Liebe Frau Schütz! Können Sie sich vorstellen, dass wir gut mit der FDP zusammenarbeiten können? Fast ist es abgesprochen. Sie hatten die Gesamtthematik aufgerufen und wir wollten heute – ich denke, das ergänzt sich sehr gut – die Haltung der Staatsregierung abrufen.
Ich nehme das heute einfach so zur Kenntnis. Über die gute Zusammenarbeit möchte ich mich hier im Augenblick nicht äußern.
Aber um dem Debattentitel nun doch Rechnung zu tragen, auch wenn ich natürlich sage, über die Haltung der Staatsregierung zu diskutieren ist, glaube ich, das eine, die Inhalte der Gesundheitsreform sind weit katastrophaler: Mitglieder der Staatsregierung haben sich dazu geäußert, zum Beispiel in der „Leipziger Volkszeitung“ und in der „Freien Presse“, Herr Prof. Milbradt wandte sich gegen die 1-%-Regelung für die kleine Kopfpauschale und wollte verhindern, dass die sächsischen Beitragsvorteile wegnivelliert werden.
Auch Herr Wirtschaftsminister Jurk wollte den Standortvorteil für Sachsen erhalten, übrigens ganz im Gegenteil zu Herrn Schwanitz, der sich als sächsisches Mitglied des Bundestages ganz unsächsisch in der Frage gab. Herr Jurk nannte es dabei einen Wermutstropfen, dass ein Einheitsbeitrag, der mittlerweile deutlich über 14 % liegen wird, von allen Versicherten zu leisten ist. Ich nenne dies eine ungeheure Belastung für Sachsen und einen Einheitsbrei ohne Wettbewerb.
Als Zusatzbeitrag steht die 1-%-Kopfpauschale mit einem 8-Euro-Mindestbeitrag. Der Parteiideologie von CDU und SPD sei Dank.
Es gibt also zukünftig auch in Sachsen den einheitlichen Beitragssatz, der für die sächsischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zwischen 14 und 16 % liegen wird. Der Freistaat Sachsen wird dabei einen entscheidenden Standortvorteil gegenüber den anderen Bundesländern verlie
Wir haben offenbar trotz eines ehemaligen Kabinettskollegen der Regierung keinen Einfluss auf die Diskussion der bundesdeutschen Gesundheitspolitik. Schade, denn mehr Sachsen in Berlin wären wünschenswert.
Was hat sich zwischen Juli und der heutigen Debatte eigentlich alles getan? Wir dürfen weiterhin mit einem Gesundheitsfonds rechnen, allerdings erst – wie von uns im Juli bereits vorausgesagt – 2009. Nach den Erfahrungen mit Toll Collect, Hartz und der elektronischen Gesundheitskarte war dies schon damals abzusehen. Der Beitragseinzug soll nun doch dezentral erfolgen. Ob dabei der bürokratische Moloch Gesundheitsfonds schlanker ausfällt, wird sich erst noch zeigen müssen.
Es gibt eine sogenannte Bayernklausel, die den Geldabfluss von reicheren nach den ärmeren Ländern verzögert. Ja, bitte schön, alle loben, dass man am Solidarprinzip im Gesundheitswesen festhält, und nun gibt es Sonderklauseln. Warum hat sich denn Herr Ministerpräsident nicht für eine Sachsenklausel stark gemacht und diese gefordert, um einer Benachteiligung der ältesten Bevölkerung in Deutschland – wir haben den höchsten Altersdurchschnitt in Sachsen – vorzubeugen?
Wirkliche Verbesserungen gibt es nicht, wie Sie sehen. Das Modell, das schon im Juli von niemandem als gut befunden wurde, auch nicht von den Kollegen der Großen Koalition, die Mühe hatten, positive Aspekte zu entdecken, wird heute nach der Diskussion nicht besser sein.
Dieses Konstrukt „Gesundheitsreform“ in dieser Form gibt es nur, weil es diese Große Koalition in Berlin gibt, und nicht, weil es sinnvoll ist.
Ich kann Ihnen daher auch die Bewertung der Experten nicht ersparen, die am 6. Oktober in der „Sächsischen Zeitung“ zu lesen war. Herr Steinborn, Vorstand der AOK Sachsen, meinte: Für viele Sachsen wird die Krankenversicherung künftig teurer.
Herr Dr. Jan Schulze, Präsident der Landesärztekammer, sagte: „Die Große Koalition hat die Weichen in eine Staatsmedizin gestellt.“
Der Apothekerpräsident, Herr Friedemann Schmidt, meinte zur Gesundheitsreform: „Es geht einzig darum, was der Versicherte bezahlen muss. Der Patient spielt keine Rolle mehr.“
Ich möchte noch einmal mit Nachdruck auf die demografische Entwicklung und die Zukunftsabsicherung unseres Gesundheitssystems hinweisen. Die Nachhaltigkeitslücke bei der gesetzlichen Krankenversicherung ohne medizinischen Fortschritt beträgt aktuell 1,7 Billionen Euro. So
groß müsste jetzt also eine Rücklage sein, damit das heutige Leistungsniveau auch in Zukunft finanzierbar bleibt. Dazu gibt es keinerlei Ausführungen, weder in den Eckpunkten noch von CDU und SPD gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. Wahrnehmung von politischer Verantwortung stelle ich mir anders vor: mit Wahrheit und Klarheit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was waren denn die Kommentare von Expertenseite in den letzten Tagen, nachdem in tiefer Nachtstunde ein Kompromiss gefunden wurde: „Murks“, „Mogelpackung“ und „Reformattrappe“, um nur das Wenigste zu nennen. Dieser Kompromiss ist auch nicht wirklich vermittelbar. Wenn Sie den Rednern der Koalition hier zugehört haben, haben Sie gemerkt, wie man herumeiern und Details bemühen muss, um überhaupt etwas Gutes zu finden, was man hier vortragen kann. Deswegen, Herr Ministerpräsident – es geht ja heute um die Haltung der Staatsregierung – kann es nur eine Empfehlung aus dem Sächsischen Landtag geben. Diese Empfehlung heißt: Sie dürfen dieser Gesundheitsreform nicht zustimmen!
Sie können natürlich auch einen eigenen Entwurf vorlegen. Damit habe ich kein Problem. Warum sollen das die Länder nicht selbst machen, denn Länderinteressen sind in einem starken Maße berührt. Offensichtlich gab es große Abstimmungsprobleme mit Frau Schmidts Ministerium in Berlin, sodass es wichtig ist zu überlegen, ob nicht die Länder selbst tätig werden. Ich weiß von mindestens der Hälfte der Ministerpräsidenten, dass sie eigentlich die Reform so nicht wollen. Inzwischen ist die nicht einmal gründliche Gesetzesvorlage, zumindest die Eckpunkte, an die Länderministerien zurückgegeben worden, die weiter daran arbeiten sollen. Ich sage Ihnen: Beerdigen Sie den Murks und machen Sie einen Neustart, so, als wenn der Computer abbricht!
Sie können doch nicht – wie der MP zum 3. Oktober – sagen: „Aus Berlin kommt nichts zum Aufbau Ost!“– das sehe ich manchmal genauso – und auf der anderen Seite keine Vorschläge unterbreiten, wie es gemacht werden sollte. Wenn Sie dem nicht zustimmen und einen Neustart anfangen, wird die Bevölkerung nicht nur in Sachsen erleichtert aufatmen.
Glauben Sie wirklich, Frau Orosz, dass Sie auf der Mikroebene im Gesetzestext im Paragrafen XY Abs. XY noch irgendwelche wirklich wesentlichen Verbesserungen erreichen können, die den Grundfehler der Reform behe
ben können? Ich glaube das nicht. Sie mögen vielleicht – das habe ich bei Frau Nicolaus herausgehört – hier und da eine kleine Verbesserung zum jetzt Vorhandenen erreichen. Aber der wirklich große Wurf ist es nicht und wird es nicht, auch wenn Sie noch an den Paragrafen herumbasteln.
Das wichtigste und erste Ziel – zumindest hat das der Ministerpräsident Sachsens immer behauptet – dieser ganzen Reform war immer, die Lohnnebenkosten abzusenken. Dieses Ziel wird mit dem vorliegenden Entwurf eindeutig verfehlt. Stattdessen hatten wir eineinhalb Jahre lang eine Debatte zur Mehrwertsteuererhöhung, in der es darum ging, die Mehrwertsteuer auch deswegen zu erhöhen, um in einer anderen Versicherung, nämlich der Arbeitslosenversicherung, die Beiträge abzusenken. Das kann man eventuell noch gut finden, weil die Absenkung der Lohnnebenkosten ökonomisch geboten ist, aber auf der anderen Seite dann wieder bei den Krankenversicherungsbeiträgen hochzugehen, ist ein Nullsummenspiel. Wie kann man denn das als kohärente Politik bezeichnen? Bei den Arbeitslosenbeiträgen will man heruntergehen und bei der Krankenversicherung geht man mindestens 0,5 % rauf. Die Experten rechnen für 2009 sogar mit einem Anstieg auf 16 % bei den Krankenversicherungsbeiträgen. Ich halte das für eine Zumutung, und zwar nicht nur ökonomisch.
Wenn das Ziel so eindeutig verfehlt wird, dann nützt es auch nichts, Frau Schwarz, zu sagen: Als Politikerin der SPD in Sachsen wünsche ich mir, dass man die Beiträge nicht erhöht. Das darf nicht passieren. Es wird einfach passieren, egal, was Sie hier am Pult erzählen, weil nämlich die Krankenkassen das einfach werden tun müssen. Deswegen werden das Misstrauen und die Enttäuschung in der Politik weiter um sich greifen. Das finde ich schade. Dann bekommen wir solche Debatten wie von der PDS – dafür haben Sie heute auch noch eine schöne kleine Annonce in der Zeitung geschaltet –: Eine Kasse für alle, solidarisch usw. Das hat einen gewissen Geruch von Klassenkampf.
Dass Sie keinen Wettbewerb wollen, ist ja nichts Neues. Sie sind dem Sozialismus schuldig geblieben, dass eine Krankenkasse für alle nicht nur Ihren Anspruch an Gerechtigkeit erfüllt, den Sie versucht haben zu formulieren, sondern auch wettbewerbsfähig ist und funktioniert.
Eine Krankenversicherung, die nicht funktioniert, können Sie uns nicht als Alternative anbieten. Das können Sie einfach stecken lassen.
Also, Frau Orosz, wir werden hören, inwieweit Sie der Meinung sind, dass die kleinen qualitativen Verbesserungen im Gesundheitssystem, die Sie vielleicht in Ihrem Ministerium bewerkstelligen können, wirklich dafür herhalten können, dass die Lohnnebenkosten steigen werden. Das Ziel wird verfehlt. Das kann man auch nicht
schönreden. Wir werden sehen, ob die Reform überhaupt noch kommt. Die Verschiebung auf 2009 ist für mich beredt genug. Das ist eine Beerdigung zweiter Klasse. Den Fonds wird es nie in Deutschland geben.
Ich nenne zum Beispiel noch die Mogelpackung der Steuerfinanzierung für eine angestrebte Kinderkrankenversicherung. Warum ist das eine Mogelpackung? Ganz klar – es gab schon einmal einen Familienleistungsbeitrag aus Steuerfinanzierung. Den hat die Bundesregierung gerade abgeschafft. Er wird ab 2007 auf 1,5 Milliarden Euro abgesenkt und 2008 auf null gestellt. Ab 2008 greifen die 1,5 Milliarden Euro, die Sie über andere Steuern einnehmen wollen, weil Ihnen die Tabaksteuer nicht mehr zur Verfügung steht. Wie kann man solche Mogelpackungen als Reform verkaufen wollen?
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ja, es geht heute um die Haltung der Sächsischen Staatsregierung in der Debatte um eine neue Gesundheitsreform. Schwierig nachzuvollziehen ist, wenn Frau Nicolaus sagt, das Besondere ist, dass alles dabei bleibt. Das ist ja gerade das Problem! Für viele sächsische Versicherte, insbesondere AOK- und IKK-Versicherte, wird sich diese Reform verheerend auswirken. Ein solidarisches System, in dem die Menschen, die krank werden, alle Leistungen erhalten, die sie benötigen, um wieder gesund zu werden bzw. in dem die chronisch Kranken, weil es nicht mehr anders geht, wenigstens am Leben teilhaben können – ein solches System ist nicht in Sicht, ja, es wird im Augenblick Zug um Zug immer stärker aufgegeben. Das wird dazu führen, dass sich die Gesellschaft immer weiter in Arme und Reiche sowie in Kranke und Gesunde spaltet. Kranke werden immer weniger am gesellschaftlichen Leben teilhaben können.
Der Ministerpräsident – jetzt ist er nicht mehr da – hat gefordert, und deshalb ist diese Debatte auch notwendig, dass das Gesetz zur Gesundheitsreform so schnell wie möglich fertigzustellen sei, andernfalls ließen sich die geplanten Einsparungen nicht realisieren und die Kassenbeiträge müssten stark steigen.
Die vorgesehene 1-%-Überforderungsgrenze bei den Zusatzbeiträgen zur Krankenversicherung hielt er für technisch nicht machbar. Würde sie umgesetzt, sagte er, erhielten Krankenkassen, deren Mitglieder aufgrund ihres niedrigen Verdienstes von Beiträgen befreit sind, nicht mehr die notwendigen Finanzmittel. Das wäre im Ergebnis völlig widersinnig. Jetzt entschulden wir die Kassen und ließen sie mit der Reform wieder voll in die Verschuldung laufen. So wurde in etwa räsoniert. Da hat er ja recht, nur, was hat es gebracht? Nichts hat es gebracht. Seine Stimme ist nicht gehört worden, sein Einfluss war überhaupt nicht da. Viel Lärm um nichts.