dort einsparen, zahlen wir später drei bis vier Mal in unserem Sozialsystem drauf.

(Beifall bei der FDP)

Wenn ich zum Beispiel in den Regionalschulamtsbereich Bautzen schaue, werden selbst Bewerber an den beruflichen Schulen abgelehnt. Da können Sie nicht sagen, es gibt niemanden, der bereit wäre, an den beruflichen Schulen zu unterrichten. So bekommen Sie den Mangel nicht in den Griff.

Natürlich ist es unter dem Strich eine schwierige Situation, wenn auf der einen Seite an den Gymnasien und in den Mittelschulen Lehrer in Teilzeit unterrichten und an den anderen Schularten Lehrer fehlen. Der Mangel ist zum Teil strukturell und wird durch die zeitweiligen Engpässe verschärft. Man rechnet sich einerseits die Stellenstatistik schön, weil die Planzahlen mit der Realität nicht übereinkommen, und hat auf der anderen Seite viel zu wenig Flexibilität, um auf zeitweilige Engpässe – sei es durch Krankheit oder andere Unpässlichkeiten – zu reagieren. Ich frage mich, ob auch die zentrale Personalorganisation über die Regionalschulämter noch auf der Höhe der Zeit ist. Ich denke, hier kann viel zu wenig auf aktuelle Erfordernisse reagiert werden. Wir wollen eigene Budgets bei den Schulen, sodass sie schnell und flexibel Ausfälle ersetzen können.

(Beifall bei der FDP)

Die Haushaltsberatungen für den nächsten Doppelhaushalt stehen uns nach der Sommerpause bevor. Ich kann für die FDP sagen: Wir werden aufzeigen, dass es Alternativen zu dem derzeitigen Mangel gibt, und wir werden sehen, wie sich die Koalition zu unseren Anträgen verhalten wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Für die Fraktion der GRÜNEN Frau Astrid Günther-Schmidt, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hatte mich heute sehr gefreut, in einer schulpolitischen Debatte sprechen zu können, die sich jenseits der Schulstrukturdiskussion befindet. Gefreut habe ich mich, bis Herr Seidel mit seinem Redebeitrag aufgetreten ist.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Das kennen wir doch!)

Es war wirklich schwierig – ich komme nachher noch darauf zurück.

(Staatsminister Steffen Flath: Er hat aber Recht!)

Herr Flath, Herr Seidel hat nicht Recht. Das werde ich Ihnen gleich belegen.

Zunächst zu den beiden Anträgen.

Es geht in dieser Debatte natürlich auch um Haushaltspolitik, aber in erster Linie geht es um Unterrichtsversorgung. Insofern ist es Haushaltspolitik, weil Sie es offenbar nicht geschafft haben, die notwendigen Haushaltsansätze zu erfüllen, um eine hundertprozentige Unterrichtsversor

gung im Grund- und im Ergänzungsbereich sicherzustellen. Darüber muss man überhaupt nicht diskutieren. Das ist die Mindestanforderung, die Sie zu erfüllen haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Ich komme nun zu den einzelnen Schularten. Im Grundschulbereich können Sie sich insofern herausreden, als Sie sagen: Wir haben ja eine neue Struktur im Grundschulbereich, die verstärkte Zusammenarbeit mit den Kindertagesstätten hat zu neuen Anforderungen geführt. Ich erwarte, dass Sie das im zukünftigen Doppelhaushalt aufnehmen und die entsprechenden Lehrerstellen zuweisen werden. Im Moment haben wir im Grundschulbereich das Problem, dass wir eine Fülle neuer Aufgaben an die Lehrerinnen und Lehrer stellen und nicht garantieren können, dass dies auch unterrichtsmäßig mit Lehrerstellen abgesichert ist. Jetzt haben Sie die Not, dass Sie die Klassen bis auf den letzten Platz füllen, indem Sie Klassen zusammenlegen. Es ist pädagogisch absolut verfehlt, zwei Klassen der ersten in eine Klasse der zweiten zu überführen. Und das in der Schuleingangsphase! Sie müssen sich das einmal vorstellen. Sie wollten einen bestimmten Nutzen realisieren, Herr Flath, einen guten Start in das Schulleben. Hier schaffen Sie die Voraussetzungen, die Schulversager der Zukunft zu produzieren.

Das ist nicht lustig – ich würde an Ihrer Stelle nicht lachen.

(Beifall des Abg. Michael Weichert, GRÜNE)

Sie haben an einigen Grundschulen nur eine Absicherung des Ergänzungsbereiches von 50 bis 70 %. Dabei entfällt dann auch der Förderunterricht, der nicht nur für Schülerinnen und Schüler gedacht ist, die Nachholbedarf haben, sondern auch die Möglichkeit einräumen soll, die Grundschule in kürzerer Zeit zu durchlaufen.

Hier kommen deutliche Probleme auf uns zu. Ich bin mir sicher, dass wir ein höheres Stundendeputat für die Lehrkräfte brauchen. Das heißt, dass die Teilzeitregelung im Grundschulbereich in Zukunft überdacht werden muss.

Der wahre Skandal ist aber im Förderschulbereich versteckt. Ich nenne es versteckt. Sie haben das, was wir als pädagogische Unterrichtshelfer bezeichnen – 500 Stellen an der Zahl – bislang immer als Lehrer gerechnet, wenn Sie die Schüler-Lehrer-Relationen dargestellt haben. Förderschüler sind diejenigen, die einen ganz besonderen Förderbedarf haben. Sie haben also eine Lehrer-SchülerRelation plus pädagogische Unterrichtshelfer. Aber Sie verkaufen uns die pädagogischen Unterrichtshelfer als Lehrer und enthalten damit den Schülerinnen und Schülern diesen pädagogischen Förderbedarf vor. Das halte ich wirklich für einen Skandal. Ich wundere mich eigentlich, warum der Aufschrei hier im Land nicht größer war.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Diese 500 Stellen müssen Sie irgendwoher bekommen. Sie müssen sie ausgleichen. Sie haben sicherzustellen, dass Förderschullehrer so fortgebildet werden, dass sie

auch diagnostische Fähigkeiten haben. Wir haben eben gehört, dass 40 % von ihnen nicht fachgerecht ausgebildet sind. Sie müssen entsprechende Weiterbildungen für diese Lehrerinnen und Lehrer anbieten. Dafür müssen Sie Gelder in Ihrem Haushalt einstellen.

Ich habe wohlwollend zur Kenntnis genommen, dass Sie ESF-Mittel für zusätzliche Fördermaßnahmen bereitstellen wollen. Das Ziel, das Sie verfolgen, halte ich für richtig. Andererseits bin ich felsenfest davon überzeugt, dass der Freistaat Sachsen aus eigener Kraft in der Lage sein muss, seine schulischen Verpflichtungen zu erfüllen.

(Staatsminister Steffen Flath: Machen wir!)

Wenn Sie europäische Fördermittel nutzen, um Unterricht abzusichern, dann machen Sie es nicht aus eigener Kraft.

Ich möchte jetzt etwas zu den Beruflichen Schulzentren sagen. Hier tangiert der Antrag von CDU und SPD den Antrag der Linksfraktion.PDS. Sie machen es sich leicht, Sie wollen berichten. Sie sprechen von einem Quereinsteigerprogramm.

Jeder weiß, dass wir seit Jahren ein Defizit in der Unterrichtsversorgung an den Beruflichen Schulzentren haben. Auf die Antwort zu meinem Antrag zu Beginn des laufenden Schuljahres im Ausschuss für Schule und Sport warteten wir tatsächlich bis Januar. Erst dann konnten wir die Unterrichtsversorgung in den einzelnen Schularten tatsächlich nachvollziehen. Die Antwort zeigte, dass im berufsbildenden Bereich der Grundbereich regelmäßig im Schnitt unter 100 % liegt, während es im Ergänzungsbereich null bis knapp 12 % sind. Das heißt, die Bestversorgung im Ergänzungsbereich in Sachsen an einem Beruflichen Schulzentrum liegt bei 12 %. Hier haben wir einen dringlichen Bedarf, zusätzlich fachlich qualifizierte Lehrkräfte einzustellen.

Wenn Sie sagen, Sie wollen auf Quer- oder Seiteneinsteiger zurückgreifen, dann halte ich das für die einzig gangbare Möglichkeit. Sie wollen qualifizieren. Ich wollte Herrn Seidel vorhin fragen – jetzt werde ich die Antwort selbst formulieren –, wie denn das derzeitige Qualifizierungsprogramm aussieht. Das ist nämlich sehr übersichtlich. Sie haben alle 18 Monate 25 Plätze frei. Das heißt, anderthalb Jahre gehen ins Land, bis sich wieder 25 Lehrer für eine neue pädagogische Anpassungsqualifizierung anmelden können. So werden Sie den Mangel nicht beseitigen können.

Diese pädagogische Anpassungsqualifizierung ist hoch anspruchsvoll, sehr zeitintensiv und hat nicht einmal zur Folge, dass die betroffenen Lehrkräfte Abminderungsstunden gutgeschrieben bekommen. Sie arbeiten voll und studieren nebenbei, um ihren Pädagogikschein zu bekommen.

Ich bin mir sicher, dass Sie die Verpflichtung haben, eine hohe Qualität des Unterrichts zu garantieren. Wenn Sie motivierte Lehrer, die sich qualifizieren wollen, derart verschleißen, wird das bestimmt irgendwann zum Eigen

tor werden. Ich denke, hier sollten Änderungen vorgenommen werden.

Für die Benachteiligten im berufsbildenden Bereich – Herr Seidel kennt sich in diesem Bereich aus eigenem Erleben und beruflicher Erfahrung aus – haben wir die vollzeitschulischen Maßnahmen Berufsvorbereitungsjahr und Berufsgrundbildungsjahr. Hier gehen Sie wieder sehr großzügig mit den sozialen Benachteiligungen um. Sozialarbeiter werden nur für ein Jahr eingestellt, sind praktisch immer eine unsichere Bank und können sich nie in das Lehrerkollegium einleben. Hier sollten Sie unserer Einschätzung nach dazu übergehen, langfristige Verträge abzuschließen, die auch eine gewisse Sicherheit bieten und ein Einleben in die Schule gewährleisten.

Für mich macht die Problemlage in diesen Schulbereichen eines deutlich: Wir brauchen nach wie vor ein Personalentwicklungskonzept für die Schulen im Freistaat Sachsen. Da halten Sie sich über Jahre bedeckt. Uns ist allen klar, warum. Sie müssten nämlich dann offen legen, wo die eigentlichen Probleme liegen. Dieses Personalentwicklungskonzept werden wir aber nach wie vor von Ihnen einfordern.

Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Ich beginne jetzt wieder bei der Linksfraktion.PDS. Frau Abg. Falken, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte als Erstes noch einmal daran erinnern, was eigentlich der Inhalt und der Sinn unseres Antrages ist.

Es geht uns heute nicht darum, darüber zu diskutieren und zu debattieren, dass wir eine Verbesserung des Bildungssystems in Sachsen erreichen müssen. Lassen Sie uns das bitte im Herbst zur Haushaltsdiskussion machen. Jetzt geht es uns darum, dass das, was der Freistaat Sachsen und das Kultusministerium in Verwaltungsvorschriften und Schulgesetzen festgelegt haben, was also derzeit vom Freistaat als das Notwendige angesehen wird, zu 100 % umgesetzt wird.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Mindestens!)

Es geht uns heute nicht darum, dass wir eine erhöhte Qualität bzw. dieses oder jenes zusätzlich wollen. Wir fordern nur das ein, von dem der Freistaat gesagt hat: Das wollen wir in unseren Schulen haben. Wir erwarten nun, dass genau das umgesetzt wird, und zwar zu 100 %.

Wenn ich jetzt höre, dass die Mittel nicht ausreichen und wir mit den Mitteln, die wir haben, die Schule gestalten müssen, dann muss sich der Kultusminister hier hinstellen und sagen, was wir von dem, was wir in der Stundentafel oder im Ergänzungsbereich haben, streichen. Dann muss man sich sauber und klar bekennen, damit alle in diesem