Protokoll der Sitzung vom 09.05.2007

Gleichzeitig expandiert das sogenannte Übergangssystem. Darunter sind all diejenigen Maßnahmen und Programme zur beruflichen Grundbildung zu verstehen, die außerhalb des regulären Ausbildungssystems stattfinden und zu keinem qualifizierenden beruflichen Abschluss führen.

Ich glaube, dass vor allem hier ein großer Nachholbedarf besteht, um die Ressourcen zu erschließen und die Jugendlichen nicht in Endloswarteschleifen existieren zu lassen. Diese Jugendlichen haben trotz eines Schulabschlusses im bestehenden Schulsystem kaum eine Chance auf echte Berufsqualifizierung.

Obwohl Zehntausende Jugendliche jedes Jahr ohne Ausbildungsplatz bleiben, können gleichzeitig seit Jahren viele Ausbildungsplätze nicht besetzt werden, weil die Betriebe keine geeigneten Bewerberinnen und Bewerber finden. Ein Grund dafür ist das sächsische Bildungssystem, das zu viele Bildungsverlierer produziert.

Angesichts dieser Zahlen und Fakten müssen wir uns von der Vorstellung verabschieden, das Ausbildungssystem in Deutschland könne so bleiben, wie es ist. Es ist unrealistisch anzunehmen, dass durch kurzfristige Eingabe- und Unterstützungsaktivitäten die Nachfrage nach betrieblichen Ausbildungsplätzen befriedigt werden könnte. Die Zahl der klassischen betrieblichen Ausbildungsplätze wird trotz aller Anstrengungen in diesem Bereich nicht merklich steigen. Für diejenigen, die jetzt ins Ausbildungssystem strömen, müssen wir zu anderen Lösungen kommen und eine sinnvolle Erweiterung des herkömmlichen dualen Ausbildungssystems schaffen.

Aus unserer Sicht ist die Modularisierung der Ausbildung ein richtiger Ansatzpunkt. Die Anerkennung einzelner Qualifizierungsbausteine ist notwendig. Alle Lernorte sollten deshalb den erfolgreichen Abschluss der Berufsausbildungsvorbereitung zertifizieren und Zertifikate anderer Ausbilder anerkennen. So kann die Anrechnung von Ausbildungszeiten in anderen Berufsausbildungsgängen auf eine anschließende duale Berufsausbildung

flexibler gehandhabt und stärker auf regionale Bedarfslagen ausgerichtet werden.

Ausbildungsgänge, die aus aufeinander aufbauenden Teilen bestehen, können auch als Zwischenschritte zertifiziert werden und geben den Absolventinnen und Absolventen damit Qualifikationsnachweise für den Arbeitsmarkt mit auf den Weg. Dies erhöht die Beschäftigungschancen und steigert die Motivation der Auszubildenden. Bisherige Ausbildungsabbrecherinnen und -abbrecher haben dann immerhin Zwischenstufen erreicht, auf die sie später zurückgreifen und auf denen sie aufbauen können. Somit eröffnet sich eine zunehmende Chance für Jugendliche mit schlechteren Voraussetzungen.

Modular aufgebaute Ausbildungen sind auch vorteilhaft, um Berufsbilder und Ausbildungsgänge in einer sich wandelnden Wirtschafts- und Arbeitswelt schneller anpassen zu können. Zudem erhöht sich die Anschlussfähigkeit an die berufliche Weiterbildung, da der bestehende Gegensatz zwischen hochgradig geregelter dualer Ausbildung und wenig transparenter beruflicher Weiterbildung gemindert wird.

Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einen kurzen Ausflug in zwei weitere Bereiche machen, die uns GRÜNEN ganz besonders wichtig sind. Ihnen wird nicht entgangen sein, dass gerade die Branche der erneuerbaren Energien in den letzten Jahren auch in Sachsen einen enormen Aufschwung genommen hat. In diesem Bereich hinken wir mit entsprechenden speziellen Ausbildungsberufen leider noch hinterher. Wir würden gern in eine Diskussion über die Herausforderungen der Berufe der Zukunft in diesem Bereich einsteigen. Eine Aufnahme des Themas der beruflichen Orientierung an Schulen halte ich für dringend notwendig. Zudem meine ich, dass auch und besonders hier noch viel Neuland vor uns liegt, was die Kooperation zwischen Wirtschaft und Schule anbelangt, um das Thema der erneuerbaren Energien noch einmal stärker in der Schule zu verankern.

Ich darf an dieser Stelle noch einmal die Minister Flath und Tillich zu ihrem Bildungsmaterial zum Thema „Klimawandel – deine Energie“ beglückwünschen. Wir müssen aber noch weiter gehen, indem wir erstens dafür sorgen, dass dieses Material an den Schulen verbreitet und auch eingesetzt wird, und zweitens sind natürlich Initiativen zu ergreifen, dass auch schon die Grundschülerinnen und Grundschüler mit dem Thema konfrontiert werden.

Der zweite Ausflug betrifft die geschlechterspezifischen Angebote. Frau Bonk ist vorhin schon darauf eingegangen. Die Staatsregierung hat in ihrer Stellungnahme zum vorliegenden Antrag dem Thema ganze zwei Absätze gewidmet, die sich im Wesentlichen darauf konzentrieren, dass auch Mädchen für jungenspezifische Berufe interessiert werden sollen. Das ist aus unserer Sicht nur die eine Seite der Medaille, denn es ist nach meiner Meinung nötig, dass auch sogenannte Boys’ Days etabliert werden und dass natürlich auch gerade, was die berufliche Orientierung an den Schulen anbelangt, männliche Vorbilder

zur Verfügung stehen müssen. Deshalb freue ich mich schon auf die Debatten im Schulausschuss zum Thema „Mehr Männer in die frühe Bildung“. Ich werde einmal schauen, wie sie dann reagieren. Herr Colditz rollt jetzt schon mit den Augen. Ich halte das für eine außerordentlich wichtige Geschichte.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Hauptverantwortlich für die Schaffung von Ausbildungsplätzen sind weiterhin nach wie vor die Unternehmen. Ihre Konkurrenzfähigkeit kann auf Dauer nur bestehen bleiben, wenn sie natürlich eine vorausschauende Personalpolitik betreiben.

Der Freistaat Sachsen steht vor allem in der Verantwortung, die zu hohen Zahlen an Schulabgängerinnen und Schulabgänger ohne Abschluss und ohne ausreichende berufsqualifizierende Fertigkeiten deutlich zu verringern. Ziel der Schule muss es daher sein, alle Jugendlichen zu Schulabschlüssen und damit zu notwendigen Qualifikationen für die Aufnahme einer Ausbildung zu führen.

Wenn der vorliegende Berichtsantrag einen Schritt in die richtige Richtung darstellen soll, können wir diesem natürlich gern und ruhigen Gewissens zustimmen.

Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wird von den Fraktionen weiterhin das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann bitte ich jetzt die Staatsregierung. Herr Minister Flath.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich bedanke mich bei den Koalitionsfraktionen für diesen Berichtsantrag. Ich habe die Debatte aufmerksam verfolgt. Von einigen Randthemen abgesehen, bei denen Frau Bonk und Frau Günther-Schmidt wieder einmal versucht haben, etwas zum Schulsystem zu sagen, und anderen kritischen Anmerkungen, die ich teilweise sogar gelten lassen kann, sind wir uns, glaube ich, hier in diesem Hohen Haus überwiegend darüber einig, welche Bedeutung und welchen Stellenwert die Berufsorientierung und die Arbeitsweltorientierung haben. Das ist immerhin schon eine gute Basis.

Wir hatten vor einigen Wochen unweit von hier den 2. Mitteldeutschen Bildungskongress. Auch dort hatten wir aus sächsischer Sicht den Schwerpunkt genau auf die Berufsorientierung gelegt. Das ist auch sachgerecht, weil die demografische Entwicklung Sachsen besonders hart trifft, aber auch zeitiger als andere Bundesländer. Zum anderen, Herr Herbst – da bricht mir keine Zacke aus der Krone –, sind die Mitteldeutschen Kongresse auch dafür da, dass die Länder voneinander lernen wollen. Wenn wir jetzt, was den Berufswahlpass betrifft oder auch das Siegel, das als eine Auszeichnung für Schulen zur Berufsorientierung dienen soll, von anderen Ländern abkupfern, dann ist das ganz legitim. Es gibt genügend Dinge, bei

denen Sachsen wiederum Vorreiter ist, wenn ich so an die Reform der gymnasialen Oberstufe denke, die ja besonders den Gymnasiasten zugute kommen will. Ich will das unterstreichen, denn ich halte die Berufsorientierung an den Gymnasien für notwendig, aber eben auch – da ist Sachsen in einer Vorreiterrolle –, dass wir in der Schule – Frau Bonk, da haben Sie genauso recht – den Schwerpunkt auf Allgemeinbildung legen.

Eines will ich allerdings auch sagen: Wir leben in einer freiheitlichen Gesellschaft. Wir können überall Angebote unterbreiten. Wir können auch Dinge in der Schule verbessern. Alles das sind aber keine Garantien dafür, dass sich die Absolventen später auch tatsächlich daran halten. Sosehr der Vorwurf auch immer wieder gerechtfertigt ist, dass Schüler unsere Schulen auch ohne Abschluss verlassen, Sie können es in einer freiheitlichen Gesellschaft nicht erzwingen, dass es anders ist, es sei denn, Sie würden dazu übergehen, dass Sie Abschlüsse verschenken. Wir sind uns aber auch dort wieder einig, dass das nicht der richtige Weg sein kann.

Unbestritten, es ist ein Schwerpunkt in der Schule. Wir haben mit dem Fach WTH in der Mittelschule ein Fach, das sich schwerpunktmäßig dieser Aufgabe stellt. Aber auch das, will ich heute sagen, befreit die Lehrerinnen und Lehrer in anderen Fächern nicht, die Ziele dieses Faches in ihren Unterricht einzubeziehen, weil das eine Aufgabe ist, die tatsächlich die gesamte Schule betrifft.

In der Debatte ist deutlich geworden, dass die Schule allein es nicht leisten kann. Auch die Medien haben einen außerordentlichen Einfluss auf Berufswünsche und Traumberufe von Jugendlichen. Mir steht es nicht zu, den Medien Vorschriften zu machen, allerdings ist es bezeichnend, dass Berufswünsche wie zum Beispiel Millionär relativ häufig an Mittelschulen und Förderschulen zu hören sind. Vielleicht sollte man dort kritisch darüber nachdenken, dass ein bisschen mehr Orientierung nützlich sein könnte. Eine enorm große Rolle spielen auch die Eltern, weil Kinder nun mal häufig ihre Eltern nachahmen, was durchaus gut ist. Ich will heute anmahnen, dass die Eltern in die Berufsorientierung einzubeziehen sind – da haben wir an Schulen und im Zusammenwirken mit der Wirtschaft alle Möglichkeiten –, da Eltern bei den Ratschlägen, die sie ihren Kindern geben, zu stark ihr eigenes Berufsleben reflektieren. Es macht sich in fataler Weise bemerkbar, dass Berufe, die einmal hoch im Kurs standen und nach 1990 zu Arbeitslosigkeit führten, Eltern dazu animierten, Kindern eher davon abzuraten. Das betrifft sehr häufig technische Berufe, bei denen jetzt umgesteuert werden muss.

Ich will heute auch ansprechen, dass es keinen Grund für Null-Bock-Stimmung bei Jugendlichen gibt. In den letzten Jahren war die Situation oftmals nicht sehr rosig. Wie oft haben wir im Hohen Haus darüber debattiert, welche Ersatzausbildungen wir anbieten können. In den nächsten zwei bis drei Jahren wird sich die Situation aber dramatisch ändern. Deshalb verspreche ich mir jetzt einen außerordentlich günstigen Ansatz. Wir sind zu einer neuen

Qualität gekommen, dass wir nicht mehr abfällig in der Schule über die Wirtschaft und in der Wirtschaft über die Schule reden, sondern wir packen diese Aufgabe gemeinsam an. Die Schultüren stehen offen, die Wirtschaft ist eingeladen. Frau Bonk, das hat überhaupt nichts damit zu tun, dass wir die Schule an der Wirtschaft ausrichten, aber es ist zweifellos so, dass die Wirtschaft immer noch die sicherste Quelle ist, um zu einem Arbeitseinkommen zu kommen. Die Wirtschaft muss Orientierung geben, welche Berufe in den nächsten Jahren eine große Chance bieten.

Was den Berufswahlpass betrifft, ob man es nun Pilotphase nennt oder nicht – wir verfolgen das Ziel, ihn flächendeckend an Sachsens Schulen zu haben. Allerdings geht das nicht so einfach, wie man aus Oppositionssicht den Eindruck erweckt, als bräuchte sich der Minister nur an den Schreibtisch zu setzen und irgendeine Verfügung anzuordnen. Wissen Sie, es gibt schon so viele Dinge, die verordnet sind und nicht funktionieren. Deshalb habe ich überhaupt nichts dagegen, dass es an den Schulen eine ganze Menge Freiheit gibt, Dinge auszuprobieren.

Ich will klar sagen, dass die Staatsregierung jegliche Aktivitäten unterschiedlichster Verbände, unter anderem den Girls’Day, unterstützt. Um Verständnis möchte ich nach wie vor bitten, denn ich kann schon aus Gerechtigkeitsgründen nicht nur die Mädchen vom Unterricht freistellen, sondern ich müsste auch die Jungs freistellen. Ich kann nicht verstehen, da so viel Zeit im Jahr ist, warum so etwas nur besucht wird, wenn dafür die Schule erlassen wird. Ich will in aller Deutlichkeit an Eltern und Großeltern appellieren: Pelzen Sie die jungen Leute zu Ausbildungsmessen, die am Samstag stattfinden, wenn sie nicht selbst darauf kommen! Diese Angebote von der Wirtschaft müssen angenommen werden, und die Frage darf nicht lauten, ob ich den Fahrweg bezahlt bekomme und ob dafür der Unterricht an der Schule ausfällt, denn das kann nicht der richtige Weg sein.

Deshalb werden wir unser Engagement verstärken. Wir sind längst nicht überall am Ziel. Deshalb war diese Debatte im Hohen Haus wichtig. Die genannten guten Beispiele und Anregungen werden wir zur Nachahmung empfehlen. Insofern noch einmal ein herzliches Dankeschön für die Unterstützung und auch ein herzliches Dankeschön an die Wirtschaft.

(Beifall bei der CDU, der SPD und des Staatsministers Geert Mackenroth)

Das Schlusswort hat die Koalition. Herr Seidel, bitte

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich sehr herzlich für die Darstellungen bedanken, die auch der Minister noch einmal unterstrichen hat. Es ist in Sachsen schon viel passiert und es muss Weiteres passieren. Wir werden den Prozess begleiten. Die Koalition sieht die im Antrag genannte Aufgabenstellung nicht als erledigt an, denn wir hoffen darauf, dass zu den vielen neuen Ideen und Aktivi

täten neue Informationen hinzukommen werden. Wir werden in der Koalition das Thema weiter verfolgen und wir hoffen und wünschen, dass möglichst viele Schülerinnen und Schüler im Freistaat Sachsen von den vielfältigen Maßnahmen erreicht werden.

Wir werden im Ausschuss einige Fragestellungen, wie beispielsweise von der Kollegin Günther-Schmidt zur Modularisierung der Ausbildung, besprechen. Allerdings gibt es auch Aspekte, die dagegen sprechen. Herr Herbst, es wäre schön gewesen, wenn Sie bei unserem Bildungskongress am 5. März dabei gewesen wären. Ich habe Sie da nicht gesehen.

(Torsten Herbst, FDP: Da irren Sie sich!)

Gut. Ich freue mich, dass Sie da waren.

Die Staatsregierung war mit dem Kultusministerium in Vorhand und nicht die FDP-Fraktion, denn wir waren ein ganzes Stück früher da.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte um Zustimmung zu diesem Antrag. – Danke.

(Beifall bei der CDU)

Da über den Antrag abgestimmt wird, bitte ich jetzt den Änderungsantrag einzubringen. Frau Bonk, bitte.

Frau Präsidentin, vielen Dank. – Ich erlaube mir eine Vorbemerkung. Herr Minister, wie ist das denn bei Kindern von Eltern und Großeltern, die nicht hingepelzt werden, entweder weil sie selbst keinen Anschluss mehr an die Arbeitswelt haben oder furchtbar viel arbeiten müssen? Schon allein das zeugt von der Unkenntnis von der realen Situation in den Familien und von sozialer Ungleichheit.

(Unruhe bei der CDU)

Hallo! – Gut.

Wenn ein Minister auf den Girls’Day nichts anderes sagen kann als „Da müsste ich ja auch die Jungs...“, zeugt das von solcher Unkenntnis der strukturellen Benachteiligung von Mädchen und Frauen in der Gesellschaft, dass es einfach peinlich ist.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion.PDS – Gelächter bei der CDU)

Trotzdem gibt es die Notwendigkeit, auch Jungen auf mädchenspezifische Berufe zu orientieren. Deswegen machen wir den Gender Day mit entsprechender schulischer Unterstützung.

Zu unserem Änderungsantrag.

(Unruhe im Saal – Glocke der Präsidentin)

Danke.

Zu unserem Änderungsantrag. Damit es nicht bei Willensbekundungen und der Feststellung bleibt, dass etwas getan werden müsste, bereichern wir die parlamentarische Willensbildung mit einem konkreten Vorschlag zur