Protokoll der Sitzung vom 19.07.2007

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Wie Sie es von mir gewöhnt sind, werde ich mich mit meinem Redebeitrag, nachdem die Thematik bereits ausführlich in fulminantem Hin und Her diskutiert wurde, nur kurz zum Verfahren äußern.

Wer nach den – auch was die Presselage angeht – hektischen Wochen seit dem 4. Juli 2007 nüchtern über den Lauf der Dinge nachdenkt, wird zu dem Schluss kommen, dass sich alle Verdächtigungen, die SPD wolle verzögern und verhindern, in der Realität als gegenstandslos erwiesen haben. Ich halte für meine Fraktion fest: Am 4. Juli 2007 hatten wir angeboten, bei Vorlage eines überarbeiteten, nicht offenkundig verfassungswidrigen Einsetzungsbeschlusses durch die Opposition über einen

solchen Antrag bereits am Freitag, dem 6. Juli 2007, abzustimmen. Darauf sind die Oppositionsfraktionen aus mir nicht erklärlichen Gründen leider nicht eingegangen.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Das ist an der CDU gescheitert! – Frank Kupfer, CDU: Das ist doch Quatsch, Herr Hahn!)

Sie haben uns stattdessen mit einer großzügigen Geste einen vergifteten Apfel überreicht, nämlich die Aufforderung an die Koalitionsfraktionen, selbst neue Formulierungswünsche und konkrete Änderungswünsche zu unterbreiten.

(Zurufe von der Linksfraktion)

Die Koalitionsfraktionen – es blieb ihnen gar nichts anderes übrig – haben dann das getan, was das Untersuchungsausschussgesetz vorsieht: nämlich eine gutachtliche Stellungnahme des Verfassungs- und Rechtsausschusses erbeten. Diese Stellungnahme liegt seit Mittwoch letzter Woche vor und hat unsere Bedenken bestätigt. Eine Vielzahl der auch von mir am 4. Juli 2007 aufgezählten Gründe für die Zweifel meiner Fraktion finden Sie dort wieder.

Um es unmissverständlich klarzustellen: Meine Fraktion hat sich nicht hämisch auf die Seite derjenigen geschlagen, die noch einmal das Messer in der Wunde der Oppositionsfraktionen umdrehen wollten. Nein, wir haben versucht, konstruktiv zu bleiben und konstruktiv zu agieren.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Wir haben keine Wunde! Die Wunde liegt woanders! – Zuruf von den GRÜNEN)

Das ist Politik, Frau Hermenau! – Mit einiger Verwunderung musste ich aber zur Kenntnis nehmen, dass der Ministerpräsident und seine Regierungssprecherin die Ersten waren, die das Gutachten des Juristischen Dienstes kommentierten – ein Gutachten, dessen Befassung eben nicht der zweiten Gewalt, der Exekutive, sondern aufgrund der ureigenen Zuständigkeit der ersten Gewalt, dem Landtag, zufällt. Weniger ist manchmal wirklich mehr.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mir wäre es lieber gewesen, wir hätten diese zeitliche Schleife, von der heute schon die Rede war, nicht gebraucht, und zwar nicht nur deswegen, weil ich meinen Urlaub unterbrechen und meine geliebte Insel Hiddensee zeitweise verlassen musste; sondern uns wäre es lieber gewesen, wir hätten schon vorletzte Woche über eine mit der Verfassung konforme und nicht, wie mittlerweile bestätigt, offensichtlich verfassungswidrige Vorlage entscheiden können.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Meine Fraktion begrüßt es jedoch, dass sich die demokratischen Oppositionsfraktionen vom Kern des Gutachtens haben beeindrucken und leiten lassen und Änderungen vorgenommen haben. Erstens wurden Formulierungen gefunden, die den begleitenden Charakter des Ausschusses ausschließen. Zweitens wurden bestimmte Formulie

rungen korrigiert mit dem Ziel, die richterliche Unabhängigkeit weiterhin zu garantieren. Drittens sind auch die Formulierungen, die den Untersuchungsgegenstand bestimmen, modifiziert und schärfer gefasst worden. Ausgangspunkt sollen jetzt nicht, wie bisher, die – ich zitiere – „… medial breit reflektierten und skandalisierten Geschehnisse sein …“, sondern wohl die vom Verfassungsschutz gesammelten Erkenntnisse. Das ist etwas anderes. Ob diese Änderungen gänzlich ausreichend sind, den verfassungsrechtlichen Makel des Erstantrags zu beseitigen, vermag ich nicht zu beurteilen. Es bleiben schon gewisse Zweifel.

Dennoch werden wir – das wird Sie nicht wundern, mein Kollege Enrico Bräunig hatte das am Rande des Verfassungs- und Rechtsausschusses bereits geäußert – im Zweifel bei noch offenen Rechtsfragen dem Minderheitenrecht den Vorzug geben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist noch nicht sehr lange her, als die SPD-Fraktion als Oppositionsfraktion Anträge zur Einsetzung von Untersuchungsausschüssen formuliert hat. Diese waren offensichtlich so im Einklang mit der Sächsischen Verfassung, dass niemand auf die Idee gekommen wäre, dazu ein Rechtsgutachten anzufordern. Wir als Sozialdemokraten wissen und wussten schon immer, dass man sorgsam mit dem umgehen muss, was die Sächsische Verfassung möglich macht, aber auch mit dem, was sie vorschreibt. Wir haben die Verfassung ernst genommen und tun das heute unverändert weiter. Wir selbst haben – das will ich sehr deutlich sagen – bei der Ausarbeitung und der Verabschiedung der Sächsischen Verfassung um die Minderheitenrechte gekämpft, weil uns Sozialdemokraten bewusst ist, dass die Frage nach der richtigen Meinung, der Haltung oder der Ansicht, die Frage des richtigen Weges, des richtigen Umgangs untereinander bzw. miteinander keine Frage ist, die automatisch von Mehrheiten oder nur von der Mehrheit bestimmt wird.

Wir Sozialdemokraten unterscheiden uns gerade darin von anderen, dass wir den Einzelnen, möglicherweise eine Summe von Einzelnen und auch deren Minderheitsmeinung ernst nehmen und respektieren – besonders deren Rechte, zumal sie sogar in der Verfassung verankert sind. Wenn wir damals selbst diese Rechte in Anspruch genommen haben, dann haben wir zugleich Verantwortung für die Sächsische Verfassung getragen. Somit haben diese Verantwortung auch die Antragsteller des vorliegenden Antrages. Wer diesen Antrag so formuliert, der trägt auch das Risiko einer Verfassungsverletzung. Er muss dieses Risiko dann aber allein tragen. Gerade deshalb haben wir konkrete Umformulierungen nicht übermittelt. Wir wären im Übrigen zu Oppositionszeiten auch zu stolz dazu gewesen, solche Anregungen aufzunehmen. Dazu waren wir allein in der Lage.

(Beifall des Abg. Marko Schiemann, CDU)

Wir hatten in der letzten Woche keineswegs die Absicht zu suggerieren, dass unsere Änderungsanträge mögli

cherweise die Minderheitenrechte auf eine klare Untersuchung einschränken sollen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPDFraktion wird sich bei der Abstimmung der Stimme enthalten und es somit ermöglichen, dass dieser Untersuchungsausschuss eingesetzt wird.

Wir werden allen von den demokratischen Fraktionen vorgeschlagenen Mitgliedern unsere Zustimmung geben; bei Herrn Gansel werden wir uns verständlicherweise enthalten.

Ich wünsche allen Mitgliedern des Untersuchungsausschusses einen klaren Kopf bei der Untersuchung und unaufgeregtes Handeln und Verhandeln bei der Ausschussarbeit.

Apropos unaufgeregt: Mir als ältestem Abgeordneten dieses Hauses mag man es zugestehen, wenn ich im Zusammenhang mit den in Rede stehenden aktuellen Vorgängen um etwas mehr Gelassenheit bitte, um einen Umgang fern von persönlichen Verletzungen, getragen vom Respekt gegenüber dem anderen. Ich denke, dass diese Gelassenheit in den letzten Wochen manchem gut getan hätte.

Dabei bin ich mir mit meiner Fraktion einig, dass die Art und Weise, in der der Juristische Dienst des Sächsischen Landtages mit seinem Referatsleiter an den Pranger gestellt wurde, weder der Würde der Person noch der des Landtags als Ganzem entsprochen hat.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der Staatsregierung)

Ich möchte bei dieser Gelegenheit – und das ist ganz unabhängig vom Ergebnis des letzten Gutachtens – noch einmal die jahrelange beratende Tätigkeit des Juristischen Dienstes positiv hervorheben.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Die dort für den Landtag tätigen Personen sind nach unserem Eindruck von unabhängigem wissenschaftlichem Sachverstand geleitet, der nur dem Recht verpflichtet ist. Nicht umsonst hat sich der Sächsische Landtag vor nicht allzu langer Zeit entschlossen, eine führende Person aus dieser Abteilung des Parlamentsdienstes mit Zweidrittelmehrheit in den Sächsischen Verfassungsgerichtshof zu entsenden. Ich denke, wir alle denken: mit Recht!

Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der Staatsregierung)

Ich erteile der NPDFraktion das Wort. Herr Gansel.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei der Staatsregierung und den sie tragenden Koalitionsparteien liegen die Nerven blank, so wie es auf der Kommandobrücke der Titanic kurz nach der Havarie der Fall gewesen sein muss. Dies verwundert auch nicht, denn die polierte Oberfläche des

mitteldeutschen Musterlandes Sachsen hat hässliche Risse bekommen und ein dunkler Abgrund tut sich auf, der wichtige politische Akteure des Freistaates zu verschlingen droht.

(Zuruf des Abg. Karl Nolle, SPD)

Ohne Zweifel, Herr Nolle, befindet sich Sachsen in einer Staatskrise, die alle bisherigen Skandälchen und Skandale im sowieso nicht skandalarmen Freistaat weit in den Schatten stellt. Es kann gar nicht oft genug wiederholt werden, welche Ungeheuerlichkeiten im Raum stehen. Dass ein mafiöses Netzwerk aus Politikern und Geschäftemachern, aus Staatsanwälten, Richtern und Polizisten verantwortlich zeichnet für Rechtsbeugung und Geheimnisverrat, Immobilienschiebereien und Nötigung, Mord und Kinderprostitution; dass die ausländische Organisierte Kriminalität, alte Stasi-Seilschaften und westdeutsche Karrieristen des Justiz- und Politikapparates Sachsen in ein Gaunerparadies der besonderen Art verwandelt haben – solche Verdachtsmomente rechtfertigen allemal die Bezeichnung „Staatskrise“.

Der Berliner „Tagesspiegel“ brachte am 8. Juli eine doppelseitige Dokumentation, die sich allein mit den bisher ansatzweise bekannten Vorkommnissen in Leipzig beschäftigt. Das Blatt spricht von einem „Krimi in neun Akten“. Die Überschrift lautet: „Die dunkle Seite der Macht“.

In den vergangenen Wochen wurde deutlich, dass sich die Bezeichnung „Staatskrise“ auch aus einem anderen Grund aufdrängt, nämlich wegen des penetranten Versuches der Regierung Milbradt, sich der Kontrolle durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu entziehen. Wir haben es hier mit einer in der deutschen Parlamentsgeschichte wohl einmaligen Verweigerungshaltung und einer einmaligen Missachtung des Untersuchungsrechts des Parlaments zu tun.

Bei Zweifeln an der Verfassungskonformität eines Untersuchungsausschussantrages sieht das diesbezügliche Gesetz eine Überweisung an den Verfassungs- und Rechtsausschuss vor, der dann als Expertengremium fungieren soll, um schnellstmöglich einen verfassungskonformen Antrag zu erarbeiten. Wir mussten aber jüngst erleben, wie die CDU-Vertreter den Rechtsausschuss dazu missbrauchten, um ihre Aufklärungsverweigerung regelrecht zu kultivieren, anstatt einen auch nach ihrer Auffassung verfassungskonformen Antragsentwurf mit zu erarbeiten.

Warum diese Destruktivität, warum diese zweifelhafte verfassungsrechtliche Grundauffassung, warum diese fast neoabsolutistische Anmaßung, die Opposition um ihr in der Landesverfassung verbrieftes Recht auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu bringen? Der Ministerpräsident, seine Regierung und die CDU-Fraktion scheinen die Trockenlegung des Korruptionssumpfes mehr zu fürchten als der Teufel das Weihwasser. Einen anderen Reim kann man sich auf ihre Verschleppungstaktik beim besten Willen nicht machen.

Kein Wunder, wir alle wissen ja von den schwerwiegenden Anschuldigungen, dass Sachsens früherer Ministerpräsident Biedenkopf mit Wissen seines damaligen Finanzministers Milbradt den Bau und die Vermietung des Behördenzentrums Leipzig-Paunsdorf durch einen persönlichen Freund beeinflusst hat – und dies zum massiven Nachteil des Freistaates.

Und was hat es mit der „Sonderkommission Doktor“ auf sich, die Mitte der Neunzigerjahre rund 60 Tatverdächtige ermittelte, die sich in Kinderschänderringen bewegten? Laut einem Bericht der „Sächsischen Zeitung“ vom 11. Juli 2007 stießen die Ermittler bei ihrer Arbeit auch auf den Namen eines früheren sächsischen Innenministers, der von einem Zeugen beschuldigt worden war, Tatverdächtige vor der Polizei gewarnt und selbst Missbrauchskontakte zu Kindern gehabt zu haben.

Angesichts einer solchen Nachrichtenlage ist es politisch zwar erklärbar, aber nicht im Mindesten entschuldbar, dass die Staatspartei CDU den kleinsten Lichtstrahl im Korruptionsdunkel fürchtet und der Ministerpräsident das Ansinnen nach einem Untersuchungsausschuss, der selbst nach den Worten von SPD-Fraktionschef Weiss das schärfste Instrument des Parlaments ist, frech als „Klamauk“ abgetan hat.

Als zuverlässiger Kettenhund und Krisenbeschwichtiger springt natürlich auch Generalsekretär Kretzschmar seinem Chef zur Seite und bezeichnet den Ausschuss schlicht als unnötig. Beide ahnen wohl jetzt schon, dass das dicke Ende erst noch kommen könnte; denn wer heute die Vorwürfe als haltlos bezeichnet, sie als Klamauk abtut und Aufklärung als unnötig bezeichnet, der will eines nicht zur Kenntnis nehmen: Die Unterlagen, um die es zurzeit in der Öffentlichkeit geht, machen gerade einmal 0,07 % des gesamten Aktenbestandes von 15 600 Seiten aus. Diese Zahl nannte am 8. Juli dieses Jahres der Berliner „Tagesspiegel“. Die Sachsen fragen sich nun, welche Sauereien wohl noch in den noch nicht gesichteten 99,93 % des Aktenmaterials stehen, wenn schon die bisher veröffentlichten 0,07 % von Delikten wie Immobilienschiebereien, Käuflichkeit, Kinderprostitution und Auftragsmorden überquellen. Längst geht es um das ethische Fundament des Staates, um das Grundvertrauen der Menschen in diese angebliche Demokratie mit ihrer angeblichen Transparenz und Gewaltenteilung.

Was das Parlament und die Öffentlichkeit von der Staatsregierung in den letzten drei, vier Wochen und auch heute wieder von dem Tendenz-„Berichterstatter“ Schneider geboten bekamen, war an Dummheit, Arroganz und Verkommenheit der Macht nicht zu überbieten.

Herr Gansel, ich bitte Sie, Ihre Worte entsprechend der Situation des Hauses zu wählen.

Frau Präsidentin, der Kollege Menzel sitzt da hinten. Galt das ihm?

Ich meine Herrn Gansel! Sie meine ich!

Also ja, wieder einmal Verwirrung hinter mir.

Da finden sich drei Oppositionsfraktionen plus die NPD, die bereits Anfang Juni als erste Fraktion den Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gestellt hat, zusammen, um Licht ins Aufklärungsdunkel zu bringen, und alle vier Fraktionen werden von der Staatsregierung rüde beschimpft und durch ihre gespielte Unschuld und Unzuständigkeit bis hin zu einem Totstellreflex, den man eigentlich nur aus dem Tierreich kennt, provoziert und immer wieder aufs Neue provoziert.

Zu offensichtlich wird hier auf dreisteste Weise auf Zeit gespielt. Herr Mackenroth, Herr Buttolo, jetzt einmal Hand aufs Herz: Wie viel Zeit brauchen die Ihnen unterstellten Behörden denn noch, um alles beweiskräftige Aktenmaterial im Reißwolf verschwinden zu lassen? Sagen Sie den Sachsen doch, bitte schön, wie viel Zeit noch geschunden werden muss, bis ein AlibiUntersuchungsausschuss eingerichtet werden kann, der dann wegen des vorherigen Schreddermarathons gar nicht mehr auf die Spurensuche in der Sumpflandschaft gehen kann!