Protokoll der Sitzung vom 24.02.2005

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Darf ich Sie fragen, ob ich mich in meiner Kenntnis täusche, dass der Begriff „deutsche Volkssubstanz“ in den Nürnberger Rassengesetzen durchaus vorgekommen ist. Herr Leichsenring bezog sich ja auf Gesetze. Wenn ich richtig informiert bin, sind es genau diese Nürnberger Rassengesetze, auf die sich Herr Leichsenring bezogen hat.

(Uwe Leichsenring, NPD: Hat er nicht, Herr Weiss!)

Ich danke, Herr Kollege Weiss, für Ihre Frage, die ich uneingeschränkt mit Ja beantworten kann. Der Begriff der deutschen Volkssubstanz liegt nach meiner Kenntnis der Gesetzgebung des Dritten Reiches zugrunde. Mit dem Verständnis deutscher Rechtsstaatlichkeit hat das überhaupt nichts zu tun.

(Beifall bei der CDU, der PDS, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage von Herrn Gansel?

Ja, Herr Kollege, ich möchte Sie fragen, ob diese ständigen, penetranten Verweise auf das Dritte Reich damit zusammenhängen, dass Ihre Fraktion seit kurzem von Prof. Backes und Prof. Jesse geschult, gecoacht wird, um einigermaßen unseren Argumenten standhalten zu können. Ist das richtig oder falsch, dass Sie gecoacht werden von Prof. Backes?

Ich möchte Ihnen diese Frage mit einem klaren Nein beantworten.

(Jürgen Gansel, NPD: Das stimmt doch nicht! Dann lügen die Zeitungen.)

Ich will nur so viel hinzufügen: Ich habe dieses Beispiel der deutschen Volkssubstanz im Grunde genommen deshalb aufgegriffen, weil das aus Ihrer Fraktion in unsäglicher Weise im Laufe des Vormittags genannt worden ist.

(Beifall bei der CDU, der PDS, der SPD, der FDP und den GRÜNEN – Uwe Leichsenring, NPD: Und was ist schlecht daran?)

Meine Damen und Herren, kehren wir zur Lebenswirklichkeit zurück. Die Frage – ich wiederhole –, wie eine Besserstellung von Familien politisch und rechtspolitisch

auf den Weg gebracht werden kann, ist umfassend und komplex zu beantworten.

1. Eine wesentliche bundesgesetzliche Maßnahme war in diesem Zusammenhang – ich muss darauf hinweisen – die rentenrechtliche Anerkennung von Kindererziehungszeiten. Dieses Gesetz hat die Union vor über 20 Jahren auf den Weg gebracht. Diese Maßnahme ist bis 1998 ausgebaut worden und seitdem aber leider stehen geblieben.

2. Es geht um die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sie ist nach wie vor höchst unzureichend gelöst. Ich glaube, die meisten im Haus werden dies bestätigen. Diese bundesrechtlich zu klärende Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist eine der, wie ich meine, dringlichsten Aufgaben, gerade vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung, auch der Arbeitsmarktentwicklung. Auch hier bedarf es einer weitergehenden, vertieften Konzeption.

3. Wir müssen eine Antwort auf die Frage der Finanzierung bei der Einbindung der demografischen Entwicklung in das Steuerrecht finden. Und hier setzt Ihr Antrag an. Darauf zielt der Artikel 6 Abs. 1 – damit haben Sie vollkommen Recht – mit seinem besonderen Schutzauftrag für Ehe und Familie auch.

Ich möchte Sie nur um eines bitten: Reden Sie nicht mehr wie in Ihrem Antrag von Familienlastenausgleich. Familien sind keine Lasten. Reden Sie besser, wie es sich für einen modernen Sprachgebrauch eher gehört, von einem Familienleistungsausgleich.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der PDS)

Meine Damen und Herren, der Antrag der FDP-Fraktion ist zu kurz gegriffen. Er zielt zeitlich gesehen ins Leere. Unser Ministerpräsident Georg Milbradt hat sich dieses Themas über Jahre hinweg angenommen und es begleitet.

(Widerspruch des Abg. Holger Zastrow, FDP)

Er fordert im politischen Raum, Herr Zastrow, die Besserstellung der Familien hinsichtlich des jeweiligen aktuellen Einkommens seit geraumer Zeit.

(Holger Zastrow, FDP: Tun!)

Seinem Anliegen folgend, hat die Konferenz der Ministerpräsidenten Ost unter anderem am 31. Januar 2005 beschlossen, einen vertieften Austausch zur Bewältigung der Folgen der demografischen Entwicklung zu führen – Ich zitiere – „auch über die Einführung eines Familiensplittings“. Herr Zastrow, Ihr Antrag lautet auf Initiierung einer Diskussion, mehr nicht. Lesen Sie doch Ihren eigenen Antrag!

(Holger Zastrow, FDP: Mehr machen Sie doch auch nicht!)

Wir sind diesem Anliegen, eine politische Diskussion zu initiieren, doch längst nachgekommen, und zwar nicht erst seit gestern. Bildlich gesprochen möchte ich Ihnen sagen: Der Zug, meine Damen und Herren der FDPFraktion, auf den Sie den Sprung auf das politische Tritt

brett versuchen wollen, ist bereits seit geraumer Zeit unterwegs.

(Beifall bei der CDU – Holger Zastrow, FDP: Im Bummelzugtempo!)

Die Union führt seit geraumer Zeit, und zwar nicht erst seit der so genannten Herzog-Kommission, der unter anderem Georg Milbradt angehört hat, die Debatte über das von Ihnen gestellte Thema der steuerrechtlichen Besserstellung. Ich vermisse, Herr Morlok, in Ihrem Antrag im Übrigen eine Auseinandersetzung damit, dass die FDP in ihrem Grundsatzprogramm solche Fragen, wie sie heute im Hause zur Diskussion stellen, bislang noch nicht inhaltlich aufgegriffen hat.

(Holger Zastrow, FDP: Das ist doch falsch!)

Meine Damen und Herren, und schließlich meine ich – auf unser Haus bezogen –, wir sollten die Diskussion nicht nur anderen überlassen. Lesen Sie doch Ihren eigenen Antrag! Darin steht, eine Bundesratsinitiative auf den Weg bringen zu wollen. Wir sollten die Diskussion nicht anderen überlassen. Lassen wir uns nicht in eine Diskussion über Möglichkeiten von Möglichkeiten ein, wie es in Ihrem Antrag ausdrücklich heißt. Behandeln wir das Thema selbst, hier im Hause.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Können wir Steuergesetze machen?)

Hier finden Sie unsere sofortige Bereitschaft. So wie der Antrag wörtlich lautet, können wir ihn nicht teilen, aber wir schlagen Ihnen Folgendes vor: Das Hohe Haus kann nach der Geschäftsordnung die Überweisung eines Antrages in einen Ausschuss beschließen. Machen wir das doch. Der Sozialausschuss ist dafür bereit. Voraussetzung ist, dass Sie einem solchen Ansinnen, wenn dies kommt, und von uns wird es kommen, nicht widersprechen. Gehen wir doch diesen Weg, und dann sollten wir gemeinsam richtig arbeiten. Die CDU-Fraktion und die Regierungskoalition sehen diesen Schritt als den richtigen Weg. Nehmen wir uns dieses Themas selbst an. Die Sache ist es wert. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Die PDS-Fraktion, bitte. Herr Abg. Neubert.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor einigen Wochen überraschte uns der Ministerpräsident wieder einmal mit zwei Vorschlägen zur Familienpolitik, allerdings war es kein Vorpreschen mit innovativen Ansätzen, sondern ein Rückgriff in die Mottenkiste der Familienpolitik. Darauf wurde schon eingegangen. Heute steht der Antrag der FDP-Fraktion zum Familiensplitting auf der Tagesordnung. Sehr geehrte Damen und Herren, vor 50 Jahren war es in fast allen europäischen Staaten unangefochtene Norm, dass eine Familie aus zwei Eheleuten und ihren Kindern bestand und der Mann der alleinige Ernährer dieser Familie war. Steuerlich umgesetzt wurden diese Vorstel

lungen mit der so genannten Ehe- und Hausfrauensubvention. Am üppigsten wirkte sich diese Subvention dann aus, wenn die Frau gar nichts verdiente, also keiner Erwerbsarbeit nachging und die Kinder hütete, sofern welche da waren. Im Grunde war die steuerliche Begünstigung des Alleinverdienermodells ein negativer Anreizeffekt. Die Wiederaufnahme einer Erwerbsarbeit für die Frauen, zum Beispiel nach der Geburt eines Kindes, war damit reichlich unattraktiv.

Nun spreche ich über diese Art der steuerlichen Ehesubventionierung in der Vergangenheitsform, denn in fast allen europäischen Staaten wurde sie abgeschafft. In Deutschland aber besteht diese Förderung des Alleinverdienermodells in einer Ehe in Form des Ehegattensplittings unverändert fort, ein Modell, welches in unserer modernen Gesellschaft ausschließlich die Ehe als Partnerschaftsform begünstigt, ein Modell, welches alte gesellschaftliche Rollenbilder manifestiert und die Ehefrau am Herd subventioniert, ein Modell, welches der Vergangenheit anhängt und endlich abgeschafft gehört.

(Beifall der Abg. Katja Kipping, PDS)

Doch daran haben sich auch SPD und GRÜNE, die sich im Wahlkampf regelmäßig mit einem modernen Frauenund Familienbild schmücken, bisher noch nicht herangetraut.

Sehr geehrte Damen und Herren! Nun will der FDP-Antrag ein Familiensplitting, das lediglich die konsequente Weiterentwicklung des Ehegattensplittings ist, also auch die Abhängigkeit – und meist die Abhängigkeit der Frauen – vom Lebens- bzw. Ehepartner fortschreibt.

Sehr geehrte Frau Schütz, sehr geehrte Herren der FDP, unabhängig von der familienpolitischen Komponente bin ich allerdings schon etwas überrascht, dass sich die Partei, die sich in der Öffentlichkeit immer für ein einfaches Steuerrecht stark macht, zugunsten der Besserverdienenden für eine Verkomplizierung streitet.

(Lachen des Abg. Torsten Herbst, FDP)

Sinnvoller – und wenn ich es so sagen darf europäischer – wäre es, Menschen unabhängig von ihrer Lebens- und Familienform individuell zu besteuern und das so gewonnene Steuermehraufkommen für eine wirklich kinder- und familienfreundliche Politik einzusetzen.

Das familienfreundlichste am Familiensplitting ist der wohlklingende Begriff. Das war es dann aber auch schon. Die Crux am Familiensplitting ist: Je mehr man verdient und je mehr Steuern man zahlen müsste, umso höher ist der steuerliche Vorteil. Umgekehrt heißt das: Wer schon wenig verdient, hat höchstens einen geringen, in vielen Fällen jedoch gar keinen Vorteil vom Familiensplitting.

Das heißt, gerade einkommensschwachen Familien wird ein solches Ansinnen überhaupt nichts nützen. Im Gegenteil. Es wird ihnen eher schaden. Denn der Staat wird dann noch weniger Geld für seine soziale Ausgleichsfunktion haben.

Menschen mit überdurchschnittlichem Einkommen, zu denen auch wir hier im Landtag gehören, sollen nach dem Antrag der FDP ihr Einkommen fiktiv auf alle Familienmitglieder verteilen und dabei Einkommenssteuer

in drei- bis vierstelliger Höhe sparen können, während Familien von ALG II-Empfängern selbst die paar Euro, die sich 14-Jährige durch Zeitungaustragen dazu verdienen, vom ALG-II-Anspruch abgezogen werden. Das „Familiensplitting für Arme“ wurde mit Hartz IV für breite Bevölkerungsteile eingeführt, nur dass es für die Betroffenen keine Steuerersparnis, sondern oftmals den Verlust der letzten eigenen Bezüge bedeutet.

Der Titel des Antrages „Für mehr Familienfreundlichkeit …“ müsste also eigentlich heißen „Wieder mal Steuersubventionen für Besserverdienende“. Das mögen Sie, meine Damen und Herren von der FDP, vielleicht so wollen, auch die Damen und Herren der CDU und der SPD – wir wollen das nicht!

(Vereinzelt Beifall bei der PDS – Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Sehr richtig!)