Protokoll der Sitzung vom 11.10.2006

Die Reform ist – Frau Hermenau, Sie haben völlig recht – keine wirkliche Reform. Ich glaube, man spricht auch gar nicht mehr über die Reform als solche. Im Grunde genommen geht es nur darum, das Geldeintreiben neu zu organisieren, weiter nichts. Der Gesundheitsfonds als der berühmte Kompromiss wird 2009 kommen.

(Antje Hermenau, GRÜNE: Er kommt gar nicht!)

Das wollen wir einmal sehen. Er soll dann nicht kommen, wenn der Morbiditäts-RSA nicht ausgestaltet wird. Da müssen wir uns überraschen lassen, jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt hat es die Sächsische Staatsregierung nicht verhindern können. Es wird also die Geldeinsammelstelle geben, die das Geld der Versicherten von den Krankenkassen abzieht, um es schließlich wieder an diese zu verteilen. Damit wird ein riesiger Verwaltungsaufwand verbunden sein, der zur Kostensenkung, so wie es einmal angedacht war, überhaupt nicht beitragen wird.

Das Konzept ist nicht konsequent. Frau Hermenau, hier habe ich eine andere Auffassung als Sie. Konsequent wäre es, wenn wir uns dazu durchringen könnten, eine Einheitskrankenkasse zu errichten, die alle Menschen krankenversichert. Wir haben kein solidarisches System. Es sind gerade die besser verdienenden Leute nicht in diesem System, sie können sich einfach aus dem gesetzlichen System der Krankenversicherung herausmogeln. Ich halte es für fatal zu meinen, wenn es um die Gesundheitsbetreuung geht, wird ein Wettbewerb gebraucht. Nein, eben nicht!

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Eben da nicht! Wir brauchen einheitliche Qualitätsmaßstäbe, die die gesundheitliche Betreuung der kranken Menschen und deren permanente Evaluation sichern.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS – Antje Hermenau, GRÜNE: Das ist gescheitert!)

Nein, schauen Sie in andere Länder, zum Beispiel die Schweiz oder Schweden. Dort gibt es gute Modelle, die wir übernehmen könnten.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Gestatten Sie noch eine Bemerkung zu den Lohnnebenkosten. Ich kann es bald nicht mehr hören, meine Damen und Herren. Der Lohn ist ein Arbeitsentgelt, das man für erbrachte Leistungen erhält. Der Lohn trägt dazu bei, die Arbeitskraft zu reproduzieren, also sind Gesundheitskosten Lohnkosten. Da kann man doch nicht von Nebenkosten reden. Das halte ich für völligen Schwachsinn.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Fakt wird sein, dass die sächsischen AOK- und IKKVersicherten mit einer Beitragssteigerung zu rechnen haben, und zwar höher als 0,5 Prozentpunkte. Der Sonderbeitrag von 0,9 % wird auch weiterhin bleiben, mehr noch – Frau Dr. Schwarz, das ist so nicht richtig –: Die

Kranken werden über die zusätzlichen Beiträge hinaus zahlen müssen.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Zu unseren Vorstellungen wird meine Kollegin noch reden. – Danke.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Die CDU-Fraktion erhält das Wort. – Kein Redebedarf bei der CDUFraktion. Die SPD-Fraktion hat noch eine Minute. – Die Fraktion GRÜNE hat noch Gelegenheit. Frau Hermenau, bitte.

Aber gerne!

Da gehe ich gleich auf Ihr Argument ein, dass Sie der Meinung sind, dass die Gesundheitskosten unbedingt vom Lohn abgezogen werden müssen, ganz gleich, wenn Sie herumphilosophieren, ob es nun Lohnneben- oder Lohnkosten heißen soll. Das ist genau das Problem. Wir haben vorhin darüber gesprochen, dass es auch die Möglichkeit eines steuerfinanzierten Anteils gibt. Dabei wäre das solidarische Mitfinanzierungssystem durchaus enthalten, denn wer zahlt denn die meisten Steuern in Deutschland? Die höchsten Einkommen zahlen die meisten Steuern. 50 % der Steuern werden von den obersten 10 % der Bevölkerung erbracht. Dann wäre Ihre Forderung erfüllt, aber Sie würden ökonomisch den guten Schritt machen, dass man endlich davon wegkommt, dass die Lohnnebenkosten uns im Rahmen der Globalisierung und in weltwirtschaftlichen Zusammenhängen so schwer drücken und damit die ökonomische Beweglichkeit einschränken. Dass Sie mit der Ökonomie nichts am Hut haben, merkt man an solchen komischen Vorschlägen.

(Beifall bei den GRÜNEN – Widerspruch bei der Linksfraktion.PDS)

Warum ist diese Gesundheitsreform eine Reformattrappe? Ganz einfach – es geht prinzipiell nur noch um die Finanzierung der Krankenversicherung. Es geht nicht mehr darum, die Struktur zu reformieren. Das Grundübel ist aber die Struktur der Gesundheitsversorgung in Deutschland. Deswegen ist die verfehlte Strukturdebatte ein Placebo, eine Attrappe, es funktioniert nicht; das Übel wird nicht an der Wurzel angegangen. Das heißt, dass wir nach 2003 und 2007 vielleicht noch einmal 2009 und 2011 über denselben Mist reden werden, aber es wird nichts geändert. Davon haben die Leute nichts und sie verlieren das Vertrauen in das Gesundheitssystem.

Meiner Meinung nach ist der Gesundheitsfonds tot. Das erkennt man daran, dass er auf 2009 verschoben worden ist. Beide großen Parteien halten sich offen, ob sie eine Bürgerversicherung oder eine Kopfpauschale hinkriegen, wenn sie nach der Wahl eine andere Mehrheit hinbekommen als jetzt. Das heißt, die Große Koalition versagt und gibt das offen zu. Sie verschiebt die Reform auf die nächste Legislaturperiode, will aber munter weiterregieren. Da bin ich als Bürger bedient. Dass Herr Stoiber

2008 in Bayern eine Landtagswahl hätte, ist irrelevant. Das ist eine Ausrede, die benutzt worden ist, um sich dahinter zu verstecken. Es ist so, dass die meisten Ministerpräsidenten eine solche Gesundheitsreform nicht glauben verantworten zu können. Ob es dabei auch noch ein Geplänkel mit Frau Merkel gibt, ist mir persönlich ganz egal. Hier geht es um die Gesundheitsreform und nicht um die Probleme zwischen Jungs und Mädchen in der CDU.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ansonsten werden Steuern und Beiträge steigen.

(Vereinzelt Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn man wenigstens einen vernünftigen steuerfinanzierten Anteil darin hätte und die Lohnnebenkosten und Beiträge niedrig halten würde, könnte ich noch mit mir darüber reden lassen. Aber es wird ja beides steigen; dann ist es ganz klar verfehlt. Es wird keinen Wettbewerb in der gesetzlichen Krankenkasse geben. Man kann durchaus die Zahl der Krankenkassen reduzieren, dagegen bin ich überhaupt nicht, es sind einige zu viel. Das kann man machen. Fusionen sind bereits unterwegs, das passiert schon alles.

Trotzdem wäre es wichtig, mehr Wettbewerb ins Gesundheitswesen hineinzutragen. Man kann auch die Doppelstruktur gesetzliche Krankenkasse und private Krankenkasse anpassen. Das ist in Ordnung, das finden wir auch richtig. Aber es muss trotzdem betriebswirtschaftliche Erwägung ins Gesundheitswesen einziehen, das halte ich für wichtig. So haben wir nun einen Katalog aller möglichen Maßnahmen, ein Sammelsurium, und die Kassen wiegen sich in Sicherheit. Dies sieht man daran, dass seit 2003 nicht alle versucht haben, ihre Schulden wirklich wieder abzubauen, wie es eigentlich Auftrag war, dies innerhalb der vier Jahre zu erledigen. Manche Krankenkasse wird 2007 immer noch verschuldet sein.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die NPD-Fraktion hat noch Redezeit und Redewünsche angemeldet. Herr Dr. Müller, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für uns Nationaldemokraten ist der Gesundheitskompromiss keine Reformperspektive. Die Pläne der Großen Koalition für eine Gesundheitsreform sind nicht geeignet, um die zentralen Probleme des Gesundheitswesens zu lösen. Stattdessen droht die solidarische Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung in ihrer Substanz beeinträchtigt zu werden. Die Pläne müssen aus unserer Sicht grundlegend überarbeitet werden. Dies gilt insbesondere auch für die Einführung eines Gesundheitsfonds.

Man muss hier schon davor warnen, ein Modell zu beschließen, bei dem die Auswirkungen der Umstrukturierungsprozesse für die Patienten und die Beschäftigten im Gesundheitswesen völlig unklar sind. Mit den Vor

schlägen der Großen Koalition wird das Kernproblem, nämlich die Erosion der Einnahmenbasis, nicht gelöst. Unser Anspruch an die Gesundheitsreform ist, dass die solidarische Finanzierungsgrundlage ausgeweitet und dauerhaft gesichert wird.

Zwingend erforderlich ist auch, die GKV von gesamtgesellschaftlich notwendigen Leistungen zu entlasten. Diese Ansprüche wurden durch die Bundesregierung bisher nicht verwirklicht. Nach den Plänen der Großen Koalition wird die solidarische Finanzierung von mehreren Seiten in die Zange genommen. So sollen Ausgabensteigerungen zukünftig nicht mehr vollständig aus den Beiträgen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, sondern auch über Zusatzbeiträge der Versicherten finanziert werden. Gleichzeitig droht die Solidarität im Gesundheitswesen durch die Einführung von Selbstbehalten und Billigtarifen ausgehöhlt zu werden. Die gesetzliche Krankenversicherung würde unter diesen Umständen zu einer Teilkaskoversicherung verkommen. Damit wäre das Gegenteil des Notwendigen erreicht.

Meine Damen und Herren! Die Arbeitgeber haben sich zukünftig auch weiterhin ausreichend an der Finanzierung der Gesundheitsausgaben zu beteiligen. Eine Reform, die zu einer Abkopplung der Arbeitgeberbeiträge führt, ist für uns völlig inakzeptabel. Eine weitere Grundanforderung an die Gesundheitsreform ist aus der Sicht der Nationaldemokraten die Einbeziehung der PKV, der Privaten Krankenversicherung, die überwiegend die Einkommensstarken – und diese erst nach vorheriger Risikoselektion – versichert. Dies muss schnellstens beendet werden. Dazu ist es zwingend erforderlich, dass die private Versicherungswirtschaft am Finanzausgleich der PKV ausreichend beteiligt wird, oder noch besser: Man ersetzt gleich das Kassenwirrwarr durch die von Nationaldemokraten seit Jahren geforderte Deutsche Krankenversicherung mit Pflichtmitgliedschaft aller Bürger.

Dies alles können und wollen die Pläne der Großen Koalition nicht leisten. Die Staatsregierung gibt jedoch durch die Äußerungen des Ministerpräsidenten selbst zu, dass weiterer Handlungsbedarf gegeben ist, da der Standortvorteil des Freistaates erheblich gefährdet sei; und dieser Standortvorteil sind nun einmal die niedrigen Beiträge bei IKK und AOK.

Wir erwarten daher die Ablehnung des Gesundheitskompromisses durch die Staatsregierung im Bundesrat.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Die FDP hat noch 1:57 Minuten Redezeit. Frau Schütz, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mir ist heute eines klar geworden: Diese Déjà-vu-Erscheinungen, die man hier im Landtag hat, kommen offenbar bei jedem Kollegen vor, ganz konkret bei mir. Hätte ich gewusst, wie die Diskussion heute gelaufen ist, hätte ich meine

Reden aus der 56. Plenarsitzung heute noch einmal hier bringen können; denn es waren genau die Argumente, die ich bereits im Juli genannt hatte, warum die Gesundheitsreform so, wie sie jetzt steht, von uns nicht mitgetragen werden kann.

(Alexander Delle, NPD: Das ist aber hier immer so!)

Der zweite Aspekt, an die Kolleginnen und Kollegen der PDS gerichtet: Haben Sie mir überhaupt zugehört? Wir haben jetzt in der gesetzlichen Krankenkasse ein Defizit in der Rücklagenfinanzierung von 1,7 Billionen Euro mit der Forderung, alles solle so bleiben, wie es ist. Wir wollen, bitte schön, keine Steuererhöhungen, aber wir wollen natürlich alle an den Leistungen und den zukünftigen Entwicklungen teilhaben. Wie wollen wir es denn machen? Das frage ich Sie.

(Beifall bei der FDP – Zurufe der Abg. Caren Lay und Dr. Monika Runge, Linksfraktion.PDS)

Stellen Sie sich doch bitte endlich den Gegebenheiten, wie sie in der Wirklichkeit sind, und nicht, wie Sie sie gern hätten!

(Beifall bei der FDP)

An Frau Dr. Schwarz gerichtet: Wenn wir uns über Über- und Unterversorgung unterhalten, ist es wichtig, dass wir uns auch einmal die Statistik anschauen. Solange ich bei bis zu 75 % – wenn ich 100 % an ärztlicher Versorgung ansetze – immer noch keine Unterversorgung habe, sondern der Unterversorgungsfaktor erst bei 75 % beginnt, ist es ganz wichtig, dass wir einmal an die Statistik herangehen, sie dahin gehend überprüfen und fragen, wie die Situation tatsächlich vor Ort ist, und nicht davon ausgehen, dass sie so sei, wie wir sie uns auf dem Papier immer gern zurechtmalen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Die Linksfraktion.PDS hat noch einen Redebeitrag angemeldet. Frau Lauterbach, bitte.