Protokoll der Sitzung vom 09.05.2007

Die Fraktionen sprechen in folgender Reihenfolge: CDU, SPD und danach die gewohnte Mehrheitsreihenfolge. Herr Schowtka, Sie beginnen die Aussprache; bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Aussage vor Gericht ist für die meisten Zeugen eine belastende Erfahrung. Das gilt insbesondere dann, wenn die Zeugen Kinder sind und wenn sie über sehr persönliche intime, traumatisierende Erlebnisse in Fällen des sexuellen Missbrauchs berichten müssen.

Seit geraumer Zeit wird deshalb die Frage diskutiert, wie den betroffenen Kindern diese Belastungen zumindest teilweise erspart werden können, um nicht weitere psychologische Schäden zu verursachen, beispielsweise bei der direkten Konfrontation mit dem Täter. Im Zentrum der Diskussion standen dabei Überlegungen mit dem Ziel, Kinder nicht zu zwingen, eine Aussage im Gerichtssaal vor zahlreichen ihnen unbekannten Personen machen zu müssen.

Eine Variante ist, die Befragung in einem anderen Raum als dem Gerichtssaal durchzuführen – wobei diese Befragung per Video unmittelbar in den Gerichtssaal übertragen wird und dort von den Verfahrensbeteiligten beobachtet werden kann.

Eine zweite Variante besteht darin, auf die Befragung in der Hauptverhandlung als unzumutbare zusätzliche Belastungen des Kindes zu verzichten. Stattdessen sollen die Videoaufzeichnungen früherer Vernehmungen als Beweismittel zugelassen werden.

Leider kann aber häufig auf die unmittelbare Befragung im Gerichtssaal nicht verzichtet werden, wenn in der Folge der Verhandlung zusätzliche Fragen auftreten.

Dennoch, meine Damen und Herren, muss weiter geprüft werden, welche Möglichkeiten es gibt, um die Belastungen von Kindern als Zeugen im Gerichtsverfahren zu

reduzieren. Darauf zielt der heute zur Debatte stehende Antrag der Koalitionsfraktionen von CDU und SPD.

Da Kinder Zeugen jedweder Straftat werden können, haben sie grundsätzlich als solche auch in Strafverfahren aufzutreten. Eine Altersgrenze ist im deutschen Recht nicht gesetzlich geregelt; vielmehr besteht Zeugenpflicht unabhängig vom Alter.

Im Falle sexueller Vergehen sind Kinder zumeist nicht nur Zeugen, sondern Geschädigte. Häufig sind ihre Aussagen zentrale Beweismittel, und diese gelten unter Fachleuten als „zerbrechlich“.

Opfer- und Zeugenschutz ist uns deshalb wichtiger als Täterschutz. Angesichts der Häufigkeit sexueller Vergehen gegen Kinder muss alles getan werden, um durch besondere Zeugenbegleitmaßnahmen für Kinder deren relevante Aussagen zu erlangen, ohne sie unzumutbar zu belasten. Vielmehr wird man durch eine kindgemäße Herangehensweise bei der Befragung von Kindern als Zeugen wesentlich bessere Ergebnisse erreichen als durch eine formaljuristische Praxis nach Schema F – möglichst noch verbunden mit dem Fachchinesisch der juristischen Zunft –; ist doch schon manchem unbescholtenen Erwachsenen, der als Zeuge vorgeladen wurde, vor den Schranken des Gerichts das Herz in die Hosentasche gerutscht, sodass er seine Aussage nur stotternd vorbringen konnte.

Meine Damen und Herren! In unserem Antrag haben wir die Staatsregierung aufgefordert, über Zeugenbegleitprogramme für Kinder in anderen Bundesländern zu berichten und diese zu bewerten.

In ihrer Antwort berichtet die Staatsregierung, dass die Zeugenbetreuung von Kindern in der Regel von freien Trägern der Opferhilfe durchgeführt wird, wie das auch in Sachsen der Fall ist. Lediglich Schleswig-Holstein praktiziert seit 1997 ein formelles Zeugenbegleitprogramm.

Die Staatsregierung verweist auf ihre zahlreichen Aktivitäten auf diesem Gebiet, die zweifellos Anerkennung verdienen. Der Einsatz von Videotechnik, die Reduzierung der Vernehmungen auf ein unerlässliches Minimum und deren Durchführung in separaten Zeugenzimmern zwecks Verhinderung der Konfrontation mit dem Täter – all dies dient dem Schutz von Kindern als Zeugen vor Gericht.

Meine Damen und Herren! In allen sächsischen Gerichten, in denen Strafverfahren durchgeführt werden, sind Mitarbeiter für Zeugen, auch Kinderzeugen, in Strafverfahren benannt, die diesen als erste Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Die Ansprechpartner beantworten allgemeine Fragen zum Strafverfahren. Bei allen darüber hinausgehenden Fragen vermitteln sie die Opfer an freie Träger der Opferhilfe weiter. Die Ansprechpartner sind durch eine Fortbildung auf ihre Aufgabe vorbereitet worden und verfügen über Informationen über das Netzwerk der Opfereinrichtungen in ihrem Gerichtsbezirk. Darüber hinaus haben Opferzeugen unter 16 Jahren das Recht auf einen sogenannten Opferanwalt.

Im Hinblick auf die in unserem Antrag angesprochene Verstärkung der Fortbildung der Richter und Schöffen zum Thema „Kinder als Zeugen in Strafverfahren“ verweist das Staatsministerium der Justiz auf eine Vielzahl von Fortbildungsveranstaltungen, deren Umfang von ihm als ausreichend erachtet wird.

Dennoch: Niemand ist so gut, dass er nicht noch besser werden könnte. Meiner Fraktion ist der Schutz von Kindern als Zeugen seit Langem ein wichtiges Anliegen. Deswegen erwarten wir die weitere Vervollkommnung desselben. Dem sollte auch die Implementierung eines eigenen kreativen sächsischen Zeugenbegleitprogramms dienen, gewissermaßen als Leitfaden für alle Prozessbeteiligten, in dem die in Sachsen bestehenden Möglichkeiten zusammengefasst und in schriftlicher Form sowohl in den Gerichten als auch im Internet dargeboten werden.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Herr Abg. Bräunig spricht für die SPD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Rolle als Zeuge in einem Strafverfahren ist schon für Erwachsene keine alltägliche oder gar einfache Situation. Das gilt insbesondere dann, wenn ein Zeuge zugleich das Opfer einer Straftat ist. Es ist daher nur natürlich, dass eine Vielzahl möglicher Verfahrenssituationen, die verschiedenen Interessenlagen und auch bestimmte Konfliktsituationen je nach Sachverhalt und auch persönlicher Betroffenheit die jeweiligen Ängste oder Erwartungen von Zeugen prägen. Der soziale Rechtsstaat darf sich deshalb nicht darauf beschränken, allein den Täter zur Rechenschaft zu ziehen; er muss sich auch um die Opfer von Straftaten

kümmern. Gerade wenn ein Kind Opfer einer Straftat geworden ist, trifft alle diejenigen ganz besondere Verantwortung, die mit der Aufklärung und Strafverfolgung befasst sind oder dem Kind auf andere Weise bei der Bewältigung seiner Erlebnisse helfen können. Zu nennen sind hier die Polizei, die Staatsanwaltschaften, die Gerichte, die Gerichtshilfe, die Jugendämter und die sozialen Dienste. Ich denke dabei aber auch an Eltern, Geschwister und Erzieher.

Es versteht sich dabei von selbst, dass bei Kindern als Zeugen in Strafverfahren – gleich, ob sie selbst Opfer oder anderweitig Zeuge einer Straftat geworden sind – das Kindeswohl auch im Gerichtssaal stets im Vordergrund stehen muss. Es sollte daher das Bemühen auch der Rechtspflege sein, einfühlsam und behutsam oder, einfach ausgedrückt, kindgerecht mit den Erlebnissen der Betroffenen umzugehen. Nur so kann es gelingen, weitere Beeinträchtigungen des Kindeswohls zu vermeiden, die über das bereits Erlebte hinausgehen. Insbesondere dann, wenn es zu wiederholten Vernehmungen im Verfahren kommt, empfinden gerade die Opfer von Gewalt- und Sexualstraftaten dies als ganz besonders belastend.

Der Bundesgesetzgeber hat durch das Opferschutzgesetz, das Zeugenschutzgesetz, die Vorschriften des TäterOpfer-Ausgleichs und zuletzt durch das Opferrechtsreformgesetz die Rechte der Opfer gestärkt und versucht, solche Folgen abzumildern, wie sie entstehen, wenn Verletzte im Gerichtssaal noch einmal mit der Tat und dem Täter konfrontiert werden.

Ein wichtiges Element ist beispielsweise das Recht auf Anwesenheit von Vertrauenspersonen bei Vernehmungen. Dies können bei Kindern ein Elternteil, ältere Geschwister, eine Erzieherin oder ein Erzieher, aber auch jede andere Person sein, zu der das Kind Vertrauen hat. Ich bin froh darüber, dass das Zeugenschutzgesetz auch die Verwertung von Bild- und Tonaufzeichnungen ermöglicht, damit Kinder nicht mehr zwingend persönlich in der Hauptverhandlung auftreten müssen. Ihnen bleibt so eine belastende Aussage im Gerichtssaal im Beisein des Angeklagten und gegebenenfalls der Öffentlichkeit erspart. Auch die angesprochene Möglichkeit eines Opferanwalts für unter 16-Jährige ist eine deutliche Verbesserung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem heutigen Antrag wollen wir, die Fraktionen von SPD und CDU, in Ergänzung des bestehenden Rechts geprüft wissen, ob auch ein landesweites Zeugenbegleitprogramm für Kinder nach dem Vorbild Schleswig-Holsteins sinnvoll ist.

Mangelnde Kenntnisse und falsche Vorstellungen über den Ablauf der Hauptverhandlung tragen zur Verunsicherung und Einschüchterung kindlicher Zeugen und im schlimmsten Fall sogar zu einer Viktimisierung bei, in deren Ergebnis sich das Opfer in der Verliererrolle fühlt. Ich meine, es ist bereits viel erreicht, wenn Kindern das Gefühl vermittelt wird, dass sie mit ihren Problemen, Ängsten und Sorgen nicht alleingelassen, sondern ernst

genommen werden. Auch die vorherige Kenntnis des Ablaufs eines Strafverfahrens, der eigenen Rolle als Zeuge und natürlich auch der eigenen Rechte baut Ängste ab und hilft, das Verfahren durchzustehen und langfristig zu verarbeiten.

Dies setzt – je nach Alter, Entwicklung und Erlebnissen – den individuellen Einsatz von speziell geschulten Sozialpädagogen für die Aufgabe als Prozessbegleiter voraus, die eng mit Jugendhilfe, Justiz, Polizei und allen weiteren am Verfahren Beteiligten effektiv und vertrauensvoll im Interesse der jungen Opfer zusammenarbeiten. Ich denke, dass wir mit einem Zeugenbegleitprogramm nach dem Vorbild Schleswig-Holsteins auch den Freistaat Sachsen in Sachen Opferschutz gut aufstellen können. Ich bitte daher um Zustimmung zu unserem Antrag.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Herr Bartl, Sie sind für die Linksfraktion.PDS gemeldet.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aus den Ausführungen von Herrn Bräunig habe ich herausgehört, was wirklich gewollt wird; das habe ich bei Herrn Schowtka wiederum nicht erkannt. Der Antrag ist ehrenwert, aktuell, wichtig und richtig. Es geht darum, dass die bisher in der Strafprozessordnung lobenswerterweise schon geschaffenen Möglichkeiten, Kinder, die als Zeugen in den Strafprozess involviert werden, zu schonen, weiterentwickelt werden. Wir alle wissen nämlich, dass die Konfrontation des Kindes mit dem Täter im Gerichtssaal – oder schon im Gerichtsgebäude, also selbst dann, wenn die Möglichkeit genutzt wird, via Übertragungstechnik die Zeugenvernehmung in einem Nebenraum durchzuführen und die Fragen dorthin zu übermitteln – für das Kind die Gefahr einer erneuten Traumatisierung durch erneute Konfrontation mit der Straftat birgt, sodass man auch darüber nachdenken kann, ob man nicht viel mehr tun muss, um Kinder vorher durch den Richter vernehmen zu lassen und damit nicht in die Verhandlung hineinzubringen.

Zeugenbegleitprogramme, in die speziell SchleswigHolstein viel Geld investiert – 2006 wurden 39 000 Euro Fördermittel für das „Zeugenbegleitprogramm SchleswigHolstein in Verfahren wegen sexuellem Missbrauch“ ausgereicht –, haben im Großen und Ganzen drei Komponenten.

Auf der ersten Ebene wird dem Kind einiges erklärt – regelmäßig durch Sozialpädagogen oder Sozialpsychologen, die in den Zeugenbegleitprogrammen ehrenamtlich oder hauptamtlich arbeiten –: Was ist solch ein Prozess? Wer sitzt dort wo? Womit hast du zu rechnen? Welche Möglichkeiten hast du? Welcher Schutzraum wird für dich geschaffen?

Im Weiteren geht es um die Vermittlung sogenannter Bewältigungskompetenz. Dabei wird dem Kind verdeutlicht, was von anderen zu seinem Schutz getan wird.

Verwiesen wird auf den Zeugenbeistand, die Begleitperson, den Nebenklägervertreter und dergleichen mehr.

Das dritte Stadium umfasst die Nachbetreuung als direkt wirkende psychische Unterstützung im Umfeld der Zeugenaussage selbst und darüber hinaus.

Die Punkte 1 und 2 des Antrags sind für mich klar formuliert. Er soll die definitive Aufgabenstellung formulieren, über Zeugenbegleitprogramme in anderen Bundesländern zu berichten, diese auswerten und bewerten. Schließlich soll geprüft werden, ob ein eigenes Zeugenbegleitprogramm für Sachsen angängig ist, das über das hinausgeht, was der „Weiße Ring“ oder wer auch immer bereits tut.

Wir haben das Problem, dass die Staatsregierung in der Stellungnahme eine klare Antwort gibt. In der Antwort zu Ziffer 2 lese ich: „Ein formelles Zeugenbegleitprogramm im Sinne einer schriftlichen Darstellung erscheint aus sachlichen Gründen nicht erforderlich.“

Das will heißen, die Staatsregierung sieht für Sachsen keine Notwendigkeit eines speziellen Zeugenbegleitprogramms.

Nun ist eben tatsächlich die Frage – das habe ich bei Herrn Schowtka nicht herausgehört –: Findet man sich mit der vorweg gegebenen Antwort ab oder will der Landtag – wofür wir sehr sind – sagen, wir bitten hier um eine tiefere Analyse; wir bitten darum, sich intensiver in Richtung Auflage eines solchen Begleitprogramms zu beschäftigen? Daran festzuhalten und das zu verfolgen können wir die Koalition in dem Fall nur ermuntern. Sie weiß uns in dieser Sache fest an ihrer Seite.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Die NPD-Fraktion; Herr Petzold, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die NPD-Fraktion wird selbstredend jedem Vorschlag zustimmen, der für Kinder in schwierigen Situationen hilfreich sein könnte. Alarmierend ist nämlich die Tatsache, dass wir mittlerweile in einer Gesellschaft leben, in der gewalttätige oder sexuelle Übergriffe gegen Kinder scheinbar zu einem Alltagsphänomen geworden sind. Jetzt müssen wir uns also Gedanken darüber machen, wie wir die immer häufigeren Zeugenauftritte von vergewaltigten oder in sonstiger Weise misshandelten Kindern vor Gericht einigermaßen kindgerecht gestalten können. Es klingt absurd, muss aber so gesagt werden.

Da fällt es schwer, konsequent beim Thema zu bleiben und nicht stattdessen nach den Gründen für diese im wahrsten Sinne des Wortes perverse Entwicklung einer Gesellschaft zu fragen. Kürzlich erklärte ein sogenannter Spezialist für die Situation der Kinder allen Ernstes bei MDR-Info, dass inzwischen 30 % der Kinder eines bestimmten Alters in ihren Familien mindestens einmal schwer misshandelt oder missbraucht worden seien. Es wäre interessant zu wissen, wie sich diese schlimme Entwicklung und die damit einhergehende Hysterie auf

die Bereitschaft junger Menschen auswirkt, überhaupt eine Familie zu gründen.

(Karl Nolle, SPD: Fragen Sie Kamerad Paul!)

Wenn Sie Gefahr laufen, als Eltern unter den Generalverdacht der Kindesmisshandlung oder Kinderschändung gestellt zu werden, dürfte eigentlich die Begeisterung für Familie und Kinder spürbar abnehmen. Anhand der demografischen Entwicklung lässt sich dies deutlich verfolgen.

Bezüglich des vorliegenden Antrages wäre ergänzend die Frage zu stellen, ob Vernehmungen von Kindern in einer gerichtsähnlichen Situation überhaupt notwendig sind. Stattdessen sollte in jedem Fall die Möglichkeit geprüft werden, dass der Richter einen kindlichen Zeugen außerhalb des Gerichtssaales, zum Beispiel in einem Spielzimmer, vernehmen kann, und zwar so, dass das Kind von der Vernehmungssituation praktisch nichts mitbekommt. Dazu wären allerdings speziell ausgebildete Kinderpsychologen für exakt diese Vorgänge einzusetzen. Warum müssen andere Personen als der Richter und vielleicht eine Betreuerin während der Vernehmung überhaupt anwesend sein? Würde nicht eine Videoaufzeichnung ausreichen? Teilweise wird dies bereits an sächsischen Gerichten ähnlich durchgeführt.

Sollte es tatsächlich zur Entwicklung eines sächsischen Zeugenbegleitprogramms für Kinder kommen, wären wohl solche Fragen zu klären. Sie müssten im Sinne der Kinder beantwortet werden. Die NPD-Fraktion wird dem Antrag zustimmen.