Protokoll der Sitzung vom 16.11.2006

Wie ungerecht die Bestrafungsmentalität von Langzeitarbeitslosen ist, die sich in immer neuen Kürzungsforderungen ausdrückt, wurde vor Kurzem auch durch eine Studie des Landkreistages enthüllt, in der 69 Kommunen untersucht wurden, die die Betreuung von Langzeitarbeitslosen selbst übernommen haben.

Demnach mussten dort 2005 nur 1 % der Arbeitslosen Leistungskürzungen hinnehmen, weil sie eine ihnen angebotene Arbeit abgelehnt hatten. Meine Damen und Herren! Selbst wenn man, wie die Union, unterstellt, dass die Mitarbeiter in den Arbeitsagenturen bislang mit Sanktionen zurückhaltend sind, sprechen diese Zahlen dafür, dass es sich wahrlich nicht um ein Massenphänomen handelt. Dies sollte uns allen Grund genug sein, gegen eine weitere Verschärfung der Hartz-Gesetze einzutreten. Ich bitte Sie deshalb herzlich um Unterstützung für unseren Antrag.

Vielen Dank.

(Beifall bei der NPD)

Ich erteile der CDU-Fraktion das Wort. Herr Pietzsch, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es muss uns in der Politik ein zentrales Anliegen sein, einen Beitrag dazu zu leisten, wieder mehr Menschen in Beschäftigung zu

bringen, wobei für uns sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse im Mittelpunkt stehen sollten.

Das SGB II ist seit seinem Inkrafttreten am 1. Januar 2005 mehrfach geändert worden. Die Grundidee von Hartz IV lautet – daran möchte ich erinnern –, die Eigenverantwortung der Hilfebedürftigen zu stärken und dazu beizutragen, dass sie ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften bestreiten können. Ziel des Prinzips „Fördern und Fordern“ ist die Reintegration in den regulären Arbeitsmarkt. Neben den vielfältigen Fördermöglichkeiten im Rahmen von Hartz IV und dem vom Gesetzgeber beabsichtigten intensiven Betreuen der Hilfebedürftigen durch ihre Fallmanager sollen vor allem die gegenüber Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe deutlich verbesserten Möglichkeiten für den Hinzuverdienst die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt bewirken. In der bisherigen Praxis zeigt sich aber, dass dies nur unzureichend funktioniert. Es entsteht vielmehr der Eindruck, Hartz IV sei eine Einstiegsförderung in die Hilfebedürftigkeit statt eine Ausstiegsförderung in Beschäftigung.

Zu den Zahlen. Vor der Reform, im Jahr 2004, beliefen sich die Ausgaben von Bund, Ländern und Kommunen für Arbeitslosenhilfe plus Wohngeld und Sozialhilfe auf die Größenordnung von 38,6 Milliarden Euro. Im Jahr 2005 gaben Bund und Kommunen bereits 44,4 Milliarden Euro aus. Ebenfalls 2005 gab es 3,3 Millionen Bedarfsgemeinschaften: 1,1 Millionen kamen aus der Sozialhilfe, 2,2 Millionen aus der Arbeitslosenhilfe. Im Sommer 2006 waren es bereits 4,1 Millionen Bedarfsgemeinschaften. Es bestand Handlungsbedarf.

Wesentliche Gründe für den Aufwuchs der Kosten und der Zahl der Bedarfsgemeinschaften sind – erstens – Leistungserweiterungen im SGB II gegenüber dem alten System, zweitens vielfach noch ineffiziente Verwaltungsstrukturen sowie Personal- und Softwareprobleme und – drittens – die nach wie vor schwierige Lage am Arbeitsmarkt für Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die steigenden Ausgaben und vor allem die Berichte des Bundesrechnungshofes vom 19. Mai dieses Jahres sowie der Bericht des Ombudsrates vom 23. Juni 2006 beschreiben den weiteren Handlungsbedarf. Nach den mir vorliegenden Empfehlungen der Arbeitsgruppe der CDU/CSUBundestagsfraktion und der unionsgeführten Länder für die Arbeitsgruppe „Arbeitsmarkt“ der Bundesregierung zum notwendigen Änderungsbedarf bei Hartz IV bin ich der festen Überzeugung, dass die Koalitionsfraktionen im Bundestag ihren Beitrag unter Mitwirkung der Länder geleistet haben und weiterhin leisten werden. Eine Initiative, wie in Ihrem Antrag gefordert, parallel zu der von der Bundesregierung eingesetzten Arbeitsgruppe „Arbeitsmarkt“ tätig zu werden, halte ich für nicht zielführend.

Die Koalitionsfraktionen des Sächsischen Landtages lehnen Ihren Antrag ab. Er kommt wieder einmal zu spät und ist nicht zielführend.

Dennoch muss man nach der heutigen Diskussion einen positiven Erkenntniszuwachs bei der NPD-Fraktion feststellen: Gestern noch forderten Sie „Weg mit Hartz IV!“, heute geben Sie ein klares Bekenntnis zu Hartz IV ab,

(Lachen bei der NPD)

indem Sie jegliche Veränderung am Status quo ablehnen. Das ist besonders bemerkenswert.

Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)

Ich erteile der Linksfraktion.PDS das Wort. Herr Dr. Pellmann, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Pietzsch, ich bitte um Nachsicht, dass ich meine heutige Redezeit nicht darauf verwenden werde, zu Ihrem Beitrag Stellung zu nehmen. Ich möchte mich ganz auf die Einbringer des Antrags konzentrieren. Ich stelle fest – und werde es auch begründen –: Wir als Fraktion werden dem Ansinnen der NPD-Fraktion selbstverständlich nicht folgen und diesen Antrag ablehnen.

(Holger Apfel, NPD: Schade!)

Ich sage Ihnen auch, weshalb. Selbst wenn wir gelegentlich von der Themenstellung her ähnliche Punkte auf die Tagesordnung setzen – wir können nichts dafür, was die machen –, unterscheiden wir uns dennoch prinzipiell von der NPD. Diese Feststellung ist an das ganze Haus gerichtet. Es geht schlicht und ergreifend um das Verhältnis von Sozialem und Nationalem. Während für uns die sozialen Aspekte eineindeutig im Vordergrund stehen, sind sie für die da drüben lediglich ein Vehikel, um ihrer deutschen nationalistischen Großmannssucht zu frönen. Das ist der gravierende Unterschied.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und des Abg. Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)

Wir werden auch künftig jegliche Anträge dieser Fraktion ablehnen, weil wir uns von der Grundphilosophie, vom Grundcharakter her wesentlich unterscheiden.

Aber ich kann es nicht verhindern, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn diese Herrschaften, nur um Wählerstimmen zu gewinnen, auf einen Zug des Protestes springen, der bereits in voller Fahrt ist. Auch das sollte das ganze Haus bewegen und interessieren: Es ist sehr wohl ein Unterschied, ob ich, wie diese Herrschaften, nach der Devise „Arbeit zuerst für Deutsche!“ handle oder ob ich, wie meine Fraktion, nach einer alten Losung der deutschen Arbeiterbewegung, auf die ich stolz bin, handle: „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!“ Das unterscheidet uns prinzipiell.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS – Jürgen Gansel, NPD: Das kriegen Sie aber für sechseinhalb Milliarden Menschen nicht hin, Herr Pellmann!)

Herr Gansel, ich habe Ihnen schon einmal gesagt: Sie sollten sich besser mit den Dingen befassen, von denen Sie vielleicht etwas verstehen,

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Da gibt es ja keine!)

und sich nicht um Dinge kümmern – jetzt bin ich beim Thema –, von denen Sie nichts verstehen.

Neben diesen prinzipiellen Unterschieden, auf die ich immer wieder hingewiesen habe, gibt es auch zum Antrag selbst einiges zu sagen. In erster Linie ist das Ganze eine eklektische Zusammenstellung von Vermutungen, was auf die Bürgerinnen und Bürger, insbesondere auf die von Hartz IV Betroffenen, eventuell zukommen könnte. Im Unterschied zu Ihnen halten wir uns an Tatsachen, nicht an irgendwelche Vermutungen. Der gesamte Antrag strotzt vor Vermutungen, die nicht belegbar sind. Er strotzt im Übrigen – das ist Ihnen auf jeden Fall deutlich zu sagen – vor absoluter Unkenntnis der Sache. An dem, was Sie hier schreiben, lässt sich doch eindeutig belegen, dass Sie von den Dingen keine Ahnung haben. Sie schwingen sich auf ein Ross des Protestes und wissen gar nicht, wo der Pferdekopf ist.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Ich will Ihnen das mit einigen Beispielen begründen.

Erstens. Sie reden davon, dass es beim Eckregelsatz keine weiteren Leistungskürzungen geben dürfe. Ich bitte Sie! Auch wir halten selbstverständlich den gegenwärtigen Eckregelsatz für zu niedrig, weil er nicht armutsfest ist. Aber wir versteigen uns nicht dahin, dass es in der Vergangenheit Kürzungen am Eckregelsatz gegeben hätte. Das stimmt einfach nicht. So redlich sollte man zumindest schon sein, aber das sind Sie nicht.

Das Nächste: Sie weinen fast und glauben dagegen vorgehen zu müssen, dass es künftig keinen Urlaubsanspruch mehr für Hartz IV-Betroffene gäbe. Auch hier kennen Sie das Gesetz nicht. Sie sollten sich damit beschäftigen, bevor Sie sich hier herstellen, Herr Apfel, und im Maschinengewehrton eine Rede ablesen. Es gibt bereits jetzt im Gesetz keinen verbrieften Urlaubsanspruch für Hartz-IV-Betroffene. Was reden Sie daher?!

Elternklausel wollen Sie nicht. Was immer das auch heißt. Sie meinen sicher den Unterhaltsrückgriff auf die Eltern. Da sollten Sie wissen, dass auch das nicht neu ist. Es gibt bereits jetzt die Möglichkeit in einer Reihe von Fällen, dass der Rückgriff auf die Unterhaltspflicht der Eltern stattfindet.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Leider!)

Natürlich leider. Ich will aber nur betonen, Herr Hahn, dass die Herrschaften von den Dingen, über die Sie hier schwadronieren, keine Ahnung haben.

Auch das will ich deutlich sagen: Sie fordern hier einen Mindestzuschuss von 5 Milliarden Euro. Ich könnte mir noch mehr vorstellen. Eigentlich sollten die, die uns das alles eingebrockt haben, die Zeche bezahlen. Das wäre generell der Bund. Aber eines muss ich Ihnen auch einmal sagen – –

(Volker Bandmann, CDU: Fangen Sie schon an zu zahlen!)

Herr Bandmann, es tut mir wirklich leid. Ich hatte Herrn Pietzsch versprochen, mich mit ihm heute nicht auseinanderzusetzen. Selbst wenn Sie geistig etwas weiter rechts stehen als Herr Pietzsch, werde ich das auch mit Ihnen nicht tun.

(Jürgen Gansel, NPD: Ist Herr Bandmann fast bei der NPD?)

Auch das sei deutlich gesagt, alles in allem zeugt dieser gesamte Antrag davon, dass Sie erneut versucht haben, meine Fraktion zu überholen. Ich sage Ihnen, das wird Ihnen nicht gelingen. Wir sind jene Partei, die in den Tagen des Protestes an der Seite der Betroffenen steht, die ihnen hilft, im Unterschied zu Ihnen, die nicht wie Sie die Stimmen einsammelt und dann hier nationalistische Reden führt. Ich sage Ihnen auch eines: Wir werden künftig ebenfalls dafür eintreten, damit das noch am Schluss eindeutig gesagt ist, dass Hartz IV wieder abgeschafft wird.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS – Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Richtig!)

Ich erteile der Fraktion der SPD das Wort. Wird das gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Die FDP hat keine Redezeit mehr. Wird das Wort von der Fraktion GRÜNE gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann frage ich, ob die Fraktionen noch das Wort wünschen. Bitte, Herr Dr. Müller.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Pellmann, wenn Sie der Meinung sind, dass unser Antrag handwerkliche Fehler hat, hätten Sie einen Änderungsantrag stellen können, der die handwerklichen Fehler aufheben würde.

(Dr. Dietmar Pellmann, Linksfraktion.PDS: So ein Quatsch!)

Bleiben Sie einfach bei den Tatsachen.

(Dr. Dietmar Pellmann, Linksfraktion.PDS: Ich werde Ihren Quatsch nicht verbessern!)

Wir bleiben dabei, dass wir einen ordentlichen Antrag eingebracht haben.

(Dr. Dietmar Pellmann, Linksfraktion.PDS: Einbildung!)

6,5 Millionen Deutsche leben nach einer von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Auftrag gegebenen Studie in Armut und haben die Hoffnung aufgegeben, diesen Zustand noch einmal überwinden zu können. Auffällig ist, dass diese

Studie die existierende Armut eher unterzeichnet. Und der schon im vergangenen Jahr veröffentlichte zweite Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung erklärte, der Anteil der Bevölkerung unter der Armutsgrenze sei 1998 von 12,1 auf jetzt 13,5 % gestiegen. Jeder achte Haushalt war davon betroffen, insgesamt also etwa elf Millionen Menschen.