Protokoll der Sitzung vom 15.12.2006

Die aktuelle Lage: Wir von der FDP haben im November dazu eine dimap-Studie vorgelegt und veröffentlicht.

Danach stellt politischer Extremismus, auch für die Mehrheit der Bevölkerung, eine Gefahr für die Demokratie des Landes dar. 68 % der Sachsen gehen davon aus, dass die größte Gefahr für die Demokratie in Sachsen von Rechtsextremisten ausgeht. Dagegen glauben nur 6 %, dass die Demokratie in Sachsen von Linksextremisten gefährdet wäre. So viel auch zur Gewichtung zwischen rechts- und linksextremistischer Bedrohung.

Meine Damen und Herren! Wir haben gefragt, wie die politische Auseinandersetzung mit Rechtsextremen laufen sollte. Frage: Verbote, insbesondere der NPD? Darauf antworteten 57 % zwar: ja, sie könnten sich ein weiteres Verbotsverfahren vorstellen, aber 55 % in Sachsen halten es für richtig, die Nationaldemokraten argumentativ zu bekämpfen. Das ist auch der Weg, den wir einschlagen.

(Beifall bei der FDP – Jürgen Gansel, NPD: Das gelingt Ihnen aber nicht!)

Es geht darum, diese Nazis argumentativ zu bekämpfen. Da ist die Frage: Wo? Meine Antwort: Überall, nicht nur in diesem Haus, sondern auch in Gemeinden, Städten, in Betrieben, Sportvereinen, an Stammtischen und auf der Straße.

(Beifall bei der FDP, der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Deshalb hinsehen!

Rechtsextreme Einstellungen und Weltbilder sind weit verbreitet. Das ist gesagt worden. Keine der Parteien ist davon frei, dass sie Wähler hat, die in dem einen oder anderen Punkt rechtsextreme Einstellungen haben. Das ist richtig. Aber die Frage, wie wir dagegen vorgehen, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ich sage noch einmal: Wir müssen diesen Sumpf aus Vorurteilen, Unwissenheit, Gleichgültigkeit und Respektlosigkeit trockenlegen, und zwar ohne Wenn und Aber.

Da bin ich auch beim Fall Nitzsche. Meine Damen und Herren, hier ist eine klare Abgrenzung erforderlich, auch für die Union: Was ist konservativ, was kann man hinnehmen, was ist reaktionär und rassistisch? Was man nicht hinnehmen kann, ist die Herabwürdigung und Diffamierung anderer oder Andersdenkender in der politischen Auseinandersetzung. Diese Ressentiments, die hier bedient werden, werden zu Einstellungen, unter Umständen zur Haltung. Meine Damen und Herren, hier muss rechtzeitig eingegriffen werden. Das inhaltliche Problem ist mit dem Abgang von Nitzsche für die Union sicherlich noch nicht erledigt. Aber eines ist auch ganz klar geworden: Wer an der Jauchenpumpe spielt, braucht sich nicht wundern, wenn das Braune hochkommt.

(Beifall bei der FDP, der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Wie gesagt, dem konkreten Fall hat sich die Union zu widmen, aber wir alle haben uns dem zu widmen, alle demokratischen Parteien, überall im ganzen Land, und ich bin fest davon überzeugt, auf lange Sicht werden wir es schaffen.

(Beifall bei der FDP und der Linksfraktion.PDS)

Ich erteile der Fraktion GRÜNE das Wort. Herr Lichdi.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gerade bei der Rede von Herrn Kollegen Kupfer ein beschämendes Schauspiel erlebt.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS – Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Leider!)

Wir haben nämlich das beschämende Schauspiel erlebt, wie Herr Kupfer nicht nur das Thema der Debatte verfehlt hat, sondern wie er es durch seine Redeweise und durch seine Reaktion auf verschiedene Zwischenfragen geschafft hat, dass plötzlich – leider nicht zum ersten Mal in diesem Hause – die CDU-Fraktion die NPD-Fraktion einvernehmlich abfeiert.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Meine Damen und Herren von der CDU! Sie sind eine demokratische Partei. Sie haben hier eine große Verantwortung.

(Zurufe von der CDU)

Sie werden dieser Verantwortung nicht gerecht. Ich werde das auch begründen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Ich habe mir sehr genau die Pressemitteilung des Kreisverbandes Hoyerswerda zum Fall Nitzsche angesehen. Dort steht – das war auch die Diktion aus dem Munde von Herrn Milbradt und von anderen hohen Verantwortlichen der CDU –, das sei sozusagen „Stammtischniveau“. Natürlich ist das Stammtischniveau. Aber das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, es fehlt bis heute die Auseinandersetzung mit diesen schlimmen Worten „Schuldkult“ und „Multikulti-Schwuchtel“. Jetzt reicht es nicht, wenn wir uns über diese schlimmen bösen Worte echauffieren. Warum sind die schlimm? Was bedeutet „Schuldkult“? Wenn ein Mensch tatsächlich das Wort über die nationalsozialistischen Verbrechen „Schuldkult“ in den Mund nimmt, dann heißt das nichts anderes, als dass er Schuld leugnet und die Verantwortung der Nachgeborenen auch leugnet.

(Heinz Eggert, CDU, steht am Mikrofon.)

Nein, Herr Eggert, ich gestatte keine Zwischenfrage.

(Zurufe von der CDU)

Wenn einer von Multikulti-Schwuchtel spricht, dann frage ich mich, wie sexuell verklemmt ist dieser Mensch eigentlich. Dann wird es noch schlimmer. Wenn er sagt, diese Leute dürfen Deutschland niemals wieder regieren, dann sage ich, was ist denn das für ein Freund-FeindDiskurs!

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Hier wird doch mindestens über die Hälfte der Bevölkerung, alle, die sich auch in irgendeiner Weise als links, liberal oder nichtkonservativ verstehen, in die Ecke gestellt und aus dem deutschen Volke ausgegrenzt.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Meine Damen und Herren, das ist Ihr Problem, das ist Ihre inhaltliche Krise!

(Zuruf des Abg. Frank Kupfer, CDU)

Genau der Fall Nitzsche zeigt, dass Sie in der inhaltlichen Krise stehen.

Ich komme weiter. Da lese ich in der Pressemitteilung des Kreisverbandes: Wir wollen ja über Patriotismus reden. Das wird wieder mit einem Ton gesagt, als ob es verboten sei, über Patriotismus zu reden und als ob die CDU jetzt eine verbotene Debatte anstoßen würde. Da kann ich doch nur lachen. Dann schaue ich, wie wird denn da die Patriotismusdebatte begründet. Wir wollen eine Debatte führen. Natürlich tun wir das. Reden wir über Patriotismus.

Wie wird denn Patriotismus definiert: „Unser Patriotismus ist eine Liebe zum Vaterland, die andere Menschen, andere Ansichten und andere Nationen respektiert.“ Vollkommen richtig, aber warum brauchen wir dazu Patriotismus? Meines Erachtens ist Respekt vor Anderen eine Grundtugend menschlichen Zusammenlebens,

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

wie im Übrigen das auch im christlichen Menschenbild wurzelt, auf das Sie sich so gern berufen. Wozu brauche ich dann Patriotismus, wenn es von solchen Leuten wie Nitzsche und jenen, die hier draußen sitzen, im Sinne von „Schuldkult“, im Sinne von Leugnen der Naziverbrechen verstanden werden kann?

(Zuruf des Abg. Peter Wilhelm Patt, CDU)

Herr Rößler, ich habe sehr wohl zur Kenntnis genommen, Ihr Papier versucht Patriotismus freiheitlich zu deuten. Da bin ich ganz bei Ihnen. Ich sage das ausdrücklich. Ihr Patriotismuspapier, das ja auch dann von der Union verabschiedet wurde, ist ein riesiger Fortschritt gegenüber diesem unsäglichen Papier, das die Junge Union vor anderthalb Jahren vorgelegt hat, das eindeutig neonazistisch konnotiert war. Deswegen haben Sie das auch nachgeregelt.

Was ich Ihnen, Herr Rößler, Herr Hähle und Herr Milbradt, vorwerfe, ist, dass Sie genau diese Grauzone, diese freiheitliche Begründung von Patriotismus nicht zumachen und diesen Leuten die Räume öffnen. Das hat dieser Fall Nitzsche leider, leider gezeigt. Solange Sie dieses Problem nicht lösen – Sie müssen es in Ihren Reihen lösen – so lange werden wir hier in Sachsen nicht

den entscheidenden Schritt gegen Rechtsextremismus machen können. Das bedaure ich sehr.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS – Heinz Eggert, CDU: Das war nicht mal Stammtisch!)

Ich frage die CDU-Fraktion. – Das ist nicht der Fall. Dann bitte die Linksfraktion.PDS.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wann immer ich in Veranstaltungen über den Rechtsextremismus in Sachsen oder in der Sächsischen Schweiz spreche, treffe ich – nicht zuletzt auch in den alten Bundesländern – sehr oft auf Positionen wie: So schlimm wird es doch wohl nicht sein! Oder auch: Das ist ein vorübergehendes Phänomen, das sich über kurz oder lang von selbst erledigen wird.

Das ernste Nachdenken beginnt häufig erst dann, wenn ich Fakten aus Sachsen oder meiner Region nenne, den Umstand zum Beispiel, dass bei den sogenannten U18Wahlen bis zu 30 % der jungen Leute für die NPD votieren, dass es Lehrerinnen und Lehrern sowie Besuchern an Pirnaer Berufsschulen passieren kann, dass sie mit dem Hitlergruß empfangen werden, oder dass SkinheadKonzerte, auf denen reihenweise faschistoide und antisemitische Texte gesungen werden, regelmäßig von Hunderten, überwiegend jungen Leuten besucht werden. Regelrecht entsetzt die Zuhörer, wenn ich ihnen sage, dass ich in der Sächsischen Schweiz in einem Kreistag sitze, in dem die Nazis inzwischen schon über mehr Mandate verfügen als die Sozialdemokraten.

(Beifall bei der NPD)

Nein, meine Damen und Herren, diese Entwicklung darf nicht verharmlost werden. Hier müssen Gesellschaft und Politik vor Ort geschlossen reagieren.

(Jürgen Gansel, NPD: Vorreiterrolle!)

Zivilgesellschaftliches und bürgerschaftliches Engagement gegen rechtsextremistische Tendenzen müssen nachhaltig gestärkt werden.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Da ist es aber kontraproduktiv, wenn die finanzielle Förderung von unverzichtbaren regionalen und überregionalen Initiativen durch den Bund nach wie vor nicht langfristig gesichert ist, und allein durch das anerkennenswerte Landesprogramm werden Gruppierungen wie die Aktion Zivilcourage, das Kulturbüro Sachsen und das Alternative Kultur- und Bildungszentrum in der Sächsischen Schweiz künftig nicht mehr in bisheriger Weise arbeiten können.