Schule, Bildung, berufliche Qualifikation, arbeitspädagogische Angebote und, wenn möglich, auch die Zuweisung von Arbeit entsprechend der Persönlichkeit, den Vorkenntnissen und der Eignung sind wesentliche Grundlagen, um eine erfolgreiche Aufarbeitung der Straftat zu erreichen, aber auch dem inneren Antrieb Kraft zu verleihen, die Möglichkeit auf eine wirkliche Chance zur Eingliederung nach dem Strafvollzug zu nutzen.
Aus meiner Arbeit im Anstaltsbeirat habe ich die Erfahrung gemacht, dass gerade für junge Menschen im Vollzug Bildung und Arbeit ganz oben im Rang der Wünsche stehen und dass der Entzug dieser Angebote als Disziplinarmaßnahme als eine der höchsten Bestrafungen empfunden wird.
Nun ist es trotz der sehr großen Bemühungen bisher nicht immer gelungen, die Angebote auf Bildung und Arbeit zu ermöglichen. Deshalb müssen wir uns dieser Aufgabe stellen.
An dieser Stelle danke ich Herrn Staatsminister Mackenroth dafür, dass er sich schon oft dieser Probleme angenommen hat. Ich denke, Herr Minister, wir haben gezeigt, dass man in guter Zusammenarbeit Probleme nicht nur benennt, sondern auch lösen kann.
Ein zweiter, sehr wesentlicher Bestandteil unseres Antrages ist die Verbindung zu Familie, zu Freunden, aber auch zu den Menschen, die den Jugendlichen bereits im Vorfeld des Strafvollzugs betreut haben. Diese sozialen Kontakte sind deshalb so wertvoll, weil viele Strafgefangene oftmals das Gefühl haben, den Boden unter den Füßen zu verlieren und nach Verbüßung der Strafe nicht mehr in die Gesellschaft aufgenommen zu werden. Ein beständiger Außenkontakt zu funktionierenden Strukturen, die Gewährung von Lockerungen, Hafturlaub und viele weitere Maßnahmen – so weit es zu verantworten ist – werden sich positiv bei der Wiedereingliederung gestalten.
In Zusammenarbeit mit der Anstalt, den Bewährungshelfern und den unterstützenden Bezugspersonen kann damit die Rückfallquote, die heute noch relativ hoch ist, verringert werden. Nachsorge in Form von Übergangshäusern und sozialer Absicherung sind weitere wichtige Einstiegsmaßnahmen, um wieder leichter dem Alltag zu begegnen. Nachsorge heißt aber auch, Strukturen zu schaffen und abzusichern, die eine Nachsorge ermöglichen. Hier schließt sich wieder der Kreis zu den von mir zu Beginn meiner Rede erwähnten freien Trägern, die mit ihren Sozialarbeitern die weitere Begleitung in unserem Auftrag übernehmen sollen.
Es steht außer Frage, dass an diese Träger ein sehr hoher fachlicher Anspruch gestellt werden muss. Wir beauftragen uns mit diesem Antrag, die Trägerfunktion zu stärken und zu unterstützen, das heißt auch, die oftmals wechselnden Förderstrukturen unbürokratisch und zeitnah anzupassen – so weit wir darauf Einfluss haben –, um auch den Trägern die Chance der Umsetzung zu geben. Ich denke dabei zum Beispiel an die Förderung durch ESF-Mittel oder die Möglichkeit der Verknüpfung über ALG II. Mit den dazu bereits begonnenen Gesprächen zwischen dem Wirtschaftsministerium und uns sind wir auf dem richtigen Weg, auch dafür meinen herzlichen Dank.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Abschließend möchte ich noch erwähnen, dass ich mir durchaus bewusst bin, dass unsere Vorschläge zur Förderung Jugendlicher im Strafvollzug in der Öffentlichkeit nicht immer auf Verständnis und Zustimmung stoßen, zumal viele junge Menschen außerhalb der Gefängnismauern unsererseits Unterstützung erwarten. Dennoch sollten wir bedenken, dass es im Strafvollzug nicht nur Mörder und Vergewaltiger gibt, sondern auch viele junge Strafgefangene, die zum Teil durch sehr unglückliche Lebensumstände in diese Situation gekommen sind und dankbar für diese Unterstützung sein werden. Genau diese Menschen sollten es uns wert sein, ihnen eine Zukunftschance zu geben. Mancher Familie, aber auch der Gesellschaft wird eine nicht unerhebliche Sorge abgenommen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jugendkriminalität und Jugendstrafvollzug sind immer auch ein emotionales Thema und allzu leicht fallen Begriffe wie Kuschelpädagogik und Landschulheimatmosphäre, und dies bei Weitem nicht nur an Stammtischen.
Das Bundesverfassungsgericht hat dem deutschen Jugendstrafvollzug ein vernichtendes Urteil ausgestellt, meine Damen und Herren, und das nicht nur, weil es derzeit für den gesamten Jugendstrafvollzug keine hinreichenden gesetzlichen Grundlagen gibt – das ist schon schlimm genug –, nein, das Gericht hat auch die aktuelle Vollzugspraxis in vielen Details bemängelt. Hinter vorgehaltener Hand heißt es, das Bundesverfassungsgericht habe kein Zutrauen zur Gesetzgebungskompetenz der Länder und deshalb konkrete Anforderungen an ein zu schaffendes Jugendstrafvollzugsgesetz formuliert.
Nun ist bekannt, dass es bei der Föderalismusreform teilweise wie auf dem Hamburger Fischmarkt zuging, und wie auf dem Fischmarkt gab es am Ende noch ein Bündel Bananen dazu. Das Bündel Bananen, meine Damen und Herren, war in diesem Fall die Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug. Selten hatten sich die Experten in Bundesrat und Bundestag so einhellig gegen eine Verfassungsänderung in diesem Bereich ausgesprochen. Am Ende kam sie doch.
Die Befürchtungen waren und sind, dass die Verschiebung der Zuständigkeit auf die Länder zu Wildwuchs und zu einem Wettbewerb um den billigsten und den härtesten Strafvollzug führen könnte. Jetzt ist es an den Ländern, diesen Befürchtungen entgegenzutreten und sie zu zerstreuen.
Ich bin sehr dankbar dafür, dass Sachsen auf der Grundlage des letzten Entwurfs des Bundesjustizministeriums der sogenannten Zehn-Länder-Gruppe zum Jugendstrafvollzug angehört und gemeinsame Lösungen mit anderen Ländern anstrebt. Ziel ist es, systematisch einen einheitlichen Musterentwurf zu erarbeiten, der realistische Zielsetzungen verfolgt. Denn trotz der eigenen Zuständigkeit sollte es das Bestreben aller Bundesländer sein, im Kern übereinstimmende Regelungen für den Jugendstrafvollzug zu treffen.
Ich weiß, dass Argumente wie die Gewährleistung einheitlicher Lebensverhältnisse und die Erfüllung europäischer und internationaler Standards schon in der Föderalismusdebatte nicht überzeugt haben. Die länderübergreifende Zusammenarbeit im Hinblick auf Verlegungen und Gefangenentransporte sowie die justizpolitische Notwendigkeit eines Strafvollzugs als Spiegel eines einheitlichen Strafrechts sind aber jene Argumente, die für ein gemein
sames Vorgehen der Länder sprechen – jenseits aller politischer Farbenlehre, meine Damen und Herren.
Das Bundesverfassungsgericht hat uns als Gesetzgeber aufgegeben, den Jugendstrafvollzug bis zum 31. Dezember 2007 zu regeln. Die Koalitionsfraktionen haben im Vorgriff auf eine noch zu erarbeitende gesetzliche Regelung einen Antrag formuliert – er liegt Ihnen vor –, der unser Bekenntnis, das Bekenntnis der CDU- und der SPD-Fraktion, zu bestimmten Mindeststandards und zum Wunsch eines lebhaften Austausches mit der Fachwelt beinhaltet. Der Katalog, den Sie dort vorfinden, ist keineswegs abschließend, sondern der Versuch, frühzeitig die Diskussion im parlamentarischen Raum zu führen. Gerade wegen des Bekenntnisses zu den Vorschlägen der Fachwelt bedarf es der Änderungen, wie Sie von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorgeschlagen werden, nicht. Ihr Änderungsantrag, meine Damen und Herren von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – zurzeit ist nur eine Dame anwesend – ist eher – bitte nehmen Sie es mir nicht übel – von dem Neid geprägt, dass die Koalition in einer für Sie etwas überraschenden Weise das Thema vor Ihnen besetzt hat.
(Beifall bei der CDU und des Abg. Martin Dulig, SPD – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Wir stimmen manchmal auch zu, was ihr nicht macht! – Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Es ist selten genug!)
Meine Damen und Herren! Nicht nur das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, sondern auch die schrecklichen Ereignisse in der Jugendstrafanstalt im westfälischen Siegburg zwingen uns zu einer Auseinandersetzung mit dem Jugendstrafvollzug. Das Thema erfordert sensibles Vorgehen – ich hatte es bereits genannt –, weil diesbezüglich die Stammtischparolen nie weit entfernt sind. Dreh- und Angelpunkt ist häufig das Vollzugsziel. Hierzu spricht das Bundesverfassungsgericht eine deutliche Sprache: „Jugendliche und Heranwachsende“ – so das Gericht – „befinden sich biologisch, psychisch und sozial in einem Stadium des Übergangs, das typischerweise mit Spannungen, Unsicherheiten und Anpassungsschwierigkeiten verbunden ist. Deshalb gilt für das Jugendstrafrecht und den Jugendstrafvollzug der Grundsatz, dass Strafe immer nur das letzte Mittel und nur als ein in seinen negativen Auswirkungen auf die Persönlichkeit des Betroffenen nach Möglichkeit zu minimierendes Übel verhängt und vollzogen werden darf.“
Dabei hat das Vollzugsziel der sozialen Integration, also der Befähigung zu einem straffreien Leben in Freiheit, Verfassungsrang. Das beruht darauf, dass nur ein so ausgerichteter Vollzug der staatlichen Pflicht zur Achtung der Menschenwürde des Einzelnen und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit staatlichen Strafens entspricht.
Zugleich folgt für den Staat die Notwendigkeit, den Strafvollzug am Ziel der Resozialisierung auszurichten, natürlich auch aus der staatlichen Schutzpflicht für die Sicherheit aller Bürger heraus. Zwischen dem Integrationsziel des Vollzugs und dem Anliegen, die Allgemeinheit
vor weiteren Straftätern zu schützen, besteht insoweit kein Gegensatz. Das wollte ich damit ausdrücken. Der Staat übernimmt durch den Freiheitsentzug für die weitere Entwicklung der Gefangenen eine besondere Verantwortung, da nur er dieser durch eine Vollzugsgestaltung, die in besonderer Weise auf die Förderung sozialen Lernens, die Ausbildung von Fähigkeiten und Kenntnissen sowie einer künftigen beruflichen Integration gerichtet ist, gerecht werden kann.
Aus den jugendtypischen Wirkungen der Haft, der besonderen Haftempfindlichkeit der jungen Menschen, den Chancen und Gefahren für die weitere Entwicklung und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergibt sich daher ein jugendspezifischer Regelungsbedarf.
Genau diesen greift die Koalition mit ihrem Antrag auf. – Zu weiteren Details werde ich in einer zweiten Runde sprechen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin Dombois, Respekt für die durchaus sehr sensible Rede zu einem Problem, dessen sich die Koalition seit Langem nicht mehr angenommen hatte und welches sie in für uns überraschender Weise nun aufruft. Diese folgende Vorbemerkung gilt nicht für Frau Dombois: Zur Politik gehört ein gutes Stück Schauspielerei und Bühnenarbeit.
Das handhaben wir auch ab und zu so, deshalb nehmen wir Ihnen dies nicht übel. Es kommt immer darauf an, dass Stoff und Rollenverteilung zum Drehbuch passen.
Kollege Bräunig, ich habe mich schon bei der Haushaltsdebatte gewundert, weshalb Sie auf einmal so relativ substantiiert auf die Probleme des Jugendstrafvollzuges eingingen. Nun ist mir völlig klar: Nachdem der Justizminister gesagt hat, dass der Jugendstrafvollzugsgesetzentwurf so gut wie fertig ist und eingereicht wird, wissen wir inzwischen natürlich auch, dass das, was Sie heute veranstalten, quasi nur das Entree für den Gesetzentwurf ist. Der Gesetzentwurf ist also längst fertig und das, was Sie jetzt beschließen wollen, ist darin bereits enthalten;
denn den Zehn-Länder-Gesetzentwurf hat der schleswigholsteinische Justizminister bereits am 9. Dezember vorgestellt, und da ich davon ausgehe, dass Sachsen als Mitarbeiter am Zehn-Länder-Entwurf nicht ausbricht, ist völlig klar, dass die 20 Punkte, die wir jetzt dazu beschließen sollen, bereits im Gesetzentwurf stehen. – So viel nur, da mir das ein wenig wie Pingpong zwischen der
Koalition und der Staatsregierung vorkommt und wir dabei den Fall geben sollen. Dies würden wir gern vermeiden wollen.
Dies zur Problematik als Vorbemerkung. An sich ist das Thema selbstverständlich völlig okay und notwendig zu erörtern. Unsere eigene Fraktion hatte zu Drucksache 4/5560 zum Thema „Schaffung der verfassungsrechtlich gebotenen gesetzlichen sowie personellen Grundlagen für den Jugendstrafvollzug“ bereits am 15. Juni 2006 eine notwendige Entscheidung des Parlaments herbeiführen wollen. Die Staatsregierung hat darauf qualifiziert geantwortet. Sie hat darauf aufmerksam gemacht, dass zu diesem Zeitpunkt der Bund bereits einen Gesetzentwurf vorgelegt hatte. Dieser lag in der Anlage zur Stellungnahme der Staatsregierung bei. Dann kam die Föderalismusreform, es kam die Zuständigkeit der Länder. Eine Behandlung im Parlament zu diesem Zeitpunkt wäre verfrüht gewesen, weil wir die Sache etwas reifen lassen wollten. Nun ist die Situation so weit gediehen, dass wir sicherlich in den nächsten zwei, drei, vier oder fünf Wochen mit dem Gesetzentwurf rechnen können. Ich möchte deshalb jetzt nicht en detail auf die Mindeststandards, die sich die Koalition vorstellt, eingehen.
Für uns einige wesentliche Eckpunkte, die sich maßgeblich an das Eckpunktepapier zum Jugendstrafvollzug der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtsvollzugshilfe e. V. anlehnen – es ist ja einer dieser Vereine, Frau Präsidentin, die sich in besonderem Maße auch bundesweit für die Vereinigungsinteressen dieser ganzen Sache engagieren:
Wir wollen – erstens – ein einheitliches Gesetz, das bei aller nunmehr geltenden Länderzuständigkeit die Wahrung der Rechtseinheit im deutschen Straf- bzw. Vollzugsrecht gewährleistet. Alles andere führt aus unserer Sicht speziell bei den Jugendlichen zu einem eher ungesunden Wettbewerb. In dieser Frage des Jugendstrafvollzuges sollten wir uns weiterhin auf einheitliche Maßstäbe einigen.
Zweitens. Wir wollen, dass das maßgebliche Vollzugsziel im Jugendstrafvollzug allein die Legalbewährung durch Resozialisierung, sprich: die Eingliederung und Reintegration des Gefangenen, darstellt. Übergreifend und primär muss der Ansatz sein, dass der Schutz der Allgemeinheit durch Resozialisierung erfolgt. Darin liegt der Gedanke, und ich bin sehr dankbar, dass dieser Gedanke sowohl von Kollegen Schiemann als auch von Kollegen Bräunig bei der Haushaltsdebatte zum Einzelplan 06 ausdrücklich ausgesprochen worden ist: Für uns ist Resozialisierung das probateste Mittel zur Vermeidung von Rückfälligkeit, nicht ausgefeilten Einschlusskonzepten oder Disziplinarmaßnahmenkatalogen. Es würde mich
auch interessieren, wie Herr Staatsminister Mackenroth es sieht und ob er es unter Umständen darlegen wird.
Wir sind der Auffassung, dass die Allgemeinheit zu schützen natürlich auch eine Aufgabe des Jugendstrafvollzuges ist – aber eben mitnichten gewissermaßen dessen eigentliches Ziel. Die Problematik, dass Generalprävention und Schutzfunktion beim Jugendstrafvollzug hinter der Resozialisierung zurückbleiben müssen, hätten wir mit aller Stringenz gern im Gesetz niedergelegt gefunden.
Drittens. Wir wollen eine aktive Beteiligung von Jugendstrafgefangenen bzw. des Jugendstrafvollzuges vor allem unter Heranwachsenden an der Ausgestaltung des Vollzugsplanes, insbesondere an der Förderplanung. Also, die Motivation des Gefangenen durch belohnungsorientierte Angebotssysteme zu wecken soll im Gesetz niedergelegt sein.
Viertens. Nach unseren Vorstellungen sollte der offene Vollzug im Jugendstrafvollzugsrecht Regelvollzug sein. Nur wenn begründete Anhaltspunkte für einen Missbrauch von Vollzugslockerungen durch Flucht oder Begehung von Straftaten vorhanden sind, sollte die Unterbringung im geschlossenen Vollzug erfolgen.
Fünftens. Wir plädieren durchgängig für eigenständige Jugendstrafanstalten mit der Maßgabe, dass der Gefangene zumindest das Recht auf Unterbringung im Einzelverwahrraum hat, und im Übrigen für Unterbringung der Gefangenen in Wohngruppen mit überschaubaren Größen. Die empirischen Wissenschaften orientieren sich auf etwa zwölf Mitglieder in der Wohngruppenstärke als die optimale Strukturgröße für soziales Lernen, Konstituierung funktionierender Gruppen und zur Vermeidung von Subkultur.