Herr Flath, wir haben die Aufforderung an Sie, darauf zu achten, dass an Schulen, die sich zur Gemeinschaftsschule auf den Weg gemacht haben, auch mit dem Personal so umgegangen wird – wir wissen, dass es nach dem Koalitionsvertrag stellenneutral sein muss –, dass keine Versetzungen, keine Abordnungen und keine Teilabordnungen so durchgeführt werden, dass der eigene Bestand an Personal in diesen Schulen nicht mehr vernünftig gesichert ist. Darum möchte ich Sie ganz herzlich bitten.
Wird weiterhin das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Meine Damen und Herren! Damit ist die 1. Aktuelle Debatte, beantragt von der Linksfraktion zum Thema „Fehlende Perspektiven für Gemeinschaftsschulen im Freistaat Sachsen“, abgeschlossen.
Zunächst hat die Antragstellerin, die Fraktion der FDP, das Wort. Es folgen die Fraktionen der CDU, Linksfraktion, SPD, NPD, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Die Debatte ist eröffnet. Ich bitte, dass die Fraktion der FDP das Wort nimmt. Herr Zastrow, bitte.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sachsen soll – das ist unser aller Ziel – in den nächsten Jahren zum kinder- und familienfreundlichsten Bundesland werden. Die Frage ist nur, an welchen Kriterien wir dieses Ziel am Ende messen wollen.
Dazu gehört ganz sicher die Situation in den Kinderbetreuungseinrichtungen in Sachsen. Diese sollte es in ausreichender Zahl, in guter Qualität, mit einem guten Service, für jeden bezahlbar und für jeden zugänglich geben. Für das große Ziel – nämlich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – ist das gerade für die jungen Frauen in Sachsen ein zunehmend wichtiges Thema. Gute, möglichst wohnortnahe Schulen gehören auch dazu. Im Übrigen gehören die über 200 erfolgten Schulschließungen seit Amtsübernahme durch unseren Kultusminister,
Sicherheit gehört dazu. Natürlich gehören auch ordentlich bezahlte Jobs dazu, übrigens nicht nur in den sächsischen Großstädten und Ballungsräumen, sondern überall im Land. Wenn das nicht klappt, dann gehört als Mindestanforderung dazu, dass es „flotte“ Straßen und einen guten ÖPNV gibt, damit die Menschen aus dem ländlichen Raum beispielsweise Jobangebote in der Großstadt erreichen können.
Ganz klar gehört auch eine solide ärztliche Grundversorgung dazu, ganz besonders, was die kinderärztliche Versorgung nämlich nicht nur in den Ballungsräumen, sondern vor allem im ländlichen Raum betrifft. Genau hier, meine Damen und Herren, liegt der Hase sprichwörtlich im Pfeffer.
Wie aus einer Antwort der Sächsischen Staatsregierung vom 13. Juni auf eine Kleine Anfrage meines Kollegen
Torsten Herbst hervorgeht, droht Sachsen in bereits sehr wenigen Jahren ein dramatischer Mangel an Kinder- und Jugendärzten. Von den 365 zurzeit in Sachsen praktizierenden niedergelassenen Kinderärzten sind bereits 102 im Alter von über 60 Jahren. Das ist, wenn man es zusammenrechnet, nahezu jeder dritte niedergelassene Kinderarzt in Sachsen. 28 niedergelassene Kinderärzte sind bereits älter als 66. Nach Schätzung des Sozialministeriums selbst werden in den nächsten fünf Jahren 19,7 %, also 72 dieser über 60-jährigen niedergelassenen Ärzte, sicher in den Ruhestand gehen.
Auf der anderen Seite der Alterspyramide haben wir gerade einmal zwölf niedergelassene Kinderärzte in Sachsen, die unter 40 Jahre alt sind. In den letzten fünf Jahren wurden 31 Kinderarztpraxen in unserem Land geschlossen. Leider fand sich nur für 54 Praxen im selben Zeitraum ein Nachfolger. Neue Kinderarztpraxen wurden überhaupt nicht eröffnet.
Nun werden einige von Ihnen vielleicht sagen, das sei alles Zukunftsmusik, im Moment ist die kinder- und jugendärztliche Grundversorgung in Sachsen gewährleistet. In den Großstädten – das stimmt – ist das zurzeit noch ganz passabel. Im ländlichen Raum, zum Beispiel im Bereich Zwickau, wird es schon ziemlich dünn. Abgesehen davon, kann man unter „passabel“ natürlich auch das eine oder das andere verstehen. Wenn Sie beispielsweise in einer an sich gut versorgten Stadt wie Dresden mal zum Kinderarzt gehen, dann werden Sie sehen, dass auch hier die Wartezimmer rappelvoll sind. Sie werden auch sehen, dass es selbst hier Wartezeiten auf einen Termin von bis zu sechs Wochen gibt.
Wer angesichts der vorliegenden Zahlen aus der Kleinen Anfrage und angesichts der Prognosen von einem Abbau der zu DDR-Zeiten entstandenen Überkapazitäten spricht, handelt nicht nur verantwortungslos und wenig familienfreundlich; er verharmlost die Situation in unzulässiger Art und Weise, meine Damen und Herren.
Noch ist vielleicht nichts angebrannt, aber wir sind spät dran. Wenn wir nicht in kürzester Zeit junge Mediziner finden, wenn nicht in diesem Land junge Mediziner nachrücken, eine Kinderarztpraxis gründen oder – noch besser – die Praxis eines älteren Kollegen übernehmen, droht in Sachsen ein Notstand in der kinder- und jugendärztlichen Versorgung.
Hinzu kommt, dass Sachsen gar nicht mehr so massiv schrumpft. Wir haben die Zahlen kürzlich erst gesehen. An vielen Stellen wächst Sachsen wieder. Das stelle ich fest, wenn ich an Dresden und Leipzig denke, aber auch, wenn ich nach Görlitz, Bautzen oder in eine kleine Gemeinde wie Kirschau schaue.
Das Statistische Landesamt hat erst in der vergangenen Woche die Prognosen für das Jahr 2020 entsprechend korrigiert: mehr Kinder – ich prophezeie Ihnen, es werden
noch mehr Kinder; wir Sachsen werden ganz gewiss nicht aussterben –, aber immer weniger Kinderärzte und vor allem keine Jungmediziner in Sachsen. Das passt nicht zusammen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Zastrow, bei Ihnen kann mich ja nichts mehr erschüttern. Zum wiederholten Male wollen Sie mit – aus meiner Sicht – relativ populistischen Debatten und Anträgen die Bevölkerung nicht ganz richtig – ich will nicht sagen: falsch – informieren. Sie wollen das eigentliche Bild etwas trüben.
Sicher wollen wir nicht die Situation verharmlosen. Momentan ist die Versorgung gewährleistet. Das ist keine Frage; das haben Sie ja auch ausgeführt. In den nächsten Jahren werden wir uns damit auseinandersetzen müssen, dass viele von den Kinder- und Jugendärzten in den Ruhestand gehen werden. Aber die Regierung war nicht untätig, im Gegenteil. Es gibt viele Maßnahmen, um dem gegenzusteuern.
In den bereits unterversorgten Gebieten gibt es Darlehen von 60 000 Euro, wenn man eine Praxis übernehmen oder neu gründen möchte und dann zehn Jahre an dem jeweiligen Ort bleibt. Es sind noch weitere Dinge zu benennen, und zwar die Weiterbildungsassistenten im Freistaat Sachsen. Hier hat sich das Ministerium, speziell die Ministerin, darum bemüht, mit den anderen Bundesländern Vereinbarungen zu treffen. Es ist eine Vereinbarung geschlossen worden, dass Weiterbildungsassistenten, die von den Kassen bezahlt werden und als Stellen abgekauft worden sind, hier etabliert werden. Hier gibt es 50 Stellen für Ärzte mehr zu verzeichnen.
Sicherlich kann man sagen, das ist ein Tropfen auf den heißen Stein; denn man könnte sich vorstellen und wünschen – das würde ich mir persönlich auch wünschen –, dass die jungen Leute, die im Freistaat Sachsen auf unsere Kosten studieren, hier festgenagelt werden und in Sachsen bleiben.
Das wäre alles wünschenswert, aber es entspricht nicht der Verfassung. Wir müssen also versuchen, Dinge und Wege für eventuell andere Vereinbarungen zu finden, um die jungen Ärzte hier im Freistaat Sachsen zu halten – ob als niedergelassener Arzt, in den jeweiligen Anstellungsverhältnissen in den Krankenhäusern oder – dazu kommen wir heute in einem weiteren Antrag der FDPFraktion – bei den kinder- und jugendärztlichen Diensten. Dazu gibt es sicher das eine oder andere zu berichten, wo
Bei Ihnen, Herr Zastrow, fehlte mir jedoch die Antwort auf die grundlegende Frage: Wer ist denn eigentlich verantwortlich? Das ist nicht die Ministerin und nicht die Regierung, um die Landschaft und die Palette der Kinderärzte vorzuhalten, sondern der Sicherstellungsauftrag liegt bei der Kassenärztlichen Vereinigung. Das ist Bundesgesetz.
Dann müssen wir einfach das Bundesgesetz ändern. Das haben Sie unter den Tisch fallen lassen. Die Kassenärztliche Vereinigung ist eine Selbstverwaltung der Ärzte. Der Sicherstellungsauftrag wird auch von jenen gern wahrgenommen, sonst könnten wir ja einmal Frau SchneefeldSchraffke herzitieren, die Ihnen das sicher anders erklären würde, dass man nämlich daran festhalten will und muss.
Hier geht es natürlich auch um das Honorar. Es ist nur das lohnenswert, was richtig honoriert wird. Hierzu gab es vom Freistaat Sachsen bei der Änderung des Gesetzes zur Gesundheitsreform eine Initiative, um die Honorare der Ärzte in den neuen Bundesländern zu stärken. Es hat aber nicht alles gefruchtet, weil man eine Mehrheit im Bundesrat benötigt; denn nur mit einer Mehrheit kann man Dinge verändern. Die Honorierung ist zwar etwas verbessert worden, aber sie ist noch nicht ausreichend.
Ich wollte hier nur noch einmal sagen, dass wir nicht untätig sind und dem tatenlos zusehen. Im Gegenteil. Wir haben viel getan, und es hat vieles gefruchtet. Wir sind in jedem Fall auf gutem Weg. Das Ziel haben wir nicht aus den Augen verloren.
(Vereinzelt Beifall bei der CDU – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Herr Zastrow ist völlig zerknirscht nach dem Beitrag!)
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Damen und Herren Abgeordneten! Wir haben bereits in zahlreichen Aktuellen Debatten über Ärztemangel diskutiert. Wir haben dabei meist Hausärzte gemeint, Fachärzte aber hier nicht ausgeschlossen. Es gab bereits eine Petition zum Ärztemangel und inzwischen Hilferufe aus ganz Sachsen. Bei genauem Hinsehen sind die Probleme im kinder- und jugendärztlichen Bereich noch gravierender als bei den Hausärzten.
Die Linksfraktion hat im Rahmen der letzten Haushaltsdebatte einen Antrag zur finanziellen Förderung von Ärzten gestellt, um dem drohenden Ärztemangel entgegenzuwirken. Die Staatsregierung sollte 2 Millionen Euro in den Haushalt 2007/2008 einstellen. Der Antrag stieß auf taube Ohren. Aber, liebe Koalition, es gibt auch nicht genügend Ohrenärzte.