Protokoll der Sitzung vom 08.11.2007

Wir, DIE LINKE im Sächsischen Landtag, wollen nicht wegschauen und verdrängen. Wir wollen aufklären, die Dinge beim Namen nennen und über die Ursachen von Armut sprechen, eigene Vorschläge unterbreiten und die Verantwortlichen zum Handeln auffordern. Wir wollen uns nicht mit den gegenwärtigen Zuständen in Sachsen abfinden.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Kollege Neubert hat in seinem Beitrag schon konkrete Zahlen genannt. Wenn ich mir allerdings einige der Vorredner so angehört habe, dann haben Sie die Dramatik der Situation noch immer nicht begriffen, meine Damen und Herren, insbesondere von der CDU. Wenn Sie schon nicht auf uns hören wollen, dann hören Sie doch wenigstens auf die warnenden Worte der Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen. Ich hatte am vergangenen Sonntag Gelegenheit, an der Tagung der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland teilzunehmen. Bis auf den Ministerpräsidenten habe ich leider keinen Vertreter der CDU-Fraktion gesehen.

Zwar standen die Tischkarten da, die Plätze dahinter blieben jedoch leer. Das war sehr schade, denn Sie haben einiges verpasst – insbesondere in der Rede von Bischof Huber, der sich in einem ganzen Abschnitt genau mit unserem heutigen Thema, der Kinderarmut, beschäftigte.

Gestatten Sie mir, auszugsweise daraus zu zitieren: „Wer über die Gestaltung der Welt von morgen nachdenkt, muss über Kinder reden. Kinder werden um ihrer selbst willen geboren; aber dass sie geboren werden und aufwachsen, ist zugleich ein entscheidender Beitrag zur Zukunftssicherung einer Gesellschaft. Doch im konkreten Einzelfall wird häufig das Gegenteil erlebt: Kinder werden zu einem zusätzlichen Risiko für die Sicherung der eigenen Existenz. Armutsrisiken treffen heute besonders kinderreiche Familien sowie Alleinerziehende und Migrantenfamilien. Kinder sind in unserer reichen Gesellschaft in wachsendem Maße selbst von Armut betroffen. Armut zeigt sich dabei in materieller Armut, doch sie hat Konsequenzen weit darüber hinaus. Armut konkretisiert sich in Bildungsarmut, in Beziehungsarmut, in mangelnder Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.“ – So weit der EKD-Ratspräsident.

Sie werden feststellen, meine Damen und Herren, dass sich die Situationsbeschreibung der Evangelischen Kirche in Sachen Kinderarmut von der der Linken kaum unterscheidet. Bereits die EKD-Synode im Vorjahr in Würzburg hatte sich diesem Thema in einem Papier gewidmet, das den Titel trug „Gerechtigkeit erhöht ein Volk, Armut muss bekämpft werden, Reichtum verpflichtet“. Auch diesen Satz kann meine Fraktion vorbehaltlos unterschreiben.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU: Hören Sie also endlich damit auf, uns bei sozialpolitischen Debatten

immer wieder Schwarzmalerei oder Übertreibung vorzuwerfen, denn die Fakten sind eindeutig: Der Deutsche Kinderschutzbund spricht in seiner jüngsten Statistik von 2,6 Millionen Kindern, die in Deutschland in Armut leben. 700 000 Kinder sind verarmt, obwohl ihre Eltern einer geregelten, aber extrem schlecht bezahlten Arbeit nachgehen. 1,9 Millionen Kinder müssen von jenen 208 Euro leben, die das ALG II anteilig für das Leben eines Kindes vorsieht.

Meine Damen und Herren von CDU und SPD: Sie regieren hier in Dresden, aber auch in Berlin, wo die meisten Sozialgesetze beschlossen werden. Ich appelliere an Sie: Nehmen Sie diese Realitäten zur Kenntnis, folgen Sie auch dem Rat der Kirchen. Kinder brauchen, um an der Gesellschaft teilhaben zu können, Zuwendungen, die am tatsächlichen Bedarf orientiert sind. Sie brauchen als eigenständige Geschöpfe – so hat es Bischof Huber formuliert – auch ein eigenes existenzsicherndes Kindergeld.

Das ist der Maßstab, und wir schließen uns dieser Forderung an.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Ich erteile der Fraktion der CDU das Wort; Herr Krauß, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hatte den Eindruck, dass bei den ganz Linken als auch bei den Nationalsozialisten

(Oh-Rufe von der NPD – Zuruf von der NPD: Das kann nicht sein!)

als auch bei unseren Liberalsozialisten, die wir mit der FDP ja auch hier im Landtag haben, so der Eindruck oder das Konzept vorherrscht, allein mit einem 50-Euro-Schein für Sozialbedürftige ließe sich das Problem lösen.

(Starke Unruhe – Zurufe)

Damit wird deutlich: Sie wollen eigentlich nur an den Symptomen herumdoktern; Sie wollen nicht zur Wurzel gehen. Das ist das Hauptproblem, das uns von Ihnen unterscheidet. Wenn jemand nichts zu essen hat, nützt es nichts, wenn ich ihm einen Fisch gebe, sondern dann muss ich ihm die Angel geben, damit er sich selbst diesen Fisch fangen kann.

(Starke Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Ich hätte mir gewünscht, dass wir gerade über das Thema der Angel hier ein bisschen ausführlicher diskutieren und schauen, wie wir dort hinkommen, dass die Menschen selbstständig in der Lage sind, für ihren eigenen Lebensunterhalt zu sorgen.

(Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Dr. André Hahn. Linksfraktion)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Krauß?

Es möchten mehrere Abgeordnete eine Frage stellen; ich fange mit Frau Lay an; bitte.

Herr Abg. Krauß, habe ich Sie jetzt richtig verstanden, dass, wenn die Eltern nicht angeln, Sie dafür plädieren, dass deren Kinder dann hungern sollen?

Das haben Sie falsch verstanden, deswegen will ich gern darauf eingehen. Klar ist, dass diejenigen, die zum Beispiel Hartz IV beziehen, relativ wenig Geld haben, dass sie sehr sparsam mit dem Geld umgehen müssen; aber dieses Geld reicht für eine gesunde Ernährung, davon bin ich fest überzeugt.

(Empörung bei der Linksfraktion und der NPD – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Das ist ein Zyniker! – Jürgen Gansel, NPD: Intellektuelle Unterernährung!)

Das machen Tausende oder Abertausende Sozialhilfeempfänger oder Hartz-IV-Empfänger jeden Tag vor,

(Anhaltende starke Unruhe – Zurufe)

indem sie ihre Kinder ordentlich ernähren, indem sie ihre Schnitten schmieren und ihre Kinder mit dieser Schnitte in die Schule schicken.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU – Anhaltende Unruhe)

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, Herr Krauß?

Ja, ich wollte noch ganz kurz ausführen. Wenn Sie glauben, dass wir damit, dass wir den Kindern vielleicht auch noch ein Frühstücksbrot schmieren, während die anderen Eltern ihren Kindern ganz normal das Brötchen schmieren und mitgeben, soziale Probleme lösen, dann sind Sie auf dem Holzweg.

(Starke Unruhe – Zuruf des Abg. Volker Bandmann, CDU)

Machen wir mit der nächsten Zwischenfrage weiter; bitte, Herr Dr. Martens.

Herr Krauß, ich weiß nicht, ob ich es richtig mitbekommen habe, aber so viel dazu: Sind Sie bereit zur Kenntnis zu nehmen, dass wir Liberale uns nicht in einem Zug mit Nationalsozialisten als Liberalsozialisten in eine Ecke stellen lassen?!

Das nehme ich gern zur Kenntnis, das habe ich auch nicht gemacht.

(Zurufe von der Linksfraktion: Doch! – Torsten Herbst, FDP: Lesen wir es im Protokoll nach! – Weitere Zurufe – Starke Unruhe)

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Bitte, Herr Nolle.

Herr Kollege, was halten Sie von dem Satz: „Armut ist ein stiller Glanz von innen“?

Sie sind ein großer Philosoph. Ich wollte jetzt aber eigentlich auf das Thema kommen, das auch recht interessant ist, nämlich auf das Thema Ernährung.

(Anhaltende starke Unruhe – Bettina Simon und Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion, stehen zu Zwischenfragen am Mikrofon.)

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, Herr Krauß.

Ich möchte erst einmal ein paar Sätze ausführen und danach können wir gern noch zu den Fragen kommen. Das Thema Ernährung liegt uns schon am Herzen.

Die FDP hat richtigerweise festgestellt, dass wir Ernährungsprobleme bei Kindern haben. Aber wir haben eben nicht das Problem, dass die Kinder mangelernährt sind, dass sie zu wenig zu essen haben, sondern wir haben das Problem, dass sie zum Großteil sehr übergewichtig sind, wenn sie aus sozial schwachen Verhältnissen kommen. Das liegt eben nicht daran, dass sie zu wenig Geld haben; ansonsten wäre es ja so, dass der Schokoriegel preiswerter sein müsste als der gesunde Apfel. Wir haben aber das Problem, dass eben gerade die gesunde Ernährung nicht funktioniert.

(Starke Unruhe – Zurufe)

Darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten, meine Damen und Herren!

Dass Ihre Konzepte dort nicht aufgehen, machen auch einige Zitate deutlich, die ich bringen will.

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?