Frau Präsidentin, ich möchte namens der Koalitionsfraktionen SPD und CDU die Bitte aussprechen, dass Sie alsbald das Präsidium des Sächsischen Landtages zu einer Sondersitzung einladen, damit wir uns mit den Ungeheuerlichkeiten, die wir uns heute während der 2. Aktuellen Debatte anhören mussten, noch einmal befassen können.
Wir berufen demzufolge das Präsidium zur Beratung in den Saal 2 ein und werden dann rechtzeitig über Gongton zur Fortsetzung der Tagesordnung rufen.
Sehr verehrte Damen und Herren! Ich möchte Sie darüber informieren, was in der soeben stattgefundenen außerordentlichen Präsidiumssitzung beraten und beschlossen wurde.
Wir haben uns mit den Vorkommnissen zu heute Morgen im Tagesordnungspunkt 1, 2. Aktuelle Debatte, hier in diesem Saal beschäftigt. Das Präsidium hat beschlossen, dass die Reden, die heute Vormittag zu diesem Thema gehalten wurden, analysiert werden, dass sie untersucht werden nach ordnungsrelevanten Inhalten entsprechend unserer Geschäftsordnung. Wir werden in einer nächsten Präsidiumssitzung darüber entscheiden, ob es weitere Ordnungsmaßnahmen zu den heute Vormittag ausgesprochenen schon gibt, wie Ordnungsrufe und dergleichen. – Das ist der Beschluss des Präsidiums.
Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Die Reihenfolge in der ersten Runde: CDU, SPD, PDS, NPD, FDP, GRÜNE; der Staatsminister für Wirtschaft und Arbeit, wenn gewünscht. Er hat signalisiert, dass er es an dritter Stelle tun möchte. Ich gebe den einreichenden Fraktionen das Wort. Herr Abg. Rasch, bitte.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Flexible Arbeitsstrukturen, hoch qualifizierte Mitarbeiter, günstige Standortangebote, erstklassige Anbindung an Autobahn, Flughäfen, Schiene, Netzwerke der Zusammenarbeit, Forschungs- und Bildungseinrichtungen, Schnelligkeit und Kompetenz der Behörden – das sind einige der Stichworte, die man sich nicht nur wünschen kann, sondern die man in praxi von befragten Investoren in Sachsen auch zu hören bekommt, dass sie genau dies bestätigen. Klar ist, dass diese Aussage, schon allein, wenn es um die Verkehrsanbindungen geht, nicht für jeden Ort in Sachsen in gleicher Weise gilt. Es mag auch sein, dass manch einer andere Erfahrungen macht. Das ist ja die politische Aufgabe: dafür zu sorgen, dass diese wesentlichen prägenden Erfahrungen die überwiegenden sind.
Nun ist im August vorigen Jahres unser Ministerpräsident als Präsident des Jahres gekürt worden. Das ist eine Ehrung, die wahrlich nicht ihm als Person gilt, sondern sie gilt einem Wirtschaftsgefüge, einem Staatswesen, sie gilt den Menschen eines Landes, wie sie in ihrer Weise das Wirtschaftsleben geprägt haben, und zwar kurzfristig geprägt haben in den zurückliegenden Jahren 2001 bis 2003. Die höchste Dynamik der deutschen Bundesländer hatte die wirtschaftliche Entwicklung in Sachsen.
Nun im November noch einmal die Bestätigung sozusagen durch das „Foreign Direct Investment Magazine“, in dem wir zur „Region of the Future“, also Region der Zukunft für Europa, aber nur auf dem 2. Platz, erklärt wurden. Platz 1 hat in dem Fall Schottland errungen, der Spitzenreiter von Nordeuropa. Platz 2 haben wir als der Spitzenreiter von Westeuropa errungen. Nun sage ich, meine Damen und Herren, einmal ganz einfach: Dafür sollten wir uns feiern!
(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Jawohl, und fürs Wahlergebnis! – Allgemeine Heiterkeit – Beifall bei den GRÜNEN)
Herr Porsch, da ich natürlich Ihre mehr oder weniger sachlichen Einwürfe auch mit einkalkuliert habe, werde ich ein paar erklärende Worte dazu sagen, warum ich meine, wir sollten uns dafür feiern.
Ich denke, vor allem die Medien sollten darüber berichten. Nun ist eines klar: Im August haben sich die Medien zurückgehalten, weil sie genau das, was wir ja eigentlich verdient hätten, eine Wahlkampfunterstützung mit Sachargumenten, uns nicht zuteil werden lassen
Meine Damen und Herren! Ich frage mich schon, wenn eine vergleichbare Meldung im November aktuell ist, warum an dieser Stelle der Blätterwald und die Fernsehnachrichten, wenn ich es recht verfolgt habe, doch einigermaßen still geblieben sind. Ich möchte an eines erinnern: Auch die Medienwelt, meine Damen und Herren, lebt davon, dass sich die Wirtschaft im Lande dreht. Nicht nur wir als Politiker haben Interesse daran. Die Menschen im Lande haben ein hervorragendes Interesse daran, dass wir wirtschaftlich vorankommen, weil es letztendlich um Arbeitsplätze geht. Aber ich denke, auch die Medien sollten ein Interesse daran haben, dass wir als Land vorankommen.
Da sind wir wieder beieinander, Herr Porsch. Auch Sie in der Opposition sollten ein Interesse daran haben, dass das Land vorankommt.
Dazu gehört auch das Stück Psychologie. Es ist ja nun ein alter Hut, dass Wirtschaft zum wesentlichen Teil auch Psychologie ist.
Lassen Sie es mich so deutlich sagen: Da will ich schon einerseits etwas tun für die Psyche der Entscheidungsträger, die ihrerseits zu entscheiden haben, wo sie expandieren, wo sie sich ansiedeln, und da braucht es auch etwas für die Psyche der Menschen im Lande. Denn was hilft es, wenn sie zwar Tag für Tag Leistung erbringen – sogar Spitzenleistung –, aber ihnen keiner sagt, dass es Spitzenleistung ist. Denn es ist auch so, dass es vor allem hoch motivierte Leute sind, die ein Wirtschaftsgefüge in Bewegung bringen, in Bewegung halten und möglichst ordentlich voranbringen.
Für mich kommt hinzu, dass ich beobachtet habe, dass bis Ende der neunziger Jahre auch gerade die Sachsen ein durchaus optimistisches Volk waren. Dann kam die problematische Entwicklung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen – vor allen Dingen durch die Bundesebene geprägt – und eine Stimmung, die sich wie Mehltau über das Land legte. In der Praxis aber haben wir den Nachweis erbracht, dass wir gegen den Trend von ganz Deutschland doch immer ein Stück besser waren als die anderen und uns gegen diese Grundgestimmtheit mit Erfolg gestemmt haben. Auf diese Weise haben wir es geschafft, unter den dynamischsten Wirtschaftsregionen eben ganz vorn zu rangieren – nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa.
Ich kann, meine Damen und Herren, die Debatte, die wir vor der Mittagspause hatten, noch nicht ganz beiseite legen; denn dies ist die andere Seite der Psychologie unseres Wirtschaftslebens.
Wir haben ja den 13. Februar 2005 noch vor uns und ich möchte deutlich machen: Die Dresdner hatten über all die Jahrzehnte eine Erinnerungskultur, die sich sehen lassen konnte – und sie werden sie sicher auch in diesem Jahr haben. Wir haben vorhin eine Debatte erlebt, die ein Stück Vorgeschmack auf das ist, was hier möglicherweise inszeniert werden soll, und ich befürchte, meine Damen und Herren, es wird wieder so sein, wie es unausweichlich bei solchen Gelegenheiten ist: Rechtsextrem wird marschieren, Linksextrem wird den Versuch machen dreinzuschlagen, und die Polizei wird alle Mühe haben, das Ganze so zu begleiten, dass nicht stattfindet, was das Ziel der Inszenierung ist.
Ich fürchte aber auch, meine Damen und Herren, dass es nicht zuletzt aufgrund solcher Debatten, wie sie heute hier stattgefunden haben, eine Vorgespanntheit der Medien gibt, die dazu neigen werden – insbesondere die Fernsehstationen, auch gerade die von weither –, den Konflikt zu suchen und die Bilder zu suchen, die wahrlich für uns kein gutes Bild abgeben. Ich habe die Befürchtung, dass manches, was wir in diesen Wochen hier erleben und was wir wahrscheinlich noch über geraume Zeit in vergleichbarer Weise vor uns haben, genau das Gegenteil von dem ist, was wir in Sachen Psychologie für die Wirtschaft brauchen.
Deshalb, meine Damen und Herren, meine ich, ist es höchst wichtig, dass wir das öffentlich machen, was dieses Land ausmacht, was die Menschen dieses Landes ausmacht und was die wirtschaftliche Entwicklung dieses Landes ausmacht. Ich sage noch einmal, warum: Natürlich ist wirtschaftliche Entwicklung auch gut als Entwicklung für die Unternehmen, als Möglichkeit, Gewinne zu erwirtschaften, und nicht zuletzt deshalb ein Stück stabiler dazustehen.
Zentral für mich ist vor allem ein Sachverhalt: Es muss dabei bleiben, dass wir uns der problematischen Entwicklung am Arbeitsmarkt entgegenstemmen, dass wir dafür sorgen, dass zukunftsfähige Arbeitsplätze in Sachsen heute und morgen und in aller Zeit eine Chance haben, dass wir letzten Endes schrittweise dahin kommen, den Menschen in dem Maße Arbeitsmöglichkeiten zu bieten, wie sie sie wünschen.
Dazu gehört die einfache Botschaft: Es lohnt hier zu leben, es lohnt hier zu arbeiten, und es lohnt hier in Sachsen zu investieren.
(Beifall bei der CDU – Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Es sei denn, man hat keine übertriebene Erwerbsneigung!)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten der demokratischen Parteien! Mag Sachsen vielleicht nicht die Zukunftsregion in Europa sein – eine Region mit Zukunft in Europa ist es allemal. Der wichtigste Grund dafür, dass Sachsen dabei mittendrin ist, sind unsere großen Traditionen, an die wir anknüpfen können, und es sind vor allen Dingen unsere Menschen.
Nach Faschismus, Krieg, Neuanfang und Massenflucht, bis zum Mauerbau – dem Scheitern des real existierenden Sozialismus stalinistischer Tradition –, dann der friedlichen Revolution, deren Kopf und Herz in Sachsen lag, haben unsere Menschen – unterstützt von der Solidarität aller Deutschen – dieses Land in historisch kurzer Zeit wieder auf Vordermann gebracht.
Mit der Liebe zu unserem Land halte ich es allerdings so wie unser Ex-Bundespräsident Heinemann, der sagte: „Ich liebe meine Frau, aber nicht mein Land.“
Wenn es schon nicht Liebe ist, aber stolz können wir alle auf die Entwicklung Sachsens sein. Glück im Wettbewerb der Regionen haben wir mit unserer geografischen Lage – heute eine Brückenfunktion zwischen Ost und West –, Glück auch mit unserer großen industriellen Tradition.
Als ich im März 1991 das Druckhaus Dresden übernahm, fand ich einen schrottreifen Betrieb in einer völlig maroden Gebäudehülle vor. Der Betrieb war praktisch konkurs; man kann sagen, „konkurser“ ging es eigentlich nicht. Mein erster Monat damals, meine Damen und Herren: 25 000 Mark Umsatz und 75 000 Mark Löhne. Aber ich stieß gleichzeitig auf eine Belegschaft, die nach Veränderung hungerte, die ihr Fach verstand und die dann selbst unter widrigsten Umständen Großartiges geleistet hat.
Übrigens halte ich das Maß an Veränderungen, die wir in diesen Jahren hier im Osten umgesetzt haben, für kaum durchsetzbar in einem saturierten Westbetrieb.
Ohne diese tatkräftigen und hoffnungsvollen Männer und Frauen wäre dieser zweite Aufbau unseres Landes – nach Nazidiktatur und Stalinismus – unmöglich gewesen. Diesen Menschen – und nicht uns in billiger Selbstgefälligkeit – sind wir zum Dank verpflichtet; das sollten wir nie vergessen.
Sachsen ist ein wunderschönes Land mit einer großen Geschichte. Sachsen hat fleißige, intelligente und – wie man hierzulande immer sagt – vigilante Einwohner.
Aber, meine Damen und Herren der demokratischen Fraktionen: Über diesem Sachsen, das sicher noch besser aussehen würde, wenn unsere politischen Eliten selbstkritischer, mutiger und konsequenter mit eigenem Machtmissbrauch, mit Korruption und Vetternwirtschaft umgehen könnten, liegt heute ein dunkler Schatten – dieser Schatten, der von den Völkern der Welt mit Abscheu und mit Entsetzen registriert wird: Es geht um den widerwärtigen Aufstieg der braunen Brut in diesem Land.