Ja, Sie reden von Modellprojekten, Frau Schütz. Sie haben einen Antrag an das Hohe Haus gestellt, der beschlossen werden soll. Dessen bedarf es nicht, weil es das schon gibt.
Ich möchte hier einmal meine Gemeinde anführen. Wir haben 1 500 Einwohner und davon 100 Kinder in einer Einrichtung. Wenn Väter oder Mütter sagen, dass sie nach 17:00 Uhr noch einer Betreuung ihrer Kinder bedürfen, dann haben wir eine Tagesmutter, die die Kinder dort abholt und sie mit nach Hause nimmt. Das ist überhaupt
kein Problem. Auch das kann man als Modellprojekt nehmen. Es könnte zum Beispiel Kitas geben, die bis 20:00 Uhr geöffnet haben, oder Kitas, bei denen die Tagesmutter die Kinder abholt. Wenn die großen Einrichtungen länger geöffnet sind, bedeutet das, dass das mehr kostet, weil dann die Einrichtung, die für 100 Kinder ausgelegt ist, nur mit fünf Kindern besetzt ist und die jeweilige Erzieherin trotzdem dableiben muss. Da muss man abwägen. Doch es gibt Modelle, wie gesagt, die flexibel gestaltet werden können.
Dem Antrag an sich kann ich etwas Positives abgewinnen. Da es das aber schon gibt, brauchen wir ihn nicht. Wir können natürlich unsere Debatte noch einmal mehr in die Öffentlichkeit bringen, damit sich Eltern, Bürgermeister oder Träger der Jugendhilfe und Landräte damit beschäftigen und mehr darüber gesprochen wird. Sicher lohnt es sich, vielleicht im Görlitzer Bereich, aus dem Sie herkommen, Frau Schütz, einmal darüber nachzudenken.
Ich möchte noch einmal auf die Gebühren und die stundenweise Abrechnung eingehen. Auch das gibt es im Freistaat Sachsen. Vielleicht wird es hier und da nicht umgesetzt, aber im Großen und Ganzen ist das im Kindertagesstättengesetz unterlegt und kann sofort in die Gebührensatzung aufgenommen werden, wenn es erforderlich ist. Wenn die Betriebskosten festgelegt werden, kann man das in der Gebührensatzung festhalten. Es ist mit viel gutem Willen relativ möglich. Dafür bedarf es keiner gesetzlichen Veränderung; denn wir haben es als Gesetzgeber zugelassen, dass die Einrichtungen einmal in ihren Öffnungszeiten, aber natürlich auch in ihren Abrechnungs- und Gebührenstrukturen flexibel sein können.
Wir werden dem Antrag bei all den positiven Dingen, die ich der Sache abgewinnen kann, nicht zustimmen, denn man sollte einfach das akzeptieren, was im Freistaat Sachsen bereits existiert.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es freut mich erstens, dass sich die FDP eineinhalb Jahre nach ihrem Einzug in den Sächsischen Landtag verstärkt dem Thema Kita zuwendet. Bisher waren Ihre parlamentarischen Initiativen zu dem Thema eher dünn, was mich vor dem Hintergrund besonders verwundert, dass Sie mit Ihren Wahlplakaten zu diesem Thema, die ich noch sehr gut in Erinnerung habe, alle links überholt haben.
Zweitens greift aber Ihr Antrag ein durchaus relevantes Problem auf. Natürlich wäre es aus Sicht berufstätiger oder auch Arbeit suchender Eltern wünschenswert, wenn die Kitas ihre Betreuungszeiten den heute üblichen Arbeitszeiten anpassen könnten. Dass es schon Möglichkeiten gibt, ist das eine. Aber es ist natürlich immer noch ein großes Problem.
Eine Bemerkung kann und möchte ich mir aber nicht verkneifen. Es ist ja nicht so, dass die absolut kinder- und familienfeindlichen Arbeitszeiten, beispielsweise im Einzelhandel, plötzlich vom Himmel gefallen wären, nein. Gerade Sie, meine Damen und Herren von der FDP, sind es ja, die ständig nach Abschaffung des Ladenschlusses oder der Ausdehnung der allgemeinen Öffnungszeiten auch auf den Sonntag geschrien haben und auch immer noch schreien. Es kann Ihnen doch gar nicht flexibel genug sein. Das zeigt aber gerade auch die ganze Doppelbödigkeit bzw. die Problemstellung der Debatte. Sie wollen jetzt – das muss man einmal so deutlich sagen –, dass der Staat aus ESF-Mitteln die sozialen Folgekosten Ihres ständigen Rufens nach weniger Staat und weniger Regulierung bezahlt.
Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn wir Ihrem Antrag mit einer kleinen Änderung dennoch zustimmen, dann deshalb, weil man für eine verfehlte Ordnungspolitik im Bereich der Wirtschaft nicht die Eltern bestrafen darf. Natürlich muss der betroffenen Mutter, die bis 20:00 Uhr oder 21:00 Uhr für wenig Geld bei Lidl arbeitet, geholfen werden, Familie und Beruf miteinander zu verbinden. Dass aber ausgerechnet Sie das fordern, ist eher die makabre Seite.
Erstens wird eine zeitlich flexible Betreuung natürlich um einiges teurer, sodass sie tendenziell einen höheren Personaleinsatz erfordert. Für kleinere Einrichtungen ist dies ein relevanteres Problem. Das muss man so deutlich sagen. Vor dem Hintergrund der Haushaltsdiskussion wäre möglicherweise dieses Geld an anderer Stelle auch dringender nötig.
Zweitens – das ist das größere Problem: Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, was individuell vereinbarte Betreuungszeiten für den von uns gewollten und beschlossenen Bildungsauftrag für Kindertagesstätten ganz konkret bedeuten? Bildung in Kindertagesstätten bedeutet nicht dasselbe wie Schule. Trotzdem erlaube ich mir aber die polemische Frage: Fordert der nächste Antrag der FDP im Zuge der weiteren Flexibilisierung der Gesellschaft, der Institutionen und der Einrichtungen individuell vereinbarte Unterrichtszeiten in der Schule?
Wie gesagt, Kindertagesstätten und Schule sind natürlich etwas Unterschiedliches. Doch die Umsetzung des Bildungsplanes, des Bildungsanspruches, des Bildungsauftrages, wie wir es formuliert haben, fordert für Kitas auch feste gemeinsame Zeitstrukturen. Ich sage es an dieser Stelle auch polemisch: Ob mit oder ohne Beten, dazu haben wir hier im Haus zu Recht unterschiedliche Meinungen – das musste sein, Frau Nicolaus –; einen gemeinsamen Mittagstisch sollte es in der Kita aber schon geben.
Natürlich bedarf es bei aller Berücksichtigung kindlicher Individualität auch gemeinsamer Zeiten für Angebote an die Kinder. Soziales Lernen bedarf eben bestimmter Rahmenbedingungen und auch fester Bezugspersonen der Kinder.
Meine Damen und Herren von der FDP, ich habe Sie leider etwas in Verdacht, dass Sie sich von der Vorstellung einer Kleinkinderbewahranstalt doch nicht ganz verabschiedet haben. Das hat Frau Schütz in der Rede etwas zurückgenommen.
Es ist eigentlich sehr schön und passt zur FDP: Diese Kleinkinderbewahranstalt wollen Sie dann natürlich sehr modern, sehr flexibel und in einer modernen, flexiblen, durchgestylten Gesellschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann mich den durchaus kritischen Anmerkungen des Kollegen Neubert eigentlich anschließen. Aber, Herr Neubert, wir werden auch Ihren Änderungsantrag ablehnen, denn wir denken, dass dies Angelegenheit der kommunalen Selbstverwaltung ist. Meine Kollegin Nicolaus hat darauf hingewiesen, dass solche flexiblen Öffnungszeiten in vielen Kommunen angeboten werden, dass es individuelle Vereinbarungen zwischen Eltern und Kindertageseinrichtungen gibt, dass es auch Verträge mit Tagesmüttern gibt, um die Betriebskosten niedrig zu halten.
Wenn Sie von einer flächendeckenden Einführung dieser flexiblen Angebote sprechen, Frau Kollegin Schütz, dann ist es kein Modellprojekt mehr, von dem Sie hier sprechen. Die sächsischen Kommunen sind meiner Ansicht nach längst aus der Modellphase heraus, sodass die Staatsregierung kein Modellprojekt mehr initiieren kann und sollte.
Die Möglichkeit, ESF-Förderung in Anspruch zu nehmen, gibt es auch für die Kommunen, wenn sie ganz spezielle Projekte in ihrem Bereich initiieren wollen.
Ich möchte noch einmal sagen: Eigentlich ist Ihr Antrag folgerichtig. Sie fordern rund um die Uhr Öffnungszeiten von Handel und Dienstleistungen, und dann soll der Staat die Unwägbarkeiten, die auf die Familien zukommen, reparieren.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus Sicht der NPD-Fraktion ist in dem vorliegenden Antrag bereits die Voraussetzung falsch: Die Unterwerfung unter die Anforderungen eines flexiblen Arbeitsmarktes ist das Dogma der FDP, aus dem sich auch die Notwendigkeit für eine Ausweitung der Betreuungszeiten ergibt.
Das Beispiel mit dem Kindermädchen, das den Eltern hilft, die Anforderungen eines flexiblen Arbeitsmarktes zu erfüllen, kann natürlich nur von der FDP, der Partei der Besserverdienenden, kommen. Der Großteil der Eltern muss bislang noch ohne das Kindermädchen auskommen, auch wenn die steuerliche Abzugsfähigkeit als haushaltsnahe Dienstleistung möglich ist.
Meine Damen und Herren, Frau Nicolaus hat bereits ausgeführt, dass es das alles in Sachsen schon gibt. Das kann ich eigentlich nur bestätigen – ich habe selbst vier Enkel, davon gehen drei in eine Einrichtung. Deshalb möchte ich noch etwas Grundsätzliches dazu sagen.
Die FDP will die Rahmenbedingungen – also die Kinderbetreuung – an die Anforderungen eines flexiblen Arbeitsmarktes anpassen. Aus Sicht der NPD-Fraktion zäumen sie damit das Pferd von hinten auf, weil die Wirtschaft dem Menschen zu dienen hat und nicht der Mensch der Wirtschaft – so lautet einer unserer Grundsätze.
Für uns ist nicht die wirtschaftliche Verwertbarkeit des Einzelnen, sondern das Leben selbst der höchste Wert. Familie und Volk sind die traditionellen und erhaltenswerten Ausdrucksformen dieses unseres gemeinschaftlichen Lebens.
Was die Antragsteller in ihrem Antrag nicht erwähnen, ist: Eltern, besonders allein erziehende Eltern, können den Anforderungen eines flexiblen Arbeitsmarktes oft gar nicht mehr entsprechen – selbst dann, wenn es eine Rundum-die-Uhr-Betreuung durch Kindertageseinrichtungen gäbe. Die Kindertageseinrichtung kann nicht die Mutter ersetzen und wenn das Kind krank wird, muss die Mutter für das Kind da sein. Oder bei Schichtarbeit: Soll das Kind dann erst um Mitternacht aus dem Kindergarten abgeholt werden – im Winter vielleicht noch?
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss gewährleistet werden. Meine Fraktion hat sich in diesem Zusammenhang bereits für eine kostenlose Kinderbetreuung ausgesprochen. Aber die flexiblen Anforderungen des Arbeitsmarktes müssen auch ihre Grenzen haben, und das
ist unsere eigentliche Kritik an dem Antrag. Die Wirtschaft kann und darf nicht allein die Maßstäbe in unserem Leben bestimmen. Wenn eine bestimmte Grenze an Flexibilitätsanforderungen überschritten wird, kann dies nur zulasten der Familien gehen. In dem vorliegenden Antrag wird eine Alibilösung formuliert, die nur scheinbar den Gegensatz zwischen flexiblem Arbeitsmarkt und den fehlenden Voraussetzungen für Familiengründungen überbrückt. Das wirkliche Leben zeigt uns aber, dass dieser Gegensatz nicht zu überbrücken ist.
Was die FDP immer an Flexibilität meint einfordern zu müssen, wurde schon gesagt: die Ladenöffnungszeiten, die Arbeitszeiten, die Einkünfte – auch unter dem Existenzminimum –, Flexibilität des Arbeitsortes und des Kündigungsschutzes. Das ist in Wirklichkeit eine neue Form der Leibeigenschaft.
Flexibilität ist heute nicht mehr nur persönliche Freiheit, sondern Zwang, Anpassung und Unterwerfung unter eine profitgierige Wirtschaftsordnung, die die Grundlagen des menschlichen Lebens immer mehr infrage stellt. Der Niedergang der Familie ist eine Folge dieser Entwicklung.
(Zuruf des Abg. Stefan Brangs, SPD, auf das anhaltende Schniefen der Rednerin: Wenn sich eine Dame schnäuzen muss, sollte man ihr ein Taschentuch reichen!)
Die Flexibilisierung und Erweiterung von Betreuungszeiten in Kindertageseinrichtungen kann kein Lösungsansatz sein, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nachhaltig zu verbessern.