Meine Damen und Herren, warum führen wir eigentlich diese Debatte, in der es keine konkreten Handlungsvorschläge gibt? Frei nach dem Motto „Gut, dass wir mal darüber gesprochen haben“? Das ist überflüssig und wir hätten uns diese Debatte sparen können.
Die SPD-Fraktion hat keinen Redner gemeldet. – Dann frage ich die FDPFraktion. – Auch nicht. – Die Fraktion der GRÜNEN? – Herr Dr. Gerstenberg.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine erste Vorbemerkung kann ich nach den Worten von Kollegin Lay etwas kürzer fassen. Aber ich weise noch einmal darauf hin: Wenn die heutigen Prognosen zutreffen, dann werden im Jahr 2020 in Sachsen 3,8 Millionen Menschen leben. Gegenüber diesem Jahr bedeutet das einen Bevölkerungsrückgang von 500 000 Einwohnern. Eine sehr ernst zu nehmende Entwicklung.
Die NPD-Fraktion macht daraus jedoch einen Bevölkerungszusammenbruch und eine demografische Katastrophe. Der Antwort der Staatsregierung auf die vorliegende Große Anfrage ist zu entnehmen, dass Sachsen im europäischen Vergleich auch 2020 noch verhältnismäßig dicht besiedelt sein wird. In der Wahrnehmung der NPD hingegen wird die sächsische Bevölkerung dann zusammen
gebrochen sein. Allein daran kann man schon sehr schön den Unterschied zwischen Wirklichkeit und ideologischen Konstruktionen erkennen.
Aber was heißt das eigentlich, Bevölkerungszusammenbruch? – Dieses Wort ist offensichtlich der Biologie, genauer gesagt, der Populationsökologie entlehnt. Als Population wird dort die Gesamtheit der Lebewesen einer Art in einem bestimmten Raum bezeichnet, deren Mitglieder in genetischem Austausch stehen. Die NPD betrachtet die sächsische Bevölkerung offenbar als eine solche Population im biologischen Sinn. Sie macht die Sächsinnen und Sachsen dadurch zu so etwas wie einer Tierart, die in einem bestimmten Territorium vor dem Aussterben steht. – So viel zu dem Menschenbild, das hinter dieser Großen Anfrage steht.
Diese Anfrage, die wir heute behandeln, ist Teil des demografischen Propagandafeldzuges der NPD. Der Tenor dieser Propaganda ist eine uralte Zwangsvorstellung der extremen Rechten, dass das deutsche Volk in seiner Existenz bedroht sei. Seit dem 19. Jahrhundert faseln deutsche Rechtsextremisten von solchen Bedrohungen und diesmal muss halt die demografische Entwicklung als Katastrophenszenario herhalten.
Wenn wir in die bereits erwähnte aktuelle Broschüre der NPD-Fraktion zum Thema schauen, dann wird klar,
dass sie eine Lösung der angeblichen Probleme im Rahmen einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung, die sie mal als Spaßgesellschaft, mal als Liberalkapitalismus diffamiert, überhaupt nicht für möglich hält.
Da werden als bevölkerungspolitische Musterknaben das Dritte Reich und die DDR vorgestellt. Die Nähe zum Dritten Reich liegt bei der NPD auf der Hand, aber Ihr neu entflammtes Bekenntnis zur DDR, Herr Apfel, müssten Sie doch mal ins Verhältnis zur SED-Diktatur stellen und dazu noch einige Worte sagen.
In der besagten Broschüre wird auch fantasiert, dass sich entleerende Räume mit Migrantinnen und Migranten aufgefüllt werden sollen. Prompt findet sich diese Wahnvorstellung auch in der Großen Anfrage. Ob die Staatsregierung beabsichtige, sich entleerende Räume mit Ein
wanderern aufzufüllen, wird da wörtlich gefragt. Wer sich ernsthaft mit massiven lokalen Abwanderungstendenzen beschäftigt, der weiß: Diese erklären sich in der Regel dadurch, dass Unternehmen zusammengebrochen sind und dass es vor Ort an Arbeitsplätzen mangelt. Aus welchem Grund also sollten Einwanderer ausgerechnet an diese Orte ziehen wollen?
Die NPD-Fraktion behauptet in ihrer völkischen Propaganda, in Deutschland werde ein Bevölkerungsaustausch vorgenommen. Mittels dieser Großen Anfrage wird sie das schwerlich belegen können. Hinter der These vom Bevölkerungsaustausch steht die Einteilung der Menschen in biologische Populationen, wie dargestellt. Da wird die rein deutsche Population von den Ausländern unterschieden. Das ist schlicht und ergreifend Rassismus und diese Große Anfrage ist ein weiterer Beleg dafür, dass Rassisten zu Wahnvorstellungen neigen.
Die Vorstellung, dass der Bevölkerungsrückgang durch Zuwanderung ausgeglichen werden kann, ist Unsinn. Keine demokratische Partei vertritt diese Strategie, auch wenn die NPD dies gern unterstellt. Aber eines sollte auch klar sein: In einem Bundesland wie Sachsen, in dem es an Fachkräften mangelt, müssen wir Zuwanderern die Möglichkeit geben, hoch qualifizierte Jobs wahrzunehmen. Viele Unternehmen und nicht zuletzt die sächsischen Hochschulen sind auf die Ausländer, vor denen die NPD sich so fürchtet, regelrecht angewiesen.
(Jürgen Gansel, NPD: Weil die eigene qualifizierte Jugend durch Ihre Politik vergrault wird! – Karl Nolle, SPD: Gack, gack, gack!)
Da sich die NPD-Fraktion gern auf die ganz großen Themen beschränkt, wie zum Beispiel das angebliche Aussterben der Deutschen und die beschworene Überfremdung Deutschlands durch Einwanderung, bemüht sie sich in ihrer Großen Anfrage gar nicht erst, Bundespolitik und Landespolitik auch nur halbwegs auseinander zu halten. Wer aber ernsthaft an landespolitischen Strategien interessiert ist, der muss die sächsische Entwicklung schon von der allgemeinen demografischen Entwicklung unterscheiden, die nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa betrifft. Dann wäre auf die Rolle der Abwanderung für unser Bundesland einzugehen. Die Abwanderung wird zum demografischen Faktor, weil es vor allem junge Menschen sind, die abwandern und daher ihre Kinder nicht in Sachsen bekommen werden.
Aber die Gründe der Abwanderung sind nicht demografischer, sondern vor allem wirtschaftlicher Natur. Junge Menschen wandern ab, weil sie außerhalb Sachsens Arbeit, Ausbildungsplätze oder bessere Verdienstmöglichkeiten finden. Hier muss die Landespolitik ihre Hebel
Die NPD-Fraktion kritisiert, dass sich die Landespolitik auf die Anpassung an die demografische Entwicklung konzentriere.
Damit wird deutlich, dass sich die NPD für die Menschen in Sachsen schlicht nicht interessiert, sondern nur Propaganda macht.
Es ist doch wissenschaftlich erwiesen, dass demografische Trends nicht kurzfristig umgekehrt werden können.
Es ist eine völlige Irreführung, so zu tun, als ob man jetzt ein Bevölkerungswachstum auslösen könne, das die Bevölkerungszahl bis 2020 ausgleicht. Sie von der NPD sagen in Ihrer Demografiebroschüre: 2020 ist Schluss! Wir sagen, dass dann 3,8 Millionen Menschen hier im Freistaat leben, die ein Recht auf ein lebenswertes Sachsen haben.
Um das zu erreichen, sind Anpassungen nötig. Infrastrukturen, die nicht mehr zu den Bevölkerungszahlen passen, müssen umgestaltet werden, sonst werden sie zur Kostenfalle, die das Leben unbezahlbar macht. Wir müssen die Bedürfnisse einer alternden Gesellschaft berücksichtigen. Das geht von den Themenfeldern Gesundheitspolitik bis zur Gestaltung der Städte. Nebenbei sei bemerkt, dass beispielsweise ein altengerechter Straßenverkehr auch kinderfreundlich ist.
Die NPD-Fraktion glaubt, sie könne durch irgendeine Art Bevölkerungspolitik mal schnell den Hebel herumlegen, um den demografischen Wandel aufzuhalten. Interessant ist dabei die positive Bezugnahme auf das Beispiel Frankreich. Es ist nämlich umstritten, inwiefern die Politik die französischen Geburtenraten beeinflusst. Kritische Stimmen bemerken, dass die Rolle des Bevölkerungsanteils mit Migrationshintergrund übersehen werde. Aus Nordafrika stammende bzw. arabischstämmige Familien, die noch stark mit traditionellen Mustern behaftet sind, zeichnen sich durch hohe Geburtenraten aus, welche die gesamtfranzösische Statistik beeinflussen. Allerdings passen sich Menschen mit Migrationshintergrund erfahrungsgemäß zunehmend dem Fortpflanzungsverhalten der Gesellschaft an, in der sie leben. Daher ist es fraglich, wie lange noch die Geburtenraten Frankreichs als demografisch vorbildlich verkauft werden können. Trotzdem sollten und können wir uns familienpolitisch von den Franzosen einiges abgucken.
Es ist unbestreitbar, dass die Geburtenraten Frankreichs wie auch Schwedens deutlich höher sind als die deutsche. Offenbar wird aber auch in diesen Ländern die magische Rate von 2,1 Kindern pro Frau, mit der die vollständige Reproduktion der Bevölkerung gesichert würde, nicht ganz erreicht. Frankreich und Schweden liefern auch nicht den Beweis dafür, dass irgendeine Art von Bevölkerungspolitik den demografischen Wandel kurzfristig umkehren könne. Überhaupt sind diese Beispiele für die Strategie der NPD schlecht gewählt; denn Frankreich und Schweden stehen nicht für ein traditionelles Familienmodell, wie es die NPD propagiert.
Sie stehen für die bessere Vereinbarkeit von Kinderwunsch und Beruf – und das insbesondere für die Frauen.
Der europäische Vergleich zeigt eindeutig, dass dort mehr Kinder geboren werden, wo Frauen mit Kindern erwerbstätig sein können. Dafür sind gute Betreuungsangebote eine Voraussetzung, aber zugleich muss es gesellschaftlich akzeptiert werden, wenn Kinder schon frühzeitig Kindertagesstätten besuchen.
Mehr Kinder werden dort geboren, wo die Gleichberechtigung der Geschlechter fortgeschritten ist. Mehr Kinder werden dort geboren, wo statt der Ehe die Individuen mit Kindern gefördert werden. Übrigens werden auch dort generell mehr Kinder geboren, wo ein großer Anteil in außerehelichen Gemeinschaften zur Welt kommt. Das alles zeigen die europäischen Zahlen.
Die von der NPD bevorzugten Instrumente sind hingegen nicht geeignet, die Kinderzahl zu erhöhen. Eine positive Wirkung von Geburtenprämien ist nicht feststellbar. Dass die Beschwörung traditioneller Rollenmuster geradezu kontraproduktiv ist, zeigt beispielsweise der Vergleich zwischen Deutschland und Schweden.
Meine Damen und Herren! Wir lehnen es ab, in der Familienpolitik ein Plansoll für die Geburtenentwicklung festzulegen. Wir wollen, dass junge Menschen und insbesondere junge Frauen ihre tatsächlich vorhandenen Kinderwünsche verwirklichen können. Diese sind deutlich größer als die realen Geburtenzahlen. Wenn wir es schaffen, diese Diskrepanz zu überwinden, und Kinderwünsche Realität werden, dann erreichen wir wirklich etwas. Und das ganz im Gegensatz zu denjenigen, die nichts tun, außer andauernd die demografische Katastrophe zu beschwören. Es dürfte bislang wohl kaum jemand durch Demografiedebatten zum Kinderkriegen animiert worden sein.