Protokoll der Sitzung vom 07.06.2007

Bei einer Reihe von Fragen springen dem Leser die abfertigenden Antworten ins Auge. Da heißt es dann kurz und bündig, dass eine Beantwortung der Frage nur mit einer unvertretbaren Einschränkung der Funktionsfähigkeit der Justizvollzugsanstalten bzw. Staatsanwaltschaften zu leisten sei. Als Beispiele möchte ich hier nennen: die Frage nach der Anzahl der Gefangenen, die eine zugewiesene Arbeit abgelehnt haben, die Frage nach der Rückfallquote im Anschluss an die Verbüßung eines Jugendarrests und vor allem die Frage nach dem Krankheitsstand der Gefangenen.

Es kann und darf doch nicht wahr sein, dass ein Justizminister nicht in der Lage ist, Auskunft darüber zu geben, wie es um die gesundheitliche Verfassung der ihm in Obhut gegebenen Gefangenen bestellt ist. So etwas kann im Zeitalter der elektronischen Datenverarbeitung doch nur eine Frage der rationellen Arbeitsorganisation sein und nicht – wie in der Antwort zu dieser Großen Anfrage zu lesen ist – eine Frage des umständlichen Aktenblätterns.

Unverständlich ist uns Nationaldemokraten auch, warum der so wichtige Fragenkomplex 7 des Abschnitts Erwachsenen- und Jugendstrafvollzug derart unbefriedigend beantwortet wurde. Dazu zwei Beispiele. Zuerst die Einzelfrage 4: „Wie viele vorzeitig entlassene Gefangene sind – unterschieden nach solchen Gefangenen, die in Vollzugslockerungen erprobt worden sind und jenen ohne weitere Entlassungsvorbereitung, sowie unterschieden nach den jeweiligen Straftaten (insbesondere Gewalt- und Sexualdelikte) – nach der Entlassung erneut und in welcher Weise straffällig geworden?“ Antwort des Herrn Justizministers: „Dieser Zusammenhang wird statistisch nicht erfasst.“

(Jürgen Gansel, NPD: Das ist schlecht!)

Nun zur Einzelfrage 14: „In welchen bzw. wie vielen Fällen, in denen ein Sexual- und Gewaltstraftäter auf der Grundlage einer positiven Prognoseentscheidung eine vorzeitige Haftentlassung erreicht hat, kam es in den Jahren 2005 und 2006 zu einem Rückfall, der die vorausgegangene positive Prognose widerlegt hat?“ Antwort des Herrn Justizministers: „Dies wird statistisch nicht erfasst.“

Herr Minister Mackenroth, wer vor dem Hintergrund der schrecklichen Sozialverbrechen der jüngsten Vergangenheit auch in Sachsen seine Entscheidungen auf derart mangelhafte Datengrundlagen stützt, könnte den Bürgern eventuell wie ein Kapitän ohne Karte und Kompass erscheinen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Die FDP-Fraktion. Wie kann es anders sein: Herr Dr. Martens.

Sehr geehrter Herr Präsident! Ja, es kann auch anders sein.

(Lachen des Abg. Torsten Herbst, FDP)

Das ist wahr.

Ich habe das Thema nicht fraktionsintern monopolisiert.

(Beifall bei der FDP)

Zur Großen Anfrage der Koalition: Die Anfrage ist in der Tat wichtig, sie ist geeignet, Eckpunkte für eine Orientierung zu geben, wie in Zukunft die Schwerpunkte im Strafvollzug in Sachsen zu setzen sind, gerade auch vor dem Hintergrund, dass Sachsen seit dem 1. September 2006 für den Strafvollzug zuständig ist.

Lassen Sie mich da einen kleinen Schlenker machen. Insofern bedauern wir es, dass wir, obwohl Sachsen zuständig ist und obwohl uns speziell das Bundesverfassungsgericht beim Jugendstrafvollzug eine Frist bis 31.12.2007 gesetzt hat, ein Jugendstrafvollzugsgesetz zu erlassen, erst jetzt, besser gesagt: in dieser Plenarwoche, einen Entwurf für ein Jugendstrafvollzugsgesetz zugeleitet bekommen haben. Wir kommen hier in Zeitnot. Wenn man gerade den Jugendstrafvollzug sorgfältig gestalten will, dann sollte man sich Zeit nehmen.

Diese Anfrage ist auch ergänzungsbedürftig. Der Landtag hatte bereits im letzten Jahr beschlossen, dass wir umfassend unterrichtet werden sollen auch über Vergleichsstudien mit dem Strafvollzug anderer Bundesländer sowie mit Forschungsergebnissen der Kriminologischen Forschungsstelle und des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg. Diese Ergebnisse liegen bisher ebenfalls noch nicht vor. Sie sind aber notwendig, um eine zielgerichtete Diskussion führen zu können.

Die Probleme im sächsischen Strafvollzug sind bereits angesprochen worden. Sie sind relativ schnell entdeckt und einfach benannt. Es sind keine spezifisch sächsischen Probleme, um das eindeutig zu sagen. Es sind die ganz normalen Probleme des ganz normalen Strafvollzugs, die leider, muss man sagen, überall auftreten. Aber es sind in der Tat Probleme. Diesen Problemen muss man sich zuwenden. Denn der Strafvollzug ist sonst nicht in der Lage, die ihm zugedachten, zugesprochenen und von ihm

erwarteten Ergebnisse einer Resozialisierung und der Verhinderung künftiger Straftaten zu erfüllen.

Ein solcher Strafvollzug bringt nichts, außer dass er Straftäter wegsperrt. Man mag das als Erfolg sehen. In dieser Zeit können sie keine Straftaten mehr, jedenfalls nicht in Freiheit, begehen; innerhalb der Justizvollzugsanstalten sieht das dann anders aus. Aber das wäre für uns zu wenig.

Es sind angesprochen worden die fehlende Trennung von Straf- und Abschiebehäftlingen in Anstalten, die mangelnde Entlassungsvorbereitung und die fehlende Verzahnung zwischen Entlassungsvorbereitung und anschließender Bewährungshilfe, die viele Strafgefangene vor große Probleme stellen und in der Tat auch überfordern. Gerade viele Strafgefangene sind mit mangelhafter Sozialkompetenz ausgestattet. Das muss man so sagen. Die Entlassungssituation ist schwer zu bewältigen. Umso wichtiger wäre es, hier für einen koordinierten, verzahnten und nahtlosen Anschluss zu sorgen.

Was fehlt? Der Strafvollzug istt zum Beispiel durch Drogen im Strafvollzug gekennzeichne. Wir haben auch gefragt: Wie viele Delikte gab es dort? Im Jahr 2006 gab es insgesamt 210 Straftaten, im Jahre 2005 waren es 165 Straftaten. Der Großteil sind aber in der Tat Drogendelikte.

Man könnte jetzt spöttisch sagen: Frage in einer Justizvollzugsanstalt: Haben die ein Drogenproblem? Nein, es gibt dort alles.

(Beifall bei der FDP)

Nur, in dem Fall muss man sich vor Augen halten: Hier sind gezielte Suchtbehandlungen und Suchthilfen notwendig, jedenfalls mehr als jetzt.

Es fehlen berufliche und schulische Aus- und Weiterbildungsangebote bzw. überhaupt erst einmal schulische Angebote, um Schulabschlüsse zu erreichen, ja sogar Alphabetisierungskurse, um das Minimalrüstzeug bei Strafgefangenen zu schaffen, damit sie später draußen in Freiheit erfolgreich und ohne Straftaten leben können.

Das sind wichtige Punkte. Aus der Antwort auf die Große Anfrage sei zum Beispiel einer genannt: 149 Gefangene bereiten sich auf Schulabschlüsse vor, 114 haben einen Schulabschluss gemacht. Das ist so schlecht nicht. Wenn man natürlich die Zahl der Plätze erhöhen würde, bei denen das möglich ist, wäre vielen dort geholfen.

Die Zahl der Arbeitsplätze bzw. die Möglichkeit, Arbeit anzubieten, ist zu gering. 54 % der Strafgefangenen sind in Beschäftigungsverhältnissen oder haben Arbeit. Das ist eindeutig zu wenig, wenn wir von der Resozialisierung erwarten, dass die Strafgefangenen in die Lage versetzt werden, später ihren Lebensunterhalt in Freiheit auch wieder selbst zu verdienen, und zwar ohne kriminelle Aktivitäten. Hier muss dringend etwas getan werden.

Auch der Verdienstsatz von 9,70 Euro ist völlig unzureichend. 9,70 Euro ist nicht der Stundensatz, sondern das ist der Tagesverdienst eines Strafgefangenen. Ich frage mich

wirklich, wie man jemandem den Wert von Arbeit im Rahmen der Strafhaft nahebringen und ihn in die Lage versetzen will, später selber etwas in seinem Leben aufzubauen und zu gestalten, wenn man ihm nicht einmal zehn Euro am Tag für seine Arbeit gibt.

Ich weiß, das ist ein Finanzproblem. Aber es ist in der Tat darüber hinaus auch ein strukturelles Problem. Aber da spreche ich besser nicht den Staatsminister der Justiz an, sondern das ist der jetzt leider nicht anwesende Finanzminister, mit dem hier gesprochen werden muss, genau wie bei anderen Punkten, zum Beispiel der psychologischen Betreuung im Strafvollzug. Hier kommt ein Psychologe auf 100 Strafgefangene. Das erscheint zu wenig.

Die Behandlungsdichte oder auch die Möglichkeit, sich Gefangenen zu widmen, ist unter solchen Zahlenrelationen sehr schlecht. Eine eingehende Betreuung von Strafgefangenen ist kaum möglich. Hier muss in der Tat etwas getan werden; wie auch gegen die Überlastung des Betreuungspersonals insgesamt.

Das alles kostet Geld. Aber dieses Geld sollte uns der Strafvollzug wert sein. Denn das Geld, das wir hier „anlegen“, ist möglicherweise gut angelegtes Geld. Es ist geeignet, die Gesellschaft und die Bürger später vor Straftaten zu schützen und weitere Haftaufenthalte zu verhindern. Ich glaube, dass die Staatsregierung hier in nächster Zeit noch Initiativen vorlegen wird.

So viel zunächst von unserer Seite zu dieser Anfrage.

(Beifall bei der FDP)

Die erste Runde der Aussprache beschließt Frau Herrmann für die Fraktion GRÜNE.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschäftigten uns in den letzten Monaten und auch in diesem Plenum zum wiederholten Male mit dem Thema Strafvollzug. Ich habe gestern den Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Jugendstrafvollzug vorgestellt und denke, dass es gut dazu passt, dass wir heute noch einmal die Gelegenheit haben, über den Strafvollzug für Jugendliche und Erwachsene in Sachsen zu sprechen, denn auch hier ist der Handlungsbedarf enorm.

Dieses Mal gibt eine Große Anfrage seitens der Koalition Gelegenheit, uns dem Thema in diesem Hohen Haus zu widmen. Ich bin der Meinung, dass regelmäßige Berichte an den Landtag unseren Wunsch nach Information über die Situation des Strafvollzuges in Sachsen nützen könnten. Bei unserer Großen Anfrage zum Jugendstrafvollzug und zur Jugendkriminalität Mitte März konnte die Koalition unserem Entschließungsantrag nicht zustimmen, „da sie“ – ich zitiere aus dem Redebeitrag von Herrn Bräunig – „den Zeitpunkt für verfrüht gehalten haben“ und zunächst die Antwort der Staatsregierung auf ihre Große Anfrage zum Strafvollzug abwarten wollte. Ich hoffe, dass Sie heute die notwendigen Konsequenzen ziehen.

Im Folgenden möchte ich auf drei Punkte eingehen. Meine Vorredner und Vorrednerinnen der demokratischen Fraktionen haben eine Vielzahl von Problemen angesprochen. Wie ich gestern schon erläutert habe, bedarf es bestimmter Bedingungen zur Resozialisierung von verurteilten Straftätern. Nachdem ich diese Große Anfrage gelesen habe, stelle ich fest, dass auch beim Strafvollzug der Erwachsenen vieles im Argen liegt.

Erstens. Eine erste Bedingung für mehr Chancen auf ein straffreies Leben sind Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten. Hier sind die Zahlen im Erwachsenenstrafvollzug erschreckend. Vorhaltung und Auslastung der Bildungsmaßnahmen werden in der Antwort aufgelistet, aber an manchen Stellen macht es doch sehr viel Mühe, aus dieser Auflistung auf die Situation zu schließen. Nur für 23 % der Gefangenen werden Bildungsmaßnahmen vorgehalten. Ob diese alle genutzt werden und welchen Stundenumfang die einzelnen Maßnahmen haben, ist nicht ersichtlich. Nur 54 % der Gefangenen konnte eine Arbeit zugewiesen werden. Es stellt sich die Frage, Herr Staatsminister Mackenroth: Was machen die anderen?

Eine zweite Bedingung für eine gelungene Resozialisierung ist: psychische Probleme angehen: Sucht und Suizide. Laut Staatsregierung sind circa 11 % der Gefangenen drogenabhängig. Nach dem, was wir dazu aus der Praxis gehört haben, erscheint uns diese Zahl unglaubwürdig. Nach Auskunft der Praktiker werden circa zwei Drittel der Gefangenen von externen Trägern wegen ihrer Sucht betreut bzw. beraten. Das spricht doch für einen großen Bedarf an Suchtberatung, an Suchtprophylaxe und Suchttherapie. Immer wieder gibt es Probleme mit den Kostenträgern der Suchttherapie, sodass es oft nicht gelingt, die Therapie schon im offenen Vollzug zu beginnen und in Freiheit nahtlos fortzusetzen bzw. sofort nach der Entlassung, wenn die Motivation noch hoch ist, mit der Therapie zu beginnen.

Zu den Suiziden. Die Suizidrate in den sächsischen Gefängnissen ist doppelt so hoch wie im Bundesvergleich und circa acht- bis neunmal so hoch wie in Sachsen insgesamt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist eine gravierende Zahl.

Wir hören, dass eine Psychologin für hundert Gefangene zuständig ist. Ist das angesichts dieser hohen Suizidrate nicht fahrlässig? Herr Staatsminister Mackenroth, der günstigste Vollzug im gesamten Bundesgebiet wirkt sich an dieser Stelle aus – und das auf dem Rücken der Gefangenen.

Eine dritte Bedingung für einen Strafvollzug, der die Resozialisierung zum Ziel hat, sind unserer Meinung nach die Evaluation, die Begleitforschung und die Kontrolle. Hierzu möchte ich einige Punkte aufzählen, zu denen die Staatsregierung nicht aussagefähig ist: zum Krankenstand der Gefangenen, zur erneuten Straffälligkeit nach vorzeitiger Entlassung, zu Zeit und Umfang sozialpädagogischer Maßnahmen, zur Qualifikation der sächsischen Richterinnen und Richter, Gutachten zu Sexualstraftätern bewerten zu können, und zu Verstößen gegen Weisungen

im Rahmen der Führungsaufsicht gemäß § 68b StGB. Weitere Punkte hat die Staatsregierung äußerst ungenau beantwortet.

Unsere Schlussfolgerungen aus beiden Großen Anfragen lauten daher: Erstens. Wir benötigen eine gesetzliche Normierung, die das Ziel der Resozialisierung verwirklicht sowie finanziell und personell umsetzt. Das wird – das haben die Vorredner bereits gesagt – auch langfristig günstiger sein.

Zweitens. Wir brauchen eine Untersuchung des sächsischen Strafvollzugs, das heißt eine Erhebung von Daten darüber, welche Maßnahmen wie wirken. Wir brauchen eine unabhängige Evaluation in Zusammenarbeit mit den freien Trägern, die sich vor Ort und in den Justizvollzugsanstalten engagieren.

Drittens – wir haben es in unserem gestrigen Antrag zum Jugendstrafvollzug bereits vorgestellt – brauchen wir eine unabhängige Instanz, an die sich die Gefangenen wenden können und die den Landtag informiert. Wir haben die Einrichtung eines Landesbeauftragten vorgeschlagen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Da uns bisher kein Entschließungsantrag der Koalition vorliegt, haben wir einen Entschließungsantrag zu dieser Großen Anfrage vorbereitet, der Ihnen bereits vorliegt und den ich noch einbringen werde.