Der Sächsische Landkreistag hat in seiner Stellungnahme vom 27. Oktober 2006 treffend bemerkt, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Er führt nämlich aus, der Gesetzentwurf der FDP entspricht „weitgehend dem Anliegen des Standardabbaus, der Deregulierung und Vereinfachung gesetzlicher Regelungen“.
Nun wäre ja gegen Letzteres nicht viel einzuwenden, wenn es dabei nicht um Schutzgüter ginge. Obgleich ich Ihnen ausdrücklich danke, dass die Sächsische Staatsregierung durch Sie an ihre Pflicht erinnert wurde, selbst den Gesetzentwurf vorzulegen. Aber das ist dann auch schon alles mit dem Dankeschön, denn der Rest passt mir, ehrlich gesagt, absolut nicht. Ich werde natürlich nicht nur meinen Kollegen, sondern allen anderen Kollegen hier im Raum die Ablehnung empfehlen.
Dr. Martens hat ausgeführt, warum Ihr Vorschlag verfassungskonform sei, und er sagte dazu – ich darf Sie einmal nicht wortwörtlich, aber sinngemäß zitieren –, dass natürlich die Weimarer Verfassung Artikel 139 auch im Erzgebirge gilt und auch zum Advent. Das ist richtig. Jedoch gerade, weil er da gilt, braucht es die gesetzliche Regelung. Wenn ich aber als Gesetzgeber regele, dass genau das Obliegenheit der Kommunen sein soll, es also Ihrer Jurisdiktion unterwerfe, dann ist es eben nicht die gesetzliche Regelung, auf die die Verfassung abstellt. Dann dürfen natürlich die Kommunen gern entscheiden, an 20 Sonn- und Feiertagen zu öffnen. Aber genau dann wird dieses Schutzgut nicht mehr genügend beachtet.
Nebenbei: Wenn Ihre Kollegen der FDP vorhin an dieser Stelle auch noch geklatscht haben, finde ich das eine komische Auffassung zu unserer eigenen Verfassung, die ja im Artikel 109 genau festlegt, dass wir uns eben auch in Verbindung mit Artikel 139 der Weimarer Verfassung gebunden fühlen, Herr Dr. Martens. Gerade weil das gilt, brauchen wir eine Ausnahmeregelung. Zum Begriff der Ausnahme hatte ich schon etwas gesagt.
Der Artikel lautet: „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt“, um an meinen Kollegen Dr. Schneider anzuknüpfen.
Übrigens im § 4 Abs. 2 regelt Ihr Gesetz, dass die Gemeinden durch Satzung Ausnahmen bestimmen können. Ich hatte schon gesagt, natürlich werden sie das tun. Es gibt dazu ein Rechtsgutachten, das Sie sicherlich auch kennen, von den Herren Professoren Kingreen und Pieroth der Universitäten Regensburg und Münster. Nebenbei bemerkt sind sie in keiner Weise verdächtig, unserer Fraktion anzugehören. Genau wegen des Wesentlichkeitsgrundsatzes soll das per Ausnahme geregelt werden und genau deswegen kann es nur der Gesetzgeber bestimmen, sagen sie.
Das stellt übrigens auch der SSG in seiner Stellungnahme fest. Nur so am Rande. Wenn das also die überwiegende Mehrheit der zur Stellungnahme aufgeforderten Verbände auch so sieht, kann es so falsch nicht sein.
Noch etwas: Nimmt man Ihren Paragrafen wörtlich, so handelt es sich eigentlich um eine absolute Freigabe. Aber genau das und genau wegen der Bedeutung der Sonn- und Feiertage wollen wir das natürlich nicht.
Aus unserer Sicht entspricht auch der Artikel 3 nicht der Verfassung. Insbesondere gilt das hier in Bezug auf die Nachtarbeit. Ich hatte das vorhin schon einmal erwähnt. Sie hatten mehr oder weniger zum Ausdruck gebracht, dass das der Markt schon regelt. Da kann ich Sie nur auffordern: Seien Sie doch ehrlich und sagen, eigentlich brauchen wir gar kein Gesetz. Dann muss man einmal darüber diskutieren, was denn ein Ladenschlussgesetz macht. Natürlich regelt es Ladenschlusszeiten. Das tut es natürlich auch zum Schutz der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer. Nebenbei muss man fairerweise einmal erwähnen, dass in Ihrem Gesetzentwurf Arbeitnehmerinnen nirgends auftauchen, sie stellen aber die Mehrheit der im Einzelhandel beschäftigten Personen. Das sollte nachdenklich machen.
Wenn Sie das so meinen, dann sollten Sie auch zur Kenntnis nehmen, dass genau das nur die Hälfte der Wahrheit ist. Die andere Hälfte der Wahrheit ist: Das Ladenschlussgesetz schützt auch kleine und mittelständische Unternehmen.
Es ist auch eine Schutzmaßnahme für kleine und mittelständische Unternehmen, lebenswerte Innenstädte zu erhalten, die heute zum Beispiel in einem unheimlich harten Verdrängungswettbewerb mit großen Discountern stehen. Schauen Sie sich die Städte an, versuchen Sie einmal, auch außerhalb Dresdens zu schauen, und gehen Sie ins Land und sehen Sie sich dort die Verhältnisse an. Nehmen Sie einmal Einblick in Verträge, die große Discounter und Betreiber mit diesen Unternehmen schließen. Darin steht nämlich wortwörtlich: Wenn du nicht bis 20 Uhr öffnest und sicherstellst, dass dein Laden geöffnet bleibt, dann fliegst du hier raus! Das ist ein Grund zur Beendigung des Mietvertrages. Deswegen stehen die da.
Dann fragen Sie einmal, was sie in dieser Zeit an Umsatz machen. Darauf wird Ihnen fast jeder Einzelhändler erklären: In der Zeit stehe ich umsonst hier. Fragen Sie auch, ob sie daraus zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen haben. Seitdem die Ladenöffnungszeiten in der Verlängerung bis 20 Uhr liegen, ist nicht ein Arbeitsplatz in Vollzeit neu geschaffen worden. Im Gegenteil, 252 000 wurden abgebaut. Nehmen Sie das einfach zur Kenntnis.
Herr Zastrow, wir müssen zwei Dinge trennen. Natürlich sind es die Betreiber. Da gebe ich Ihnen recht. Das war ein falscher Zungenschlag.
Aber betrachten Sie sich einmal die großen Vermieter. Sie haben natürlich ein Interesse, die Ladenöffnungszeiten bis zum Ende auszuloten. Das ist doch auch wieder ein Grund, warum ich Ihnen sage, wenn Sie den Gemeinden diese Regelung offerieren, werden sie die natürlich nutzen. Es wäre doch unredlich, das nicht anzunehmen.
Übrigens ist auch zu bemerken, dass der Arbeitnehmerschutz in Ihrem § 6 eigentlich kein Arbeitnehmerschutz ist. Wir haben uns schon im Ausschuss darüber unterhalten, Herr Dr. Martens. Sie werden sich daran erinnern. Wenn Sie festlegen, dass zum Beispiel Ausgleichszeiten
für diese Arbeitszeiten am Wochenende in der Woche zu finden seien – Sie gehen dann darauf ein: drei Stunden und länger, bei sechs Stunden ein ganzer Tag als Ersatz in der Woche –, stelle ich Ihnen eine Frage, wenn Sie in Ihrer Begründung darauf eingehen, dass das unter anderem deswegen gemacht wird, damit die Menschen, die im Einzelhandel arbeiten, auch mit ihren Familien einkaufen gehen können, also meine Frage zur Mathematik, weil Sie vorhin auch mit einfacher Arithmetik gerechnet haben: Wenn sie normal beschäftigt sind, nehmen wir an, in Vollzeit – das ist natürlich die Ausnahme im Einzelhandel – mit 40 bis 45 Stunden in der Woche agieren, aber jetzt schon die Möglichkeit haben, in der Woche insgesamt 84 Stunden zu öffnen, dann bleibt genug Zeit übrig, um einkaufen zu gehen. Nach meiner Rechnung sind das 44 Stunden, übrigens vor 20 Uhr, familienfreundlich, physiologisch unbedenklich, gemeinsam mit den Kindern. Daran sollten Sie einmal denken, wenn Sie uns vorwerfen, wir würden unlogische Schlüsse ziehen. Aber den Gesetzen formeller Logik folgend ist Ihr Schluss mindestens genauso falsch.
Sie regeln noch, dass, abgesehen davon, die 30 Minuten zusätzlich an Wochenenden ausdrücklich als Ausnahme noch genehmigt werden können, wenn sie für Vorbereitungs- und Abschlussarbeiten unerlässlich sind. Ich kann Sie da beruhigen, sie sind immer unerlässlich. Schauen Sie sich doch den Einzelhandel an. Natürlich sind die Beschäftigten früher anwesend und gehen später nach Hause.
Das spielt bei der Kausalität in der Begründung von Arbeitszeiten überhaupt keine Rolle. Neben der Frage, wie Sie das übrigens kontrollieren wollen – denn keine Regel ohne Kontrolle –, ist zu prüfen, ob das überhaupt dem Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern entspricht. Insofern können Sie Ihren § 6 als Schutzartikel in dem Gesetz eigentlich komplett vergessen, denn Sie müssten ihn eigentlich überschreiben mit „Besondere Härten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“.
Nebenbei: Haben Sie einmal darüber nachgedacht, was Ihre Regelung en detail bewirkt? Haben Sie sich schon einmal die Frage gestellt, welche Kindertageseinrichtungen denn am Sonntag geöffnet haben, wo ich möglicherweise mein Kindchen als alleinstehende Mutter hinführen könnte? Haben Sie sich einmal die Frage gestellt, wo der betonte Schutz der Familie, auf den Kollege Brangs ausführlich eingegangen ist, in Ihrem Gesetz hergestellt wird, der Schutz der Religionsausübung, Freiheiten, auf die Sie pochen? Herr Morlok hatte gesagt, wir wollen mehr Freiheit, mehr Lebensqualität und den Wirtschaftsstandort stärken. Nichts von dem erreichen Sie mit Ihrem Gesetz.
Wohin das führt, können Sie übrigens in der „Financial Times Deutschland“ lesen, die schreibt: „Die Arbeitgeber
haben den Manteltarifvertrag zum Jahresende gekündigt und wollen mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di die Streichung der Zuschläge nach 18:30 Uhr verhandeln.“ Richtigerweise bemerken sie, wenn die Ausnahme zur Regel wird, dann braucht es auch keine ausnahmsweisen Zuschläge; denn dann ist das reguläre Arbeitszeit und es müssen keine Sonntags- und Feiertagszuschläge und natürlich auch keine Nachtzuschläge vor 22 Uhr gezahlt werden. Denken Sie einmal darüber nach. Was Sie damit vernichten, ist unter anderem die Kaufkraft, die Sie versuchen mit Ihrem Gesetzentwurf zusätzlich abzuschöpfen. Auch da kann ich Sie beruhigen, schon heute ist die nicht da.
Fazit: Nach meinem Dafürhalten haben Sie mit Ihrem Antrag das selbst gestellte Ziel nicht erreicht. Vielleicht nehmen Sie die Reden meiner Kollegen Brangs und Tischendorf zum Anlass, um über Querschnittsbilanzen nachzudenken und sich volkswirtschaftlich mit Ihrer eigenen Fraktion in medias res zu begeben, welche Auswirkungen ein so kleiner Gesetzentwurf auf gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge hat.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und fordere Sie auf: Stimmen Sie diesem Antrag der FDP-Fraktion nicht zu, sondern dem Antrag der Koalitionsfraktionen für das Vorschaltgesetz!
Wird von der NPD-Fraktion noch einmal das Wort gewünscht? – Bei den GRÜNEN? – Von der FDP-Fraktion liegt noch ein Wortbeitrag vor. Bitte, Herr Günther.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor einem Jahr legte die FDPFraktion eine Dokumentation zu einem Jahr Große Koalition in Sachsen mit dem Titel „Politik im Schneckentempo“ vor. An dieser Stelle möchte ich mich ausdrücklich für diesen Titel entschuldigen, und zwar bei den Schnecken.
Im Vergleich zur Politik des Wirtschaftsministeriums zum Thema Ladenschluss ist eine Schnecke ein Ferrari mit Haus. Uns zu dieser Zeit ein Vorschaltgesetz zu präsentieren, welches ermöglicht, am Ende des Jahres nun endlich die Adventswochenenden freizugeben, ist ein Skandal. Das ist eine Eunuchenpolitik. Es wird nur gefummelt und nichts steht.
Wie die Politik des Wirtschaftsministeriums aussieht, ist im April dieses Jahres bekannt geworden. Ein aktiver Kollege hat sich bei Herrn Jurk erkundigt, ob es möglich ist, die Ladenöffnungszeiten im Advent zu ändern. In der Antwort steht: „Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass wir zur nächsten Adventszeit schon eine sächsische Regelung zu den Ladenöffnungszeiten haben werden.“ Das war Herr Jurk im April dieses Jahres. Was sagen die Menschen vor Ort dazu?
Es gibt einen einstimmigen Gemeinderatsbeschluss im Kurort Seiffen von sieben CDU-Abgeordneten, vier FDPAbgeordneten und drei PDS-Abgeordneten; SPD gibt es bei uns nicht.
Dort steht, wir plädieren für eine kommunale Selbstentscheidung über die Ladenöffnungszeiten an Sonn- und Feiertagen. Der Gemeinderat des Kurortes Seiffen hat dazu in seiner öffentlichen Sitzung am 09.10. einen entsprechenden Beschluss gefasst. Die Menschen vor Ort sind viel weiter als die Politik des Wirtschaftsministeriums in Sachsen. Die Positionierung des Landestourismusverbandes – das ist der, wo gestern Herr Milbradt gekocht hat – lautet: „Wir fordern eine grundsätzliche Freigabe des Ladenschlusses von Montag bis Samstag und eine vereinfachte Sonn- und Feiertagsregelung.“ Das sollten wir bedenken, denn allein im Tourismus werden Umsätze von 2 Milliarden Euro in Sachsen generiert. Das sollten wir für Arbeitsplätze ausnutzen.
Den Kollegen der CDU-Fraktion noch einmal nahe gelegt: Was jetzt entstanden ist, hätte es früher nicht gegeben. Herr Schommer schreibt 1996, vor zehn Jahren: „Der alte Zopf muss endlich ab. Wenn es nicht gelingt, die längst überholte Reglementierung durch den Staat wenigstens flexibler zu gestalten, kann Deutschland seinen Modernisierungswillen kaum glaubhaft machen.“