Die Fraktionen können dazu Stellung nehmen. Es beginnt die Fraktion der FDP, danach CDU, SPD, Linksfraktion.PDS, NPD, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Die Debatte ist eröffnet. Ich erteile der Fraktion der FDP das Wort; Frau Schütz, bitte.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! „Schutzimpfungen zählen zu den wichtigsten und effektivsten medizinischen Präventionsmaßnahmen“ – so der einleitende Satz der Internetpräsentation des Robert-Koch-Institutes, der zentralen Einrichtung der Bundesregierung für Krankheitsüberwachung und Prävention, insbesondere bei Infektionskrankheiten.
Todesfälle und schwere Erkrankungen aufgrund von Infektionskrankheiten, sogenannten Kinderkrankheiten, sind selten geworden. Krankheiten wie die Kinderlähmung sind so gut wie verschwunden; nur noch der Film über Margarete Steiff, der Urheberin des berühmten Teddys, mit Heike Makatsch bringt uns die Folgen dieser Kinderkrankheit vor Augen. Zu verdanken haben wir dies der flächendeckenden Schutzimpfung von Kindern. Eine Impfung gegen Masern, Röteln oder auch Pneumokokken ist die wirksamste und sicherste Methode, diese Krankheiten zu verhindern und Übertragungswege zu unterbrechen.
Doch mit dem Schrecken der Kinderkrankheiten verschwand und verschwindet auch die Impfbereitschaft. Sachsen ist davon weniger stark als die alten Bundesländer betroffen. Dort ist die Lage teilweise katastrophal. Masernepidemien wie 2006 in Nordrhein-Westfalen mit 1 500 Erkrankungen sind nach den Erfahrungen immer wieder möglich. Deutschland steht mittlerweile auf der Roten Liste der WHO, der Weltgesundheitsorganisation. 1984 fasste diese die Zielvorgabe, bis 2010 die Masern weltweit auszurotten. Durchimmunisierungsraten von 95 % sind dafür erforderlich.
Doch Deutschland ist davon weit entfernt und gilt aufgrund seiner Reiselust in die ganze Welt als sogenannte Virenschleuder für Afrika oder Lateinamerika. Die alten Bundesländer verfehlen diese Quoten von 95 % bei Weitem. Nur 73,3 % haben die notwendige Zweitimpfung bei Masern erhalten. Selbst Sachsen erreicht mit 84,1 % diesen Wert nicht. Der Kinder- und Jugendärztliche
Dienst der Stadt Dresden stellt in einem Bericht anlässlich der 13. Sächsischen Gesundheitswoche „Gesund aufwachsen“ fest: „Viele Eltern halten Masern, Mumps und Röteln für harmlose Kinderkrankheiten und verweigern ihren Kindern den Impfschutz.“
Außerdem machte der Bericht eines deutlich: Die Impfquote ist schöngerechnet, denn es werden nur die Kinder erfasst, die einen Impfausweis vorlegen können. Bis zu 7 % der Kinder werden aufgrund der Nichtvorlage des Impfausweises nicht erfasst. Es ist zu bezweifeln, dass diese Kinder gut geschützt sind.
Eines muss uns bewusst sein: Alle Eltern, die ihre Kinder nicht impfen lassen, bringen diese unnötig in Gefahr; und alle Eltern, die ihre Kinder nicht impfen lassen, bringen die Kinder von anderen in Gefahr.
Es sind die Kinder, die unseren besonderen Schutz benötigen. Der Präsident der Kinder- und Jugendärzte, Wolfgang Hartmann, sagte: „Ein Kind hat ein Grundrecht auf Impfschutz.“ Dieser Aussage schließe ich mich uneingeschränkt an.
Mit freiwilligen Maßnahmen können wir nicht alle Kinder schützen. Die Impfraten zur Ausrottung von Krankheiten werden auf rein freiwilliger Basis nicht erreicht. Dieser Problematik müssen wir uns stellen.
Den Beschluss zur Einführung einer Impfpflicht kann man sich nicht einfach machen. Gerade als Liberale sehe ich die Pflicht als letztes Mittel, um ein Ziel zu erreichen. Doch die Freiheit eines Einzelnen endet dort, wo andere gefährdet werden. Insbesondere wenn es um die Gefährdung von Kindern geht, muss uns dies bewusst sein.
Deshalb plädiere ich für die Impfpflicht. Ich halte sie für notwendig, um Kinder vor vermeidbaren Krankheiten zu schützen. Ich halte sie für notwendig, um Kinder, die aus gesundheitlichen oder Altersgründen nicht geimpft werden können, vor Ansteckungen zu schützen, und ich halte sie für notwendig, damit Deutschland seinen Beitrag
Und – dieser Einwurf sei mir gestattet – ich halte es für einen Tanz auf dem Vulkan, wenn mittlerweile gesunde Kinder zum Anstecken auf sogenannte Masernpartys geschickt werden, um sich anzustecken und damit vermeintlich das Immunsystem zu stärken.
Ich weiß, dass es verfassungsrechtliche Bedenken gibt. Doch wir sollten alle rechtlichen Möglichkeiten zum Schutz der Kinder ausschöpfen. Quer durch die Gesellschaft gibt es Befürworter. Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen und der Verband der Kinder- und Jugendärzte befürworten die Impfpflicht. Der 109. Deutsche Ärztetag forderte, den Besuch von Kitas von einer Impfung abhängig zu machen, ebenso der Sächsische Ärztetag. Ähnlich äußerte sich die SPDBundestagsabgeordnete Marlies Volkmer erst gestern in der „Sächsischen Zeitung“. Ich bin mir sicher, dass in der sächsischen Bevölkerung eine hohe Akzeptanz vorhanden ist. Ich bin mir auch sicher, dass diese durch eine Verpflichtung noch unterstützt wird.
In unserem Antrag sind mehrere Punkte aufgezählt, um den Impfschutz von Kindern zu verbessern. Dazu gehört die Aufforderung an die Staatsregierung, auf Bundesebene für eine allgemeine Pflicht zur Impfung von Kindern entsprechend der Empfehlung der Ständigen Impfkommission einzutreten. In Sachsen selbst soll das Personal in Kindertageseinrichtungen und Schulen zu den offiziell empfohlenen Schutzimpfungen verpflichtet werden. Ferner soll die Staatsregierung prüfen, ob die Aufnahme in eine Kita davon abhängig gemacht werden kann, dass das Kind geimpft ist. Schließlich geht es um das Informationsrecht der Eltern, über die Impfrate in den jeweiligen Einrichtungen unterrichtet zu werden.
Für manche, gerade aus der SPD-Fraktion, mag der eine oder andere Punkt eine Gewissensentscheidung sein. Ich möchte daher schon jetzt um punktweise Abstimmung über unseren Antrag bitten, damit jeder von Ihnen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Möglichkeit hat, dem jeweils für ihn vertretbaren Punkt unseres Antrages zuzustimmen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit den drei Anträgen, im Besonderen natürlich mit unserem Antrag, wollen wir unsere Kinder vor ansteckenden Krankheiten schützen, indem wir Prävention verpflichtender gestalten. Sicherlich sind die Anträge vom Duktus her unterschiedlich. Die
Ansätze der FDP-Fraktion und der Linksfraktion.PDS zielen auf eine Pflicht zur Impfung ab. Auch für mich haben diese Ansätze einen gewissen Charme. Man könnte zunächst einmal sagen: Wir tun das.
Wir würden eine solche Regelung aber im Wissen darum beschließen, dass sie dem Grundgesetz widerspricht. Wir alle wissen – ich hoffe es zumindest –, dass in Artikel 2 des Grundgesetzes das Recht auf Unversehrtheit verankert ist.
Leider würde die Einführung der Pflicht zur Impfung – Gleiches gilt für Vorsorgeuntersuchungen – dem Grundgesetz widersprechen. Das muss man anerkennen.
Auf der anderen Seite will ich deutlich sagen: An die Einführung der Impfpflicht würde sich sofort die Frage nach ihrer Umsetzung anschließen. Es geht sicher nicht an, eine Regelung zu finden wie zu DDR-Zeiten. Damals gab es Mütterberatung, Vorsorgeuntersuchung und auch die Impfpflicht. Aber das war ein Bonussystem.
Man ist nicht repressiv in dem Sinne vorgegangen, dass den Eltern das Kindergeld weggenommen wurde oder dass die Kinder von der Polizei abgeholt wurden. Vielmehr haben die Eltern einen gewissen Zuschlag für die Mütterberatung erhalten; dort wurde auch die Impfung durchgeführt.
Man muss darüber nachdenken, ob man ein solches Vorhaben in unserem freiheitlichen Staat umsetzen kann. Momentan können wir es leider nicht. Das muss man einfach festhalten.
Man könnte sicher argumentieren: Wenn nicht geimpfte Kinder erkranken, dann müssen die Eltern die Kosten der Genesung selbst bezahlen. Das wäre ein Modell, das noch eine gewisse Praktikabilität aufwiese. Auf der anderen Seite sind die Kinder benachteiligt, die nicht geimpft worden sind.
(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Wenn die krank werden, ist auch die Unversehrtheit verletzt!)
Herr Prof. Porsch, diesen Widerstreit habe ich gerade dargestellt. Es ist nicht so, dass wir es uns leicht machen. Wir haben uns mit dem Thema intensiv auseinandergesetzt. Ich habe versucht, meine Position deutlich zu
machen: Es wäre wünschenswert, ist aber momentan nicht machbar. Wir können in diesem Hohen Haus nicht etwas beschließen, wovon wir von vornherein wissen, dass es anderen Gesetzen widerspricht. Das wäre auch unehrlich.
Frau Schütz, Gleiches gilt für die Punkte in dem Antrag, die sich auf Kindertagesstätten und Schulen beziehen. In den USA werden zum Beispiel nur durchgeimpfte Kinder in die jeweilige Einrichtung aufgenommen, betreut und beschult. Hier ergibt sich dasselbe Problem: Das ist rechtlich nicht durchsetzbar. Ihr Vorhaben geht also ins Leere.
Wir können dennoch feststellen, dass vor dem Hintergrund der vielen präventiven Maßnahmen die Durchimpfungsrate bei uns sehr hoch ist. Darauf ist schon hingewiesen worden; ich möchte es nicht noch einmal erörtern. Die diesbezüglichen Antworten der Staatsministerin sind sehr umfänglich. Auch in Antworten auf Kleine Anfragen ist das Thema dokumentiert worden.
Ich begrüße sehr die Initiative der Ministerin – sie ist auch Schirmherrin – unter dem Motto „Sachsen impft“. Getragen wird die Impfkampagne von der Sächsischen Apothekerkammer in Kooperation mit der Landesärztekammer und dem Landesverband der Sächsischen Ärzte und Zahnärzte. Ziel ist mehr Aufklärung. Es soll darauf aufmerksam gemacht werden, welche Konsequenzen es haben kann, wenn die Kinder nicht geimpft werden.
Wir brauchen eine hohe Durchimpfungsrate. Bei bestimmten Indikationen erreichen wir 90 % und mehr. Trotzdem gibt es noch Kinder, die nicht geimpft sind und deren Eltern wir momentan nicht erreichen.
Im zweiten Teil unseres Antrags bitten wir die Staatsregierung darum, dass insbesondere die Kindereinrichtungen darauf aufmerksam gemacht werden, wie der Impfkatalog ausgelegt ist. Die Eltern sollen ermutigt werden, ihre Kinder an den Impfungen, die ja von den Krankenkassen in Gänze getragen werden, teilnehmen zu lassen.
Wir sind uns sicher alle in diesem Hohen Hause in dem Ziel einig, die hohe Durchimpfungsrate im Freistaat Sachsen zu erhalten; aber wir müssen auch dranbleiben, damit wir 100 % der Kinder erreichen – zu ihrem Schutz, aber auch zum Schutz der Gesamtbevölkerung. Daher werbe ich um Zustimmung zu unserem Antrag auch im zweiten Teil.