Lassen Sie mich noch eine Frage stellen, die mich besonders beschäftigt hat. Was waren die Ursachen für die starke Beachtung des Geschehens am 17. Dezember 2004 und die zahlreichen Briefe und Leserzuschriften nach dem Polizeieinsatz und vor allem nach meiner Pressekonferenz?
Zunächst gab es eine Berichterstattung in den Medien, die in Einzelheiten ungenau war. Ich formuliere das bewusst sehr vorsichtig, weil es zu wenig Informationen von der Polizeiführung gab. Wir haben das alles vorgestern diskutiert. Ich habe nach diesem Einsatz mit vielen Leuten gesprochen. Viele haben, nachdem sie die Fakten erfahren haben, ihre Einschätzung korrigiert. Neben der Frage, ob es nicht auch andere Möglichkeiten im Umgang mit den Hunden gegeben hätte, wurde aber vor allem ein Satz aufgegriffen, den ich spontan geäußert hatte. Ich hatte mit Bezug auf die Wohnungssituation in
(Dr. Cornelia Ernst, PDS: Das ist das Hauptproblem! – Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Das war sehr sensibel! – Zuruf von der CDU: Mit Recht!)
Die Reaktionen darauf waren sehr heftig. Einige haben diesen Satz überhaupt abgelehnt, andere haben ihn mit Anwendung auf diesen Fall abgelehnt. Das heißt, ich habe hier – im Übrigen ganz unbeabsichtigt – einen Nerv getroffen, der weit über den Einzelfall hinaus mitten in das Selbstverständnis und auf Wertefragen unseres Zusammenlebens zielt.
Manche, die sich geäußert haben, bringen ihre Sorge zum Ausdruck, dass unbescholtene Bürger plötzlich in einen Polizeieinsatz geraten und dass sie nicht einmal die Gelegenheit bekommen könnten, etwas klarzustellen. Sie haben die Sorge, dass sie in die Nähe einer Tat gerückt werden, mit der sie nichts zu tun haben.
In einem Teil der Zuschriften wird aber auch zum Ausdruck gebracht, dass man es ablehnt, überhaupt für das Tun, zum Beispiel von Nachbarn, in Verantwortung genommen zu werden. Das ist ganz offensichtlich ein Zeichen der starken Individualisierung in unserer Zeit und der Ansprüche, die sich daraus entwickelt haben: Was geht mich schon mein Nachbar an?
Problematisch wird Individualismus immer dann, wenn er mit einer Ablehnung von Verantwortung über den Wirkungskreis der eigenen Person hinaus verbunden ist.
Noch einmal von einer anderen Warte aus betrachtet: Die Menschen reagieren besonders dann, wenn sie sich persönlich angesprochen fühlen. Also haben sich viele von der Aussage getroffen gefühlt, dass sie auch persönlich in die Pflicht genommen werden könnten, wenn es um das Verhalten von Menschen geht, mit denen sie eng zusammenleben.
Im Moment nicht. – Damit befinden wir uns in einem sehr sensiblen Bereich. Ich darf daran erinnern, dass die Bundesjustizministerin vor einiger Zeit einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, in dem es um Folgendes ging: Wenn es in der Nachbarschaft einen Vorwurf des sexuellen Missbrauchs gibt, dann sei der Nachbar verpflichtet, Strafanzeige zu stellen. Täte er dies nicht, solle er sich strafbar machen. Sie erinnern sich, dass dieser Gesetzentwurf nach Protesten zurückgezogen worden ist. Das war das gleiche
Inwieweit ist innerhalb einer Familie das Tun und Lassen einzelner Familienmitglieder Gegenstand der Familiengespräche? Gibt es gemeinsame Werte, an die sich alle halten und die das grundlegende Selbstverständnis des Zusammenlebens in der Familie, in der Wohngemeinschaft und auch in der Gesellschaft ausmachen? Gibt es überhaupt eine Solidarität mit den Nachbarn ohne ein Stück Mitverantwortung für den Nachbarn, oder entfernen wir uns immer mehr von solchen Werten des Zusammenlebens?
Hier geht es allerdings noch um etwas Besonderes: Hier geht es um einen Polizisten. Ich wiederhole hier ausdrücklich: Ich finde es jedenfalls bedenklich, wenn ein Polizist mit einer Person in einer Art Wohngemeinschaft lebt, die zumindest in zwielichtige Geschäfte des Rotlichtmilieus verwickelt ist, und der Polizist in dem Revier Dienst tut, in dem sich diese bordellähnliche Anlage befindet.
Herr Abg. Lichdi, ich rede hier nicht über Kriminalisierung, ich mache damit nicht Opfer zu Tätern, ich rede aber über die Sauberkeit der Verwaltung einschließlich der Polizei und über den Eindruck, der durch eine solche Art des Zusammenwohnens bereits entstanden war.
Ich rede über die Vorbildrolle der Beamten und der öffentlich Bediensteten, ob Sie es wollen oder nicht. Das gilt für den Innenminister, das gilt für den Landespolizeipräsidenten, das gilt für eine Mitarbeiterin im Innenministerium, insbesondere wenn sie in der Poststelle sitzt, und das gilt für jeden einzelnen Polizisten. Man muss kein Heiliger sein, aber es gibt eine Vorbildrolle des öffentlichen Dienstes und übrigens auch der Politik.
Und ich rede über das, was man ganz altmodisch „Kinderstube“ nennt. Das ist keine rechtliche Kategorie, das weiß ich wohl, aber es gehört zum Kitt, der eine Gesellschaft zusammenhält oder aber sie aushöhlt und brüchig macht.
Ich denke, die durch den SEK-Einsatz von mir gar nicht absichtlich entfachte Diskussion lässt tiefer blicken, als bei oberflächlicher Betrachtung angenommen worden ist. Dass aber so viel darüber diskutiert worden ist, halte ich für ein positives Zeichen; denn es bedeutet, dass die Menschen mehr über die Probleme des Zusammenlebens aller nachdenken, als wir das gemeinhin glauben. Nur, eines sollten wir nicht tun: schnell einen Sündenbock suchen und diesem die Schuld zuschieben, damit wir uns selbst nicht fragen müssen, wo unser aller Verantwortung liegt.
Wenn dann als Sündenbock die Polizei herhalten muss, also Menschen, die tagtäglich mit ihrem Dienst dafür
sorgen, dass wir in Sicherheit zusammenleben können, dann will ich mit deutlichen Worten gegenhalten. Das habe ich getan und werde es auch in Zukunft tun, indem ich mich vor die Beamten des SEK und der sächsischen Polizei stelle.
Auch wenn es gelungene und weniger gelungene Einsätze gibt – das ist wahr –, auch wenn wir jeden Tag aufs Neue in Gefahrensituationen geraten können, auch wenn wir durch die Auswertung der Einsätze und den kritischen Umgang mit unseren Fehlern immer noch dazulernen müssen, können und werden – jeder einzelne Einsatz des SEK, wie immer er auch öffentlich bewertet wird, wird anschließend intern ausgewertet. Die Polizei jedenfalls versieht ungeachtet dessen mit hohem Einsatz ihren täglichen Dienst. Wir, das heißt jeder Einzelne von uns, können nicht auf der einen Seite verlangen, dass die Polizei konsequent gegen Straftaten vorgeht und für Sicherheit sorgt, und uns auf der anderen Seite aus jeder Art von Betroffenheit und Verantwortung heraushalten. Das geht nicht.
So war auch der provozierende Satz von mir gemeint und wenn er provoziert hat, dann ist es mir recht, denn er hat offenbar den Anstoß zu einer Debatte gegeben, die über den konkreten Fall hinaus sehr wichtig ist.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie werden es kaum glauben, aber SEK-Einsätze, wie der in Loschwitz oder auch der am Wilden Mann, haben nicht nur eine juristische Komponente, sondern auch eine menschliche. Ich bitte Sie, sich nur einmal vorzustellen, wie das ist, wenn Sie als unbescholtener Bürger nachts im Bett liegen und auf einmal kracht es und das Sondereinsatzkommando steht vor der Tür.
Ich möchte Sie bitten, darüber nachzudenken, wie das ist, wenn Sie – wie es der Tochter der Familie am Wilden Mann ergangen ist – nachts von lautem Lärm munter werden, das Treppenhaus hinuntergehen und eine Viertelstunde mit erhobenen Händen in die Mündung eines Maschinengewehrs sehen müssen – ein junges Mädchen im Morgenmantel, das ganz gewiss und offensichtlich nie und nimmer etwas mit einer Straftat zu tun haben kann.
Ich möchte mir auch persönlich nicht vorstellen, Herr de Maizière, wie es ist, wenn irgendjemand in meine Wohnung eindringt und – Sie werden es wissen, ich habe auch zwei Hunde – mir meine Hunde einfach so
erschießt. Man mag es sich kaum vorstellen, aber auch Hunde können zur Familie gehören, auch dieser Verlust kann schmerzen. Aus meiner Sicht muss man also auch sehr sorgfältig damit umgehen, was man am Ende mit den Hunden macht. Ich möchte mich überhaupt nicht an den Gedanken gewöhnen, mich unter Umständen auf ähnliche Erlebnisse, wie sie der Familie am Wilden Mann oder der Familie in Loschwitz passiert sind, einstellen zu müssen.
Ich will Ihnen sagen, ich wohne in einem Haus, in dem der Name Zastrow mehrfach am Klingelbrett steht, und zwar deshalb, weil meine Schwester auch in diesem Haus wohnt. Ich könnte mir vorstellen, dass das zu Verwirrung führt, wenn man nicht richtig observiert, wenn man nicht richtig aufklärt. Was soll ich denken, wenn ich damit rechnen muss, dass zum Beispiel die Polizei, die bei mir ins Haus stürmt, weil ich irgendetwas auf dem Kerbholz habe, dummerweise bei meiner Schwester unten landet? Sie hat ein kleines Kind, sie hat auch einen Hund. Ich wage mir kaum vorzustellen, was das für ein dramatisches Erlebnis sein kann, wenn der Einsatz genauso schief geht, wie der in Loschwitz schief gegangen ist. Daran mag ich nicht denken, meine Damen und Herren.
Ich habe als unbescholtener Bürger dieses Landes das Recht, nachts ruhig und sicher in meiner Wohnung zu sein, und ich habe das Recht, darauf vertrauen zu können, dass die Polizei mich schützt und dass sie nicht, in welchem Fall auch immer, für mich zur Bedrohung wird.
Wenn wir, wie es in Loschwitz war, in der Schrankwand, im Sessel und in allen möglichen Möbelstücken 17 Projektile finden, würde ich – das muss ich ehrlich sagen – nicht mehr von einem professionellen Einsatz sprechen, sondern ich würde sagen: Gott sei Dank haben die richtiges Glück gehabt, dass in diesem Sessel keiner gesessen hat, der vielleicht vor dem Fernseher eingeschlafen ist. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, wir haben wahnsinniges Glück gehabt, dass dort nicht noch Menschen zu Schaden gekommen sind. Ich würde also an dieser Stelle nicht von einem professionellen Einsatz sprechen, meine Damen und Herren.
Dieser Einsatz war falsch, er war schlecht vorbereitet und die Mittel, die verwendet worden sind, waren offensichtlich völlig unangemessen.
Ich gestehe der Polizei übrigens zu, dass sie Fehler macht. Jeder macht Fehler. Auch der Polizei kann das passieren. Das Entscheidende ist, wie ich im Nachhinein mit offensichtlich gemachten Fehlern umgehe.
Ich sage Ihnen ganz persönlich, Herr de Maizière, es hat mich sehr bewegt, wie Sie in den letzten Tagen sofort und unverzüglich zum Ort dieses schrecklichen Ab
sturzes des Polizeihubschraubers gegangen sind. Ich fand das sehr bewegend. Dafür gebührt Ihnen mein Respekt. Auch dass Sie gestern noch einmal die Kollegen der Hubschrauberstaffel besucht haben, nötigt mir allen Respekt ab. Warum, Herr de Maizière, tun Sie sich eigentlich so schwer damit, einige Worte des Bedauerns, einige Worte des Mitgefühls, vielleicht auch der Entschuldigung den offensichtlich unschuldigen Opfern, ob in Loschwitz oder in der Wilder-Mann-Straße, gegenüber zum Ausdruck zu bringen? Was hindert Sie, diesen Menschen gegenüber ein bisschen Herz zu zeigen und ihnen Beistand zu leisten?