Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte mich jetzt nicht an der Diskussion beteiligen, welche Statistik zur Bemessung der Kinderarmut richtig ist und ob das Einkommen der Eltern weniger als 60, 50 oder 40 % des Durchschnittseinkommens von Deutschland oder des jeweiligen Bundeslandes beträgt. Nein, das hilft unseren Kindern keinesfalls weiter.
Fakt ist: In Sachen gibt es zahlreiche Kinder, die unter der sozialen Situation – der einkommensschwachen Situation ihrer Eltern – leiden. Sie haben nicht dieselben Lebens
Wir wissen, dass Kinder aus armen Haushalten vermehrt Fernsehen konsumieren, statt im Sport- oder Musikverein gegen Mitgliedsbeitrag aktiv zu sein. Wir wissen, dass sie weniger oft ein Gymnasium besuchen. Wir wissen, dass sie ungesünder leben und insgesamt schlechtere Zukunftschancen haben.
Warum ist das so? Wie kann dieser Zustand behoben werden? Der Grund ist – weiß Gott! – nicht, dass die Eltern nicht wollen, sondern viel zu oft, dass sie es finanziell nicht können. Martin Dulig hat das ausführlich dargestellt.
Wir haben darin also kein Erkenntnisproblem, sondern wir nutzen das Wissen nicht und lassen die Betroffenen damit viel zu oft allein zurück. Am einfachsten erscheint es natürlich, das Einkommen der Eltern zu verbessern. Doch einmal davon abgesehen, dass nicht jede Beschäftigung Armut nach Statistik verhindern kann, ist nicht gewährleistet, dass die Erhöhung von Transferleistungen den Kindern unmittelbar zugute kommt.
Landespolitik, die den betroffenen Kindern helfen soll, muss direkt zu deren Wohl beitragen. Sachsen hat dafür vielfältige Möglichkeiten. Vor allem Bildungseinrichtungen, Kindertageseinrichtungen und Schulen bieten sich dafür an; denn Bildung ist und bleibt nun einmal der Schlüssel für den sozialen Aufstieg – und das nicht nur in der Dritten Welt, sondern auch hier in Sachsen.
Wer heutzutage seinen Kindern eine optimale Bildung gewährleisten will, muss auch in Sachsen tief in die Tasche greifen. Obligatorisch sind ab Grundschulalter die zahlreichen Arbeitshefte, Kopiergeld, Theaterbesuche, Geld für Arbeitsmaterialien von den Farbstiften bis hin zur Gitarre bei musischer Begabung. Da kommt eine Menge Geld ab circa 40 Euro aufwärts zusammen. Wer sein Kind auf ein Gymnasium schicken will, muss mehr Geld für die Schülerbeförderung – gerade im ländlichen Raum – zahlen und Dinge wie einen grafikfähigen Rechner zu Hause zur Verfügung stellen.
Das ist viel, viel Geld, um das gerade einkommensschwache Eltern nicht herumkommen. Will das Kind AGs besuchen, wird es noch teurer. Wenn die Schule gerade einmal keine Ressourcen für Förderunterricht hat, muss ein privater Anbieter her. Spätestens hier ist aber Schluss für Kinder aus einkommensschwachen Haushalten. Sie haben deutlich schlechtere Karten als ihre Schulkameraden, und es kann doch nicht sein, dass begabte Kinder wegen viel zu teurer Unterrichtsmaterialien oder Fahrtkosten nicht an ein Gymnasium geschickt werden. Das ist tiefste soziale Ungerechtigkeit.
Vorschläge, diese Situation zu beheben, gibt es ganz konkrete. Ein weiterer Ausbau der Ganztagsschulen ist dazu als Erstes zu nennen. Vor allem Kinder aus einkommensschwachen Familien könnten so Angebote wahrnehmen, welche sonst eine Menge Geld kosten. Eine echte Lernmittelfreiheit wäre als Zweites zu nennen, denn es ist wirklich zu überlegen, ob Eltern Arbeitsmaterialien bezahlen müssen, die für den Unterricht als zwingend notwendig beschrieben werden. Drittens sind kulturelle und auch bildende Angebote für Eltern günstiger zu gestalten. Der Familienpass des Freistaates Sachsen erreicht leider noch zu wenige Familien und private Kooperationspartner gibt es in dem Rahmen noch gar nicht. Hier kann und soll mit mehr entsprechender Öffentlichkeitsarbeit und einem ausreichenden Engagement der Staatsregierung noch viel erreicht werden.
Doch nicht nur bei der Schulbildung kann und muss viel passieren. Auch im Bereich der frühkindlichen Bildung gibt es enormen Handlungsbedarf. Solange Zugangskriterien den Kita-Besuch für Kinder arbeitsloser Eltern beschränken, verbaut die Politik von CDU und SPD diesen Kindern die Chance auf eine bessere Zukunft.
Eigentlich müssten Sie, die Damen und Herren der Sozialdemokratischen Fraktion hier im Landtag, sich schämen, Kindern gezielt Bildung vorzuenthalten, war es doch einmal der Zugang zur Bildung, der den früheren Sozialdemokraten so wichtig war.
Ich hoffe, dass die Koalition endlich diesen großen schwarzen Fleck der eigenen Politik beseitigt und handelt, denn – ich hatte es gesagt – ein Erkenntnisproblem haben wir darin nicht. Lassen Sie uns die gemachten Vorschläge umsetzen!
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wann immer wir über Armut reden, kann man darauf warten – so heute auch hier –, dass der Streit über die Definition von Armut beginnt. Ist es eine Frage von Transferleistungen oder ist es eine Frage des Menschenbildes? Wie wichtig ist Familie für die Zukunftschancen der Kinder? Kann man Kinder, deren Eltern diese Zukunftschancen nur unzulänglich im Blick haben, trotzdem erreichen oder ist das vergebliche Liebesmühe? Ihre Frage, Frau Pfeiffer: Ist es vergebliche Liebesmüh? Welche Verantwortung haben wir als Politiker?
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon merkwürdig: Gerade Sie, die Sie immer über die Linken und deren Fokus auf Verteilungsgerechtigkeit spotten, kommen jetzt und fordern Gerechtigkeit zwischen Müttern, die ihre
Kinder ausschließlich zu Hause erziehen, und denen, die ihre Kinder auch in die Kitas schicken. Beim Landeserziehungsgeld ging der Streit in der CDU-Fraktion ja wohl um die Frage: Wie viele Steuergelder werden für Subventionen der Familien ausgegeben? Ist es gerecht, wenn einige Eltern eine Doppelförderung erhalten – mit Landeserziehungsgeld und Kita-Platz? Das ist eine Debatte um Verteilungsgerechtigkeiten, liebe Kolleginnen und Kollegen. Hatte nicht Prof. Milbradt vor den Familienverbänden erklärt, eine kluge Familienpolitik ist neu zu definieren als Investition? Wenn es um die Bekämpfung von Kinderarmut geht, dann ist gerade dies das zentrale Thema: Familienpolitik als Investition.
Was lernen denn Kinder in Familien, die in erster Linie mit der Bewältigung von Armut beschäftigt sind? Da reden wir noch gar nicht von den Familien, die selbst dazu nicht mehr in der Lage sind. Sie lernen doch, wo man welche Leistung erhält, wie lange man wo sitzen muss, wie man Demütigungen erträgt und wie man Misserfolge wegsteckt.
Die erste „World-Vision-Kinderstudie“ befragte repräsentativ Acht- bis Elfjährige zu ihren Einstellungen und Erfahrungen. Da sagen Kinder schon mit zehn Jahren: „Aus mir wird nichts, ich habe eh keine Chance.“ Sie haben nämlich nie gelernt, dass sie selbst etwas an ihrer Situation ändern können. Das Vertrauen in ihre Möglichkeiten wurde nie geweckt. Besonders betroffen sind auch hier die Kinder aus sozial schwachen Familien; das heißt eben nicht in jedem Fall aus einkommensschwachen Familien.
Sehen wir in Kinderarmut einen quasi naturgesetzlichen Zustand und verwalten wir sie bestenfalls? Verteilungsgerechtigkeit ist jedenfalls nicht der Weg zur Lösung. Wir brauchen dazu schon einen Sozialstaat, der kreative Förderung und damit verbundene Erfolgserlebnisse für Kinder aus benachteiligten Familien möglich macht und der das eben als Investition versteht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Das beginnt in den ersten Lebensjahren. Deshalb müssen wir als soziale Gemeinschaft ein hohes Interesse daran haben, nicht gerade die Kinder, deren Eltern sich durch das Landeserziehungsgeld eine Verschnaufpause versprechen, in den ersten Lebensjahren von der Kinderkrippe auszuschließen. Es muss Schluss sein damit, Kinder von arbeitslosen Eltern durch Zugangsbeschränkungen von Kitas auszuschließen. Da spielt es dann keine Rolle, wie es den Kindern in der Kita gefällt und ob sie sich wohlfühlen oder nicht.
In Skandinavien und den angelsächsischen Ländern hat man das längst begriffen. Dort gelingt es perfekt, diese beiden Dinge zu verbinden.
Fazit, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir müssen in Kinder investieren und das heißt, es genügt nicht, ihnen den soziokulturellen Mindestbedarf zu gewähren. Sie brauchen Teilhabechancen, unabhängig vom Status ihrer Eltern. Kinder brauchen in Deutschland endlich eigene Rechte.
Dazu gehören kostenfreie Angebote in Vereinen, Museen, Bibliotheken, Schwimmhallen usw. Das wäre ein Bildungsangebot, ein Angebot, an das sich Kinder anschließen können und das ihnen den Eindruck vermittelt: Ich kann mithalten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dulig, Ihr Auftritt war wieder einmal bezeichnend für die sächsische SPD: Durchaus richtige Situationsbeschreibung, aber keine Aussagen zu den Verantwortlichen.
Sie beklagen die ungerechte Verteilung des Reichtums und verlieren kein Wort darüber, dass die SPD es war, die die Vermögensteuer und Körperschaftsteuer gesenkt und Hartz IV eingeführt hat. Statt Klagelieder anzustimmen, Herr Kollege Dulig, sollte die SPD diese Fehlentscheidungen endlich zurücknehmen.
In einer der diversen Talk-Shows äußerte sich der hessische Ministerpräsident Roland Koch sinngemäß wie folgt: In Deutschland gibt es keine Armut. Armut gibt es vielleicht in Afrika, aber nicht hier bei uns. Klaus Wowereit, der Regierende Bürgermeister von Berlin, sprach sich gegen die Erhöhung von Sozialleistungen aus, weil viele der Betroffenen ohnehin nicht mit Geld umgehen könnten.
Auch der CDU-Ministerpräsident dieses Landes, Georg Milbradt, verschließt die Augen vor den Tatsachen, wenn er vor knapp zwei Wochen in einem Interview mit der „Sächsischen Zeitung“ erklärte: Wir brauchen keinen gesetzlichen Mindestlohn, denn wir haben bereits einen, und zwar Hartz IV.
Es sind solche und ähnliche Äußerungen, durch die sich die wirklich armen Menschen in diesem Lande verhöhnt fühlen und die sie wütend machen.
Wir, DIE LINKE im Sächsischen Landtag, wollen nicht wegschauen und verdrängen. Wir wollen aufklären, die Dinge beim Namen nennen und über die Ursachen von Armut sprechen, eigene Vorschläge unterbreiten und die Verantwortlichen zum Handeln auffordern. Wir wollen uns nicht mit den gegenwärtigen Zuständen in Sachsen abfinden.