Protokoll der Sitzung vom 16.11.2006

Den Kollegen der CDU-Fraktion noch einmal nahe gelegt: Was jetzt entstanden ist, hätte es früher nicht gegeben. Herr Schommer schreibt 1996, vor zehn Jahren: „Der alte Zopf muss endlich ab. Wenn es nicht gelingt, die längst überholte Reglementierung durch den Staat wenigstens flexibler zu gestalten, kann Deutschland seinen Modernisierungswillen kaum glaubhaft machen.“

Dem ist nichts hinzuzufügen. Ich werbe noch einmal für unseren Gesetzentwurf und bitte um Zustimmung.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren! Gibt es vonseiten der Fraktionen weiteren Redebedarf? – Das sieht nicht so aus. Doch, Herr Zastrow, bitte.

(Wortwechsel zwischen Abgeordneten der CDU und der Linksfraktion.PDS)

Bei so einem urliberalen Thema, meine Damen und Herren, sehr geehrte Frau Präsidentin, ist es selbstverständlich, dass bei uns heute jeder darf,

(Heiterkeit des Staatsministers Steffen Flath)

auch der Vorsitzende. Herr Jurk, Sie dürfen dann auch noch. Dafür reduzieren wir unsere Redezeit gerade

erheblich, das heißt, Sie haben für den Rest des Tages nicht mehr so viel mit uns zu tun.

Ich komme nur noch zu ein paar Argumenten, die in der Debatte gefallen sind. Ein schönes, immer wieder vorgetragenes Argument von der SPD-Fraktion, aber auch der Linksfraktion.PDS, ist die sogenannte Familienunfreundlichkeit unseres Gesetzentwurfes. Ich finde es hochinteressant, dass Sie diese Frage stellen, wenn es um den Einzelhandel geht, Ihnen aber die vielen anderen, die sonntags arbeiten – denken Sie an Krankenschwestern, Polizisten, die Landwirtschaft oder an Drucker, Herr Nolle, Leute, die die Zeitung machen, die wir montags auf dem Tisch bekommen –, scheinbar völlig egal sind. Das finde ich ziemlich scheinheilig, und das kann ich nicht akzeptieren.

(Beifall bei der FDP)

Nun frage ich die Linksfraktion.PDS, die immer die Defizite in der Familienpolitik anspricht, und da haben Sie auch recht, wir haben hier viel nachzuholen – –

(René Fröhlich, Linksfraktion.PDS, steht am Mikrofon.)

Herr Fröhlich, ich gestatte Ihnen die Zwischenfrage.

Ich gestatte Ihnen die Zwischenfrage auch.

Danke. – Herr Zastrow, gehen Sie mit mir konform, dass unter anderem Polizisten, die wir zur Gewähr der örtlichen Sicherheit und Ordnung brauchen, für Dienste zu ungünstigen Zeiten sogenannte Duz-Ausgleichsbeträge erhalten, um dafür entlohnt zu werden, dass sie nicht zu familienfreundlichen Zeiten eingesetzt werden.

Genau, deswegen hat Jürgen Martens vorhin darauf hingewiesen, was wir mit dem Arbeitszeitgesetz in Deutschland, welches für alle gilt, enge Regeln auch für den Einzelhandel haben. Das tasten wir überhaupt nicht an, das bleibt so, wie es ist.

(Beifall bei der FDP – Widerspruch des Abg. Klaus Tischendorf, Linksfraktion.PDS)

Wenn Sie schon Familienfreundlichkeit einfordern, dann schauen wir uns einmal an, wie das anderswo ist. Ich bitte Sie dann festzustellen, ob diese Länder familienunfreundlich sind oder gar ein Problem mit der Religion haben. Schauen wir doch mal nach Irland, dem wachstumsstärksten Land in der Europäischen Union schlechthin. Dort geht es gerade richtig ab. Übrigens ein erzkatholisches Land. Die Geburtenrate als ein kleines Indiz für Familienfreundlichkeit liegt dort bei einem europäischen Spitzenwert von 1,99 Geburten, also fast zwei Kinder pro Frau. Deutschland als das von Ihnen gepriesene familienfreundliche Land hat gerade einmal eine Quote von 1,29. Sie können übrigens in alle anderen Länder Europas schauen, vor allem in die Länder, die keine Ladenschlussregelung haben – es gibt keinen Zusammenhang zwischen Famili

enfreundlichkeit und den Ladenöffnungszeiten. Lassen Sie sich das gesagt sein.

(Beifall bei der FDP)

„Mein Gott, Frau Ernst!“, sage ich oft, wenn Sie hier vorn stehen, aber ansonsten sage ich Ihnen noch eine zweite Zahl, wenn es um Kinderfreundlichkeit geht. Warum gehen zum Beispiel 38 % der Kinder unter drei Jahren in Irland in Kindertageseinrichtungen, während es bei uns wesentlich weniger sind?

(Staatsminister Thomas Jurk: Das ist doch falsch!)

Die haben uns, was Familienfreundlichkeit betrifft, einiges voraus. Auch das, meine Damen und Herren, hat mit Ladenöffnungszeiten nichts zu tun. Das ist richtig. Ich kann auch gern die anderen Zahlen der Europäischen Gemeinschaft vorpredigen. Sie liegen hier vor mir.

(Dr. Fritz Hähle, CDU: 98 % gehen in den Kindergarten!)

Wenn Sie den Vorwurf der Realitätsferne machen, Herr Fröhlich, muss man klar sagen, dass beim Ladenschluss die Devise gilt: Alles darf, nichts muss. Wenn Sie an den Einzelhandel denken, ist es für den einen oder anderen Tante-Emma-Laden die einzige Chance, anders zu öffnen, als es ein Großer macht, der es sich gar nicht leisten kann, zu jeder Zeit zu öffnen – anders zu öffnen, mehr Service anzubieten und eine größere Flexibilität zu haben, um in diesem Wettbewerb zu bestehen. Schauen Sie in die Dresdner Neustadt, wo es eine ganz eigene Einzelhandelszene gibt; die kennen Sie sicher auch. Die nutzen Spielräume schon ganz anders als die auf der grünen Wiese.

(Beifall bei der FDP)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Natürlich.

Eigentlich wollte ich etwas anderes fragen. Stimmen Sie mir zu, dass die Einzelhandelsverbände sich dahin gehend geäußert haben, dass sie Probleme bekommen werden, Leute mit den derzeit gültigen Zuschlägen einzustellen, wenn die Ladenöffnungszeiten verlängert werden, und schon jetzt angekündigt haben, dass es damit ein Arbeitsplatzproblem gibt und man jetzt schon auf geringfügig Beschäftigte ausweicht, sogenannte prekäre Beschäftigungsverhältnisse?

Ich glaube, es wird natürlich auch neue Beschäftigungsverhältnisse im Niedriglohnsektor geben – ganz klar, wenn ich nur jemanden am Sonntag einstelle, der statt der Mutter mit Kind die Sonntagsschicht schiebt, so wie es auch jetzt schon in vielen Läden ist. Gerade wenn sie in den Souvenirverkauf gehen, dann ist das so. Oder schauen Sie sich den Personalbesatz auf Weihnachtsmärkten an, dann ist das so. Dann schafft das auch Arbeit für Leute, die nicht so viel verdienen. Das finde ich richtig.

(Beifall bei der FDP)

Wir brauchen dort neue Jobs und genau dafür ist unsere Regelung gut.

Es gibt noch eine Zwischenfrage.

Ja, sehr gern, Herr Tischendorf.

Bitte.

Herr Zastrow, wie bewerten Sie denn den Vorgang, dass die Arbeitgeberverbände im Handel jetzt schon den Tarifvertrag gekündigt haben mit der Begründung, es ändert sich ja im Ladenschluss so einiges und wir müssen neu verhandeln, ob es überhaupt noch Zuschläge für Feiertage und für Wochenenden gibt? Finden Sie es gut, dass die gekündigt haben, oder denken Sie nicht auch, dass das ein Ausfluss unserer Debatte ist?

Ich finde Tarifverträge generell nicht gut. Da haben Sie völlig recht.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Klaus Tischendorf, Linksfraktion.PDS)

Wenn es aber um Realitätsferne oder so etwas geht, der Einzelhandelsverband hat sich für eine möglichst starke Liberalisierung ausgesprochen. Wenn Sie, Herr Tischendorf, sagen, Sie verstehen all diese Fachleute nicht, Sie verstehen also auch den Landestourismusverband nicht,

(Zuruf des Abg. Klaus Tischendorf, Linksfraktion.PDS)

wenn der Landestourismusverband, der die gesamte Tourismuswirtschaft vertritt, eindeutig sagt, wir brauchen in Sachsen liberalere Regelungen, dann traue ich dem Landestourismusverband die kompetentere Meinung zu, Herr Tischendorf, als die, die Sie hier geäußert haben. Das ist Realitätsnähe, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Zastrow?

Sehr gern.

Bitte, Herr Fröhlich.

Jetzt muss ich das doch noch fragen. Entschuldigung, dass ich das erst jetzt mache. Habe ich das vorhin richtig verstanden, dass Sie einen dialektischen Zusammenhang zwischen der Liberalisierung von Ladenöffnungszeiten, Familienfreundlichkeit, Geburtenzugang und einer Meisterung des demografischen Wandels hergestellt haben?

(Lachen des Abg. Klaus Tischendorf, Linksfraktion.PDS)

Ich habe Marx und Engels nicht gelesen. Wenn Sie mir mit Dialektik kommen, dann gehen wir vielleicht doch einen Kaffee trinken.

Lassen Sie mich noch eines sagen. Ich finde es ziemlich abgehoben, realitätsfern und auch ziemlich arrogant, wenn Sie denjenigen die Chance nehmen, die unter Umständen gar keine andere Möglichkeit haben,

(Klaus Tischendorf, Linksfraktion.PDS: Die davon leben!)