Protokoll der Sitzung vom 20.07.2006

(Widerspruch bei der NPD – Zuruf von der NPD: Was hat das damit zu tun?)

mit dem „Volk ohne Raum“ begründet, so wollen sie jetzt den Raum ohne Volk durch die engagierte Produktion des deutschen Nachwuchses wieder auffüllen.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Meine Damen und Herren! Es streitet sicherlich niemand ab, dass der demografische Wandel die Politik vor große Herausforderungen stellt. Aber es ist wirklich niemandem damit geholfen, Bevölkerungsrückgang und alternde Gesellschaft in den Geruch der Katastrophe zu stellen. Wir haben gar keine andere Wahl, als uns mit den Schrumpfungsprozessen und ihrer Gestaltung auseinander zu setzen. Das wissen Sie auch, denn Sie schreiben es selbst. Die Bevölkerung ist in den letzten Jahren schon massiv zurückgegangen. Das ist auch nicht aufzuholen.

(Zuruf von der NPD: Sie wollen es doch gar nicht!)

Insofern ist es nur realistisch, sich mit einer Stabilisierung auf niedrigem Niveau auseinander zu setzen. Das wäre eine realistische Perspektive.

Nun zu Ihrer Familien- bzw. wie Sie es nennen Bevölkerungspolitik. Wenn die Geburtenraten wieder steigen, ist das schön. Darüber freuen wir uns alle. Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied und auf diesen möchte ich aufmerksam machen.

Sie denken die Welt vom Fortbestand eines fiktiven Volkes aus, dem sich die Menschen anzupassen und zu unterwerfen haben. Bei uns ist es umgekehrt. Wir denken die Welt vom Menschen aus und sehen es als unsere Aufgabe an, die Bedingungen für die Menschen zu verbessern. Das ist der große Unterschied.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS – Zuruf von der NPD)

Sie wollen Bevölkerungspolitik zum Erhalt des deutschen Volkes.

(Beifall bei der NPD – Zurufe von der NPD: Jawohl! Genau! Bravo! – Alexander Delle, NPD: Dafür schämen wir uns auch nicht!)

Wir wollen eine gute Familienpolitik im Interesse der Kinder.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Es ist natürlich schwer – auch für Zuhörerinnen und Zuhörer – zu erkennen, was Sie überhaupt wollen. In der Großen Anfrage stehen keine Vorschläge. Auf den Entschließungsantrag zu Ihrer Großen Anfrage warte ich immer noch. Ich habe mir aber die Broschüre Ihrer Fraktion angeschaut. Ich muss sagen, Sie haben uns heute nur die Hälfte verraten, als Sie von der Familien- und

Bevölkerungspolitik im Anschluss an Honecker orakelten. Aus Ihrer Broschüre geht hervor, Sie wollen sie im Anschluss an Honecker, an Hitler und ein wenig Skandinavien soll auch noch hinein, als würden dazwischen nicht Welten liegen.

(Zurufe von der NPD)

Meine Damen und Herren! Ich kann es Ihnen nicht ersparen, einen Satz aus der Broschüre zu zitieren. Daraus erfahren Sie, wie die NPD-Fraktion die Bevölkerungspolitik in der Nazizeit einschätzt. Es heißt: „Wie erfolgreich eine solche auf die Familie mit Kindern setzende Bevölkerungspolitik sein kann, zeigte sich schon zwischen 1933 und 1939, wo es … zu einem deutlichen Anstieg der Geburtenzahl kam.“

(Zuruf von der NPD: Das ist eine historische Tatsache!)

Kein Wort über den Massenmord an europäischen Jüdinnen und Juden,

(Zuruf von der NPD: Zum Thema!)

kein Wort zur Vernichtung des „unwerten“ Lebens. Auch das ist Bestandteil der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik. Dass Sie das weglassen, ist nur bezeichnend.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS, der SPD, der FDP, den GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU)

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Selbstverständlich!

Frau Abgeordnete, stimmen Sie mir zu, dass die Nationalsozialisten neben den Dingen, die Sie schon genannt haben, durch den Zweiten Weltkrieg, den sie angezettelt haben, auch den größten Bevölkerungszusammenbruch im deutschen Volk organisiert haben?

(Zuruf des Abg. Alexander Delle, NPD)

Darin stimme ich Ihnen vollkommen zu. Auch vor diesem Hintergrund ist es mehr als merkwürdig, dass sich diese Formulierung des Bevölkerungszusammenbruchs auch in dem Titel der Anfrage wiederfindet.

Jedenfalls, in dieser kruden Mischung – Honecker, Hitler, Skandinavien und was Ihnen irgendwann mal über den Weg gelaufen ist – kommen Sie dann zu merkwürdigen Vorschlägen vom Müttergehalt, das wir schon einmal diskutiert haben, bis hin zum Ehekredit. Ich muss sagen: Ihre konkreten Vorschläge sind wirklich am wenigsten geeignet, zu steigenden Geburtenziffern beizutragen.

(Klaus-Jürgen Menzel, NPD: Haben Sie bessere?)

Sie entsprechen nämlich einem Familienbild von anno dazumal und der überholten Kopplung von Familienförderung und Ehe. Das haben Sie auch gestern in der familienpolitischen Debatte wieder dargeboten. Nur so ist

es vielleicht auch zu erklären, dass Sie den „Willen zur Familiengründung“ oder den „Willen zur Fortpflanzung“, den Sie in Ihrer Broschüre den Deutschen abverlangen, selbst auch nur sehr unzureichend umsetzen. Das muss man an dieser Stelle auch einmal sagen.

(Zuruf von der Linksfraktion.PDS: Ist auch besser so! – Gegenruf des Abg. Alexander Delle, NPD)

Vielleicht sind die Kinderzahlen in Ihrer Fraktion auch deshalb so gering, weil Sie diesen Anspruch der Ehe nur in zwei Fällen umsetzen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS – Jürgen Gansel, NPD: Warten Sie den Herbst ab!)

Es ist im Übrigen so: Sie geißeln die Spaßgesellschaft als Ursache für den Bevölkerungsrückgang. Ich muss fragen: Ist die Spaßgesellschaft schuld daran oder sind es vielleicht eher Spaßbremsen, wie Sie es sind?

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS – Alexander Delle, NPD: Das sagt jemand, der nicht lachen kann! – Holger Apfel, NPD: Parallelgesellschaft!)

Sie suggerieren doch mit Ihrer Formulierung von der bösen Spaßgesellschaft geradezu, dass Kinder und Familie keinen Spaß machen. Für Sie ist Kinderkriegen nicht Spaß, sondern Pflichterfüllung am deutschen Volke.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS – Jürgen Gansel, NPD: Gehen Sie mal zum Psychotherapeuten!)

Glauben Sie wirklich, dass Sie mit der Formulierung, Aufgabe der Familie sei „die Erneuerung der Bevölkerung durch Nachwuchserzeugung und Pflege“, tatsächlich jungen Leuten Lust auf das Kinderkriegen machen?

(Zurufe der Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS, und Johannes Lichdi, GRÜNE – Karl Nolle, SPD: Legebatterie!)

Meine Damen und Herren, ich weiß auch nicht, was Sie tatsächlich mit der Beschwörung des traditionellen Familienideals wollen. Die Familienpolitik in Deutschland entspricht weitestgehend konservativen Idealen – Gleichsetzung von Ehe und Familie – und orientiert sich am Leitbild der Hausfrauenehe. Ich weiß gar nicht, was Sie wollen.

Meine Damen und Herren, zum Abschluss möchte ich noch auf zwei weitere Aspekte eingehen.

Die Abwanderung junger Menschen aus Sachsen stoppen, ihnen Perspektiven in Sachsen eröffnen, wer sollte etwas dagegen haben? Schön und gut. Ich kann mich allerdings an keinen einzigen Antrag und keinen einzigen Vorschlag der NPD-Fraktion erinnern, wie wir in den Bereichen Ausbildung, Jugendarbeitslosigkeit und Berufseinstiegsmöglichkeiten von Jugendlichen in Sachsen weiter agieren wollen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Sehr richtig! – Jürgen Gansel, NPD: Aber Ihr Schaufensterantrag von morgen, der reißt es raus? Oder? – Gegenruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Hierzu kommen dann noch krude sozialpolitische Argumente, indem getan wird, als ob die Zukunft von Kranken- und Rentenkassen allein von der Anzahl der Beitragszahler abhinge. Das ist aber nicht der Fall. Es weiß jeder, dass auch Faktoren wie die Arbeitsproduktivität eine ebenso große Rolle spielen und dass hier auch eine Umstellung des Finanzierungssystems auf die Wertschöpfungsabgabe Abhilfe schaffen könnte.

Zu guter Letzt dürfen in Ihrer Anfrage Beschimpfungen von Ausländerinnen und Ausländern nicht fehlen. „Da geht es um die wagemutige Behauptung, es gehe um den Bevölkerungsaustausch.“ Die Deutschen sterben aus und die Migranten wandern ein.

(Alexander Delle, NPD: In westdeutschen Großstädten ist das schon teilweise so!)

Das sind Formulierungen in Ihrer Broschüre. Das ist in höchstem Maße unseriös.

(Jürgen Gansel, NPD: Sie kommen doch aus Westdeutschland! – Alexander Delle, NPD: Sie sind doch aus dem Westen, richtig! Sie wissen doch, wie es drüben aussieht!)

Natürlich weiß ich, wie es im Westen aussieht. Möglicherweise besser als Sie.