Protokoll der Sitzung vom 13.10.2006

Wir wollen die Naturwissenschaften stärken, indem wir vorschlagen, dass alle drei Naturwissenschaften belegt werden. Wir leben in einer Zeit, in der interdisziplinäres Wissen mehr als in der Vergangenheit gefragt ist. Im Gegensatz zum ursprünglichen Vorschlag des Kultusministeriums sind wir der Meinung, dass mindestens ein Leistungskurs mit einem naturwissenschaftlichen Fach bestritten werden kann. Dass das ein Manko war, das am Ende durch den Koalitionskompromiss geheilt wurde, nehmen wir wohlwollend zur Kenntnis.

Meine Damen und Herren, wenn wir über Wahlmöglichkeiten sprechen – und das ist eines der wenigen Dinge, in denen ich Martin Dulig einmal zustimme –, dann macht es keinen Sinn, die Realität auszublenden. Bereits jetzt sind die Wahlmöglichkeiten, die auf dem Papier stehen, in vielen kleineren Gymnasien nicht mehr möglich. Wenn wir schauen, dass die Schülerzahlen in den kommenden Jahren weiter sinken, dann wird es nicht nur die Ausnahme sein, dass Wahlmöglichkeiten nicht mehr bestehen, sondern bei der Mehrzahl der Gymnasien im ländlichen Raum. Was wir nicht wollen, ist, dass wir zwar in den Städten noch eine einigermaßen vernünftige Abiturausbildung haben, die ländlichen Regionen aber herunterfallen. Wir wollen gleiche Bildungschancen für Stadt und Land in Sachsen.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Martin Dulig, SPD)

Meine Damen und Herren, der Koalitionskompromiss, der jetzt gefunden wurde, ist nicht ganz so goldig, wie ihn Martin Dulig im Brustton der tiefsten Überzeugung hier vorgetragen hat. Ich glaube, er ist ein Stück weit entfernt von seinem wirklichen Empfinden, und auch die Reaktion seiner Fraktion auf die Rede hat gezeigt: Es ist ein Kompromiss, bei dem der Kultusminister nach links marschierte, die SPD nach rechts – und was feiert man als Kompromiss: dass der Kultusminister wieder einen halben Schritt zurückgegangen ist. Aber sei es drum, jeder darf sein Gesicht wahren, meine Damen und Herren. Wenn es der Sache dient, wollen wir es nicht kritisieren.

Was wir allerdings kritisieren, ist eines der Details, das mir nicht gefällt: dass beispielsweise im Entwurf der Staatsregierung die erste Fremdsprache leidet, die von vier auf zwei Stunden gekürzt wurde. Das kommt unserem Ansinnen nicht entgegen, eine breitere Allgemeinbildung zu ermöglichen. Wir haben das ja schon am Mittwoch erlebt. Wahrscheinlich hat die Koalition etwas Probleme mit Fremdsprachen, aber insgesamt ist das mit Sicherheit noch zu verschmerzen.

Was wir uns wünschen, ist, dass diese Reform handwerklich professionell umgesetzt wird und dass die Beteiligten vor Ort diesmal hinreichend einbezogen werden. Ich kann Ihnen versprechen:

(Martin Dulig, SPD, steht zu einer Zwischenfrage am Mikrofon.)

Gestatten Sie noch die Zwischenfrage?

Die FDP wird die Oberstufenreform weiter konstruktiv und kritisch begleiten. – Lieber Martin, ich bin leider am Ende meiner Rede.

Sie sind fertig mit Ihrer Rede, dann darf ich die Frage auch nicht mehr zulassen.

Die NPDFraktion. Frau Abg. Schüßler, bitte.

– Erst einmal vielen Dank für den Aufschub, Frau Präsidentin.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag zielt auf die Reform der gymnasialen Oberstufe ab, die in den letzten Wochen und Monaten im Freistaat für erhebliche Diskussion sorgte. Umstritten waren die Pläne des Kultusministers Flath übrigens nicht nur zwischen staatlichen und freien Schulen, zwischen Eltern und Lehrern, sondern auch innerhalb der Regierungskoalition, besonders nachdem uns Herr Dulig in der Sommerpause mit seinen Plänen überrascht hat.

Nach langen Koalitionsrunden haben sich die beiden Regierungsfraktionen jetzt auf ein Modell geeinigt. Meine Damen und Herren, was uns im vorliegenden Antrag als der große Wurf präsentiert wird, stellt wieder einmal nur eine Sparmaßnahme dar. So sind Kurse, welche beispielsweise nur von elf Schülerinnen und Schülern besucht werden, für die Staatsregierung schlichtweg zu teuer. Hier stellt die hochgelobte Weiterentwicklung der gymnasialen Oberstufe in Sachsen in der Endkonsequenz nur eine weitere Einschränkung aus finanziellen und demografischen Gesichtspunkten dar.

(Martin Dulig, SPD: Steht das im Antrag?)

Meine Damen und Herren, wenn man weiß, wo der wirkliche Sinn der Reformbestrebungen liegt, dann wird einem klar, warum der Herr Staatsminister für Kultus seine Pläne regelrecht durchpeitschen möchte und daher eine Hast an den Tag legt, welche die Schülerinnen und Schüler zu Versuchskaninchen einer wenig durchdachten Reform macht. Dabei gibt es zu den Plänen des Kultusministers sehr wohl gute Argumente dafür, aber eben auch dagegen. So hält es auch meine Fraktion für wichtig, bei einer Weiterentwicklung die Überspezialisierung zurückzunehmen. Unter diesem Aspekt ist die Etablierung von Deutsch, Mathematik und einer Fremdsprache als Pflichtfach sowie die verbindliche Unterrichtung von Physik, Chemie, Biologie und einer zweiten Fremdsprache eine durchaus richtige Überlegung.

Doch diese Pläne bedeuten eben auch – worauf in der Anhörung hingewiesen wurde – den Verlust der Wahlfreiheit für die Abiturfächer entsprechend eigenen Neigungen und Stärken.

Ein weiterer Punkt, der in dieser Anhörung häufig zur Sprache kam, ist die mangelnde Studierfähigkeit, die teilweise bis zu einer 50-prozentigen Abbrecherquote in der Anfangsstudienzeit führt. Hierfür ist das derzeitige Kurssystem zumindest mitverantwortlich.

Wir sollten also im Interesse der Bildungs- und Erwerbsbiografien unserer Abiturienten und damit im Interesse der Zukunft des Freistaates höhere Kompetenzen im technischen und naturwissenschaftlichen Bereich fördern.

Mit dem derzeitigen „Wünsch-dir-was-System“ ist das nicht möglich.

Meine Damen und Herren, ein weiterer Punkt ist aus unserer Sicht nicht einfach wegzudiskutieren: Die einreichenden Fraktionen beziehen sich in ihrem Antrag auf die KMK-Vereinbarung vom 02.06.2006, die eine Gesamtstrategie der Kultusministerkonferenz zum Bildungsmonitoring festlegt. Hier werden Vorgehensweisen für einen zukünftig intensiveren Leistungsvergleich zwischen den einzelnen Bundesländern vereinbart. Bildung ist Ländersache und dementsprechend unterschiedlich. Die Wertigkeit von Abiturnoten hat heute schon einen länderspezifischen Unterschied. Wenn zu befürchten ist, dass die Abiturnoten nach der Reform schlechter sind als in den Bundesländern mit weniger hohen Anforderungen, dann wird das für die sächsischen Schülerinnen und Schüler nicht unproblematisch sein.

Um es klarzustellen: Uns geht es hier nicht um die Orientierung an schlechteren Regelungen in anderen Bundesländern, aber uns geht es um die Chancengleichheit. – Vielleicht kann Herr Staatsminister Flath für die Staatsregierung in seiner Stellungnahme mitteilen, wie diese Gleichbewertung sächsischer Hochschulbewerberinnen und -bewerber in anderen Bundesländern gewährleistet werden soll. Das Ziel der Aufwertung unseres Abiturs wäre sicherlich verfehlt, wenn es für unsere Schülerinnen und Schüler zu Nachteilen bei Studienplatzbewerbungen in anderen Bundesländern führen würde. Hier muss bundesweit eine engere Abstimmung der Kultusminister erfolgen.

Meine Damen und Herren, man kann den Plänen der Regierungskoalition nur ein „Ja, aber“ entgegenschicken. Wir sagen Ja zur Förderung der Allgemeinbildung durch die Stärkung der Kernfächer und die Verhinderung von Überspezialisierung. Wir sagen Ja zu einer Reduzierung der Wahlmöglichkeiten, um eine bessere Studierfähigkeit und damit bessere Berufschancen für die Abiturienten zu erreichen.

Wir wünschen uns aber eine bessere Abstimmung mit den anderen Kultusministern, um die Chancen auf einen Studienplatz in anderen Bundesländern für unsere Schülerinnen und Schüler nicht zu verschlechtern. Wir werden uns daher bei diesem Antrag enthalten.

Danke sehr.

(Beifall bei der NPD – Zuruf des Abg. Martin Dulig, SPD)

Die Fraktion der GRÜNEN; Frau Abg. Günther-Schmidt, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit meine Fraktion vor der letzten Sommerpause mit einem eigenen Antrag die parlamentarische Debatte zu der vom Kultusministerium geplanten Oberstufenreform eröffnet hat, haben wir eine Reihe von Experten und Betroffenen hören können, die sich zu diesem Thema geäußert haben.

Ich stelle zufrieden fest, dass dies ein beredtes Zeugnis dafür ist, dass unsere Fraktion damals den richtigen Riecher hatte, Entscheidungen nicht in den Hinterzimmern des Kultusministeriums stattfinden zu lassen, sondern eine breite Öffentlichkeit an der Diskussion zu beteiligen.

Denn was wäre sonst passiert? Der Kultusminister hätte eine Verordnung erlassen, nach der das Kurssystem an den sächsischen Gymnasien bereits zum kommenden Schuljahr abgeschafft worden wäre. Was ist nun geschehen? Der vorgelegte Antrag der Koalitionsfraktionen ist aus grüner Sicht bereits veraltet, da das Flath’sche Konzept unter der Bezeichnung Kompromiss bereits nach der öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Schule und Sport bekannt gemacht wurde.

Wenn Sie sich selbst ernst nehmen würden, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU und der SPD, dann müssten Sie Ihren Antrag eigentlich zurückziehen. Es interessiert Sie offenbar ohnehin nicht wirklich, was das Parlament dazu sagt. Sie haben sich in der Koalition auf einen Kompromiss geeinigt – das ist Ihre Lösung. Die heutige Beteiligung betrachte ich als eine Scheinbeteiligung. Es wird sich aus der heutigen Debatte heraus nichts ändern – Sie wollen nicht öffentlich um Lösungen ringen.

Wenn man nicht wüsste, was Sie als Kompromiss kurz nach der öffentlichen Anhörung unter Wahrung einer kurzen Anstandsfrist verkündet haben, dann könnte man glatt versucht sein, Ihrem Antrag zuzustimmen.

(Antje Hermenau, GRÜNE: Vorsicht!)

Im Lichte dieser Erkenntnis werden wir das natürlich nicht tun. Der Antrag ist lediglich allgemein gehalten, unverbindlich und schadet nicht wirklich.

Dennoch: Kultusminister Flath ist mit seinem Plan, das neue Oberstufensystem in einem Teil der sächsischen Gymnasien bereits im kommenden Jahr einzuführen, gescheitert – immerhin ein Erfolg.

(Beifall der Abg. Michael Weichert, GRÜNE, sowie Elke Altmann und Heiko Kosel, Linksfraktion.PDS)

Auch wenn Sie das immer wieder bestreiten und mit Gelassenheit zu übertünchen versuchen, Herr Flath: Sie haben sich erneut in einer offenbar wesentlichen schulpolitischen Frage verkalkuliert und eine erneute Niederlage einstecken müssen – zum Glück, wie ich finde. Ihre Eile war wieder einmal völlig unnötig. Ihr Versuch, Durchdachtheit durch Geschwindigkeit zu ersetzen, passt eigentlich auch nicht wirklich zu Ihrem Politikstil. Vielleicht haben Sie aber auch nur die falschen Berater im Kultusministerium.

Allerdings, einem umfassenden Anspruch von Bildung werden Sie unter diesem Aspekt nicht gerecht. Bei Ihrer Oberstufenreform hat quasi die Industrie die Feder geführt. Zum Pech für die sächsischen Schülerinnen und Schüler ist ein Kompromiss herausgekommen, mit dem keiner wirklich zufrieden sein kann. Sie lösen weder die

Herausforderungen der Zukunft, was die demografischen Fragen anbelangt, noch werden mit Ihrem Konzept die Forderungen der Wirtschaft, die Sie ja eigentlich erfüllen wollten, tatsächlich befriedigt.

(Zuruf des Abg. Martin Dulig, SPD)

Wie bitte, Herr Dulig?

(Antje Hermenau, GRÜNE: Das war unwesentlich! – Martin Dulig, SPD: Mich wundert nur, was Sie alles schon wissen!)

Sie dokumentieren damit einen sehr verengten Bildungsbegriff. Das finden wir fatal. Wir teilen Ihre Einschätzung nicht.

Im Grunde genommen reden wir bei der geplanten Reform der gymnasialen Oberstufe über den Konflikt zwischen Freiheit und Bevormundung. Während in anderen Bundesländern junge Menschen mit 16 Jahren auf kommunaler Ebene wählen dürfen, dürfen sie in Sachsen in Zukunft nicht einmal ihre Fächerkombination im Gymnasium selbst festlegen. Allein deshalb können wir Ihrem Kompromiss nicht zustimmen und werden natürlich auch Ihren Antrag ablehnen.

Dem vorliegenden Kompromiss zur Oberstufenreform gelingt es nicht, das Verhältnis zwischen Freiheit und Verbindlichkeit auszubalancieren. Der Koalitionskompromiss ist der misslungene Versuch, eine eierlegende Wollmilchsau zu konstruieren, in der sich alle Seiten wiederfinden.

Am beeindruckendsten für mich ist der Begriff „klassenähnliche Kurse“. Oder sind es etwa „kursähnliche Klassen“? Wie auch immer, 24 Teilnehmer sitzen dort drin. Es läuft letztendlich auf die Abschaffung des Kurssystems hinaus. Der kostengünstigere Klassenverband ist für Sie die einzige Option. Wir haben in der Anhörung von einigen Sachverständigen der Technischen Hochschulen gehört, welche Schwierigkeiten sie teilweise mit Erstsemesterstudenten haben, die ungenügend auf das Studium vorbereitet sind. Ich glaube, dass das Problem durch Ihre Reform nicht beseitigt werden kann, weil die Naturwissenschaften im vertiefenden Bereich nicht wirklich gestärkt werden, aber vor allem – was viel schlimmer ist –, weil mit den neuen Strukturen die Einführung in wissenschaftliche Denk- und Arbeitsweisen sowie die fachliche Spezialisierung und Profilierung deutlich leiden.

Der Sachverständige Prof. Meltzer wies in der Anhörung darauf hin, dass das Wort „Reform“ aus dem Lateinischen kommt. „Re“ bedeutet „Zurück“ und „formare“ „gestalten“. Prof. Meltzer fügte hinzu – Zitat –: „In der Tat kommen mir manche Argumente rückwärtsgewandt vor.“

Eine andere Sachverständige, Elternvertreterin an einem Gymnasium, erklärte: „Ich habe die Vision und den Wunsch, eine große Reform statt eines kleinen Reförmchens zu machen. Diese soll sich nicht nur auf die Sekundarstufe II erstrecken, sondern auf die gesamte schulische Laufbahn.“ Diesem Wunsch möchte ich mich ausdrücklich anschließen. Ihre Oberstufenreform allerdings wird

keinen langen Bestand haben. Mein Eindruck ist, dass Sie selbst wissen: Sie können mit Ihrer Oberstufenreform nur eine Zwischenlösung definieren und werden damit nichts Wesentliches erreichen.